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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.03.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-03-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191103123
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110312
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110312
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-03
- Tag 1911-03-12
-
Monat
1911-03
-
Jahr
1911
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Nr. 71. 105. Iülirgsny. ziehen. Leider senken sich dicht« Nelxl nieder, aus denen vereinzelte Schneekörner niederriescln, und verdecken die Aussicht. Lei der Ankunst in Dardschiling war die Stabt . in Siedel gehüllt und die Auskünfte lauteten trostlos; leit einer Woche schon lauerten Menschen aus allen Teilen der Welt vergeblich auf aute Aussicht. Da mir nur zwei Tage zur Verfügung standen, beschloß ich. unter allen Umständen am nächsten Morgen aus „Tiger Hill" den Sonnenaufgang abzuwarten. Lor Kälte schloß ich in der Nacht kein Auge und war todmüde, als ich mich um 3^ Uhr früh erhob. Schon am Tage zuvor hatte ich etwas Lieber — an scheinend alte Malaria — gespürt, deshalb musste ich anstatt des Reitpferdes eine von sechs Mann ge tragene Sänfte benutzen. Im Eeschwindsckrltt folgen meine Leute mit mir bergan zum 2600 Meter hohen „Tiger Hill", der zehn Kilometer entfernt. .'M Meter höher als Dardschiling liegt und einen Blick auf den Himalaja bietet, der das schönste Landschaftsöild der Erde ist. Es war eine wunderbar schöne, sternklare Nacht. Nutzer Pferdegetrappel in der Ferne war nichts zu hören als die knirschenden Schritte meiner Träger auf dem Rauhreis, der Erde, Bäume und Büsche bedeckte. Nach einer Stunde begannen die Sterne zu verblassen und um -^6 Uhr, gerade, als die ersten Strahlen der Sonne den Osten rosig färbten, langten wir auf der Höhe an. schon der Anblick, der sich jetzt bot, wäre des Aufstiegs wert gewesen. Ein unendliches Meer riesiger Wolken brandete vor mir tief unten, und drüber hin war es vollkommen klar. Dahinter er hoben sich in scharfen Umrissen die Gipfel der höchsten Berge der Erde. Mit jedem Zoll, den die Sonne höher stieg, hoben sie sich mehr aus dem wogenden Wolkenmeer heraus. Zuerst wurde die Spitze des Kintschindschanga (8582 Nieter j rosig überhaucht, dann war sie wie mit Gold überzogen, und nun traten scharf die einzelnen Grate und Schneeflocken hervor. Kurz darauf lag die Morgensonne auch auf den anderen Bergriesen, über die im Nordwesten der Gipfel des Gaurrsankar, des höchsten Berges der Erde (8810 Meter) hin weglugte. Mit jeder Minute änderte sich das Farbenspicl; bald lagen die riesigen Schneejlächen und unge heueren Gletscher in Purpur getaucht, bald in Violett oder goldiges Gelb, und mit icder Minute rückten die Giganten näher und wurden plastischer, so daß sie nur einige zehn Kilometer entfernt schienen. Da jagten plötzlich aus Südwesten große Wolken wände daher, und in einem Nu war das herrliche Schauspiel vor uns verschwunden. Doch ebenso schnell, wie die Wolke gekommen, wurde sie hinab gestürzt in das wallende Wolkenmeer unter uns, und in neuer Pracht tauchte das herrliche Panorama wieder vor uns auf, und deutlich können wir sieben Bergketten hintereinander zählen. Nun ist es auch etwas tieser bell geworden, und das weit zerstreute, auf langgedeyntcr, steilabfallender Höhe liegende Dardschiling wird sichtbar. Wie winzig ist der Berg und sind die Häuser! Sie bringen die ungeheuren Dimensionen der Söhne des Himalaja vor uns erst so recht zum Bewußtsein. Einen ganzen Monat würde ein Mann gebrauchen, wenn er den Kintschindschanga möglichst nahe an der Spitze umgeben wollte. Die Gebirgsmasse des Himalaja erstreckt sich aus eine Länge von 2500 Kilometer und ist 250 Kilometer breit. An Wildheit der Szenerie übertrifft sie jede Gebirgslandschaft der Erde. Auf den Gipfeln ruht das nie schmelzende Ureis. Tosende Strömen stürzen in wildem Falle an Len steilen Südhängen Hunderte von Metern jählings herab. Gletscher durchbrechend und Felsen zermahlend. Schutthalden und ewige Schneefelder schließen sich an. Weiter unten beginnt die undurchdringliche Wildnis des Urwalds, ange füllt von wildem Getier und giftigen Schlangen. Die durchschnittliche»Kammhöhe ist 6000 Meter und die mittlere Höhe der Pässe 5500 Meter. Der niedrigste Paß mit <1890 Meter liegt höher als die höchsten Gipfel der Schweizer Alpen. Während der Südrand in jähen Abstürzen abfällt. leipziger sinkt der Nordrand allmählicher nach Tibet zu ab. dem größten Hochland der Erde. Der Eindruck, den der Blick aus die Riefen d«s Himalaja von Tiger Hill aus gewährt, ist io groß artig. erhebend und überwältigend, daß er sich nickt beschreiben läßt. Ich habe auch keine Photographie und kein Gemälde gesehen, das auch nur annähernd di« Majestät dieses Landschaftsbildes wiedergibt Nach einer Stunde Aufenthalt umzogen dichte Nebel meinen Standort, so daß nichts übrig blieb, als den Abstieg nach Dardschiling auszuführen. Dort suchte ich zunächst den tibetanischen Tempel auf, vor dem neun mannshohe Gebetmühlen aufgestellt sind. Auf Pap.erstreifen stehen die Gebete, und lede Umdrehung der Säule gilt gleich der Verrichtung eines Gebets. Wie hier vor dem Tempel im großen, so gibt es auch im kleinen Eebetsmühlen, die in den Straßen Dardschilings massenhaft zum Verkaufe angeboten werden. Eie gleichen unseren Kinderrasseln. In der Kapsel, die sich dreht, ist das Gebet enthalten. Im Innern des Tempels zeigte die dort befind liche Buddha statu« im Zusammenhang mit den anderen dort ausgestellten Figuren deutlich, wie die nördliche Form des Buddhismus mit schivaistischen. schamanistischen Elementen gemischt ist, von denen wir im Bericht über Benares gesprochen haben. Die Priester — die Lamas — bilden ein eigenartig gegliedertes und organisiertes System. Das geistige Oberhaupt der Tibetaner ist der Da lat Lama, welcher der Wiedergeburt unterworfen ist. Bei seinem Tode entscheidet das Los, welcher der rn der selben Zeit neugeborenen geeigneten Knaben die Wiedergeburt des Dalai Lamas verkörpert. Tibet ist chinesisches Nebenland, und der Einfluß des chinesischen Statthalters spielt bei der Bestimmung des geeigneten Knaben eine Rolle. Der jetzige Dalai Lama scheint den Verbackt ge habt zu haben, daß die Chinesen seine Wiedergeburt vorzeitig herbeizuführen beabsichtigen. Deshalb ist er nach Dardschiling geflohen und hat sich unter den Schutz der Engländer gestellt. Letzteren mag es nicht unangenehm gekommen sein, auf diese Weise großen Einflug auf Tibet, einen der späteren politischen Wetterwinkel für ihr In disches Reich, zu erlangen, denn der Dalai Lama steht ständig in Verbindung mit seinem Land. Das Straßenbild in Dardschiling ist vollkommen unindisch und ganz mongolisch. Außerordentlich interessant ist auf dem Markt das Gemisch von Tibetanern. Bhutias. Leptschas und Napalesen in ihren verschiedenen Trachten. (Schluß dieses Berichtes folgt.) ZUM konMkt mit üer Kurie. Unser römischer Mitarbeiter schreibt uns unterm 9. März folgendes: „Die im Vatikan heraufbeschworene Verwirrung hat am Donnerstagmittag nach einer Aussprache des Gesandten von Mühlberg mit Merry del Dal ihren Höhepunkt erreicht. Die Umgebung des Kardi nalstaatssekretärs bemüht sich vergeblich, die um laufenden Gerüchte über besten erschütterte Stellung als widersinnig zu bezeichnen. Tat sache ist. daß Merry del Vals Tage als Staatssekretär von Rampollas Partei als gezählt be trachtet werden! Rampolla selbst hatte heute morgen eine längere Konferenz mit dem Papst, der dann zum zweitenmal Merry del Val empfing, nachdem dieser seine Unterredung mit Herrn von Mühlberg beendet hatte. Es fragt sich aber, yh,Ikanzxolla selbst Nach folger Merry del Vals werdet» wird/ 6s heißt, ein Schützling des letzteren sei zum Staatssekretär be stimmt, dem dann Merry del Val immer noch seine eigenen Direktiven zu geben in der Lage wäre. Don kompetentester Seite versichert man mir. daß Pius X. sich schwerlich entschließen würde, sich ganz und gar von Merry del Val zu trennen. Auch wenn dieser stürzt, würde er doch in unmittelbarer Nähe des Tsyevlsn. Papstes bleiben. P i u s X. soll heute die Aeuherung getan haben, daß Merry del Val zu Unrecht für ein Versehen verantwortlich gemacht werd«, für das er nur formell die Verantwortung trage. Was für ein Versehen gemeint ist, entzieht sich der allgemeinen Kenntnis. Doch glauben einge- weihte Kreise, daß es sich um die Veröffent lichung der offiziösen Noten in den vati kanischen Organen handelt, die der Reichskanzler zum Gegenstand seiner scharfen Kritik gemacht hatte. Merry del Val selbst ist momentan auf die Zentrums partei nicht gut zu sprechen. Er hatte sich in dem Glauben gewiegt, daß sie imstande gewesen wäre, eine solche Kampsrede des preußisck-en Ministerpräsi denten von vornherein zu verhindern. Jedenfalls rät er dem Papst, weiter halsstarrig zu bleiben, und den Fehdehandschuh auszu nehmen." ' veuMes Selch. Leipzig, 12. März. * Zur Resolution des Nationalliberalen Vereins Chemnitz schreibt der Vorstand der dortigen national liberalen Ortsgruppe: „Obwohl di« nationalliberale Ortsgruppe in Chemnitz die Trennung von dem Nationallrberalen Verein daselbst als eine interne Parieiangelegenheit betrachtet, deren Erörterung vor der Oeffentlichkeit aus selbstverständlicher Rücksicht auf das Parteiintereste zu unterlasten ist, und obwohl sie bisher in diesem Sinne gehandelt hat, sieht sie sich auf Grund der in hiesigen und auswärtigen Tages zeitungen bekanntgegebenen Resolution des Chem nitzer Nationalliberalen Vereins in dieser Angelegen heit zu ihrem größte Bedauern dennoch genötigt, vor der Oeffentlichkeit folgendes festzustellen: 1) Die Gründung der nationallrberalen Ortsgruppe in Chemnitz ist mit ausdrücklicher Zustimmung des Vor standes des nationalliberalen Landesvereins erfolgt, um eine große Anzahl angesehener und bewährter Parteifreunde der Partei zu erhalten. 2) Sie steht mit den Satzungen des Landesvereins durchaus im Einklänge, wie Herr Generalsekretär Dr. Westen berger sowohl am Eründungstage als auch in der Mitgliederversammlung am 1. März 1911 ausdrück lich bestätigt hat. 3) Da auch die Gründe, die zur Bildung einer nationalliberalen Ortsgruppe in Chemnitz führten, zurzeit noch maßgebend sind, steht die Berechtigung der Existenz der Ortsgruppe außer Zweifel und liegt kein Grund zu ihrer Auflösung vor." * Die Landesversammlung des Bundes der Land wirte im Königreich Sachsen findet am 23. März mit tags V?2 Uhr im Tivoli zu Dresden statt. Nack der Eröffnungsansprache des Vorsitzenden Geh. Oekono- mierats Andrä - Braunsdorf erfolgt Ansprache des Freiherrn v. W a n g e n h e i m - Klernspicgcl. Der Vortrag des Chefredakteurs Dr. Oertel lautet: „Schwere Kümpfe und hohe Ziele." * Aus dem 23. ländlichen Wahlkreise wird uns geschrieben: In den letzten Tagen sprachGeweinde- vorstand Feller (Oetzjch) ein zweites Mal zu den Wählern aus den Orten Cröbern und Crostewitz, Baalsdors und Hirschfeld. Zweinaundorf und Mölkau, Göbschelwitz, Podelwitz, Holzhausen, Zuckelhausen und Seehausen. In diesen Versammlungen nahm er Ge legenheit, die Angriffe zu erwidern, die sein« Partei stellung von den gegnerischen Parteien erfahren hat. In allen Versammlungen traten ihm Redner der nationalliberalen und der freisinnigen Partei ent gegen, denen der Kandidat eingehend erwiderte. Seine Ausführung«! sanden Beifall bei den Zuhörern. * Nationalliberaler Diskussionsabend. Im Eta blissement „Volks wo hl" hielt am Freitagabend der Nationalliberale Verein für Leipzig und Um gebung seinen zweiten diesjährigen Diskussionsabend ab. Das Referat hatte Rechtsanwalt Dr. Burkas übernommen. Er sprach über den „Einheits- gedanken in der deutschen Rechtscnt- wicklun g". Er gab einleitend einen geschichtlichen Sonmas, 12. MSrz 1911. Rückblick auf die Rechtsverhältnisse im alten Deutschen Bund und erwähnt«, daß der Frankfurter Bundesrat als wirkliche wertvoll« Gesetze nur die Wechselordnung und das Handelsgesetz erlassen habe. Di« Gründung des Zollvereins war eine praktische Notwendigkeit, die ihren Grund in den schwierigen Zollverhältnisten innerhalb Deutschlands hatte. Diese Gesetze kamen jedoch nur durch völkerrechtliche Eini- gung zustande und waren keine deutschen staatsrecht lichen Vorschriften, wie sie uns der Zusammenschluß der einzelnen Bundesstaaten im Deutschen Reich brachte. Der Redner verbreitete sich dann ausführlich über die deutschen Reichsämter, denen jetzt die Durch führung der Reichsgesetze obliegt, ebenso streifte er die Rechtsgebiete, die nicht von Reichs wegen be- handelt werden. Der Referent schloß damit, daß an gesichts der großen Vorteil«, die das Reich den Staatsbürgern im Verhältnis zu früher biet«, politische Unzufriedenheit nicht am Platze sei. Der Vortrag fand lebhaften Beifall. — Obwohl der Be such der Veranstaltung nickt sehr zahlreich war, schloß sich doch eine recht lebhafte Diskussion an. Alle Debatteredner wünschten den weiteren Ausbau der Reichseinbeit. Das geplante Schiffahrtsabgabengesetz und der Entwurf der elsaß-lothringischen Verfassung wurden lebhaft besprochen, und vor allem bedauerte Landtagsabgeordneter Dr. Zöphel, daß diese Ge setze eingebrachr worden seien, die rein partikula- risiifche Interessen zum Ausdruck bringen. O * Der Gesetzentwurf über den Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit soll dem Reichs tag noch vor Ostern zugehen. Außer diesem Gesetzentwurf beabsichtigen die verbündeten Regie rungen dem Reichstage nur noch das Privat beamtenversicherungsgesetz zugehen zu lassen. Eine Reihe von anderen kleineren Vorlagen (Ent- wurf betr. die Haftung der Straßenbahnen, See unfallgesetz usw.) werden dem Reichstage erst in der nächsten Session zugehen, da er mit Material bereits sehr überlastet ist. * Die Petitionskommission des Reichstages hat eine Petition des Deutschen Handwerks- und Gewcrbe- kammertages um Aenderung des Nahrungs mittelgesetzes, dahingehend, daß bei der Revision des Nahrungsmittelgesetzes eine Bestimmung in das Gesetz ausgenommen werden möge, die die Zuziehung von ärztlichen bzw. gewerblichen speziell mit den Gewohnheiten des betreffenden Gcwerbezweiges ver trauten Sachverständigen seitens der Pölizeiverwal- tungen und der öffentlichen Anklagebehördcn schon im ersten Stadium der Untersuchung verlangt, weil nur eine solche reichsrechtliche Regelung es ermög licht, die bei dem bisherigen Verfahren zu Tage getretenen schweren Schädigungen von Handel und Gewerbe zu verhindern, dem Reichskanzler als Ma terial überwiesen. * Der Wirtschaftliche Ausschuß ist am Freitag unter dem Vorsitz des Staatssekretärs des Innern. Staatsministers Dr. Delbrück, zu einer Sitzung zusammengetreten. Gegenstand der Tagesordnung ist die Begutachtung der Ergebnisse der deutsch schwedischen Handelsvertrags-Verhand lungen. Die Verhandlungen werden entsprechend der Natur der Sache streng vertraulich geführt. Ob schon während des Ganges der Vertragsverhand lungen andauernd Fühlung mit den beteiligten Er- werdstreisen genommen worden ist und diese in den verschiedenen Stadien der Verhandlungen, und zwar je nach der Wichtigkeit des Gegenstandes, mehrfach zu Worte gekommen sind, wobei auch den Mitgliedern des Wirtschaftlichen Ausschusses Gelegenheit zur In formation gegeben war, Haven zu der heutigen Be ratung des Ausschusses für die wichtigsten Punkte nochmals Sachverständige in größerer Zahl Ein ladung erhalten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Urteil Uber die sie interessierenden Fragen vor dem Plenum des Wirtschaftlichen Ausschusses ab zugeben. * Die Zündholzersatzmittel-Steuer. Wir brachten gestern morgen die Mitteilung von dem Gerücht, daß dem Reichstag eine Steuernooelle vorgelegt werden solle, die die Zundholzersatzmittel betrifft. DicNachricht Prinzregent Luitpolü von Boyern. Zu seinem 90. Geburtstag. Von Dr. Karl Maqerhoser (München). Wie Kaiser Wilhelm I.» mit dem er das Erreichen eines wahrhaft patriarchalischen Lebensalters, des 90. Jahres, gemeinsam hat, hätte auch Prinz-Regenl Luirpold von Bayern in feiner Jugend- und Mannes zeit niemals daran gedacht, daß er in einem Alter, da die meisten Menschen sich von den Geschäften und Lasten der Welt zurückzichen, die Geschicke eines Landes werde zu leiten haben. Ein langes Leben — 65 Jahre — hatte der Prinz schon hinter sich, als die immer düsterer sich gestaltenden Ilerhältuisse im Hause Wittelsbach ihn zur Reichsverwciung beriefen. Die Au,pizien, unter denen er die Regierung autrat, waren wahrhaft schrecklich: Ludwig ll. von Bayern war seit einer Reihe von Jahren von zer uörender Geisteskrankheit befallen; sie hielt ihn von den Mensck)«n fern, jagte ihn die Nächte hindurch über Pässe und Gebirgspsade oder hielt »hu in einem jener burgartigen Schlösser gefangen, die er sich, aus einem Rausch von romantischer Schönheftsliebe und Irrsinn beseylend, in seinen geliebten Bergen hatte auftürmen lassen. Es gab. besonders wenn der König fluchtartig von Schloß zu Schloß jagte. Tage, da lein Mensch wußte, wo die eigentliche Regierungsgewalt lag; der König selbst gab sie in die Hand seiner Friseure und Reitknechte, die er mit der Bildung eines neuen Ministeriums betraute. Als der Zu stand des Königs in offenen Irrsinn überging, konnten sich die Anwärter und Räte der Krone der Notwendigkeit nicht länger entziehen, Ludwig ll. für geisteskrank erklären zu lasten und einen Stellver treter zur Regentschaft zu berufen. Das Anrecht darauf Härte des Königs jüngerer Bruder. Prinz Otto, gehabt, der indes schon seit einer Reihe von Jahren völlig geisteskrank und daher unfähig zur Ucbernahme der Neichsverwesung war. So mutzte denn als der nächste Agnat Prinz Luitpold, der Onkel der beiden Prinzen, die Regentschaft an treten. Auf ärztlich« und staatsrechtliche Gründe ge stützt, erklärte er am 10. Juni 1886 im Verein mit dem gesamten Staatsministerium die Uebernahme der Vcrwescrschaft des Königreichs und berief di- beiden Kammern des Landtags, um ihre verfas- iungsgemäße Zustimmung einzuholen und den Eid vor ihnen leisten zu können. Ohne Zweifel waren die ersten drei Tage in der Regentschaft des Prinzen Luitpold überhaupt die schwierigsten und bedeutungsvollsten, die er (c er lebt hat; daß er sich mit Festigkeit und Takt in dem nun folgenden Sturm von Katastrophen bewährt hat, ist gewiß eines der besten Verdienste seiner ganzen Regentschaft. Ganz Bayern war durch die Erelgnisse aufs tiefste erregt, aber die nun eintretendc Kata strophe erfüllte einen großen Teil der Bevölkerung mit leidenschaftlichem Mißtrauen gegen die neue Re gierung. Ludwig ll., der die Negierungskommis- sion, die ihm von der Wendung der Dinge Mit teilung zu macken hatte, gefangen genommen und, glücklicherweise erfolglos, ohne weiteres zum Tode verurteilt hatte, wurde selbst in Gewahrsam ge nommen und nach Schloß Berg am Starnberger See übergeführt. Mit einer letzten Anstrengung ver suchte der geisteskranke König, das unabwendbare Schicksal zu beschwören; er rief die Landbevölkerung und sogar Bismarck zu seiner Hilfe auf. schließlich aber suchte er, ohne daß irgendeine derartige Ab sicht zu merken gewesen wäre, den Tod in den Wassern des Starnberger Sees, in der Nähe des Schlosses Berg. Dies alles spielte sich innerhalb dreier Tage ab: am 13. Juni 1886 wurde der König mit seinen, Leibarzt Dr. Gudden aus dem See gezogen. Das Volk hatte Ludwig ll. trotz seines Menschen hasses und seiner irren, dem Lande schädlichen Taten geliebt, und vor allem die Landbevölkerung, die er weniger geflohen hatte als die Städter, hingen au der auch in ihrein Wahn noch imponierenden Königs, gestalt mit wirklich tiefer Liebe. Kein Wunder, daß der neue Regent im Anfänge schwer um die Liebe des Landes zu ringen batte. Doch Prinz Luitpold war ein sehr erfahrener Mann, der schon über 60 Jahre bayrische Geschichte miterlebt hatte, und vor allem ein Charakter von vornehmer Zurückhaltung — eine Eigenschaft, die gerade in den ersten stürmischen Zeiten die einzige Möglichkeit bot, den Sturm zu brechen. Die Gestalt des Prinz-Regenten, an sich schon würdevoll durch die auch im höchsten Alter noch be wahrte vornehm aufrechte Haltung, erscheint noch ehrwürdiger, wenn man bedenkt und berechnet, welch ferne und lange Zeiträume sich in dem Hochbetaaten verkörpern. Seine Jugend fällt noch in Goethes Alterstage; als der größte deutsche Dichter starb, zählte der Prinz bereits elf Jahre, und an seinem Geburtstag lebte noch Napoleon auf St. Helena? Des Prinz-Regenten Barer. König Lud wig l., der Schöpfer des „klassischen" München und der Bewunderer Goethes, war noch ein Sohn des 18. Jahrhunderts und hatte drei Jahre vor Aus bruch der großen Revolution das Licht der Welt er blickt. Aber Prinz-Regent Luitpold har auch noch den ersten bayrischen Könrg, seinen Großvater, ge kannt, der 1826 starb, und ist somit Zeitgenosse sämtlicher bayrischer Könige. Ueber- haupt ist er der älteste in der Geschichte bekannte Wittelsvacher. Zn diesem Jahre, in das sein 90. Ge burtstag füllt, sind es 76 Jahre, Laß er der bayrischen Armee angehört; außerdem ist er der älteste Generalfeldmarjchall der deutschen Armee. Der Prinz-Regent, der sich auch heute noch einer seltenen Rüstigkeit erfreut, war vor fünfzig Jahren in so schlechten Gcsundl-eitsverhältnisten, daß ihm damals niemand ein auch nur annähernd jo hohes Alter prophezeit hätte. Seine Rüstigkeit verdank! er nicht zum mindesten seiner Lebensweise als Soldat und Iagdherr. Seine geliebten Jagdgebiete sind vor allem das Berchtesgadener Land und der Spessart; beide wildreichen Gebiete besucht er noch heute ein paarmal im Jahr mit einer durchaus nicht nach höfischen Regeln, sondern ganz nach seinem per sönlichen Geschmack zusammengeladenen Jagdgesell schaft, die mit dem Regenten recht zwanglos verkehrt. Zwanglos und natürlich ist auch die Art, wie der Landcsvater seine Jäger, Treiber und die Bauern seiner Jagdgebiete zu nehmen versteht; cs gibt da mancherlei hübsche Historien, die von der beiderseitigen Urwüchsigkeit zu erzählen wissen. Der oberbayrische Dialekt, den der Regent wie überhaupt der ganze Hof sehr liebt und anwcndet, ist an und für sich schon die Grundlage des Sichverstehens. Ebenso ungezwungen ist der Regent im Ver kehr mit den Münchener Künstlern Er ist da reckt vorurteilslos. Schlagworte haben ihn niemals abgchalten, einen Künstler hintanzusetzen, und niemals hat er sich durch die Devise „Sezession' davon zurückhalten lassen, den Spuren eines tüch tigen Künstlers nachzugehen. Atclierbesuche zu machen ist noch immer eine Lieblingsgewobnheit des Regenten, und so erscheint er in gleich liebenswür diger und gleich interessierter Weise ebenso bei einem ter Jüngsten, wie etwa bei den „Akademikern". Di- Münchener Künstler versichern denn auch, es sei eine Freude, den vornehmen alten Herrn zu porträ tieren. der. wenn er darum gebeten wird, meist ohne weiteres dazu bereit ist zu sitzen. Ohne ein Schön redner zu sein, kann man behaupten, daß es nickt zum mindesten die Vorurteilslosigkeit des Regenten war, die in den neunziger Jah ren der neuen Richtung in der Kunst gerade in Mün- chcn Lickt und freie Luft gewährte — im Gegensatz zum hohen Norden, wo manch bedeutende Künstler namen an den höchstoffiziellen Stellen noch immer kaum ausgesprochen werden dürfen. Ole Zutrunlt üer wmüerveinlHen Konzerte Seil Otrober 1896 ist Professor Hans Wiuder- stc i n bemüht gewesen, mit dem aus eigenen Mitteln gegründeten und erhaltenen Winder stein - Orchester für Popularisierung guter Musik einzu treten. Seine künstlensä)«n Veranstaltungen setzen sich zusammen aus den Philharmonischen Konzerten, den Volkstümlichen Konzerten in der Alberthalle und den Sinfoniekonzerten im Palmengartcn und Zoologischen Garten. Außerdem übernahm das Orchester die Instrumentalbegleitung der Solisten- lonzerle im Städtischen Kaufhause und diente auck den Aufführungen verschiedener hiesiger Chorvercine mit seiner Mitwirkung. Somit ist die Notwendigkeit eines leistungsfähigen Künstlerorchesters (das sich übrigens auch in dem zu Ende gehenden Winter als instrumentaler Faktor in den Dr. Georg Göhler unterstel-enden Veranstaltungen der Musikalischen Ge sellschaft auszeichnere j für das öffentliche Musikleben Leipzigs nachgewiescn. Seit jenem Gründungsjahre der Mindersteinschcn Unternehmungen haben sich die Verhältnisse sehr wesentlich verändert. Die Soliftenabend« haben sich so vermehrt, daß Leipzig jetzt im Verhältnis zur Einwohnerzahl Berlin an Zahl der Konzerte über trifft. Die Vorträge über die verschiedensten Fragen des Daseins haben sich an Zahl gemehrt, die Vorliebe für Operette, Variete, Kabarett und Kinematograph hat ungeahnte Dimensionen angenommen, und die volkswirtschaftlichen Verhältnisse haben sich im all gemeinen nicht gebessert. Infolge hiervon wird Pro fessor Hans Winderslein die Fortführung seines Unter nehmens auf künstlerischer Basis wi« bislang für bald absehbare Zeit unmöglich werden. Denn den ver ringerten Einnahmen stehen alljährlich a n - wachsende Ausgaben gegenüber. Noch immer ist Hans Winderslein daher gezwungen, mittels aus wärtiger Konzerte den Unterhalt für seine Orchester mitglieder aufzubringen. Durch Liese Umstünde sah sich der Dirigent be- wogen, an den Rat der Stadt Leipzig die dringliche Bitte zu richten, ihm aus städtischen Mitteln etnc lausende Verhilf« zu gewähren. Cs steht zu wünschen, baß diese Bitte Erfüllung finde. Denn di« Erhaltung dieses Konzertinstituts dient zugleich den musi kalischen und künstlerischen Interessen aller Stände unserer Stadt.
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