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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.01.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120106010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912010601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912010601
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-06
-
Monat
1912-01
-
Jahr
1912
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Bezugt-Preiö sür Lrkpzia »nd V»,»rtt durch uukr» Trög«r und Eordtteur» r»»l tiHltck in» »au» gebracht *> V>. »»natU, LTV ML »irrtetiijbrl. Bet nnlrrn^tltalrn u. Sn- nahm»st«ü«n abgrh»U 7» M. «»natl, L»ML »t»rt«lIthrL Much »t« Pakt innerhalb Deutschland» und der deutschen Kolonien vterteljährl. ».« Ml^ monatl. lUiU Mk. au,schu Postdestellaeld. Perner in Belgien, Dänemark, den Donaunaaten, Italien. Uuiemdura. Niederlande Nor wegen, Oesterreich»Ungarn, Rus-land, Schweden Schwei, u Eoanten. 2n all«» übrigen Staaten nur direkt durch di» tbe>chült»itell« de» Blatte» erhältlich. Da» i.'«tp,i,«r Tagediatt «rlchetnr Lmal täglich. Sonn» «. ^eienag» nur morgen». Ldonnem«nr»-klnnohm» Sohan»«»,ass» S. d», unleren Trdgern. ütlialen. Spebtteureu und LunahmelleUen, >»w>« Postämtern und Briesträgern. S«»1«lo»rka»t»vr»t» l0 PL Nr. 10/11. ripzigerTaMM Handelszeitung ,. -u ... s i4«rr I«acht.,,chi>ch) -e!.-7inschl.E 14 «ss sissss Amtsölatt -es Aales und -es Nolizeiamtes -er Lla-t Leipzig. Tel.-Änschl.i i4«ss (14894 Sonnabenü, üen 6. u. Sonntag, üen 7. Januar 1Sl2. Lazeigen-Prei» Mr Schsorat» «»» e«t»«»« uud Umgebung di« lsPalttg, PetitZeli« LVs »», Aeklame. »oil, svll. »m« au»«ärt» »Pt, NeNameu U0 ML. Inserat» »on Behärden «m amt. Uch«, T«U »t» P»ttt»»tl» « P» Geschäft»««,«tgen nrtt Plagoorlchrtsren im Preis» »rhSht. Nadatt nach Tarik. Betlagegedlldr Gesamt, auslag» ) VN. p. Tausend »rkl. Postgebühr, leildeilag« hoaer. FesteNeilt, Aasträg» können nicht ,urück» »«»»»«» «oerbeir. Für da» Erscheinen an deftimmten Tagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. An,eigen»Annahme: S»ha»ai»g»Is« Sh bet sämtlichen Htltolen u. allen Annonren. Egpeditionen de» 2n» and Lu»iandr». Drnä uu» Verl«, »an Fisch«, ch kürst», Inhaber: V«»t klirfteu. Redavion »nd »«schäslistell«: 2otzannt»gass« L Ha»»t»Fillal» r»»»d»n: Gerftrah» < I (Teievhon «ÜLbb 106. Zslsrgsng. Unsere gestrig« Abendausgabe umfasst 8 Seiten, die vorliegend« Morgennummer 49 Seiten, zusammen 48 Seiten. Das Wichtigste. * Als Stichwahltermin für dieNeichs° tagswahlen im Königreich Sachsen ist endgültig der 20. Januar in Aussicht genommen. * Dem neuen Reichstag wird ein Gesetz entwurf über die Abänderung der Wehr* ordnung und voraussichtlich auch eine No velle zum Reichs- und Staat sangehö rig keitsge setz in der nächsten Session zu gehen. (S. Deutsches Reich S. 10.) * Der nationalliberale Reichstagskandidat Wiesacker ist auf einer Wahlsahrt schwer ver unglückt. (S. TageSchr. S. 11.) * Rußland plant erne Hygicne-Aus- stellung nach dem Muster der vorjährigen Dresdener. (S. K- u. W. S. 12.) * In der Republik Ekuador herrscht Anarchie. (S. Ausl. S. 11.) * Der Dresdener Ballon „H r l d e", Führer Kor n - Dresden, ist nach 10 stündiger Fahrt südlich von Chablino nahe dem Asow scheu Meere gelandet. * Bei Jena wurden vierspie lendeKin- der von cinstürzenden Erbmassen verschüttet und getötet. (S. Letzte Dep. S. 3.) Vie wichtigste innerpüMilche Möge. Es entspricht der Auffassung des Altmeisters der Geschichte Leopold v. Rante, die rnnere Po litik als eine Funktion der äußeren anzusehen. Der Deutsche ist im allgemeinen geneigt, anders zu denken. Die Arbeit am Staar und am eigenen Bolt, sei es mit vätcrliclser Fürsorge, sei cs als Herold irgendwelcher Ideale, sei es als Buß prediger, als Kritiker oder als „Revolutionär", liegt den meisten, die überhaupt Gemeinsinn haben, so sehr am Herzen, daß sie geneigt sind, auf die reine „brutale" Machtpolitik herabzu sehen. Und doch zeigt sich manchmal, daß sich das innerpolitijchc Streben zur äußeren Selbst behauptung verhält wie das versonnene Spielen der Kinder mit den Weihnachtssachen zu dem scharfen, wirtschaftlichen Kampf, den die Eltern draußen zu fechten haben, um sich zu behaupten und den Ihren den stillen Frieden der Kinder stube zu gewähren. Wir behaupten kühnlich: die Marokkofrage und die Stellung ü e r M ä ch t e z u D e u t s ch l a n d i st d i c w i ch- ligste innerpolitische Frage unserer Tage. Welche Bedeutung sie im Sommer und Herbst für die politischen Parteien gewonnen lM, ist bekannt. Fortgesetzt stellen die Zeitumstände an jeden einzelnen die Fragen: „Was dünket dich um Marokko? Was dünket dich um Eng land? Was dünket dich um Kiderlcn?" Ein Zeugnis von nationalliberaler Seite bestätigt diese Meinung. Ter Führer der badischen Natio nalliberalen, der Geheime Hofrat Rebmann, hat auf dem letzten nationalliberalen Parteitage mit Hinblick auf den Wahlkampf am Bodensee ausgesprochen, daß außer dem liberalen Gedan ken die Marokkofrage die Wähler in Bewegung gebracht habe. Er sagte nach dem parteiamt lichen Bericht: „Ich habe schon gestern erzählt, daß wir uns natürlich über die Reichsfinanzreform in allen Wahlkreisen geäußert und alle den Eindruck gewonnen haben, daß das unsere Wähler verhältnismäßig kalt gelassen hat, daß aber unsere Wähler lebendig geworden sind, wenn man ihnen erzählt hat von dem schweren Druck der Zentrums geistlich keit. Das hat sie lebeudig gemacht — und das andere: wenn man an ihr patriotisches Empfinden gerührt hat. Es hat kaum etwas einen nachhaltigeren, lebendigeren, tieferen Eindruck ge- macht als die Besprechung unserer Marokko, frage im guten nationalen Sinn. ... Man kann an dem Ablauf der Marokkofrage un endlich vieles auSsetzen. . . . Aber eins müssen Sie uns lassen: es ist zum Vorschein gekommen, daß in der tiefsten Tiefe unseres Volkes das patriotische Empfinden noch so wach ist wie vor 40 Jahren. (Lebhafte Zustimmung.) . . . Und allerorts haben wir daS erfahren, daß der feste Wille des deutschen Volkes, nötigenfalls auch mit dem letzten Mittel seine Ehre und seine Macht stellung zu wahren, bis in die kleinsten Dörfer unseres Landes hinein, gedrungen ist." Zur Beurteilung der Marokkoangelegenheit und des Auftretens Englands haben wir jetzt einiges Material. Namentlich Englands Politik Durch Verfügung der König!. Kreishauptmannschaft wurde un? unter Berufung auf die gesetzlichen Vorschriften untersagt, in der Nacht vom Hohneujahrstag zum Sonntag eine Ausgabe zu drucken. Sonntag, den 7. Januar, kann deshalb eine Nummer des Leipziger Tageblattes nicht erscheinen, die vorliegende Ausgabe hat demnach als AopPelNtlMMSr (für den 6. und 7. Januar) zu gelten. ist in zweifelsfreier Weise durch Eröffnungen der deutschen Regierung und der englischen klarge stellt und das Urteil darüber wird auch dem gewissenhaften Deutschen nicht schwer fallen. An ders ist es mit der Haltung der deutschen Regierung. Hier ist das Material nicht im ent ferntesten vollständig; wir sind weder über jeden Schritt der deutschen Regierung noch über die Haltung anderer Großmächte genügend unter richtet. Eine besonders nationale Gruppe frei lich ist der Ansicht, daß das Material ansrciche, und zwar ausreichc zur Verurteilung der Regierung. Vor den Schranken eines deut schen Gerichtes kann ein Verteidiger öffentlich lagen: diese Politik (der Regierung) müsse jeder nationale Mann als schmachvoll empfinden. Wir sind schon mehr als einmal die ser Darstellung entgegengetreten. Nicht als ob wir glaübten, die Hand dafür ins Feuer legen zu können, daß der letzte Teil des Marokkounternchinens von den deutschen Ttiats- männern mit Bismarckseher Kunst durchgeführt worden sei. Schon aus Mangel an Material können wir die sechs Monate diplomatischer Ar beit von Ende April bis Ende Oktober 1911 nicht mit einem gleichen Zeitabschnitt etwa aus dem Fahre 1863 oder 1865, über die wir leidlich unterrichtet sind, vergleichen. Wohlabcr reicht das vorhandene Marerial aus, um zu erkennen, daß die Vorschläge und Angriffe sehr stolzer Kri tiker, z. B. der Parlamentarier in der Reichs tagssitzung vom 9. November, nicht stichhaltig und nicht meisterhaft waren. Das Material reicht auch aus, um schwere Bedenken gegen die kritischen Gaben und die positiven Fälligkeiten mancher alldeutscher Politiker zu begründen. Das Material in letzterer Hinsicht ist zwar auch nicht vollständig; der Oeffentlichkeit ist der Inhalt der Unterredung nicht bekannt, die nach den Aussagen des Redakteurs der Berliner „Post", Müller, der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes, Rechtsanwalt Claß in Berlin, und in einem Wcinhause in Ntannheim (?) mit dem Staatssekretär v. Kiderlen-Wächter hatte. Die Oeffentlichkeit ist darauf angewiesen, das öffentliche Verhalten der alldeutschen Kri tiker zu beurteilen. Das genügt aber. Es wäre besser, wenn auch die Kritiker sich an das öffent liche, amtliche und halbamtliche Handeln der deut schen Regierung gehalten hätten. Sic hätten dann am 3. Jul: aus der amtlichen, von der „Norddcutsck)en Allgemeinen Zeitung" veröffent lichten Mitteilung an die Mächte erfahren, daß der „Panther", sobald Ruhe und Ordnung in Ma rokko wicdergekehrt sei, den Hafen von Agadir verlassen solle, sie hätten am gleichen Tage durch eine vom Wolffschen Bureau verbreitete Meldung der „Kölnischen Zeitung" erfahren, daß eine Besetzung des Hinterlandes von Agadir nicht geplant sei, und daß es sich bei dem Schritte der deutschen Regierung vielmehr um Vorsichtsmaßregeln, nicht um einen Akt der Besitzergreifung handle. Es war dann weiter für den, der sehen wollte, bis Anfang August er kenntlich, daß die deutsche Regierung auf eine Kompensation im französischen Kongogebiete los steuere. Es stand selbstverständlich jedem deut schen Politiker frei, in jeder Phase des Unterneh mens eine andere Meinung zu haben wie die Regierung, und diese seine Meinung, wenn er es für gut hielt, öffentlich zu vertreten. Es war keinem benommen, falls er auf vertraulichem Wege von der angeblichen inoffiziellen Absicht der Regierung, Westmarokko zu erwerben, erfuhr, schlauer zu fern und die Ansicht zu vertreten, daß dies bei der gegenwärtigen Mächtegruppierung nicht zu erreichen sei. Ebenso konnte man um gekehrt die offiziell ausgesprochene Absicht, keine Besitzergreifung vorzunehmen, bekämpfen. Und diese seine Ansicht konnte man durchhalten und man kann sie, wenn man sie nach den Eröffnungen in den beteiligten Parlamenten immer noch für richtig hält, auch heute vertreten. Nur halte man sich an sachliche Ziele und an öffentliche Handlungen und verschone uns mit „Enthüllungen" aus privaten Unterredungen und Telephongejprächen. Abgesehen von allem an deren sind Zweifel in das Gedächtnis und in das kritische Vermögen derer, die an den pri vaten Gesprächen terlnahmen, erlaubt. Sv hat Vas lwlMlche Zshr ln Frankreich. (Bon unserem Pariser Mitarbeiter.) Die äußere Politik stand durchaus unter dem Zeick^n der großen „Liquidatio n". Die Feh ler von 1904 mußten wieder gutgemacht weroen. Weder Frankreich noch Deutschland wollten we gen Marokko den Krieg. Da aber einerseits die nach dem Bericht der „Post" über das Prozeßver fahren vor dem Berliner Amtsgericht der Redak teur der „Post" Müller ausgesagt: Am Tage von Agadir „rief Herr Legal ionsrat Heilbron die politische Redaktion der „Post" au und bat den damaligen verantwortlichen Redakteur Herrn Dr. Lufft, immer wieder darauf hinzuweisen, daß Südwestmarokko für das Deutsche Rcrch als Siedlungsgebiet durchaus notwendig sei." Wir haben die Ausgabe der „Post", die nach der Landung in Agadir erschien, durchsucht, sind auf einen Artikel gestoßen, von dem es glaubhaft ist, daß er durch das Telephongespräch beeinflußt sei, es steht aber kein Wort von der Not wendigkeit des Siedlungsgebietes darin. Das ist recht merkwürdig. Es ist im Verein mit anderen Tatsachen sehr wohl geeignet, glaub- baft zu machen, daß auf feiten des Kritikers Menschlichkeiten unterlaufen. Diese festzustellen wäre nicht so wichtig, wenn nicht die Gruppe der Kritiker Anspruch erhöbe, mit lauterster Wahrheit auf den Lippen gegen die Mächte der Lüge anzukämpfen. Wir wissen uns in vielen Dingen mit den Alldeutschen eins, namentlich in der Bekämpfung der Frcmdendünkelei und der Charakterlosigkeit in völkischen Dingen, die den Deutschen schändet. Aber das fortwährende, die Aufmerksamkeit von Gegenwart und Zukunft ab lenkende Herumstochern in der Vergangenheit ist nicht zu billigen. Es wird sicherlich auch nicht von sämtlichen Alldeutschen gebilligt. Man soll die Lehren aus dem Vergangenen ziehen, um Iw aus Die Gegenwart anzuwenden. Mit 'tück- wärts gewendetem Gesicht kann man nicht vor wärts marschieren. Das aber will das deutsche Volk. 4t Die Richtigkeit des Vorstehenden wird in geradezu schlagender Weise durch einen Bries des früheren Redakteurs der „Post", Dr. Lusst, auf den sich der gegenwärtige verantwortliche Redakteur der „Post" in der Gerichtsverhandlung als Gewährsmann bezog, erwiesen. Die „Nordd. Allg. Ztg." veröffentlicht in ihrer gestrigen Aus gab folgende Zuschrift Luffts: „In der Wiedergabe angeblicher Aeußerungen des Herrn Legationsrats Heübron über die Ziele der deutschen Politik in Marokko liegen von der beklagten Seite (Redakteur Müller) offenbar Ver wechslungen vor. Bon mir wurde über Gespräche nie etwas gesagt, was auch nur ein Mißverständnis in der Richtung der ge tanen Aeußerung begründen könnte. Die An gaben sind in allen Hauptsachen un richtig. Leider hat die beklagte Partei es unter- lassen, micb von ihrer Absicht, die angeblicl)en Gespräche zu veröffentlichen, zu unterrichten. Jcb würde auck in dem Falle von der Veröffentlichung vertraulicher und persönlicher Aeußerungen außer- ordentlicb peinlich berührt gewesen sein, wenn die Angaben richtig wären, was aber, wie ich nochmals betone, durchaus nicht der Fall ist. Dr. Hermann Lufft. Berlin, 4. Januar 1912." — In einem neuerlichen Schreiben an die „Deutsche Tageszeitung" hält Herr Dr. Lufft die vorstehende Darstellung, die gestern von Herrn Re dakteur Müller von der „Post" bestritten wurde, auch fernerhin aufrecht. Wenn Dr. Lufft das Gefühl hat, daß die Ver öffentlichung persönlicher Unterhaltungen nicht dem guten Brauche entspreche, ist ihm durchaus zuzustimmen. Bisher ist von eifrigen Vertretern der Journalistcn-Standesehre sogar als Ehren pflicht hingestellt worden, das Redaktionsgeheim- nis bis zur Zeugnisverweigerung bei gericht lichen Untersuchung durchzuführen. In merk würdigem Widerspruch dazu würde es stehen, wenn die Journalisten sich jetzt dazu drängten, über innere Redaktionsangelegenheiten Aussagen zu machen. Ereignisse im Sultanat die Franzosen zum Vor rücken auf Fez „zwangen" und anderseits die deutsche Diplomatie ihr Veto nur aufgeben durfte, wenn sie vor der Weltgeschichte diesen Rückzug mit einer greifbaren „Kompensation" erklären konnte, kam es nach dem voranszusehen- den Bankerott der wirtschaftlichen Entschädi gungspolitik zu den neuen Verhandlungen über den Kongo. Zur Nachgiebigkeit des Quai d'Orsay mochte die leichte Lockerung des Zwcibunds bei betragen haben, die sich bei der Potsdamer Zu sammenkunft fühlbar machte. Noch Ende Fe bruar fuhr der „Temps" großes Geschütz gegen die russische Diplomatie auf, was bekundete, daß die Allianz in das Stadium der Verdächtigungen geraten war. Der englischen Diplomatie wurde vorgeworfen, daß sie in Konstantinopel der sran- zösijchcn nicht den nötigen Beistand gegen die deutschen „Umtriebe" geleistet habe. Dazu gab Herr Pichon in der Kammer Erklärungen über die geplante Befestigung von Vlissingen ab, die in Holland etlvas verstimmten. Seit den Tagen von Algeciras schien die internationale Begeiste rung für die Republik wirklich etwas abgeslaur zu haben, zumal Spanien in Marokko seine Mnflußzone ohne die vorherige Zustimmung der Franzosen zu besetzen trachtete. Herr Pichon, der mit viel Klugheit für die langsame Fort führung der „friedlichen Durchdringung" inr Sultanat eintrat, wurde das Ziel he;tiger An griffe von feiten enttäuschter Geschüstspvlitiker, der Auslandsredakteur des großmächtigen „Temps", Tardieu, der als Sachwalter der N'Goko-Sangha-Gesellschaft eine große Staats entschädigung wegen der Uebergriffe deutscher und englischer Faktoreien verlangte, mar über den Widerstand des Ministers Pichon so erbost, daß dieser beim Sturz BriandS auf die Fort dauer seines Amts verzichtete. Cruppi, der bis dahin nur Fähigkeiten als radikaler Parteikulissenmann bekundet hatte, hörte am Quai d'Orsay nicht auf die brem senden Ratgeber; der Aufstand rings um Fez, die Besorgnis, die um die französischen Militär instruktoren beherrschte und der Druck der Kolo nialleute veranlaßten die Organisation eines neuen Feldzugs, für den bald vor Rabat und am Muluyafiuß 40 000 Mann bereitstanden. Fez wurde am 20. Mar „entsetz t", der Kapi- talstreich gegen die von Deutschland in Algeciras geforderte „Jnternationaliscuion" war gelungen, ^chon wenige Tage später traf in Paris Mulay Hafids Gesuch um das französische Protektorat ein. Herr Cruppi befand sich so voll ständig in den Händen der militaristischen Partei, daß er nahezu die diplomatisct)en Begebungen mit Spanien in diesem kritischen Augenblick ccb- Lubrechen wagte. Ganz in den letzten Tagen der Existenz des Kabinetts Monis kam aus K i s - singen Eambons Meldung, daß Herr v. Kider len-Wächter Landlompensationen „anderswo" als in Marokko suggeriert habe. Caillaux stellte Cruppi mit der Vizeprüsidentschast seines Kabi netts kalt und berief den Präfekten des Seine- Departements, de Selves, der wegen seiner Allüren im Ruf eines bedeutenden Diplomaten stand. Gerade packte Herr de Selves seine Koffer für die Präsidentenreise nach dem Haag, als am 2. Juli Herr v. Schön die unerwartete Mel dung brachte: die Nachricht, daß ein deutsches Kanonenboot im „geschlossenen" Hafen von Agadir lag, wirkte wie ein Donnerichlag. Tic „miserablen Hidalgos" wurden plötzlich wieder die „lieben spanischen Freunde" und als der französische Konsul Boisset am 15. Juli in Elksar verhaftet wurde, naym man das rn Paris gelassen aus. Ueber die Vorgänge während des Monats Juli, während dessen sich England kriege rischer wie Frankreich zeigte, wird der Historiker noch mancherlei Enthüllungen abwarren müssen Eines steht fest: daß es für die Friedensfreunde ein Glück war, an der Spitze der französischen Regierung einen kühlen Geschäftsmann vom Schlage Caillaux' zu wissen, der „nicht der Totengräber der Republik werden wollte". Die verschiedenen Hcurptmomentc der Krise, die wechselnde beruhigende und angstvolle Stim mung, die Vorschläge und Gegenvorschläge, das Drohen, Zögern und Nachgeben auf beiden Seiten, bis zum Abschluß des Vertrags — die böse Sommers- und Herbstzeit ist noch in aller Erinnerung. Der Unzufriedenheit weiter Kreise in Deutschland über die geringe Bedeutung der „Fühlhörner" und den Verlust des „Enten schnabels" steht der französische Spektakel über die Zerstörung der Kongokolonie gegen über. Vielleicht wird es Februar werden, eye der Senat das Mkommen votiert, und nichts vernmg das Kabinett Caillaux zu retten, das ans die Gerechtigkeit der Zukunft warten muß. Die internationale Lage der Republik ist alles in allem beim Jahresbeginn besser als 1911. England hält nach wie vor fest zu Frank reich, wenn sich auch in London Acrger über die Ignoranz der französischen Diplomatie be merken läßt. Italien ist mit dem ihm gespendeten Tripolis beschäftigt und Rußland ist mit Milliardenketten festgelegt. Da das große Streit objekt Marokko verschwunden ist, dürften sich die Beziehungen mitDeutscbland auch besser gestalten, wenn die ruheliebenden Franzo sen den nationalistischen Hetzern da- Handwerk legen werden. Es sind dieselben Leute, die dem Ooerstleutnant Henry den Ehrcnsäbel stifteten.
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