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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.01.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120109017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912010901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912010901
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-09
-
Monat
1912-01
-
Jahr
1912
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Zn Erwartung ües Dshlwges. Die Woche, die für Deutschlands Geschicke in dem nächsten Lustrum von überragender Bedeu tung ist, hat begonnen. Kanrpfbereit stehen sich die Parteitage! gegenüber und holen aus zu den letzten entscheidenden Streichen wider den politischen Gegner. Die nächsten drei Tage wer den uns hier in Leipzig noch eine Anzahl von erregten politischen Versammlungen bringen, in denen die bürgerlichen Kandidaten nochmals in Leipzig Stadt und Land ihr Programm ent- wiacln und für ihre Sache Parteigänger werben werden. Die Herren Wan gewann und Dr. Iunck l>aben die Wähler von Leipzig Stadt ebenso noch zu ve.schiedrnen Wahlversammlungen eingeladen, wie tue Herren Dr. Henrici und Dr. Günther für Leipzig Land. Und auch der Fortschrittskandidat Herr Graf will seine — unseres Erachtens recht überflüssige — Kandi datur in Leipzig gleichfalls noa; mehrfach ver treten. Wir wollen hoffen und wünschen, daß der Wahlkampf unter den bürgeclicl-eu Parteien auch in diesen letzten Tagen mit Würde und Anstand geführt wird, sachlich ohne gegenseitige Verunglimpfungen. Allenthalben sollte man dessen eingedenk bleiben, daß bei aller Gegner schaft im bürgerlichen Lager der gemeinsame Feind die Sozialdemokratie ist. Die bürgerlichen Gegner sollten nicht vergessen, daß es heisst in erster Linie fürs Vater land zu kämpfen, und dann erst für die Partei! Von dem Interesse, das man in den weitesten Kreisen des Bürgertums der bevorstehenden Wahl «nthegenbringt, legen auch die Menge der Hu- schrrsten Zeugnis ab, die uns aus Leserkreisen täglich zugct)en und von denen einige nachstehend wiedergegeben seien. So sendet uns ein alter Freund unseres Blattes folgende Aussprüche, die wir den Wäh lern in diesen Tagen besonders zur Beherzigung empfehlen: Fürs Vaterland, nicht die Partei! Die Parteifucht ist ein Feuer, das nie ge löscht werden kann; deshalb möge man unab lässig darüber wachen, daß es nicht in Hellen Flammen ausbricht und zerstört, anstatt zu er wärmen. George Washington, Abschiedsrede, 7. Dez. 1796. (Spencer, „Geschichte der Bereinigten Staaten," Seite 402.) * * * „Laßt uns allezeit Sorge tragen, eine angemessene Kriegsmacht zu unterhalten, um im Verteidi gungszustand zu sein." * * * „Um einen lebhaften Handel mit fremden Ländern führen zu können, ist eine Marine absolut not wendig." * * * „Es kann keinen größeren Irrtum geben, als zu glauben, Nationen könnten großmütig und uneigennützig gegeneinander sein!" O- Gin ernstes Wort sn olle Reichstags» Wähler, insbclonüere sn üie Herren Rrichsdesmten. Von politisch rechtsstehender Seite wird uns ge trieben: Nachdem schon über zwei Jahre seit der Reichsfinanzreform verflossen sind, hat der Kampf der „Linken" gegen dieielbe zwar etwas an Zugkraft verloren, trotzdem spielt in der gegenwärtigen Wahl bewegung die Ftnanzresorin der allen Liberalen noch immer eine groge Rolle. In den meisten Wahlreden der Liberalen und Sozialdemokraten darf der künst lich zurechtgestutzte „schwarzblaue Block" nicht fehlen, auch nicht die unbegründete Verdächtigung, die rechtsstehenden Parteien hätten bei der Steuer bewilligung oie eigenen Taschen geschont. Der springende Puntt der Reichsfinanzreform war die Erbansallsteuer. — Die Ablehnung der- selben gab der gejamtenLinken eine günstige, vielleicht sogar erwünschte Gelegenheit, sich von der weiteren Mitarbeit an der für das Deutsche Reich so dringend notwendigen Finanzreform zurückzuzieh en. Die rechtsstehen den Parteien wußten, daß sie durch Bewilligung neuer Steuern ihre Wahlausfichten verschlechtern; ihre Liebe zum Deutschen Reiche veranlaßte sie aber, das Odluin auf sich zu laden. — Erst das Reich, dann dre Partei, das war der leitende Ge danke aller Konservativen. Die klugen Liberalen können nun im Wahlkampfe darauf Hinweisen, Lag ste an der Finanzreform schuldlos sind; — obwohl sie ja ebensalls bereit waren. 500 Millionen Mark neuer Steuern zu be willigen. Durch Ablehnuna der Finanzreform haben sich allerdings die Liberalen eine wirksame Wahl- Parole gesichert, ein Umstand, der für die Ab stimmung manches liberalen Abgeordneten wohl nicht ohne Einslus; war. Im gegenwärtigen Wahlkampfe wird zumeist verschwiegen, daß sür das Reich schon lange eine Erb chaftssteuer besteht, eine Steuer, die dem Reiche zahlreiche Millionen Mark einbringt. Die ab gelehnte Erbansallsteuer sollte bekanntlich nur'Kinder und Ehegatten treffen. Eine solche Steuer hielten die rechtsstehenden Parteien für keine gleichmäßig wirkende Äcsitzsteuer, weshalb sie dieselbe ablchnten und dafür u. a. die Talonsteuer bewilligten. Die abgelehnte Erbschaftssteuer hätte sicher lich den unbeweglichen Besitz viel härter ge troffen, wie den beweglichen. Es tst ja offen- bar, daß der unbewegliche Besitz sich nicht verheim lichen läßt, da über ihn das Grundbuch Rechenschaft gibt. Ein Grundbesitzer würde also in allen Fällen zur Erbschaftssteuer voll heran gezogen worden sein. —Für den beweglichen Besitz dagegen gibt es virle Kanäle, durch die er der Steuerbehörde unbesteuert ent schlüpfen kann. — Reiche Leute, dre nur über be weglichen Besitz verfügen, vermögen schon bei Leb zeiten ivr Geld an die künftigen Erben zu verteilen, oder sonst darüber in einer Weise zu bestimmen, daß beim Todesfall von einer Erbmasse nichts zu ent decken, also auch nichts mehr zu versteuern ist. Nach alledem tonnte man es den rechtsstehenden Parteien nicht verdenren, sich nach anderen Besitz steuern umzusehen, bei denen ein gleichmäßigeres Willen gesichert erschien. Zum Schluß noch einige Worte an die Herren Reichsceamten: Di« im Jahre 1909 in Angriff genommene Ee- baltsregulierung für alle Reichsbeamten konnte nach Ausspruch vom Bundesratstische nur dann auf Ge nehmigung der Reichsregierung rechnen, wenn für die über 100 Millionen Mark betragende Gehalts erhöhung gleichzeitige Deckung durch neue Steuern geboten wurde. Lehnte der Reichstag die Finanzvorlage ab, so konnten also auch die Reichsdeamten keine Gehaltszulage er» kalten. Daß nun die Finanzreform trotz des Widerspruchs der Liberalen zustande kam und damit auch der Wunsch der Reichsbeamten Erfüllung fand, verdanken letztere in erster Linie den rechts stehenden Parteien, die nun zum Danke dafür im gegenwärtigen Wahlkampfe von vielen Reichs beamten bekämpft werden. Es ist müßig, darüber nochzuvenken, wie die Ver hältnisse im Reiche heute lägen, wenn die Fina iz. reiorm im Jahce 1909 abgelehnt worden wäre. Hätten die rechtsstehenden Parteien den gordischen Knoten nicht durchhauen, Io wäre Deutschland vielleicht heute noch ohne ge sunde Finanzen und die Herren Reichs beamten noch ohne Gehaltszulagen. — Diese Tatsache scheint mancher Reichsbcamte vergeßen zu haben. Wer bei Abstimmung über notwendige Gesetze den Besitzstand der Partei über die Inter essen des Vaterlandes stellt, verwirkt eigentlich das Recht, sich Volksvertreter zu nennen. * Ferner erhalten wir von Alldeutscher Seite folgende Mahnung an Las ülMlche Volk zur bevorstehenden Reichstagsmahl. Auf zum Sturm gegen alle Reichsfeinde, ihr deutschen Bürger. Veriammelt euch alte, die ihr das Wahlrecht habt! Es ist jedes Deutschen dell gste nationale Pflicht, am 12. Januar üeutich-national zu wählen. Niemals kehrt der Tag w.edcr, „pflücke ihn!" Wer daherm bleibt, ist em Verräter des Vaterlandes. Laßt nur einmal fahren dahin all' euren Gewmn! „Ans Vaterland, ans teure, schließt euch an, das haltet fest!" Seht ihr nicht all die Feinde ringsum und in eurem Staate selbst! Endlich mutz euch durch Paris, London und dahinter Peters burg doch die Erleuchtung gekommen sein. Es geht jetzt um Kopf und Magen. Mit dem Herzen allein werden in dcm welthistorischen Augen blick oie Stammesgenossen nicht zusainmengeschweigt. Nehmt die Waffen des Geistes zur Hans! Liehet alle wie ein Mann zusammen gegen die offenen und stillen Feinde, gegen die Noten und Schwarzen, die Blauen und die Gelben, gegen die rare uns lchwarze Internaiionale sowie ge en die blaue und gelbe Nationale. Es muß doch Frühling werden. Deutsche, euren Parteihader laßt nur einmal im Leben ruhen! Ihr werdet dann jenen: Uns ist große Freude und großes Heil widerjahren. Uns ist der Retter geboren! Ihr braucht ihn dann nicht zu suchen; ihr habt ihn jeibit gezeu.it. Wohlan, ihr deutschen Männer und Frauen, tue ein jedes seine Pflicht! Ihr Männer geht mit tlarem Kopf wie offenem Sinn zur Urne und ver graut euch am Ende nicht noch im dargebotenen Wahlzettel! Und ihr Frauen, erwachet und nehmet alle selbst bis in die ärmste Hütte hinein regen Anteil an der Wahl, damit ihr eure Männer zur nationalen Tat entflammen könnt. Am Ende geht doch der Feind dann vor der Familie, wo eures Regimentes ist. Verhütet den Rain des Vaterlandes wie der Familie. Ihr selbst braucht nie und nimmer eine Stimme abzugeven. Grundsätzlich bin ich da gegen; naturwiürfig sogar ist euer Ansinnen, frauen weltfremd eures Kampfes Ziel und Art. Frauen, bleibet daheim zunächst, nur dann feuert an eure Männer vor der Urne, wenn ihr das be stimmte Gestihl habt, daß sie ihre Pflicht nicht tun. Und erst bann sollt ihr das Stimmrecht haberi, wenn die Männer versagen. Denket alle daran: Der deutsche Mann zog mit Weib und Kind hinaus in den Kampf, wenn es galt, Neuland zu erobern. In der Wagenburg re gierte die deutsche Frau. Und wie hat da in Zeiten der Not die Frau ihren Mann gestellt! Ihr guten Deutschen, besinnet euch auf eure wackern Altvordern! Wie die Alten sungen, io sollen auch die Jungen zwitschern. Tut ihr dies, so soll auch hier am deutschen Wesen einst die ganze Welt genesen. ..Oorm Ui- io Ido front, ' den Schlachtruf „Deutsche vor!" eines grimmen Hagen, sobald es gehr ihm an den Kragen — höret ihn recht. Du. grimmer Hagen, laß ab von all deinen finstern Plänen! Du bist ja doch zum Teil Blut von meinem Blute. Und du eitler, hitziger Gallier, der du keinen Größeren als dich neben dir zu dulden vermagst, bessere dich! Warum soll gerade an euch beiden die deutsche Welt und damit die ganze Welt zugrunde gehen! Am 12. Januar soll sichs zeigen: Leipzig in Deutschland voran! Wir kommen von Weihnachten her, wo die großen Gedanken von Licht, Liebe und Leben uns beherrschen sollen. Nehmet eua; alle miteinander ernstlich vor, hinfort nicht mehr zu hadern und zu feilschen. Denn Germania, freue dich! Und alle singen: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohl gefallen!" Ein Alldeutscher. Die Bearbeitung der Vahlresultake. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" teilt mit. daß sür die diesjährigen Reichstagswahlen im Reichsamt des Innern ein besonderes Bureau zur Sammlung und Bearbeitung der eingehenden Wahlnachnchten eingerichtet wird, dem es voraus sichtlich möglich sein wird, durch eine am 13. Januar um '/,3 Uhr erscheinende Sonderausgabe des „Reichsanzeigers" für die Mehrzahl der Wahl kreise die vorläufigen amtlichen Ergebnisse der Reichs- tagswahl, jedoch ohne Angabe der Stimmenzahl, zu veröffentlichen. Am Tage nach der amtlichen Er mittelung des Wahlergebnisses werden in ähnlicher Weile Namen und Parteistellung der in die engere Wahl kommenden Kandidaten veröffentlicht und da bei die Zahl der Stimmen mitgeteilt. * Reichstagswahlen und Militär verwaltung. Um den Offizieren des Beurlaubten standes die Teilnahme an den Neichstagswahlen zu ermöglichen, werden — wie die „Mil.-pol. Korre spondenz" meldet — einer von den Krieasministerien Preußens, Bayerns, Sachsens und Württembergs erlassenen Bestimmung zufolge alle im Januar zu Hebungen emzuziehcnden Reserve- und Landwehr offiziere erst nach Beendigung der Wahlen ihre Hebungen an treten. Die Lehrgänge für Offiziere des Beurlaubtenstandes bei der Feld- und Fußartillerie-Schießschule in Jüterbog, die sonst am n. oder 10. Januar beginnen, fangen in diesem Jahre erst am 15. Januar an; für diejenigen Offi ziere. in deren Wahlkreisen Stich- oder Nachwahlen stattfinden, erst am zweiten Tage nach diesen Wahlen. Sämtlichen wahlberechtigten Beamten der Armee und Marine soll bestimmungsgemäß durch Diensterleichterungen Gelegenheit gegeben werden, sich an den Wahlen zu beteiligen. Auch sind sie zur Einsichtnahme in die Wählerlisten angehalten worden. Die Post am Wahltage. In einer soeben erlaßenen Verfügung macht das Rerchspostam t die Post- und Telegraphenanitalten nochmals auf die genaueste Beachtung der Bestim mungen über die zur Auslieferung gelangenden Wahltelegramme aufmerksam. Besondere Vorkeh rungen sind lür die Ausdehnung der Dienst stunden zu treffen. Sämtliche Telearaphenanstatten müssen am Tage der Wahlen mindestens bis 10 Ubr abends, erfordertichenfalls noch länger dienstbereit sein. Die Wahlkommissare werden über bas Ergebnis der Wahl dem Reichsamt des Innern zweimal telegraphisch Bericht erstatten. Ueder den telegrapbiichen Verkehr zwischen den Wahlvorstehern und den Waylkommissaren haben sich die Telegraphen anstalten rechtzeitig über den Zeitpunkt der Auf lieferung ihrer Meldungen mit den Wahlvorstehern zu verjlänotgen. Schließlich weist das Reichspostamt darauf hin, daß alle in Angelegenheiten der Wahlen zwischen den Wahlvorstehern und den Wahltommissa- ren gcwechielren Postienounaen portopflichtig sind, da ne weder von einer Reichsbehöcde adgejandt noch an eine Neichsbehörde gerichtet sind. politische Umschau. Kn üie Rürrlle üer Vahllsumigen. Die Nummer der „Natl. Bl." richtet eine,, kräf tigen Appell an die „Partei der Nicht wähler", dessen Hauplstelleil möglickfft weite Ver breitung verdienen. Die Wochenschrift geht davon aus, mit welcher Energie sich die sozialdemo kratische Wählerschaft und die vom Zentrum gegängelte Masse ihres politischen Rechtes der W a h l a u s ü b u n g bedienen: Beide genann ten Parteien sind nur in seltenen Fällen in der Lage, für die Stichwahl erheblick)ere Reserven heranzu- ziehen, woraus die vollkommene Disziplin hervorgeht und die Selbstverständlichkeit, mit der schon zur Haupt wähl ihre AKihlerschast bis auf den letzten Mann erscheint! Diese Sachlage läßt der narionalen Arbeiterschaft und vornehmlich den üessergestellten Klassen gar keine Wahl: was jene als Recht, das müssen sie als Pflicht, als sitt liches Post ul ar empfinden, Lessen 'Nichterfül lung durchaus nichts anderes als den Verrat am eigenen Volkstum, die Preisgabe der nationalen Ideale darstellt. Das möge sich jeder deutsche Mann ins Gewissen schreiben. In weiten Kreisen macht man sich über die ge radezu verheerende Wirkung der Wahl säumigkeit gar keine Gedanken. Um diesen allzu Sorglosen zunächst zu einer richtigen Vorstellung von dem kolossalen Umfang der Wahlfaull)eit zu verhel fen, sei das Verhältnis der Wahl säumi gen zu den 'Wahlberechtigten seit 1871 angegeben. Es fehlten bei der Wahl von 1871, ob schon doch die erste Wahl nach der Neichsgründung ein lebhaftes politisches Interesse hätte erwecken müssen, 49 Prozent der Wahlberechtigten an der Urne. 1874: 48,4 Prozent; 1877: 39,4 Prozent; 1878 (trotz der Auslösung wegen Ablehnung des Sozia listengesetzes) immer noch 36,7 Prozent; 1881: 43,7 Prozent und 1884: 39,4 Prozent. Im Jahre 1887 allerdings, als der Reichstag wegen des Ecplennats aufgelöst wurde, blieben nur 24,6 Prozent zu Hause. Von Lieser Zeit an zeigt der Prozentsatz der Wahlfaulen eine sinkende Tendenz gegen sie Periode 1871 bis 1887. Die Zahlen sind 1890: 28,4; 1893: 27,8; 1898: 31,9; 1903: L4L: und endlich 1907: 15,3 Prozent. Die Wahljäumigkeit hat also in Len 90er Jahren und seither etwas nachgelassen gegen die 80er und 70er Jahre. Es bleibt aber immer noch ein erstaun lich hoher Prozentsatz von solchen Leuten, denen cs gleichgültig ist, ob der Reichstag von Sozialdemo kratie und Zentrum, von einem Bülowblock oder von Konservativen und Zentrum beherrscht wird. Welche Massen dabei in Betracht kommen, ist an den abso luten Zahlen vielleicht noch bester zu illustrieren, als an Len Verhältniszahlen. Wir greifen, iirdem wir das Jahr 1907 wegen seiner besonderen Konstellation außer acht lassen, die demnächst letzte, die Wahl von 1903, Leraus. Von 12,5 Millionen Wahl berechtigten wurden nur 9,4 Millionen Stimmen abgegben. Es haben sonach über 3 Millionen Wähler auf die Einflußnahme ver zichtet, die ihnen die Verfassung auf die Zu» sammensetzung des Reichstages, einräumt. Von welchem Gewicht eine in diesem Grade geübte Wahl enthaltung auf das schließliche Ergebnis sein muß, geht auch daraus hervor, daß die Partei der Nichtwähler damals, wie in der Regel auch früher, stärker war, als irgendeine Wäh lerpartei. Die Nichtwählerpartci .zählte 3,1 Mil lionen Stimmen; nächst ihr war die Sozialdemokratie mit 3,011 Millionen Stimmen die größte; das Zen trum erhielt 1903 1,86, die Nationalliberalen 1,33 und die Konservativen 0,93 Millionen Stimmen. Man hat nun aus der Beobachtung, daß trotz der außerordentlich hohen Wahlbeteiligung von 1907 die Sozialdemokratie dennoch von 3,0 auf 3,26 Millionen Stimmen anwuchs, schließen wollen, daß die energische Mahnung zur Ausübung des Wahlrechts keinen Zweck habe, da ihre Befolgung der Reoolutionspartei ja ebenso zugute komme, wie den bürgerlichen Parteien, und daß die Behauptung eine Fiktion sei, wonach die Nichtwählerpartei vornehmlich aus staatserhaltenden Elementen bestehe. Dieser Schluß ist, an der Hand der Wahlstatistik ge prüft, durchaus irrig. Denn dem sozialdemokratischen Zuwachs von 260 000 Stimmen stand gegen 1903 folgender Gewinn an Wählern bei den nationalen Parteien gegenüber: bei den Konservativen 164 000, bei den Freikonservativen 141 000, bei den National liberalen 368 000. bei der Freisinnigen Volksvartei 206 000, bei der süddeutschen Dolkspärtei 41000 und bei den sonstigen Lilceralcn 150 000, wobei wir die Solitterfraktionen auf der Rechten noch außer Rech nung gekästen haben. Es stand also dem sozial demokratischen Gewinn von 260 000 ein nationaler Gewinn von 1 070 000 Stimmen gegenüber. So und nicht anders setzte sich in Wahrheit die durch die nationale Erregung von 1907 so aufgerüttelte Nicht wählerpartei von 1907 zusammen! Was sich daraus auch für die Wahl von 1912 ergibt, braucht nicht mehr gesagt zu werden. Das ist, so schließt das Organ, die Lage der Dinge! Nur der, der kein Gewissen und kein Ge fühl politischer Verantwortlichkeit hat, der in sträf lichem Leichtsinn die große Not der Stunde miß achtet, der mag es über sich gewinnen, die — anderen ihre höchste Bürgerpflicht ausüben zu lasten. Nicht Veutlchlsnü, lonüerrr Gnglsnü unü /rankreich rüsten sm stärksten! Der österreichische Kriegsminister hat vor einigen Tagen Mitteilungen über die Militärausstaben der verschiedenen Staaten gemacht und dabei festgestellt, daß Deutschland neben Oesterreich non fernem gesamten Staatshaushalt den allergeringsten Teil für Heereszwecke verbraucht. Er hat dadurch bewiesen, daß das Märchen von dem ewig kriegslüsternen und zum Kriege rüstenden Deutschland von Leuten erfunden worden ist, die selbst bedeutend größere Teile ihrer Staatseinnahmen für Kriegsrüstungen aufwenden. Nach den Mitteilungen des österreichischen Kriegs. Ministers betragen die Hecresausgaben in Deutschland 18 Prozent der gesamten Einnahmen, in Rußland 23 Prozent, in Frankreich 29 Prozent und in England gar 40 Prozent. England ist also derjenige Staat, der am meisten für Kriegsrüstungen ausgibt. Es wird nun. wie der Korrespondenz „Heer und Politik" von militärischer Seite geschrieben wird, im Anschluß daran interessieren, zu erfahren, daß unter allen Großmächten Deutsch! an d derjenige Staat ist, der seinen Bürgern die geringsten Lasten für das Heer auferlegt. In Deutschland be- tragen nämlich die Ausgaben jedes Einwohners für das Heer 14,3, in Frankreich 21,13 und in England 34,7. In England hat also im Verhältnis zu den anderen Staaten jeder Bürger am meisten Steuern für den Heeresetat aufzuvringen. Frankreich be lastet jeden seiner Bürger auch bedeutend mehr, als Deutschland. Dazu kommt noch, daß Frankreich von einen Bürgern an Eesamtsteuern die größte Summe ordert. In Frankreich zahlt jeder Bürger durch- chnittlich 14.8 Prozent feines Gesamteinkommens an Steuern. Die Aufwendungen jedes Bürgers für Kriegszwecke sind nur der 25. Teil der Gesamtsteucr, die jeder Franzose überhaupt zu zahlen hat. In Deutschland zahlt jeder Bürger durchschnittlich nur 10,2 Prozent Steuern, so Laß also die Belastung des deutschen Bürgers im allgemeinen durch Steuern ger iger ist als in Frankreich und England. Von diesen allgemeinen geringeren Steuern zahlt der Deutsche auch noch den geringsten Teil sür Heercs- zwccke. Durch diese unumstößlichen Zahlen kann am besten die ewige Klage Englands und Frankreichs widerlegt werden, daß Deutschland ein kriegslustiger Staat ist, vor dem man sich hüten muß. Denn jeder Staat muß soviel für Kriegszwecke ausgeben, wie nach seinem Gesamteinkommen zum Schutze der durch dieses Gesamteinkommen dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse notwendig ist. Wenn also Frankreich und England bedeutend größere Prozentsätze ihres Gesamteinkommens für Heereszwecke verwenden, dann geben sie damit zu erkennen, daß sic weit über ihre Verhältnisse die Kriegsrüstungen betreiben, oder wenigstens in weit bedeutenderem Maße, als Deutsch land. Die Sprache dieser Zahlen redet zu deutlich, als daß die beiden Völker jetzt noch imstande wären, irgend etwas Belangvolles gegen diese Ausführungen zu erwidern. ZUM Msllenaustritt aus üer LanücskLrche. Der Majsenaustritr aus der Landeskirche, der schon seit geraumer Zeit von der Sozialdemo kratie von Partei wegen systematisch benievei^ wird, is nun von liberal-demokratischer Seite organisiert worden. Zu dem Zwecke Haven sich die „Freidenker" unü ähnliche Vereine in dem „Weimarer Kartell" euren Mittelpunkt ge schaffen, von dem ein Komitee „Konfessions los" eingesetzt worden ist, um den organisierten Kirchenaustnlt gründlich zu fördern. Dieses Komitee besteht aus zehn Personen und steht unrer der Leitung des Professors Ludwig Gurlitt. Das Statut des Komitees besagt, daß es sich sofort auszulösen habe, sowie die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Dissidenten erkämpft sei. Es soll bei der Agitation gegen die Kirche nach folgendem Plan verfahren werden: „Es meldet sich in jeder Stadl ein Vertrauensmann. Dieser Vertrauensmann erhält Listen, worauf sich Personen cinzeichncn, die sich zum Kirchenaustritt unter der Bedingung verpflichten, daß auch eine andere Reihe von Personen zu gleicher Zeit austritt. Diese Zahl gegenseitig garan tierter Austrittserklarungen wird je nach der Größe der Stadt oder nach üer Bedeutung der Personen bemessen^ die sich verpflichtet haben. Die Bearbeitung der wache im einzelnen muß der Lökalkcnntnis der Vertrauensmänner überlassen wer den.' — Nachdem durch diese Arbeit mindestens eines halben Jahres jo über ganz Deutschland ein Retz ge spannt ist, wird dann durch eine Konferenz verern- barr, an welchem Tage die gesammelten Erklärungen auf den Tisch der Amtsgerichte fliegen." Die „Kreuzzeitung" bemerkt dazu: Wir ver danken die Bekanntmachung dieses sauberen Planes dem „Dissident", Beiblatt der demokratischen Halb monatsschrift „Das freie Wort" (Januarnummer). Darin ist zugleich bemerkt, daß „die Umstände er geben, daß vor den Reichstagswahlen die Vollendung dieses Planes weder möglich noch zweck mäßig" sei. Es ist aber gut, daß die Sache noch vor Len Wahlen wenigstens bekannt gemacht ist. Nach den weiteren Mitteilungen sollen sich für die Durch führung des Planes schon jetzt gemeldet baden: fünf amtierende Oberlehrer, zwei Hochschullehrer, ein Landgerichtspräjident, ein Bürgermeister, mehrer« Lanorichter, acht Volksschulrektoren, eine Reihe von Aerzten, Rechtsanwälten, Diplomingenieuren in Berlin und 14 deutschen Mittelstädten, fünf Obcrpost- assistenten usw. Allen diesen Beamten sei nichts ge schehen; cs müsse aber dringend davor ge warnt werden, daß ein noch nickt angestcll- ter Lehrer oder Beamter seinen Kirchenaus. tritt vollziehe. Also Erziehung zur Heuchelei! Der Schluß des Aufrufs, den organisierten Kirchen austritt zu unterstützen, lautet: „Wird dieser Plan gut durchgesührt, so erhält die christliche Kirche eine tödliche Wunde." Die christliche Kirche hat schon über schlimmere Verfolgungen triumphiert als diese. Für das christliche Volk aber bedeutet der Plan der „Freigeister und Kulturkämpfer" (so heißt es in Lein Aufrufe) eine ernste Mahnung, namentlich auch bei den Wahlen, sich von liberal-demotratisckym Leuten, die der christlichen Kirche heimtückisch (aber erst nach den Wahlen) eine tödliche Wunde beibringeu wollen, nicht umgarnen zu lasten. Relrhsgelehllrhe Renüerung üer Ge- VUHrenorünung üer Rechtsanwälte. Wie nur hören, ist das gutachtliche Material üer Präsidenten der Oberlandesgerichte in den einzelnen Bundesstaaten über eine Abänderung des § 9 der Gebührenordnung der Rechtsanwälte bei der zu ständigen Reichsbehörde einer eingehenden Sichtung unü Prüfung bereits unterzogen worden. Die Er örterungen über eine Stellungnahme zu den Vor schlägen haben jetzt begonnen, cs steht aber noch nicht fest, ob cs zur Aufstellung eines Entwurfes über ein« Abänderung der Gebührenordnung kommen wird. Es handelt sich übrigens nicht nur um eine eo. Abänderung des s 9 der Gebührenordnung,, son dern auch der Gebühren , di« sich auf «0»77r
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