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8. Vellage. Sonntag. 4. Februar !912. r-eipzlger L>sgeman. Nr. 63. 106. Jahrgang. Alüe »heineck. 29j Roman von Hanna Aschenbach. „Geben Ti« her, ich übernehme die Verant wortung", fuhr er den Voten an und streckte ge bieterisch die Rechte aus. Da, mit ein paar lautlosen Schritten, war Frau Thea hinter ihm, riß die Depesche, die der Brief träger zögernd in der Hand hielt, an sich, und war im nächsten Augenblick wieder im Schutze ihres Zimmers angelangt. Der Assessor bebte vor Zorn. Mit oller Kraft seines starken Willens zwang er sich zur äußerlichen Ruhe. Vor allem schloß er die Flurtür vor dem ver dutzten Postmenschen. Dann überlegte er. Mit Ge walt war im Augenblick nichts zu erreichen, wenn er den Dienstboten kein Schauspiel geben wollrc. Gut, er räumte das Feld. Aber büßen sollte sie »hm diese Niederlage seiner eheherrlichcn Autorität. Die Depesche machte ihm keine Sorge. Natürlich kam sie von der Schwiegermutter, ein Antworttclcgramm, da Thea sein Eintreffen erwartet hatte. Er lächelte ingrimmig. Der wcltklugen Regierungsrätin konnte er die Angelegenheit ruhig überlassen. Sie würde einen Skandal — den einzigen Ausgang, dön er fürchtete — zu verhindern wissen. Er speiste zu Mittag, erklärte das Fehlen seiner Frau mit Unwohlsein und entschloß sich danach, mit dem Weg zum Amt einen Spaziergang zu verbinden und gleich aufzubrcchcn. Er war wieder ganz ruhig. Rache schmeckt am süßesten kalt genossen. Er würde zuletzt doch Sieger bleiben. Thea lag unterdessen völlig niedergcschmcttert auf ihrem Ruhebett. Die Enttäuschung war zu groß und unvermittelt gewesen. Zu einem Knäuel geballt, lag das Telegramm auf dem Teppich. „Frau Regicrungsrat in Mailand an Rheuma erkrankt, Rückkehr unbestimmt", hatte die Haus hälterin gemeldet. Die junge Frau war außer sich. In der sicheren Voraussetzung, sich in wenigen Stunden in die schützenden Mutrerarme flüchten zu können, hatte sie dem Gatten unerhörten Trotz geboten. Nun fürchtete sie seinen Zorn. Sie wußte, er würde schrecklich sein. Angstvoll lauschte sie auf seine Tritte. Endlich verließ er das Haus. Sie erhob sich mühsam. Der Voden schien unter ihr zu schwanken, sie mußte nach einer Stütze greifen. Aber jetzt gab es keine Schwäche, durfte keine geben. Sie zermarterte ihr pochendes Hirn um e'nsn Aus weg. Nur das eine war ihr klar: sie wollte fort. Martha war verreist. An Hilde wagte sie sich nicht zu wenden, die würde raten: Trage, was du dir selbst auferlegt hast, krieche zu Kreuze. Und das tat sie nicht Sie wollte fort, ganz fort von Lein Tyrannen, der sie doch nicht liebte, dem nichts recht war an ihr. Andere wußten sie besser zu schätzen. Ein paar Mi nuten überlegte sie noch, dann, mit einem trotzigen Aufwerfen des blonden Hauptes, ging sie zum Schreibtisch und roarf in fiebernder Hast ein paar Zeilen auf einen Briefbogen. Plötzlich kam ihr eine Besorgnis. Sie sah nach der Uhr. stand auf und trat vor den Spiegel. Der zeigte ihr ein noch arg verweintes Gesicht. Mit einem Seufzer der Ungeduld kehrte sie an den Schreibtisch zurück, strich das Geschriebene aus und warf dafür ein paar neue Zeilen hin. Dann ergriff sie einen anderen Bogen und schrieb den zweiten Ent wurf ab. Sie versah den Brief mit Umschlag und Aufschrift. Den ersten Bogen riß sie in Stücke und warf sie in den Papierkorb. Sie klingelte. Das Stubenmädchen erschien mit runden Neugieraugen. Als es das Zimmer und gleich darauf das Haus, den Brief in der Hand, verließ, waren di« Augen noch runder geworden und jede Miene des kecken Gesichtchens ein Fragezeichen. Im Antlitz der jungen Frau, die ihr vom Fenster aus nachsah, stritten Trotz, Schadenfreude und Angst. Einmal macht« sie eine jähe Bewegung, als wollte sie Las Mädchen zurückrufen, dann warf sie das Haupt in den Nacken: Nein, es blieb dabei. Sie besann sich einen Augenblick, die Hände an die hämmernden Schläfen gepreßt, was nun geschehen mußte. Wenn nur der rasende Kopfschmerz nicht gewesen wär«: sie vermochte keinen Gedanken aus zudenken, immer schoben sich neue wirre Vorstellun gen dazwischen. Ein paar unentbehrliche Gebrauchs gegenstände mußten in die kleine Handtasche gepackt werden. Und die Augen, die wie höllisches Feuer brannten, wollte sie mit Wasser kühlen. Eine gute Stuirde blieb ihr noch Zeit. Während sie von häufigen körperlichen Schwächezuständcn unterbrochen ihr« Vorbereitungen traf, kam ihr eine Befürchtung. Sie entnahm dem Papierkorb Len zerrissenen Brief entwurf, und da im Ofen kein Feuer brannte, barg sie die Papierschnitzel in ihrer Mappe und schloß diese in den Schreibtisch. Den Schlüssel steckte sie in die Tasche. Gegen die dritte Stunde, wie sie es sich vorge nommen, verließ Thea Winterfeld das Haus ihres Gatten. Sie trug einen dunklen Reifemantel und ebensolchen Schleierhut. Die Haut ihres schönen Antlitzes blühte klar und rosig wie sonst. Aber in den blauen Augen war ein fremdes Flimmern und Glühen, und oft lief ein Schauer durch die weichen Glieder. Aber tapfer überwand sie jede Schwäche anwandlung. Angst, Trotz und das Verlangen ihres darbenden Herzens nach Zärtlichkeit und Verständnis trieben sie vorwärts. * * * Doktor Neubaur schellte kräftig an der Rheincck- schen Villa. Das Stubenmädchen Lisette öffnete mit vorwurfsvoller Miene und einem schnippischen Wort auf den Lippen für Len, der es wagte, um diese, von jedem Nefthausener respektierte Stunde des Mittags schläfchens der gnädigen Frau den Frieden der Villa zu stören. Ihr" Gesicht klärte sich jedoch sofort auf, als sie den Besucher erkannte. Sie hegte eine große Vorliebe für den jungen Doktor, der sich nach dem Lrandunglück bei jeder Begegnung auf das liebens würdigste nach ihrer Gesundheit erkundigt hatte. Deshalb brachte sie es auch nicht über das Herz, ihn, der ungestüm das gnädige Fräulein zu sprechen be gehrte, bestimmt abzuwciscn, wie cs ihr für jeden Be such streng befohlen war. „Fräulein von Rhcincck hütet Las Zimmer, Herr Doktor, sie hat sich heute nach Tisch sogar nieder gelegt, sie ist erkältet," berichtete sie zögernd und mit dem Wunsche kämpfend, den „netten Doktor" doch zu melden. Vielleicht Laß ihre jung« Herrin, die ja oft das Gegenteil von dem zu tun beliebte, was man von ihr erwartete, auch in diesem Falle eine günstige Entscheidung traf. Doktor Neubaur erschrak sichtlich über die ihm gemachte Eröffnung. Das Kammerkätzchen beob achtete ihn scharf. Sollte der sich auch in ihre Herrin verliebt haben? Nein, das hätte sie sicher längst gemerkt. Er war ja wiederholt in die Villa ge kommen zu den französischen Abenden, die jetzt nach Martha Wielands Abreise in die Residenz eine längere Unterbrechung erlitten. Und immer war er sich gleich geblieben in seiner stillen, schlicht liebens würdigen Weise. Was er nur heute hatte! Er schien tief erregt, und in seinen Augen, die heute starr ins Weite blickten, stano die Helle Angst. Er schien ihre, Lisettes, Gegenwart ganz vergeßen zu Haden, auch daß sie noch immer di« Haustür für ihn offen hielt. Sie räusperte sich leicht. Da fuhr er zusammen. „Das ist ja furchtbar bedauerlich — zumal — Er stockte. Nach kurzem Besinnen fuhr er fort: „Trotzdem, bitte, melden Sie Fräulein von Rheineck, daß ich in einer unaufschiebbaren Angelegenheit hier sei, di« ich nur ihr persönlich oortragen könne. Wenn es ihr ganz unmöglich sei, mich zu empfangen, möge sie mir gestatten, hier ein paar Zeilen für sie aus zuschreiben." Lisette knickste. „Ich will es dem gnädigen Fräulein eindring lich vorstellen," versicherte sie wichtig, und mit einem drolligen Anflug schalkhafter Zutraulichkeit fügte sie flüsternd hinzu: „Treten Sie, bitte, hier ins Speise zimmer, Herr Doktor. Die gnädige Frau ruht im Wohnzimmer und La steht, glaube ich, die Tür zum Salon offen." Hilde fuhr aus unruhigem Halbschlummer. als Lisette ihr die Botschaft brachte. Die ersten Worte, die den Namen nannten, erfaßten ihre traum befangenen Sinne noch gar nicht. Erst allmählich wurde ihr klar, was man von ihr wollte. „Der Herr Doktor bittet gar so dringens, gnä' Fräulein, es sei etwas ganz Wichtiges, sonst würde Herr Doktor gnä' Fräulein gewiß nicht belästigen," schloß Lisette ihre eindringliche Fürsprache. In Hildes Innerem tobte ein unbeschreiblicher Aufruhr. Sie wurde rot und blaß und wußte nicht, was denken, noch tun. „Aber ich begreife nicht, sollte meine Mutter —" stammelte sie endlich, „wie kann Herr Doktor Erd mann willen —" Die Zofe sah erstaunt in das verwirrte Antlitz ihrer sonst so selbstsicheren Dame. „Verzeihung, anä' Fräulein, aber es ist gar nicht Herr Doktor Erdmann: Herr Doktor Neubaur bittet um eine Unterredung." Hils« sank in die Kissen zurück. War es Er leichterung, war es Enttäuschung, was sie empfand? Sie hätte es kaum zu sagen gewußt. Oder doch, ja, es war Erleichterung. Seit jener Ertenntnisstunds in gärender Vorfrühlingsnacht wußte sie, daß eine Begegnung mit Karl Erdmann kommen mußte, die ihrem Leben seine endgültige Prägung geben würde. Sie hatte in diesen Tagen der selbslaukerlegtea Muße nichts anderes getan, als sich dieser Stunde Bild zu formen. Sie ahnte, daß ihr Herz einen Kanossa gang würde tun müssen und ihr war, als würde ihr Ser leichter werden unter Gottes freiem Himmel in schweigender Waldeinsamkeit wie damals, als ein innerer Zwang sie getrieben, dem fremden Manne ihre kühnen Lebcnspläne zu enthüllen. Sic hatte sich in die Voraussetzung einer Waldbcgegnung so hineingelebt, daß sie sich der ängstlichen Mutter Vor schlag, Doktor Erdmann d"r Erkältung wegen zu be fragen, entschieden widersetzte. Was konnte Doktor Neubaur von ihr wollen — sein Freund? Wieser schoß ihr die Helle Glut in die Wangen. Gewiß, sie würde ihn empfangen. Claus Neubaur stellte ein solches Ansinnen nicht ohne triftigen Grund. Nach knapp zehn Minuten durfte Lisette ihrem Schützling freudestrahlend melden, daß ihre Herrin bereit sei, ihn zu sehen. Tie trippelte dem Doktor voran die Treppe hinauf uns öffnete einen neben Len Schlafzimmern gelegenen behaglich ausgestatteten Raum. Derselbe galt als Toilettezimmer und wurde bei Erkrankungen als Wohnzimmer benutzt. Im Kamin flackerte ein leichtes Feuer und warf zitternde Reflexe auf Hildes erwartungsvolles Gesicht. Sie schmiegte sich in einen tiefen Lehnsessel, ein rotes Morgenklciü floß in weichen Falten an ihr nieder: unter der dunklen, lose aufgesteckten Haar krone leuchteten ihre Augen sternenhell aus dem blaßen Anrlitz. Sie sah so wunderschön aus, daß es selbst der gefeite Claus Neubaur noch dazu in diesem Augenblick der Angst und Sorge bemerkte. Er ge dachte unwillkürlich des Freundes, der dies Mädchen liebte, anscheinend hosfnungslos liebte, und ein schwerer Seufzer ob all dem Unheil, das Frauen schönheit stiftet, enrrang sich seiner Brust. In der nächsten Sekunde hatte er alle ablcnlenden Gedanken abgcfchüttclt. Mir ilaren, ruhigen Worten sagte er Hilde, was ihn herführte. Sic war tief erschrocken. ..Ich gehe mit Ihnen. Sagen Sie lein Wort dagegen — was sein muß, das gehl auch. Ich bin ja nicht krank. Eine Erkältung, weiter nichts. Meiner ängstlichen Mutter zulicb habe ich mich dahcimgebalten — und weil einem manchmal solch eine Gelegenheit zur Sclüsieinkehr ganz willkommen ist." Sie brach errötend ab und erhob sich. „Ich Komme mir Ihnen, verzeihen Sie, bitte, «inen Augenblick." Er betrachtete sie prüfend. Sie sah in der Tat nicht krank aus, ein b'ßchen blaß, das machte wohl die Stubcnl'.'ft. Viel Farbe hotte sie ja nie. „Wenn Marrbe Wieland hier wäre, würde ich Sie nicht belästigen, Fräulein von Rhcincck. Ich glaube aber auch, daß der kurze Spaziergang Ihnen r'' 't 'öden wird", sagte er zögernd. .b habe Sie zwar vorhin heftig husten hören, doch sitzt die Sache anscheinend nicht tief." „Nein, nein, Herr Doktor", Hilde trat ihm ganz nahe und dämpfte ihre klingende Stimme, „um Ihnen jede Sorge zu rauben, will ich beichten: Ich hab: mich ein biß^cn verhätscheln lassen — ich — ich wollte nickll ausgebcn — nun, aus irgend einem Grund — nehmen Sie an. ich wollte mir wegen etwas klar werden, und da gaben das bißchen Hinten und Mamas Angsi den besten Vorwand." Sie richtete sich auf und reckte die schönen Arme wie in erwachendem Kraftgefühl. „Es ist eine Schande, so faul zu sein. Ich fühle mich ganz entnervt. Gut, daß Sie mich ausrütteln. Ich kleide mich schnell um." Sie trat in die Tür des Nebenzimmers und gab der Zofe eine Anweisung. „Ach nein, das englische Kleid ist ja warm genug, oder doch, meinetwegen auch die Pclzjackc", und zu ihrem Gast zurückgewandt: „Man muß der mütterlichen Aeugstlichkeit Zugeständnisse mack cn. Also cntschuldiacn Sie mich fünf Minuten, ich beeile mich sehr. Wir müssen trachten fortzu kommen, ehe Mama erwacht, denn sie erhöbe sicher Einspruch." „Allerdings tut sie das", klang es da von der Flurtür, und Frau von Rheinecks imposante Gestalt erschien aus der Schwelle. Die Dame war tief erregt und vermochte ihre Empörung kaum soweit niederzuringen, als es der unerwartete Anblick des Gastes ihr auserlegte. (Fortsetzung in der Morgenausgabe^ ^ntansf ^pril ä. «I. weräen sich In meinem KesehättLbetried grössere ^enäerunsfsn voilrieken, äie eine Ksumung einrelnei* Leslsnrle meines Ws^vnloge^s wünschenswert macken vm sperisil kaum ru gewinnen tue sekr grosse, noch unterwegs betinälieke 8snäun^en orientalischer leppieke, äis ick persönlich wäkrsnä äer ietrten krieZsunruken in kersien unä im Kaukasus ^esamm^lt habe, steile ick mein §ssamtss ZstriZes I^a§sr onientslisoken ^kppioke, Vor'KZngs, Ltzivkeneren, Ksmsi- tosvken ru gsnr sussengvsssökniivk enmnssigtvn weisen in äer 2eit vom 1.-15. kedruar rum Ausverkauf. vis krmäss!§un§ auf äie Mri§en kreise erfolst ohne Rücksicht aut äie eigenen kinkaukspreiss unä beträgt in keinem kaiie weniger als SO krorsnt, viekaek aber 33*/, krorsnt unä claiüb?r. vis früheren unä äis Mrixen Verkaufspreise sinä aut äem Ltikett Hcäss einreinen 8tückes ersichtlich. Lin leii ävr rum Ausverkauf bestimmten OrLsnt-Ieppioks eto. AsiavZt vom 1. kebruar an in meinen 8ekau- kenstvrv rur ^usste1iuo§. äuk sämtliche nickt bssonäers ermässigten ^Varen in »Ikon Abteilungen meines l-a§srs xewährs ick in äsr 2sit vom I. bis IS. kebnuon einen Ißsvklss» von IO pnorent gegen Ssnroklung. Wiikelm »öpvr Neubau äer Vresänvr Lank. 6O6^Il68^I?Ä886 3 —5 Neubau äer vresäner Lank.