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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.01.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120106010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912010601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912010601
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-06
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Monat
1912-01
-
Jahr
1912
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die am NcusastrStoa für ein (Ehrengeschenk, eine Bronze „Elsay-Lothringen", sammelten, um die „Heldentat" des aus der Festung Glatz ent wischten Kapitäns Lux zu belohnen! Republik in Lhins. Wenn es auch ein bißchen ans der Mode gekommen ist. so werden doch noch zuweilen Fragen aulgeworfen des Schemas Was wäre geworden, wenn dieses oder fenes nicht geschehen wäre? Grossen Wert haben solche geschichtliche Konstruktionen nicht, weil ihre Vorausieijungen auf zu schwankendem Boden stehen. Wie aber der gegenwärtige Kulturzustand Europas sein wiirdc, wenn man sah den toi'.stantinischen Wechsel der römischen Staatsreligion und die In vasion der Germanen wegdentt, davon kann man eine annähernde Vorstellung erlangen durch einen Blick auf das China des Ich Jahrhunderts, Ein kümmer licher Rest der ursprünglichen Natnrrcligion eigentlich nur noch im Titel des .Kaiser«, hauptsächlich aber Ahnenkult, von Staats wegen derKaiserohnen, die Ex« bildeten Buddhisten oder Atheisten, im Volk Geheiin- biinde religiöser Färbung: ganz dementsprechend war der Stand im Reiche der Zäsuren, und würde er ziemlich erhalten geblieben jein, wenn jene grund stürzenden Ereignisse damals oder später nicht ein getreten wären. Ein Wulst erstarrter Rechtssätze, gesellschaftlicher Formen, ein in Titel und Kastengeist verzopftes Beamtentum und Gelebrienrvesen: alles das wucherte sch! n üppig unter Dokletian und der konstantinischen Dynastie, gen«» »c« in China: an» wer manche heutige Aeatachtat. »rrd nicht zweifeln, bat da« Ai» »»»»»»» tiiigerkn-en Gebens dem chinesischen zum Verwechseln ähnlich sein würde, wenn Europa sein Mittelalter überschlagen hätte. Trotz der Beharrung seiner Staatsform hat aber China sein lebendiges Volksleben so gut gehabt wie der Westen und ist nur den oberflächlichen Be schauern tot erschienen, während dem gründlicheren Erforscher seiner Geschichtsquellen sich eine Folge richtigkeit seiner Entwicklung von intimem Reiz« ent hüllt. Mit plumpem Hochmur aus eine angebliche Minderwertigkeit des fremden Kulturreichcs hcrab- zublickcn, ist diesseits gerade so unangebracht, wie wir gelacht haben, wenn noch am Ausgange des 19. Jahrhunderts in chinesischen NegicrungsPubli- kationcn die Europäer ..Barbaren" genannt wurden. Aber eins große Merkwürdigkeit ilt es, wenn die Sraatssorm des Kulturrciches der Gelben durch die ziemlich vier Jahrtausende seiner urkundlich belegten Geschichte hindurch dem „starren Systeme" trcugcbliebcn ist. Welche Verände- rungcn hat dagegen der große Kreis der Mittclmecr- weit erlebt und durchgemacht, seit Nimrod anfing ge waltig zu werden aus Erden! Von den Städte- Republikcn des klassischen Altertums mit ihrem Wechsel zwischen Aristokratie, Tnrannismus und Demokratie, vom Feudalsystem des Mittelalters, der parlamentarischen Negieruugsweise der Neuzeit: von alle dem zeigt sich in China leine Spur. Ter äu Heren Gründe dafür sind vornehmlich wohl zwei: die Bodengestaltung des Landes hat nicht die politische Entwicklung seines Städtewciens begünstigt, das, wie schon das griechische Wort zeigt, der eigent liche Nährboden des politischen Denkens und Strebens ist: und sein Aoltstum war nicht bloss geistim sondern auch zahlenmässig den gelegentlich auch China überflutenden Fremdvöllern so gewaltig überlegen, dass es diese in ganz anderem Grade in sein«, Rahmen, .zwängte, als etwa das eroberte Griechenland den bnrvarischen römischen Sieger ge fangen nahm, und das ausgcmergelte Westrom die germanischen Nutztrbursckwü. ,., . . „. Allein solche äussere Gründe genügen nicht, es zu erklären, dass nicht einmal die Theoretiker der Stu dicrstube, die doch auch in China Gott aus seiner Welt hiuwcgdisputicrt haben, daselbst jemals an das poli tische Dogma von der monarchim-en Spitze gerührt naben, solange sic von weltläiidiichcn Einflüssen un berührt blieben. Der innere Grund scheint eben m fern, das; der politische Sinn in der Bedeutung des Theoretisierens dem gclbhäutigen Volke fehlt. Der Chinese ist autoritätsgläubig, wie es besonders der Arier niemals gewesen ist. Angesichts solcher Artung erscheint es um so mehr als eine Sünde wider den Gei st -er Na tion, das; jetzt Nacbässer des Auslandes die ame - rikanischen Verfassungsformen aus den Boden der gelben Erde übertragen wollen. Selbst wenn es ihnen glücken sollte, den Mandschu-Thron umzuwerfen, «he die am ungestörten Gange des Ein- suhrhand«!» interessierten Fremdmächtc ihre Geduld verlieren, ist gar nicht <rbzus«hrn, wie die Präsident schaft de» H«rrn Sunjatscn Bestand gewinnen soll, fall» er sich nicht entschließt, allen seinen Theo remen zum Trotze sich zum Gründer einer neuen Dynastie aufzuwerfen. Durch neu« nationale Dy nastien wurden doch auch die früheren Monaoken- Herrfckmften wieder beseitigt. Der Hai; gegen die Mandschu ist fast das einzig Volkstümliche in der Be wegung; außerdem vielleicht noch das Bedürfnis nach einer größeren Dezentralisation -er alten 18 Pro. vinzen, deren Gruppierung aber mit den Unions staaten Nordamerikas keineswegs zu vergleichen ist. Wenn überdies Sunjatsen das Verfassungsleben der Union ein bißchen innerlicher aufgesaßt hätte, würde er bemerkt haben, das; in seinem angebctetcn Amerika die Entwicklung umgekehrt zu strengerer Vereinheitlichung hinstrebt. Und für die äußeren Gefahren seines Vaterlandes scheint i«in Blick wenigge schärft zu sein. Daß zumal R u ft l a n d, I a p a n und Frankreich ihre Plätze an der chinesischen Sonne gar nicht groß genug be kommen können, sollten ihn die Begebenheiten des letzten Menschenalters gelehrt haben, außerdem noch andere Außenseiter, auch das vielgeliebte Amerika. Uclxrhaupi macht der Mann und seine Ko-ming-tang vielmehr den Eindruck eines Geschobenen als eines Schiebenden. In Petersburg und Tokio redet man schon ganz offen von der Aufteilung. Und die Mon golen und Tibetaner haben sich bereits ihrer chine- jischsn Beamten entledigt! Es ist der schlechtest- gewählte Augenblick für ein Erpcriment mit einem fremdländischen Nerfasiungsmustcr, auf das vier Jahrtausende nationaler Entwicklung niemals ver- fallen waren., * Die Erlebnisse des Postdirrliors Henne in China. Wie wir berichteten, sollte bei dem Mandschu- gemctzel, das am 22. Oktober v. I. in S i a n f u statt sand, auch der aus dem Städtchen Hcdemünden bei Hannover stammende Postdirektor Henne ermordet worden sein. Die Nachricht wurde später dementiert. Jetzt ist bei den in Hann.-Münden wohnenden Ver wandten ein Brief Hennes einaegangcn, den dieser am 12. November v. I. in Sians« zur Post ge geben hat. Darin heißt es u. a.: Am 22. Oktober brach auch hier di« Revolution aus, plötzlich, doch kann icy nicht sagen, daß wir davon sehr überrascht waren. Gegen Mittag knatterten di« Gewehre überall und das Militär ging gegen dl« Mcrndschu-Stcrdt vor, denn die völlige Ver nichtung der Mandschus war ja das Prinzip der Sache. Ich ritt noch schnell zum Hospital, nm dort mit den Engländern Rücksprache zu nehmen. Aus dem Rückweg fiel ich bewaffnetem Gesindel, etwa 150 oder mehr, in die Hände. Man nahm mir ,das Pferd ab, und ich hatte einen harten Stand, um mich bis an die nächste Straßenecke dnrchzukämpfen. Dann erhielt ich von einem Kerl mit einem etwa zehn Zentimeter dicken Knüppel einen furcht baren Schlag auf die linke Schulter, und im nächsten Augenblick hielt mir ein anderer Halunke ein lstewehr entgegen, um mir eine Kugel in den Unterleib zu jagen. Ich stürzte mich auf den Menschen, schlug das Gewehr zur Seite, und der Schuf; ging scharf an meiner rechten Seite vorbei. Was weiter passiert ist, weift ich nicht, denn in demselben Augen blick muft man mich mit einem Schwerte nieder geschlagen haben. Ich kam erst wieder zur Be sinnung, als ich zu Hause war. Das; ich mit dem Leben Lavongekomme'n bin, ist das reine Wunder. Drei vernünftige Soldaten hatten sich meiner an genommen und mich nach Hause geschasst. Wenn es uns nicht gelungen wäre, diese drei Soldaten zu überreden, als Wache bei uns zu bleiben, so wäre es sehr fraglich, ob heute noch eine Seele von uns am Leben wäre. Mit Einbruch -er Dunielheir nahm aber das Morden und Brennen erst recht seinen An fang. Ich lag halbtot, völlig anaezogcn im Bett. Die Leiter stand an der Mauer nach hinten, und wir waren die ganze Nacht zur Flucht bereit. In der selben Nacht wurde eine außerhalb des Südiores ge legene kleine Missionsschule für Knaben von Missionaren vom Pöbel vollständig zerstört. Sech« Kinder im Alter von 9 bis 1ü Jahren, sowie die Hausmutter und der Lehrer in der grau samsten Weise, die man sich nur denken kann, umgebracht, während es dem Hauevater gelang, mit dem jüngsten Kinde zu entkommen. Bon der englischen Mission sind auch verschiedene schwer ver letzt und andere völlig ausgeraubt worden. Die Mandschus, über IVYOy an der Zahl, sind voll ständig aus gerottet worden und weder Frauen noch Kinder sind geschont. Ich glaube, ein solches Morden steht in der Weltgeschichte einzig va. Der neuen Regierung sind die Ausschreitungen gegen die Europäer außerordentlich peinlich, und man hat von; zweiten Tage ab auch alles getan, um uns zu be schützen. Jedes Vergehen wird-mit dem Tode be straft, und das Leben eines Spatzen ist jetzt mehr wert, als das eines Chinesen auf der Strafte. Ich bin von dem Präsidenten der Republik Schansi mit der Leitung des Post wesens betraut worden, eigentlich gegen meinen Willen, denn ich habe nicht die geringste Steigung, hier zu bleiben. Gefahr besteht augenblicklich für uns nicht. Die neue Herrschaft ist aufrichtig bemüht, den schlechten Ein druck zu verwischen. TaS republikanische Kabinett. Lpndon, ü. Jan. (Tel.) Dar erste repnbli- kanische Ministerium in Nanking begreift einige der hervorragendsten Männer Chinas in sich. Der Minister des Acnßern W a n g ts ch u n g b u i Hot ans der amerikanischen Vale-Universitüt promoviert und da» deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von IWO ins Englisch« übersetzt. Ter Ackerbau», Handels- nnd Gewerbe,ninister Tschangtsckio ist allgemein al? hervorragender Fachmann bekannt, und Puanschikai selbst bot ihm dasselbe Minisicrportefeuille an: er lehnte cs jedoch ab. Der Finanzminister Tischen- tschintau war unter Puanschikai bereits Minister. Zum Vizepräsidenten des Ministeriums haben die Republikaner in Nanking den General Liyuan bei, g gewählt. TaS Kabinett ist nach dem amcrika- nifchen System gebildet, hat also keinen Minister. Präsidenten Wutingfang hat, um Reibungen mit Japan zu vermeiden, den Posten des Ministers des Auswärtigen mit dem der Justiz vertauscht. Minister des Innern und zugleich Kriegsminister wurde Kwangtschin, der in Japan studiert hat. Ten Posten des Untcrrichtsministers übernahm Tschaohun sao, der, ebenso, wie der Justiz minister Dr. Wang, deutsche Bildung genossen hat. DaS republikanische Kabinett hat sich der Auf gabe unterzogen, die Ordnung in den aufständischen Provinzen aufrecht zu erhalten, von denen sich einige in anarchisck^em Zustand« befinden, so z. B. Sctschuan, von wo der englische Generalkonsul und die ganze ausländisch« Kolonie hatte fliehen müssen. Eine Teilung de» Staate»? Mukdc», S. Jan. (Petersburger Tel.-Agentur.) Hier sind Instruktionen .für die Wahlen zur Nationalversammlung eingetroffen, aus denen hervorgeht, daß die Pekinger Negierung die Wahlen nur in den nördlichen Provinzen Tur kestan, Tibet und der Mongolei leitet. Im Süden organisiert die Republik die Wahlen Tiefe Wahlordnung weist auf die Möglichkeit einer Teilung des Staates hin, falls die National versammlung zu keinem einstimmigen Beschluß gelangt. Weiter wird gemeldet: 8t. London, 5. Jan. (Priv.-Tel.) Der Korre spondent dec „Times" in Peking sieht weitere Symptome des Wachsens der republikanischen Stirn- inung darin, daß die hauptstädtische Presse, die bis- yer am stärksten für die Mandschus eingelreten war, die Dynastie nunmehr vor dem Schicksal Lud wig« XVI. nnd Karl» I. warnt und zur Ab dankung rät. Der Krieg um Tripolis. Pom Kriegsschauplatz meldet die „Ägenzia Srefani- unter dem 8. Januar: In Tripoli«, Ainzara, Tadjura und Homs herrscht vollkommene Ruhe. , Auf Eargaresch fanden wiederholt räu berische Ue Verfälle statt, da die Ein wohner Vieh gekauft haben, da» anderen Stämmen gestohlen worden war. — Das Wetter ist besser, das Meer ruhiger. Schließung der italienischen Banken und Handel». Häuser in Konstantinopel. Konstantinopel, Ian. (Tel.) Wie hiesige Blätter melden, sollen auf Befehl der Regierung heute alle italienischen Banken und bedeutenden Handelshäuser geschlossen werden. Italienische Maßnahme» gegen die ausländische Preis«. München, 8. Jan. (Priv.-Tel.) Der „Bayrische Kurier" ineldet aus Rom: Die italienische Regie rung löste das M a i l ä n d c r B u r e a u der „I u t a" auf und wies dessen Personal aus Italien au». — (Die „Iuta" ist ein internationales Depeschen bureau ultramontaucr Tendenz, das die katholischen Zeitungen Deutschlands, Oesterreich-Ungarns und der Schweiz mit Nachrichten versorgt. Die uatikansrcund liche Haltung dieses Bureaus, vielleicht auch seine ungeschminkte Darstellung der wirklichen Stimmung im italienischen Volke dürfte der Grund zu der ita lienischen Maßregelung sein. Die Red.) Seüetikliches van; Zentrum. Die neueste Nummer der „Südd. Monatshefte" veröffentlicht Briefe des römischen Korrespondenten der „Köln. Lolksztg." an seine Redaktion, die die Abhängigtcrr der deutschen Zcntrumspartei i n pol irischen Dingen von der römischen Kurie in äußerst bedenklichem Lichte erscheinen lassen. In -en Briesen, die als Geheimberichte bezeichne! werden und denen gegenüber sich die „51 ö l n. Volis ; t g." ausschweigr, ist u. a. folgendes zu lesen: „Man braucht nur den Leitartikel des heutigen „Ossccvatore Romano" zu lesen, um deutlich zu merten, wir der Wind weht. Dieser Artikel spricht ganz naiv die letzten politischen Grund gedanken der heutigen Kurie aus: keinerlei selbständige politische Be tätigung der Katholiken, sondern besinnungsloses S i chz u r o e r f ü g ung- st e l l c n , je nachdem von Fall zu Fall die kirchliche Autorität kommandiert!" Und an einer anderen Stelle heißt es: „Vor allem aber wäre nötig, daß häufiger und regelmäßiger autoritative oder wenigstens hoch angesehene Persönlichkeiten aus uns nahestehenden katholischen Kreisen Deutschlands: Parlamentarier, Gelehrte, Journalisten ujw. hierher kämen, um direkt mit den leitenden Stellen Fühlung zu nehmen und Mißverständnisse und dergleichen zu beseitigen. Sie wissen, das; wir nicht nur keine Freunde haben, sondern das; im Gegenteil einflußreiche Fak toren direkt gegen die „K. L." eifrig tätig sind. Wenn wir z. B. im gegenwärtigen Falle mit der „Correjpondance de Rome" offen den Mund austun würden, so wären urir alsbald im Vatikan unmöglich. Und dort müßen wir uns doch den Zu tritt offen erhalten. Freilich, wenn man mir zu sicherte, mich unter allen Umständen zu halten, wollte ich mich schon nicht scheuen, dic Dinge beim rechten Namen zu nennen. Da es aber keinen Zweck hat. sich nutzlos iir die Schanze zu schlagen, so ist cs jeden falls besser, wenn unabhängigere und respek tabler« Leute von draußen der Katze die Schelle umbinden. Bester wird es sicher nicht, bis man Len hiesigen Machthabern einmal rücksichtslos klar ge macht hat, was für die Kurie in Deutsch land auf dem spiele steht, wenn cs im bc- Das Diner. Von Alexander von Gleichrn-Rußwurm München. Weil das Gastrnayl, seit es König MeneS von Aegypten erfunden, stets den glanzenden Mittelpunkt der Geselligkeit bildet, ist ein Ans. und Niedergang der Tischgevräuche — auch der anscheinend unbe deutendsten — sehr charakteristisch für die Gesamt kultur. Sie Lot ihre Wirkung bis in die geringsten Einzelheiten. Wenn beim Gastmahl des DiniaS in Alben die gesamken Gäste in Applaus ansbrechen, weil -er »eck« ans Znckerivcrk einen wunderbar proportionierte!, Tempr! mit Figurenwerk erstehen ließ, erkennen wir den Anfang unseres raffinierten Sckn'libeitSd'.lrstes, der auch von den vergänglichsten Gebilden Vollkommenheit erfordert. Prunkscyüsscln und PrnnlöeGcr sind die lleannen der modernen Tafelaufsätze. Sic erscheinen bei den primitiven Ge lagen, von denen Homer erzählt, daß der Becher von Mund zn Mnnd ging, und deren strenge Tafel« ordnniig der Dichter prer't. Wie «5 heute in vielen sehr gut gehaltenen Hanseln, namentlich in England und Frankreich, Sitte ist, den Lunch auf glatt polierter Tafel ohne Tischtuch zu servieren, so aßen in der griechischen Glanzzeit A;vasia» Gäste an un gedeckten Tischen ans kostbarem Holz, deren Platte nach jedem Gang mit aromatischen Kräutern ge waschen und gereinigt wurde. Denn trotz ihrer hohen geistigen Kultur scheinen die Alten — wie aus manchem Lehrgedicht und mancher Satire hervor- geht die Grenzen Ihres Teller-?, gleich nn- erzogene;« .nin'oeeu, gern mißachtet zu Haden. Wenn dann im frohen .Kreis der Männer, der oft durch gebildete Hetären und in Rom durch heitere Knriisanen erweitert war, alt letzter Gang der gewürzte uns Iwnigversetzie Wein erschien, kam das vornehm philosophische Gespracl zu Recht, nach dessen stimmungsvoller Große sich mandiel im sprang- hasten Geplauder unserer Tage sehnt. Blicken wir au» die großen dastmayle der Juden, deren Ge bräuche d>c Bi el ans das genaueste schildert, jo taucht eine Eniichuldigungen, der Be ¬ leidigungen und de? Rangstreit!»? vor un- auf, die seltsam onklingt an da? Mißverhältnis »wischen ge selliger Freude und geselliger Prätention der Gegenwart. Die protzigen Feste zeitgen-fftfcher MiMardare und ihrer Klienten erinnern nicht schlecht an di« Berichte von gewisse» antiken Gelagen. Märck>enhaft ausgestattete Säle, kostbare Tische und glänzendes Takelgerat, da wie dort, Blmncnregeu nnd seltene Weine. -- aber die Gäste weniger fein als die Tc'iei Ter Nachdruck liegt mehr aus dem Teuer« und Teuersten als ans dein Schonen und Guten. Audi Flirt und Taselfreude wohnen seit alters zu sammen Bald nachdem der starre Bann brach, der die Dame in da» Frcnikngemach verbannte, gibt Ovid dru Schauen gut« Ratschläge über bas Be nehmen bei Tisch. Sie erinnern an die kleinen Feste voll heiterer Ausgelassenheit, wie sie Goethe im Kreis der jungen Frankfurter Freundinnen be schreibt, wie sie die goldene Jugend nach Art von Schnitzlers „Äöscküeds;onper" zu feien, liebt. Ovid bittet aber seine Schülerinnen „in der Kunst zu lieben" nur am Wein zu nippen, die Speisen nur anzutippen und ja nichts mit Hast und Hunger »um Mund zu führen. Doch der Jüngling darf feinen Finger in den Wein tauchen und mit dem roten «Last die Liebeserklärung auf den Tisch schreiben. Auch soll er zart die Hand der Angebeteten berühren, wenn sie die süße Frucht in der Obstschale wählt. Höflich war cs wohl immer, Leute zusammen cinzuladen, die sich sympathisch sind, als unum- stößlick«» Gebot seiner Sitte galt eS zur Minnezeit, die Damen mit ihren Anbetern zu bitten und bei Tisch nebeneinander zu setzen. Nur machte man die Sache ausfälliger, als es Yente wohl üblich ist, denn man gab dem Paar nur einen Teller und einen Becher, der Ritter fütterte mit liebevollen Worten und guten Bissen „da- n,innigliche Weib". Die Lieder und Pretiosen Gespräche mittelalterlickter Ro mane wecken leicht den Glauben an eine seine Kultur, und wir können uns kaum vorstellen, daß die Tisch- sitten am Königshof — abgesehen von d«c Menge der Speisen nnd der Pracht der Schüsseln — ungefähr denen gleiclscn, die heute in abgelegenem Bauernhof gebräuchlich sind. Sowohl der römische Kaiser deut- fcl-er Nation wie der König von Frankreich ließen heim Prnnkmahl Heu nnd Stroh unter die Tafel legen, wenn es kalt war und sie an den Füßen froren. Eine Sitte, die nun am Fürsienbof Ivie in. Privat stans verschwunden ist und nur manchmal als stifto- rifche Erinnerung be, einem Künstlcrfest oder beim Prunkmabl eines Rathauses erscheint, Ft die Ver wendung von Schaugericbtrn Doch als Kiiltursaltor sind s,e für unseren Tijch von höchster Bedeutung, denn in ihrer etwas barbarischen Pracht liegt der Beginn de? künstlerisch geschmackvollen und apvetit- lichen Anrichten? der Speisen. Als im 17. Jahr- hundert die Masse noch mehr al? die Güte und ftkln- beit der Gericht« wirkt«, baute ein „inaiti-c-el «k» — wie Madame de Sevign» erzählt — so kolossale Obstvnramihen, daß mau die Türen im Speiseiaal erhoben mußt«. Heute sind die Fruchischalkn oft so künstlerisch und harmonisch zusammengestellt, daß man sich schrut, etwa» au? dem Gebilde zu löset«, ehe e? bi« Hand be? Künstler- festgehalten In unseren verhältnismässig kleinen Räumen wäre die Harmonie eine» Diner- gestört, wenn ein ganzer Pfau mit auSgebreiletem Rad hereingetragen würbe, wie es Rembrandt gemalt hat. oder ein ganzer Schwan mit allen Febern, oder ein.- Pastete, der ein l.'bendiger Zwerg entsteigt. Seil im iK Jahrhundert d-erZn.lc Häcker Trauer. geichinackuoNe P7l.c en nud „Konick: . sonnen ersand, verzichten! inan ans bas Protzig- Große und Groteske, nm die Speisen mit dein Ge- schirr und den Taselaufsänen in Einklang zu bringen, die zierlich von den »err gegründeten Porzellan, fabriken geschaffen wurden. Das derbe Zinn, da einfache Fayenccgefchirr, ja manches schwere Silber- gerät machten beim glänzenden, modernen Fabrikat Platz, das bei der Tafelrunde Friedrichs des Großen in Sanssouci, bei den „petita äinsrs" der Enzyklopä- disten und beim „couvert äu roi" in Versailles feine historische Rolle begann. Daß es damals bei Tisch immer sehr fein zuging, müssen wir bezweifeln un Anblick der Kupferstiche HogarlhS, de» großen Sitten- schilderers. Da- trinkfrohe, in vielen Beziehungen noch recht gewöhnliche England zeigt sich in den Blättern dieses Satirikers. In die jetzigen fast über, feinen Tischsitten der schönen Insel hat sich nur eine charakteristisckn Gewohnheit jener Zeiten gerettet: Sobald die Tafel ausgehoben wird, ziehen sich die Damen zurück, und die Herren bleiben beim Wein sitzen. „To sit ovor täeir cups", lautete der alte Aus druck. Wenn in dem vollständig weißen, aber klug und künstlich rosa erleuchteten länglichen Lpeiscsaal des Grand Hotel in Rom um jedes Tischchen ein Kranz schöner Frauen vereinigt ist, und alle Sprachen der Welt durcheinander schwirren, wenn im Hotel Ritz zu Paris die großen Flügeltüren nach dem Garten sich öffnen an schwülem Frühlingsabend, und die Perlen und Brillanten dec Amerikanerinnen auf blitzen, wenn ihre Riesenhüte die kleinen blasierten Gesichter wunderbar umranden, tvenn im „Carlton" zu London der präziös elegante Speifesaal, von ichmeichelnder Musik durchflutet, sich austut wie der Prunksaal eines Fecnpalastes, wenn die Schönen nach englischer Sitte mit tiefem Ausschnitt und dia- man tonen Kronen oder Krönchen im Haar sich um die rosknbcdcckten, funkelnden Tische scharen, dann müßte man glauben, die Kunst des Gastgeb-rS habe ihr .Höchstes erreicht, hier sei sie vollkommen. Die Gasimähler in solchen glänzenden Hotels, wo Mil- lionäre zur Schau essen,' wie es früher Könige taten, haben den Vorteil, das; die Manieren durch Beispiel nnd geschickte Nachahmung bis auf einen gewissen Grad abgeschlisfen werden. Em Lichgebcnlasscn in bezug aus Essen und Trinken ist unmöglich geworden, nnd c? ist bekannt, daß durch gutes Beispiel von oben heule auch der gewöhnlichste Engländer in sauberem Anzug tadellos ißt und trinkt. Auch in Deutschland und Oesterreich verliert sich allmäylich die sogenannte Gemütlichkeit bei Tisch, daß hastige Zuareifen, da» Aufstützen 'der Ellbogen, da? Bor bindender Serviette unter dem Kinn. Da» allmäb- liche Verschwinden dieser letzteren Biedecaewohnhen unterstützt auch den Umschwung in der Mode, nach der die Servietten immer kleiner werden, in jüngster Zeit sogar durchbrochen, gestickt und spitzcnbcsetzt So nützlich aber nnd in vieler Hinsicht ersrcn'.ich die Einrichtung der großen Hotels für glänzende Tisck grseltigkeit ist, ihr Larin nnd das Skereotavc ihres Glanzes lassen doch den intimsten Reiz des feinen Gastmabls vermissen: attisches Salz, «prüden- der Grift und Witz gedeihen besser in intimer Ab geschlossenheit. ES gibt eine Reihe feiner Mensck>cn, die es verstellen, mit so zarter Herzlichkeit die Wirte zu spielen, deren Speisezimmer so diskret und wohl- erwogen eingerichtet ist, deren Gäste so gut zu- sammenstimmen, daß die Festesfreude an ihrem Tisch im Vergleich zu einstigen grobsinnlichen Gastereien wie die Sinfonie eines Meisters im Vergleich zu einer Jahrmarktsmusik erscheint. Das ko,nisck)e Nöti. gen zum Essen ist aus der Mode, manch« Zeremonie, mancljer Bückling tm Verschwurden begriffen. Wa da und dort im Menü oder Service gebräuchlich fft, wirkt anderswo bereit- possierlich. Doch waS nie und nimmer aus der Mode kommt, ist einfache Herz lichkeit, warmes Willkommen für jeden Gast, und die schönste, bleibende TisclMte besteh! darin, beim Essen harmlos froh zusammen zu sein. Thester uuü Mnlik. Leipzig, g. Januar. „Hedda Gabler" setzte gestern abend im Alten Theater nach längerer Pause die Reihe der Neu einstudierungen Ibsenscher Dramen fort. Leider bot die Aufführung kein völlig ausgeglichenes, har monisches Bild einer künstlerisch reifen und runden Leistung. Das verhinderte zunächst einmal die gewiß mit allem Bedacht gestaltete, aber wohl ein ganz llein wenig zu ärmlich und spießbürgerlich gehaltene Szene des sog. guten Zimmers in der mit teurem, geborgtem Gclde gekauften und für die Tochter Les Generals Gabler uusgcstattcten Villa -er Staats rätin. Da hinzu hätte man sich einen livrierten Diener und sogar ein Reitpferd auch wirklich nicht denken tönneu. Ein bißchen mehr Eleganz dürste die Regie künftig für das Heim der Tesmanns schon auswendcn! Auch das Spiel ging gestern nicht überall gut zusammen. Es lastete wohl die zu stark unterstrichene Solidität der Umgebung über dem Ganzen, in das sich — von diesem Gesichtspunkt aus — die gute Tante Zulle des Frl. Srhippang am bcstcn hineinsano. Auch Herrn Brügmann, der einen feinbeobr.chretcn Jörgen Tesmann zeichnete, muß uachgcrühmt werden, -as; jein Staatvitipendiar ein ganzer Kerl auf sicheren Füßen in dieser stillen Welt der Tanten war. Eingangs freilich erschien der wunderliche Mensch fast noch zu elegant. Die beste Ueberleitung aus dem Trivialen ins Reich des Extravaganten bildete di« treue, einfache Thea Clo- sted mit ihrem Schmerz, von Frau Monnard mit schlichten Linien unaufdringlich an den Rand des be wegten Gemäldes gemalt, und nächst ihr -er über legene Lebemann Assessor Brack, den Herr Zad eck diskret nnd doch scharf Umrissen lünstellte. Aus -er äußer»«» Linlen dann Cilcri Li-nb«!'«. der genialische Lump, ein WüstUng und Lüstling (Herr Feld- Hamm er). d«m seine Wildheit von einer reinen Frauen echter Liebe zerbrochen ward, so daß er, vom Geiste des Bösen noch einmal versucht, jämmerlich I enden muft. Uitd in d«r Mitte der böse Geist Hedda
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