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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.01.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120124025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912012402
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912012402
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-24
-
Monat
1912-01
-
Jahr
1912
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MipMer TclgMaü Lnieiqkn-Preis fllr Inserat» au» tleidtig und Umgebung di« llpalti,» Peiiti.il« L Ps^dte Neklam«. »eil« i Mk. von au»wärt» Bi Pf, Neklamen Mk. Inierat» von Behörden «m aart- ltchen Tetl »t« Pettteelle «I BI E«Ichäst»ant«igen mtt Plahoorlchrtst«» im Breil« erhöht. Rabatt nach Tarts. Beilaaegedllkr Sesamt« auslag« L Bik. o Taulend eilt Boltgebähr. Tetlbeilag» höher. Feltertetlt« Bulträue können nickt »urSL» gerogen werden. Für da» ikrlcheinen an bestimmten Tagen und Bläuen wird t«»a« Garantie llderaomme». »ntetgen-iönnadm«: S<»»,»«»,»II» bet sämtlichen Filialen u. allen Snnone««, Ltpeditionen de» 2» and «»»lande». los. Zshrgsng Mittwoch, üen 24. Januar 1912 i14«S2 lRachtanschl.« "«92 l«achl«uschlutz) gtl.-Zl»s»i.!i«M Vanvelszeituug. Amtsblatt des Rates «nd des Nolizeiamtcs der Ltadt Leipzig. Druck und Verlag »»» Ftlcher » Nürste» Inhad«,. Paul Nitrit«». Nedattion und Seschai>»lt«ll«r I»hannl»ga!I« 8. Hau»«»Filiale Dee«»«a: Seestratze 4, l lTelephon <8211 Die vorliegenve Ausgabe umfaßt 8 Selten. Das Wichtigste. * Die amtliche Verkündung dev Wahl, ergeb» iss es im 12. sächsischen Reichstagswahl- krerfe (Leipzig-Stadt) sand heute vormittag unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Dr. Weber im Stadthause statt. Es wurden von 45 705 Wahl berechtigten 4Ü 709 Stimmen abgegeben, von denen 4 V 485 gültig waren. Bon diesen entfielen auf Zustizrat Lr. Junck (Natl.) 21 587 Stimmen, auf Max Cohen (So,.) 18 898 Stimmen. 244 Stimmen waren ungültig. Somit ist Dr. Junck gewählt. * Das amtliche Wahlergebnis im 14. sächsischen Rcichstagswahlkreise (Borna- Pegau) ergab für v. Liebe rt lRpt.) 13681 und fürRyssel (Soz.) 13 058 Stimmen. VonLiebert (Rpt.) ist also mit 23 Stimmen Mehrheit gewählt. * Der russische Marincminister forderte im Ministerrat einen Nachiragskredit von 11500 000 Rubel zum Bau dec S ch w a r z e n meer- f l o t t e. * Die Revolution in Guayaquil ist be endet. (S. Pol. Nachr.) Der zweite Slichmshltsg hat verwirklicht, was der erste in greifbare Nähe rückte: die „A b w e h r m e h r h e i t". Zentrum, So zialdemokraten, Welfen, Polen, Elsaß-Lothringer und der Däne besitzen jetzt volle 219 Mandate. Der „Abwehrmehrheit'' steht immer noch die „schwarz- blaue" am nächsten,' denn die Parteien der Rechten verfügen jetzt über 187 Mandate. Die „Links mehrheit" dagegen hat jetzt nur zu 173 Man daten gebracht, so daß sie in den noch ausstehenden 33 Stichwahlen mindestens 26 Siege davontragen müßte, um die absolute Mehrheit zu erlangen. Unter solchen Umständen ist es begreiflich, wenn selbst das „Berliner Tageblatt" die Vermutung ausspricht, „daß die Wahlen keine volle Klärung bringen wer den". Läßt schon dieses Zugeständnis die Enttäuschung erkennen, die der radikale Linksliberalismus trotz feines unablässigen Rufens „Die Front nach rechts!" über das alleinige Wahlglück der Sozialdemokratie empfindet, so wird auch die Vorspiegelung, daß die fortschrittlichen Stichwahlerfolge der „klaren und kampffrohen fortschrittlickzen Wahlparole" zu danken seien, in gedämpfter Tonart fortgesetzt. Die Tat sachen des Wahlausfalls am zweiten Stichwahltage reden auch eine zu deutliche Sprache, um nicht Zu rückhaltung aufzuerlcgen. Die Fortschrittliche Volks Partei hat nämlich von ihren am 22. Ja nuar erhaltenen 19 Mandaten mindestens 8 der Unterstützung von rechts zu danken. Es handelt sich dabei um die Wahlkreise Berlin 1, Dan zig-Stadt, Oberbarnim, Balingen, Tübingen, Calw, Gmünd und Schaumburg-Lippe. Zu diesen 8 Wahl kreisen kommen 3 hinzu, deren Mandat der Fort schritt ausgesprochen nationalliberalen Wäh lern schuldet: Dithmarschen, Oldenburg und Varel. Dagegen ist die sozialdemokratische Hilfe für den Fortschritt nur in 5 Wahlkreisen ausschlag gebend gewesen, nämlich in Greifswald, Rügen, Ulm, Freudenstadt und Zabern. Verloren aber hat j Die nintliehe ZukainnieirsieNttiig-er* Wahlergebnisse- Auf Grund der endgüliigen amtlichen Ermittlungen über die Hauptwahl zum Deutschen Reichstage und der vorläufigen amtlichen Ermittlungen über die Stichwahlen am 20. und 22. Januar 1912 ist die Lage die folgende: ') Hierunter Graf Schwerin-Löwitz, ') Hierunier ein erledigtes Mandat, ') in 33 Stichwahlen. Parteien Bisherige Parteistärke Gewählt in der Haupt wahl Gewählt in Im ganzen bis jetzt gewählt L S c 6 Gewinn Verlust Noch in Stichwahl der ( wah 20.1. -tich- l am 22.1 Konservative 59') 27 9 5 41 6 18 9 Reichspartei 25 5 6 1 12 3 14 6 Deutsche Reformpartei 3 — 2 1 3 —— —— Wirlichaftliche Vereinigung und zwar: Deutsch-sottal 5-) — 2 — 1 4 — C ristlich-sozial 1 —- 3 1 — —— Bund der Landwirte 4 — 1 3 1 — sonstige 7 — — 2 2 1 6 — Bayerischer Bauernbund —— 1 — 1 2 2 -7— —— Zentrum 103 81 7 3 91 5 14 6 Polen 20 14 — 2 16 1 3 Nationalliberale 51 4 20 13 37 18 29 9 Deutscher Bauernbund — — 1 1 2 - — 1 Fortschrittliche Volkspartei 49 — 17 18 35 13 19 10 «Sozialdemokraten 53 64 8 27 99 60 9 2> Eliäuer 5 5 — — 5 2 2 — Lothringer 3 1 — 1 2 1 — Welfen 1 — 2 3 5 5 1 — Dänen 1 1 — —— 1 — — Unbestimmt (Wilde) 6 — 2 1 3 2 5 — 397 206 78 80 364 66' der Fortschritt durch die Haltung der rechtsstehenden Parteien 7 Wahlkreise: Lissa, Hagen, Frankfurt a. M., Plauen. Weimar uns Waldeck. In noch stärkerem Maße als die Fortschrittlich« Volkspartei dankt die nationalliberale ihre am 22. erlangten Mandate der Unterstützung von rechts. Sie hat am zweiten Stichwahltage dreizehn Mandate erhalten und ist dabei in elf Wahl kreisen von den rechtsstehenden Par teien unterstütz! worden, nämlich in Graudenz, Wolmirstedt. Goslar, Göttingen, Gifhorn, München, Eßlingen, Böblingen, Friedberg-Büdingen, Eisenach und Schwarzburg-Rudolstadt. Die Unterstützung von links war für die Nationalliberalen nur in zwei Wahlkreisen, Memel und Alsfeld-Lauter bach, ausschlaggebend. Verloren aber hat die nationalliberale Partei fünf Wahlkreise in folge der Haltung rechtsstehender Wähler sBreslau-Ost, Halberstadt, Einbeck, Uelzen, Bayreuth), vier Wahlkreise infolge der Haltung der ver bündeten Fortschrittlichen Volkspartei lDarmstadt. Bingen, Dessau, Bernburg), drei Wahlkreise infolge ü«r Haltung der Sozial demokratie (Stendal, Lüneburg, Nienburg). Die rechtsstehenden Parteien haben am ersten Stichwahltage die Fortschrittliche Volkspartei in Lauenburg, Pinneberg, Minden, Karlsruhe, Lippe und Meiningen unterstützt und sind fllr die national liberale Partei in Otterndorf, Stade, Herford, Wies baden, Leipzig, Schwerin und Helmstedt ausschlag gebend gewesen. Die Unterstützung, die die rechts stehenden den zwei liberalen Parteien an den beiden Stichwahltagen haben zuteil werden lassen, steht also zahlenmäßig folgendermaßen aus: die national liberale Partei schuldet der Unterstützung von rechts 7-1-11 — 18 Mandate unter 38, die Fortschrittliche Volkspartei 6-s-8---14 unter 36. Hoffentlich wird die Lehre, die diese Zahlen enthalten, in Zukunft wenigstens von der nationalliberalen Partei für die Wahltaktik bester beherzigt, als es diesmal der Fall gewesen ist! —s. Wahlkorrektur. Bingen, 24. Jan. (Tel.) Das Binger Kreisamt stellte fllr Becker (Natl.) 12012 Stimmen und für den Fortschrittler Korell 12010 Stimmen fest. Danach ist also Becker gewählt. Rach der „Frankfurter Zeitung" soll in Alzey- Bingen indes der so äußerst seltene Fall eingetreten sein, daß -sich für beide Kandidaten Stimmen gleichheit — 12 010 Stimmen — ergeben habe, daß also das Los den künftigen Vertreter des Kreises zu bestimmen hätte. * Wahlkrawalle. O-i. Breslau, 24. Jan. (Prio.-Tel.) Zu argen Wahlkrawallen kam es am Dienstagabend in Kattowitz. Ein Polizeibeamter wurde a n - gegriffen und mißhandelt, mehrere Per sonen durch Säbelhiebe verletzt. Die Unruhen dauerten bis 12 Uhr nachts. AchtVerhaftungcn wurden vorgenommen. Der Meürichs-Tsy in Berlin. Opernhaus-Probe. Heute findet im Opernhause die Uraufführung eines Einakterzyklus „Der große König" von Josef Laufs statt, zu dem Originalmusik von Friedrich dem Großen von Professor Joseph Schlar eingerichtet wurde. Der Kaiser, der sich für diese Aufführung besonders interessiert, hat fast allen Proben der drei szenischen Bilder: „Rheinsberg", „Hohenfriedberg' und „Sanssouci" beigcwohnr und auf die Regie führung vielfach Einfluß genommen. Gestern mittag fand die Generalprobe start, der der Kaiser bis zum Schluß beiwohnte. Der Kaiser saß mit seiner Be- gleitung rm Parkett und war mit den Leistungen der Darsteller so zufrieden, daß er nach Schluß der Probe die Herren Stacgemann, Hermann Vallentini, Carl Clcwing, Kraußneck, Geisendörffer und die Damen Hempel und Arnstädt zu sich bitten ließ. Er dankte ihnen für die große Sorgfalt, die sie dem Studium der Rollen gewidmet hatten, überreichte jedem ein Exemplar von Koscrs Buch: .Llus dem Leben Friedrichs Les Großen" und zeigte sich von Werk und Darstellung außerordentlich entzückt. „Ich glaube", sagte er, „Sie werden morgen einen großen Sukzeß haben" — er gebrauchte absichtlich diese französisch-friderizianische Wendung — und meinte dann noch: „Hoffentlich bin ich auch ein guter Prophet. Und im übrigen finde ich, daß meine Künstler in Uniform viel schöner aussehen als inZioil . . Die Ausstellung Friedrich der Große in der Kunst. Dienstag nachmittag wurde die dem Gedächtnis Friedrichs des Großen gewidmete Ausstellung in Berlin durch den Kaiser eröffnet. Für 2 Uhr hatte der Kaiser sein Erscheinen angesagt, und schon von 1 Uhr ab fuhren die geladenen Gälte am Portal der Ausstellung vor. Man sah Prinz Friedrich Leopold mit Gemahlin, Tochter und Gefolge, den Reichs kanzler, die Minister Sydow, Trott zu Solz und Dr. Studt, die Generale Kessel, Plessen und Scholl, Po lizeipräsident v. Jagow, die Oberbürgermeister Kirschner und Schustehrus. Von der Gelehrten- und Künstlerwelt die Professoren Siegfried Oehes, Hertel, Jessen, Koetschau, Harnack, Lenz, den Rektor der Universität, und Dr. Friedländer, den Direktor des Kupferstichkabinctts. Die Finanzwelt war ver treten durch Geheimrat v. Mendelssohn-Bartholdy uns Geheimrat Raven«. Im Vorsaal hatte eine Wache in der Uniform des Jriderizianischen Garde regiments Aufstellung genommen. Vor der Front stand ein schwarzer Trommelschläger. Die Wache, zu der man die größten und schmucksten Soldaten des 1. Garderegiments ausgesucht hatte, wurde von Leut nant Freiherr v. Bodenhausen befehligt, der in der frideriztanischen Uniform mit dem Spontan in der Hand sehr forsch ausschaute. Kurz vor 2 Uhr in tonierte eine Militärkapelle hinter dem Flügelturm die ersten Takte des Hohcnfriedberger Marsches. Un mittelbar darauf betraten der Kaiser und die Kaiserin mit großem Gefolge die Akademie, emp fangen vom Präsidenten Kampf und dem Kultus- Minister. Und nun ertönte laut und dröhnend das Kommando des Offiziers, und die Wache präsentierte in der eigenartigen uns heute etwas plump an mutenden Weise. Sichtlich erfreut, mit einem Lächeln dankte der Kaiser für die Honneurs, die ihm die Garde Friedrichs des Großen erwies. Von Professor Kampf und dem Kultusminister geführt, besichtigte der Kaiser die Ausstellung, in der er über eine Stunde verweilte. Der Kaiser, der m der Uniform des Gardedukorps-Rcgiments mit Helm und Mantel erschienen war, sprach dem Präsidenten Kampf seine vollst« Befriedigung aus. In der Kriegsakademie. Im Festsaale der Kriegsakademie hielt gestern abend in Gegenwart des Kaisers, fast aller Prin zen des Königlichen Hauses und der Spitzen von Heer und Marin« Generalmajor Freiherr Freytag von Lo- ringhooen einen Vortrag über das Thema „König Friedrich als Kriegsherr und Heerführer". Siwe Rheineck. 9s Roman von Hanna Aschenbach. Der Apotheker in seinem blinden Vaterstolz begab sich schon wieder aufs Glatteis. „Ja, meine Mädels, denen ist noch keiner zu nahe getreten, die besitzen eben das gewisse jungfräuliche Etwas, wissen Sie, das läßt sich einfach nicht aus drücken. Die Rheineck dagegen, Himmel, die bändelt ja mit jedem an, der Mann heißt. Jawohl, erst verdreht sie ihnen die Köpfe, und dann schickt fie ihre Opfer lachend mit einem Korbe heim. Wenn ich bedenke, welchen Wechsel wir hier unter den Referen daren und jungen Assessoren haben! Ihr Vorgänger, Herr Doktor Erdmann, gehörte auch zu den ge brannten Kindern, die das Feuer fliehen, und einen neuen Provisor brauche ich bereits jedes Quartal." Dem Arzt schnürte der Ingrimm die Kehle zu. Ehe er noch Worte fand, seiner flammenden Empörung Ausdruck^u verleihen, sagt« Claus Neubaur bestimmt: „Die schuld liegt meiner lleberzeugung nach nicht an Fräulein von Rheineck, wohl aber an dem Um stand, daß die junge Dam« eine reiche Erbin ist. Natürlich kommt ihre außergewöhnliche Schönheit auch in Betracht. Nur begreife ich nicht, wie jemand den Mut find«t, sich ihr zu nähern; ich habe sie stets außer ordentlich abweisend, ja ungezogen gefunden — was übrigens nach ihren Erfahrung«» mit dem männlichen Geschlecht erklärlich scheint." Der Apotheker fuhr giftig auf. „So, und Assessor Winterfeld in der Residenz, warum hat denn der diesen Ausbund an Schönheit und Reichtum wieder freigeqeben?" Vor Carl Erdmanns Augen begann sich das Zimmer zu drehen. „Assessor Alexander Winterfeld", preßte er heiser hervor, der bei der Konfistorialpräfidentin von Butt witz lebt?" Der Apotheker verneigte sich, als habe man ihm eine feine Schmeichelei gesagt. „Die Konsistorialpräsidentin, ganz recht, nämlich eine Verwandt« meiner Frau, «ine ganz hervorragend« Persönlichkeit, sage ich Ihnen, geistvoll und" — er küßte sein« Fingerspitzen — „wie gesagt, wir schätzen uns sehr: ja, und der Assessor Winterfeld lebt in ihrem Hause, ganz recht, die treffliche Frau ist die Jugendfreundin seiner verstorbenen Mutter, sie be muttert ihn daher «in wenig. Er ist «in ganz famoser Mensch, erstklassig in jeder Beziehung, «in Ehren mann." Ein erbärmlicher Egoist und Streber, fügte Carl Erdmann im Geiste hinzu, und der Gedanke, dem hatte sie sich angelobt, diesem brutalen Ichmenschen mit der kalten Seele hatte sie sich zu eigen geben wollen, der macht« ihn fast toll. Der erste Schatten auf dem leuchtenden Mädchenbild. Schroff erhob er sich. ..Ich gehe. Begleiten Sie mich, Kollege?" Der rief bereitwillig nach der Kellnerin, trotz des Apothekers Protest. „Ich bin todmüde", erklärte er, „alle Knochen wie zerschlagen. Habe eine mehrstündige Operation hinter mir. In der Beziehung seid ihr Human-Mediziner doch bedeutend bester daran; Kraftanstrenguirgen, wie sie bei uns an der Tagesordnung sind, gibt es bei euch kaum." „Im allgemeinen wohl", bestätigte Doktor Erd mann zerstreut, „obgleich auch der Weg unserer Chirurgie mit Schweißtropfen durchtränkt ist. — Aber Lene", unterbrach er sich ungeduldig, „hören Sie denn nicht, zahlen!" Das Mädchen flog herbei, aber diesmal kam ihrer Entschuldigung kein Scherzwort entgegen. „Gehen wir!" Der Apotheker hielt den Arzt am Rocke zurück. „Haben die Herren morgen etwas vor?" „Warum?" knurrte Carl Erdmann, während der Tierarzt ei» paar Fahrten über Land angab. „Den Sonntag sollten Sie sich aber freiyalten, Ver ehrtester; das ist doch kein Leben! Wir planen «inen Ausflug über den Eichkamm nach der Saubucht, mtt Damen natürlich. Unter uns, auch ich laste meinen Drachen steigen." Er hatte als vorsichtiger Ehemann die Stimme sinken lasten, lachte dem Witz aber um so un gebundener hinterher. Als jedoch Lene, di« »och in nächster Nähe stand, einen Lachkrampf zu kriegen schien, erschrak er sichtlich. Hätten die jungen Herren ihm nicht zu entwischen gedroht, er hätte dem plauder lustigen Mädel wohl mit ein paar bittenden Worten den Mund gestopft. So aber nahm das Verhängnis seinen Gang Am nächsten Morgen schon zeigte sich Frau Ludmilla unterrichtet, und die Art, in der fie den „respektlosen Schwätzer" büßen ließ, verschaffte dem armen Apotheker in den Augen aller Einsichtigen während der nächsten vier Wochen den Nimbus eines Märtyrer» der Wahrheit. — Noch aber ahnte ex das Damoklesschwert über seinem Haupt nicht. Noch war er ganz Selbstbewußtsein. „Schließen Sie sich Loch an, meine Herren, ich bürge Ihnen, die Geschichte wird fidel. W.ssen Sic, wenn ich etwas in die Hand nehme — pikfein sage ich Ihnen, faktisch: eine Waldpolonüse, ein Tänzchen, ein paar Spiele — nein, ich verrate nicht mehr. Tie müssen kommen." Doktor Erdmann hatte zuerst eine schroff ab lehnende Bewegung gemacht, dann, sich besinnend, warf er so beiläufig hin — nur ein sehr feines Ohr vermocht« die innere Spannung herauszuhöreir: „So töricht werde ich doch nicht sein, mich nach Ihrer vorigen Schilderung noch in den Zauberkreis Nesthausener Schönheiten zu wagen. Ich danke, ich bin kein Freund von Körben." „Aber ich bitte Sie", brach der Apotheker mehr eifrig als überlegt los, „das riskierten Sie Loch höchstens von einer Hilde Rheineck, na, und die haben wir glücklich hinausgegrault aus unserem netten Kreise." „So", versetzte der Arzt kühl, „werde mir's merken. Morgen muß ich wieder nach Biesterheide. Guten Abend." Von dem Tierarzt gefolgt, der sich ebensowenig zu einer Zusage verstand, verließ Doktor Erdmann den Gasthof. Schweigend schritten die beiden Männer die totenstille Hauptstraße entlang. Claus Neubaurs Augen musterten von Zeit zu Zeit besorgt Lag finstere Antlitz an seiner Seite. Er setzte wiederholt zum Sprechen an, unterließ es aber stets wieder. Als sich ihre Wege trennten, standen sie lange stumm Hand in Hand, jeder verständnisinnigen Mitgefühls voll für den Druck, der auf des anderen Seite lastete. Dann schieden sie mit kurzem Gruß. * * * Carl Erdmann konnte sich nicht entsinnen, eine Nacht seines dreißigjährigen Lebens schlaflos ver bracht zu haben — von jenen natürlich diskreterweis« abgesehen, die er sich als flotter Student in feucht fröhlicher Stimmung und Gesellschaft freiwillig um die Ohren geschlagen hatte, wie man zu sagen pflegt. Zn dieser bangen, schwülen Julinacht kam kein Schlaf auf seine heißen Lider. Er erkannte, sein Schicksal stand auf der Schwelle. Seine Seele erbebt« unter dem Ansturm der neuen wundersamen Empfindungen. Immer tiefer senkten sich die Wurzel fäden das Pflänzleins seiner jungen Liebe in den lange brach gelegenen Acker seines Herzens. Argwohn und Verleumdung rüttelten vergeblich daran, sie konnten es nicht mehr erschüttern; aber unter ihrer rauhen Berühruna sprang die Knospenblüte, und voll und süß entfaltete sich die Blüter echter, vertrauender Mannesliebe. Als die Glocken den Sonntag einläutete». stand Carl Erdmann am Fenster und blickte sehnsüchtigen Auges nach der Seite, da fern über wehenden Baum wipfeln ein weißes Türmchen ragte. Es machte ihn glücklich, eine Vermutung bestätigt zu sehen, mit der er sich die ganze Nacht beschäftigt hatte: er konnte Hilde Rheinecks Heim erspähen. Die Kluft, die ihn noch von ihr trennte, schien ihm dadurch zusammen zuschrumpfen. Er fand es selbst knabenhaft töricht und wußte doch, daß es ihm hinfort eine wonnige Freude bereiten würde, den Ort, da sie schaltet« und waltete, mit den Augen zu suchen. Er stand lange, lange in glückseliges Sinnen verloren. Sein Körper war müde und zerschlagen, sein Geist um so klarer und ziel bewußter, und sein Herz schlug in vollen Schlägen. Auf seinem kraftvollen Antlitz lag ein weicher, sonniger Glanz. Als die ersten Kirchgänger bedächtig über Len Marktplatz wanderte», griff Carl Erdmann nach dem Hute. Es war der neue, steife, den er sich kürzlich aus der Residenz verschrieben hatte. Frau Mückenholz hatte ihn mit den übrigen Sonntagssachen bereit gelegt. Ein Weilchen stand der Doktor vor dem Spiegel und rückte und drehte unzufrieden an dem zwar eleganten, aber für seine stattliche Erscheinung etwas kleinen, vielleicht auch nur ungewohnten Be hauptungsstück. Schließlich, während eine verlegen« Röte sei»« Stirn überhuschte, griff er nach dem ge wohnten großen, grauen Filz, der ihn nach Aussage seiner Patientinnen — also des nicht unbedeutenden Teiles der weiblichen Bevölkerung N«sthaus«ns. der selbst noch «in liebefähiges Her, im Busen trug oder ein solches auf unversorgte Töchter vererbt hatte — entzückend kleidete. Apothekers Phine, die von sich behauptete, kein Herdentier zu sein und deshalb Originalität i» ihren Aussprüchen liebte, nannte ihn „pschütt", doch erfuhr niemals ein Sterblicher, was sie sich unter diesem ihrem flinken Zünglein sehr geläufigen Anerkennungs wort eigentlich dachte. Sie wußte es wohl selbst nicht, aber sie imponierte damit und das war der Endzweck. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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