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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.01.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120105018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912010501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912010501
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-05
-
Monat
1912-01
-
Jahr
1912
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BezuflS-Prel» »r L«l»,ta o»d d«rch »«!«« Trag», and 6o»dII»»,» 7»al «üallch tn» vau» ,»d«a«dl « Vt «anotl» LTV Mt. vienrlladU. »«« »nsar» Slllala« » Ln» nahm«k<ü»n ad»»b»ll 1» VI. «oaatl» L» «r,t«n«yül>rl. Dnr» »>« V«»! tnnrrdald Drntlchland» an» d«r d«»Nch«n Kolan«» ot««,llM>rl. ».« XL. alonaU. l.w vir «nascht Valtdait»lla»ld strrn« tn Brtgl«», Dan»marL da» Vananftaata», Jralt»». vuirmdain 7<«»d„land« Vor» wearn Or/>r,r»ich Unaain SioSlaad. Echwed»«, «<dn>»u « Eoa»>»n 2» alle» üd«g«n Kraal«» «ar »»,«!» darch »» <L«>chair»n»lt« via Blarr«, «rtzälrlrch. Da» U«w«>»«r Taa«dlatr «rlck>»r»r >«at tSgltch. Sann. » S«»«Nai« nnr «ar«««». >bonn,m«at».>nnadni« 2«ha!i»l»aalt« 8, dnr »»>«», Iran«,». SU«al«n. Sp«dir»,r«n and Lnnatz»<ll«U«n. I»»r« Soltümtirn an» Vn«slraa«rn Gt»l«l»«rt«»t«»r»t» 10 VL Morgen-Ausgabe. MpMerTilgeblM r-l.-Än,ch^'.rHandelszeitung. rn^W.siL Amtsblatt des Rates und -es Rokizeiamtes der Stadt Leipzig. Nr. 8 Frrlwg, »en S. 2snuar lS!2. an» Lntp,M and Um,»brm„ V«Nt««tl, S Pt-dl.ReNam«. _ ^«»«r»»an»>0P». R«klam«n 2»>«raM »an ««Hörden rm amt. ltörm T«tl »t« V,M.«tl« S0 PI »«IchLftaantit,«, «tt Plaioorlchrtstrn t» Vr«U« «rhüht. Xadatt »ach Tarts v«Ua,egrdüdr Srlamr. aatta«, S VN. »- Ta»!«nd »rN. Paftgrd-Hr. L«ild«Ua„ höher. 8»h*rl,tlt, Anftrtn« Unn«, ntrbt »urülk. i«tog»n >«rd«a. »ür da» Srlchetnen an vrsttmmlrn Tag«« an» Plänen wird kein« tbarantt« übernommen. >nt«tg«n. Ännadme: 2odaani»n»g» 8, d«t lämtltche« »Ztilalen » allen Annoncen» Ekvedittonen d«. In» and <lu»tanve». Luzeige« Preis >«ck ,n» Verl«, —» tUIche* ck Nürlt-, 2nhad«r: Paal Xgrtte». N«»akti»» «,» »elchlsroltell«: Iohannlogoll« ir »anor.gUlal, »,««»««: Serrtratz« L 1 lTelephoa «LAX 106. Zshrgang. 2L Leiten IE' Unsere gestrige Abendausgabe umfaßt 8 Seiten, die vorliegende Morgennummer 18 Seiten, zusammen Dss Wichtigste. * Die sächsische Staatsregierung ver öffentlicht eine Erklärung zu dem bekannten Motuproprio „Quantavis diligentia e". (S. Dtschs. R. Seite 9Z * Das Kanonenboot „Panther" tritt heute seine Ausreise nach dem Kongogediet an. (S. Dtschs. R. Seite 9Z * Im belgischen Kohlenrevier nimmt die Zahl der aus ständigen Kohlenarbei ter zu. (S. Letzte Dep. Seite 3.) * Italienische Kriegsschiffe beschossen nördlich von Hodeida die türkische Garni- s o n von Djabana. (2. Letzte Dep. Seite 3.) * Zwölf M a l i s s o r e n f a m i l i e n, die auf der Rückwanderung die montenegrinische Grenze passierten, stießen mit türkischen Grenz truppen zusammen, wobei acht Soldaten und drei Malissoren getötet wurden. Der Casus belli.. Es ist erreicht! Leit über einem Jahre haben Rußland und England sich in der Sehn sucht nach Vorwänden zur Einmischung und znm Einmärsche in Persien verzehrt. Die eng lische Note voni Oktober 1910 über den unsicheren Zustand der südpersischcn Landstraßen hatte in der Welt wenig Beifall gefunden; am wenigsten bei der öffentlichen Meinung Englands, die zwar auch manchmal die Ouvertüren des diplomati schen „cnnt" sich ganz gern Vorspielen läßt, aber doch nur, wenn sie einigermaßen geschickt kompo niert sind und das war dieses Mal nicht der Fall. Am kläglichsten aber war Rußland mit seiner Ko mödie vom vertriebenen und zurückgekehrten Schah durchgefallen, weil es bei der Besetzung der Titelrolle sich gar zu arg vergriffen hatte. Das unglückliche Stück wurde schleunigst vom Lpielplan abgesetzt. Für den Schah kam der Shuster aufs Reper toire, die Groteske für die Burleske. Denn gro tesk mußte man es nennen, daß eine förmliche kleine Armee gegen den einen Yankee marschieren sollte, wie Liliputer gegen Guilliver. Man möchte lachen, wenn es nicht so bitterernst, so brutal wäre, daß Rußland allemal die Völker erschlägt, sobald sie beginnen, bei sich zu Hause ein wenig Ordnung zu schaffen, und dann sich als ihrer Freiheit Gönner aufspiclt, wenn sie gegen gött liche und menschliche Gesetze freveln. So ließ Katharina ll. für die polnischen Rebellen der Konvention von Bar marschieren; so stand die russische Politik in ihrer türkenfreundlichsten Epoche, als die Kamarilla Abdul Hamids Knüp pelgarden gegen die Armenier bewaffnete. Die persische Negierung hat sich löblich unterworfen. Der Regent Nasr cl Mulk, der während des ganzen Jahres eine Nolle gespielt hat, deren sich ein Judas schämen würde, hat den Amerikaner aus seinem Amte gejagt und den seinem überseeischen Freunde die Treue haltenden Medschlis aufgelöst. Damit wäre von Rechts wegen das russische Ultimatum erledigt gewesen. Da auch die Bedingung angenommen ist, daß künftig bei allen Anstel lungen ausländischer Beamter eine vorgängige Genehmigung in Petersburg und London ein gehalt werden soll, so hatte man sich tatsächlich bereits in die Stellung eines Vasallenstaates hineingefunden und mochte dem Belgier Mvr- nard, der sich Wähler als Shuster auf einem Bedientenposten ausländischer Machthaber zu fühlen scheint, ruhig das Weitere überlassen, in sonderheit die Verwendung der von Shuster neu erschlossenen finanziellen Hilfsquellen für Mo hamed Alis Harem statt für die Anfänge eines nationalen Heeres. Nach einer solchen Kapitula tion den Marsch auf Teheran doch noch fortzu setzen wäre ziemlich überflüssig gewesen; und es hätte sich auch recht hübsch gemacht, wenn wirk lich mal ein Räumungsversprechen gehalten wurde, und russische Truppen nicht immer bloß auf solcl>e Weise los zu werden sind, wie es 1905 in Mukdcn geschah; wenn die Katze das Mäus chen, das mit verrenkten Beinen doch nicht mehr weit kommen konnte, noch einmal aus den Krallen ließ. Aber in Petersburg berührte eine solche Aus sicht auf einen verlorenen Vorwand — und sei er noch so schlecht — gleich gründlich die „russische Ordnung" in Nordpersien zu schaffen, doch um so peinlicher, als eben Rußlands intimer Freund und zugleich beargwöhnter Nebenbuhler Eng land von dem unerhörten Glücksfalle getroffen wurde, daß ein für Schiras neueingesetzter briti scher Konsul auf der Reise dorthin halbtot geschla gen war — es ist merkwürdig, daß die Herren „Räuber", oder wie man sie nennen will, so gestümpert haben, daß der Ueberfallcne trotz sei ner Wunden sich durch tagclange Märsche in Sicherheit bringen konnre. Natürlich packt nun Old England die Gelegenheit beim Schopfe, und hat schon ein ganzes indisches Regiment in Mu schel,er ausgeschifft. Wenn cs nun Rußland in der „friedlichen Durchdringung" seines Beuteteils im Süden um eine Stufe überholte, und das Zarenreich darüber künftig bei der zweiten Tei lung Persiens, also der 1907 vertagten Auftei lung des Mittelstückcs an die beiderseitigen Inter essensphären, zu kurz käme? Dem mußte vorgc- beugt werden. Das ist geschehen. In Täbris haben die Fidais die russische Besatzung überfallen. Wenn wirklich dort nicht bloß ein Konsul und fünf indische Reiter halb, sondern gleich 500 Kosaken und Mngrelier ganz totgeschlagen sind, so muß man ja den Vorgang etwas ernster auffassen. Allerdings gibt es auch andere Methoden, wenn man einen Mortimer recht gelegen sterben lassen will, als durch „Räuber", die auf Bestellung arbeiten. Man kann auch eine Bevölkerung durch Eingriffe in ihr Heiligstes zu Taten unsinniger Leidenschaft entflammen, und die Russen haben von jeher eine besondere Virtuosität darin ent wickelt, den Gotteshäusern wie den Frauen der Fremdgläubigen Gewalt auzutun. Einerlei: es ist erreicht! Rußland hat jetzt sein persisches Casablanca und wird mit dem Blutopfec der 500 ein ewiges Recht auf den Boden gewonnen zu haben beanspruchen, der von ihm getränkt ist. Man wird noch eine Weile in seinen Noten das Leitmotiv eines künftigen Abzuges variieren, all mählich aber die Weise vom Piano zum Forte steigern, wie es in Marokko gemacht wurde. „Zur Sicherung" der Europäer wurde bekanntlich Casablanca besetzt, dann die Schauja zur Siche rung Casablancas und zuletzt die Landeshaupt stadt F-cz, um die Schauja zu sicl>ern. Aus dem unbestimmten Räumungstcrmin wird zuletzt der Nimmermehrstag werden. Und schließlich muß man den Russen zuge stehen : so halb lächerlich, halb brutal ihre Aktion eingeleitet ist, wahrscheinlich war es wirklich Zeit, wenn man keine guten Vorwände fand, schlechte bei den Haaren herbeizuziehen. Der Shuster war wirklich ein gefährlicher Mensch. Verdächtig, daß er neben Amerikanern auch Engländer in Nordpersien anstellen wollte! Die englische Re gierung hat ihn ja verleugnet. Aber wer kaun's genau wissen, ob er ihr so ganz ungelegen war? In der englischen Oppositionspresse machte er sich schon gefährlich zu schaffen. Und hatte Eng land dank russischer Nachlässigkeit in Teheran ein bißchen Fuß gefaßt, dann trat es mit verstärkten Fonds in die Verhandlungen ein, wenn dereinst Persiens Algerirasakte zerrissen, das Konkurs verfahren eröffnet wird, und das Stadium der „Kompensationen" beginnt. Bei den Kompen sationen wird dann allerdings für uns kein Kongo-Brocken abfallen. Wir haben unser Teil dahin: Rußland will uns eine Bahn nach Karikin bauen und erlaubt uns, sollte es kein Geld haben, sie selber zu bezahlen. L Vas Leichslchstzamt unü -le Buchmacher. Als man im Jahre 1905 das neue Totalisatorgesetz schuf, da wollte man vor allem die Gilde der Buch macher damit treffen, die wie Pilze aus der Erde ge wachsen waren und dem Staate alljährlich viele Millionen an Steuern abjagten und hinterzogen. Man verbot deshalb jegliches Annehmen und Ver mitteln von Wetten und setzte strenge Strafen für di« Uebertreter des Gesetzes aus. Man hatte aber erstens die Rechnung ohne di« Buchmacher gemacht und zwei tens ohne das wettlustiae Publikum, das es sich nicht nehmen lassen wollte, sein Geld auf eigene Art zu verwetten, zumal die noch beute in Deutschland übliche Totallsatorsteuer «ine so Hohe ist, daß die Quoten gegen früher an Höhe nicht zugenommen haben. So wurde denn von den Buchmachern das Geschäft ruhig weitergeführt und blüht ;a auch heut« noch in ungs- minderter Kraft, wenn es auch im geheimen betrieben wird. Daran änderten auch nichts die teilweise sehr hohen Strafen, die hauvtlächlich die Berliner Gerichte über die erwischten lleoeltäter aussprachen, es wurde lustig weiter gewettet, und zwar weniger auf deutsche Rennen, bei denen nach Ansicht der beteiligten Kreise nichts zu holen ist. als auf französische Ren nen, bei denen ost sehr hohe Quoten eiazuheimsen sind. So flössen Millionen und Abermillionen, soweit di« Buchmacher di« Geschäfte nicht in die eigene Tasche machten, in das Ausland, und zwar entweder noch Frankreich oder nach Belgien unü Holland. Dieser Zustand war natürlich auf die Dauer un möglich und man scheint nun doch in den regierenden I Kreisen seit einiger Zeit darüber nachzudenken, wl« man Abhilfe schassen kann. Das Neichsschatzamt be schäftigt sich schon seit geraumer Zeit damit, wie dem Staate die Unsummen, die jährlich aus deutsche unü französische Rennen bei den Buchmachern gewettU werden, erhalten werden können, resp. wie sie ihm zugesührt werden könnten. Diese Erörterungen wur den zuerst in Berlin gepflogen, wo allerdings die Zu stände infolge des großen Rennbetriebes am schlimm sten sind, dann aber entschloß man sich, doch auch Sie auswärtigen Behörden, und zwar zunächst die preu- ßischen, zu hören. Zuletzt kamen dann die übrigen Bundesstaaten an die Reihe, und zwar hat für dress am 20. Dezember in Berlin eine Konferenz cm Reichs schatzamt stattgefunden, bei der Hamburg, Baden und Sachsen vertreten waren, während Bayern, Württemberg und Elsaß-Lothringen keine Vertreter entsandt hatten. Die unter dem Vorsitz des Unter staatssekretärs Kühn abgehaltene Konferenz hatte lediglich informatorischen Charakter, und Beschlüsse wurden infolgedessen nicht gefaßt. Aus Sachsen waren anwesend Finanzrat Dr. Koch für die Rcaie- rung, der Leiter der Dresdner Kriminalpolizei Over regierungsrat Becker und fürLeipzig Kriminal kommissar Jacoby. Referent war Geheimer Oberregierungsrat Dr. Hoffmann. Di« Anwesenden gaben zunächst ihre Erfahrungen zum besten, dann wurde über die Möglichkeiten der Abänderung des Tocalisatorgesetzes gesprochen. Das Ergebnis ist jedenfalls in der Hinsicht inter essant. daß sich alle Anwesenden ohne Ausnahme f ü r erne Konzessionierung der Buchmacher und für eine Herabsetzung de: Totalisatorsteuer aut das Maß der französischen erklärten. Hiernach müßen doch die Erfahrungen die Beamten gelehrt haben, daß durch eine Konzessionierung der Buch macher am besten dem Staate geholfen und dem Staatssäckel jährlich viele Millionen dadurch gesichert werden könnten. Es hat sich nun einmal durch das Totalisatorgesetz von 1905 gezeigt, Laß die Wettlust des Publikums nicht eingeoämmt werden kann, so lange das Wetten am Totalisator selbst erlaubt ist. So sollte man denn die Nutzanwendung daraus ziehen und dem Staate die jetzt dem Auslände zufließenden Millionen erhalten dadurch, daß man die Buchmacher durch Konzessionen zu den Abgaben heranzieht. Dss politische Zshr in Ksnkreich. (Von unserem Pariser Mitarbeiter.) Paris, 3. Januar. Die innere Politur. Präsident Fatliöres hat im Elysee die Neujahrs- glückwünfche seiner Minister und der fremden Bot- fchaftcr entgegengenommcn; sehr feierlich sagten sich die Herren dieselben schönen Dinge wie zu Beginn des äbgelaufcnen Jahres. Die Minister gratulierten sich gegenseitig zu ihren Leistungen, obschon sie wissen, daß die Volksvertretung damit weniger zufrieden ist und sie wohl die längste Zeit gelebt haben; der Doyen der Botschafter sprach wieder großartig vom Frieden und vom Schiedsgericht, als ob diese Schablone 1911 nicht gewaltige Nisse be kommen hätte! Die innere Politik der Republik hat zwar im verflossenen Jahr nur wenige empfind- liche Stöße verspürt, die auyere aber um so mehr. Daß drei verschiedene Ministerien einander ablösten, war in der Ordnung; nach einigen langjährigen Kabinetten ist das parlamentarische Regime wieder zu der alten Regel zurückgekehrt, am Ruder für Abwechslung zu sorgen. Die radikale Partei sitzt in Kammer und Senat dauernd wie ein Koloß, der zu mächtig wurde, um sich noch frei bewegen zu können; sie verfügt allein beinahe über die Zwei- drittelmehrheit in beiden Häusern und verliert zu meist ihre Zeit mit Personalstreitigkeiten. Ari stide Briand, der Exrevolutionär, schien eine Weile Disziplin in die Reihen der Radikalen zu bringen; der Haß der äußersten Linken, die ihm nicht verzieh, den Bahnstreik mit Kraft- und Kor ruptionsmitteln bezwungen und den Besiegten die Wiedereinstellung ins Amt verweigert zu haben, machte die bürgerlichen Fortschrittler stutzig. Aristide hatte in großen Reden in Pörigueux und Saint- Etienne die „Politik der Beschwichtigung" zum Ne. gierungsprinzip erhoben. „Mit Beschwichtigung kann man nicht regieren", antwortete der alte Demokrat Pelletan. Und nach wüsten Debatten, in denen die Sozialisten ihrem früheren Genossen das für rcpu- blikanische Ohren furchtbare Wort „Diktator!" zu schrien, fiel Briand über einer Interpellation Mal- vys wegen seines angeblich zu lauen Anti. klerikalismus. Am 2. März bildete sich unter der nominellen Leitung des früheren Justizministers im Kabinett Waldeck-Rousseau, des Advokaten und Kognak brenners Monis ein neues Ministerium, in dem die Chefs der gemäßigten und sozialistischen Flügel der raoikalen Partei die Portefeuilles der Landes verteidigung übernahmen. Theophile Del. casss, der entthronte Gott des Quai d'Orsay, hatte sich mit seinem unleugbaren Talent in den letzten Jahren für die Kriegsmarine „spezialisiert" und bereits mit seinen Interpellationen hierüber den Marineminister Thomson und dann Georges Clemenceau in Person gestürzt. Man hatte ihm zum Vorwurf gemacht, 1904 bei seiner aggressiven Politik gegen Deutschland nicht bedacht zu haben, daß General Andrö und Pelletan die Landesvertei- digung „desorganisiert" hatten. Er wollte jetzt Frankreich die „Diplomatie seiner Streitkräfte" schaffen und redete volltönend von der „Renaissance der französischen Flotte". Tatsächlich" brachte er Ordnung in die Marinelieferungen und die Arsenale, so daß die Dreadnoughts der „Jean Bart"-Klassc in ungewohnt kurzer Zeit fertiggestellt und vom Stapel gelassen wurden. In Toulon, wo nach einer geheimen Abmachung mit England die gesamte Flotte der Republik konzentriert wurde, nahm Präsident Fallidres in Gegenwart der Minister und vieler Parlamentarier die Revue über mehr als hundert Kriegsschiffe ab, und TelcassS verkündete mitten in der Marokkokrise, am 4. September triumphierend Frankreichs Oberherrschaft im Mittelmeer. Am 25. September flog dann — schrecklicher Epilog! — eines der stolzesten Panzerschiffe, die „Liberte", in die Lust und forderte 230 Opfer. Telcassö mußte einsehen, daß er nicht mit einem Schlag überall den „Renaissancestil" cinführen konnte; die Untersuchung ergab, daß sich an Bord der „Libercv" tein Kom mandant in Vertretung des beurlaubten Kapitäns Jaurös, eines Bruders des Sozialislenführcrs, be- funden hatte, und daß die Politik selbst in den Pulverfabriken jämmerliche und gefährliche Zustände herbcigeführt hatte.— Der zweite Hauptmann des Ku- binetts Monis war dec steinreiche, retgefärbte Wechsel - agcnt Maurice Berteaux, gegen den viele Parlamentarier hohe Verpflichtungen hatien, und der die Renaissance der Armee besorgen wollte. Er sah im Aervplan die „vierte Waffe", die Frankreich ein Uebcrgewicht über den Feind im Osten geben sollte — denn trotz seiner Humanitären Anwand, jungen war Berteaux im geheimen ein Revanche- Mann wie Delcasss; seinem Antriebe verdankt Frankreich heute unstreitig, in der militärisclstn Aviatik den Vorrang zu haben. Mer ein tragischer Zufall wollte, daß das erste bedeutende Opfer der „vierten Waffe" der Kriegsminister selbst wurde. Als Berteaux dem Start des Luftrennens Paris. Madrid auf dem Manöverseld Jssy-les-Moulineaur am 21. Mai beiwohnte, wurde ec vom Propeller einer Flugmaschine niedergesäbelt; die großartige nationale Beisetzung brachte öffentlich Frankreichs Trauer zum Ausdruck. Auch Ministerpräsident Mo nis war bei dein Unfall schwer verletzt worden; man nahm an, das Parlament werde taktvoll genug sein, die Heilung eines so patriotisch erworbenen Beinbruchs abzuwarten; aber die Kammer nahm am 23. Juni eine Erklärung des neuen Kriegs ministers Generals Goiran über das Höchstkommando im Kriegsfall, das er dem Ministerrat zusprach, »um Vorwand, um das kopflose Kabinett in die Minoer- heit zu bringen. Als Finanzminister Caillaux darauf sein heute lisch fortvegetierendes Kabinett aus den Trüm mern des vorausgegangenen zimmerte, stand die radi kale Partei sehr blamiert vor dem Lande da: noch immer war das Budget des laufenden Jahres nicht votiert und das siebente „Dutzendtel" mußte provi- sorisch den Verwaltungsressorts für Kredite sorgen. Die fortgesetzten Interpellationen der Portefeuille jäger drohten eine parlamentarische Anarchie herbei- zusührcn, an der die Republik zugrunde gehen konnte. Caillaux sprach in seiner Antrittserklarung von einer „Regierung, die regiert". Er hat den Etat für 1912 wenigstens von der Kammer vor Jahresende annehmen lassen, und der Senat wird sich diese Eile zum Beispiel nehmen. Aber die „Regierung, die regiert", leistete auch nichts anderes; Caillaux, der Vater deS progressiven Einkommensteuergesetzes, gemahnte das Oberhaus nicht mit einem Worte an das im Palais Bourbon durchgebrachte Gesetz. Die Wahlreform blieb auch bei einem prinzipiellen Votum stecken. Tie einzige Reform des radikalen Programms, die in die Praxis umgesetzt wurde, die Arbeiter versicherung, wurde nur von der Hälfte dec Versicherungspflichtigen angenommen, und niemand weiß, ob das Gesetz die anderen zwangsweise heran holen wird. Republik der Freiheit, du hast deine Schattenseiten! Die Liste der großen und größeren Skandale von 1911 genügt als Beweis, ohne ein Alibi für autokratische Staaten zu bilden. Er innern wir an den Monsterprozeß gegen den Liqui dator Duez, der die Milliarde der Kongregationen kleinzukriegen wußte, an die Affäre des Ordens schwindels, an die Verhaftung des Finanzdirektors Hamon im Aeußernmimsterium, der die des Atta ches Rouet und des Agenten Maimon wegen Hochverrats folgte, an die Entlarvung des revo lutionären Führers der Arbeitsbörfc, M 6 tivier, den Ministerpräsident Clemenceau per- fönlich als Spitzel gedungen hatte, an die Verhaft tung des Direktors Flachon von der antikleri- kalen „Lanterne" wegen UnsittlichkeitSvergebens, an den Raub der „M o n n a Lisa" aus dem Louvre? Nein, die Jahresrevue wird mit größerem Nach druck nur auf die allgemeineren Gesck^ehnisse Hin weisen können, auf die W i n z er-U n r u h e n be sonders, die als Folge der neuen Gesetzgebung über den Markenschutz einen großen Umfang und bei- nahe einen staatsfeindlichen Charakter annahmen. Die Weinproduzenten der sogenannten „zweiten Champagnezone" pflanzten deuflch« Fahnen auf und trugen bei ihren Umzügen Schilder mit der Auf- schrift: „Dir, Wilhelm, die Rebenhügel der Cham- pagne!" Erst nach einigem Blutvergießen und nach dem das Parlament in der Abgrenzungssrage nach, gegeben, beruhigten sich die Winzer, und der Cham- pagnerkrieg war beigelegt. Die Bewegung unter den Eisenbahnern und Arsenalarbeitern hörte zwar nicht auf, erreichte aber keinen bedrohlichen Umfang mehr; dagegen veranlaßte die Teuerung wahre Erneuten in vielen Industriezentren. Die Mißernte ging parallel mit der von den Kriegsbefürchtnngen yeraufbeschwarenen Finanzkrise. Frankreichs Außenhandel, der sich durch das Gleichgewicht des Ex- und Imports auszeichnete, wuchs in der Einfuhr um mehr als eine Milliarde und ging in der Ausfuhr um mehrere Millionen zurück. Ob diese Tatsache und die andere, daß Deutschlands Außenhandel um 7»/, Prozent, Englands Außen handel nur um 2> ; Prozent zunahm, zukünftig in der Weltpolitik mehr wiegen werden als die Nach- wehen des MorokkakonfliktS? Englische KnnSherunyspolitik. Di« englischen Kabinettsminister, Kriegsminister Ha Ida ne. Kolonialminister Harcourt, erster Admiralitätslord Mac Kenna, Handelsminister Burton, der Unterrichtsminister und der General postmeister haben an den Sekretär der Inter nationalen Schiedsgerichtsliga Bot- schäften gerichtet, in denen sie sich in warmer Weise für eine aufrichtige und dauernd« Annäherungs politik gegenüber Deutschland aussprechen. Lord Halda ne sagt, er hoffe und glaube, daß die Zu-
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