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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.01.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120130020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912013002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912013002
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-30
-
Monat
1912-01
-
Jahr
1912
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Anzeigen Preis fllr Inserat« au» t!,tp,ta »nd U«,,d»»g dt« llpalttg, Petttreil» LPf^dteNeNam»» »etl, l Mt. von «»»wärt» M Pf. Neklame» Mk. Inserat« von «edörden t» aott- liche» Teil dt, Petttteil. » «» Seschäftoanieigen mit Plaguorschrifte» im Prets« «rdädt. Slabatt »ach Tart«. Beilaaeaediidr «besamt, auflag« L llxk. o Tau>«nd »rkl Postgebiltzr. Teildetlag« däaer. FekerteNt« Busträg, kännen aicht tvrück- aetogen «erden. Für da» Srschetne» a» bestimmtei» Tagen und Blä»en wird ket»« Sarantte Sd«rn»mm«n. >n»«tg»»->nnadm«: 2»tz»»»t»««ß, 8, bet sämtlichen Ftltalen ». allen Annonr»», Erpedtttonen d«» 2» «nd No»land»». los. Ishrgsng Druck und veela« »»» Fischer ck Alrfte» 2nhad«,^ P«»l Rärste». Nebavt«« und »«IchIIt»it«llor 2«hannt»gass« 8. Lau»« - Ftltal« Dreideu: Seeftratz, ch 1 lTelepho» ävU Der zweite Tag des Königsbesuches in unserer Stadt begann heute vormittag mit der Besichtigung der Klavierinstrumentenfabrik Ludwig Hupseld, Aktiengesellschaft, in BöhUtz-Ehrenberg. Vorher hatte von Uhr an das Musikkorps des 8. Kgl. Sachs. Infanterie-Regiments „Prinz Johann Georg" Nr. 107 vor dem Kgl. Palais eine Morgenmusik dar gebracht. Lei üer Luüwlg Lupfrlü gktlengeleUlchstt. Pünktlich A10 Uhr vormittags traf Se. Majestär in der Fabrik ein. begleitet von den Herren Staats minister Graf Vitzthum von Eckstädt und Dr. Beck, Eeneraladjutant von Müller, Oberstallmeister von Haugk, Hofmarschall von Metzsch, Major von Könne ritz, Kreishauptmann von Burgsdorff, Amtshaupt mann Kammerherr von Nostitz-Wallwitz, Ober bürgermeister Dr. Dittrich und Polizeidirektor Dr. Wagler. Bei der Anfahrt des Königs hatten der Gemeinde rat von Böhlitz-Ehrenberg, ebenso der Militärverein und die Freiwillige Feuerwehr Aufstellung ge nommen. Der König zeichnete jeden einzelnen Vete ranen durch eine Ansprache aus. An dem mit dem König!. Sächsischen Wappen, Emblemen, Fahnen und Tannengrün geschmückten Portal wurde Se. Majestät durch die Herren des Vorstandes, Generaldirektor Ludwig Hupfeld und Direktor Otto Tetzner begrüßt und in den stimmungsvoll dekorierten Empfangsraum geleitet, wo nach einem von Herrn Direktor Otto Tetzner auf Se. Majestät ausgebrachten Hoch die Vor stellung folgender Herren erfolgte: Direktor Keller, Konsul Berger und Rechtsanwalt Dr. Steckner als Vertreter des Aufsichtsrates, stellver tretender Direktor Hie mann als Vertreter des kaufmännischen Personals und Betriebsleiter, In genieur Reichel als Vertreter des technischen Per sonals. Ferner Zivilingenieur Ranft, der Er bauer der Fabrik. Hierauf nahm Herr Generaldirektor Hupfeld das Wort, um Se. Majestät namens der Gesellschaft willkommen zu heißen und für die Ehre des Besuches ehrfurchtsvoll zu danken. Die damit verbundene hohe Auszeichnung würde tief empfunden von dem Unter nehmen, welches in diesem Jahre auf ein 30jähriaes Bestehen zurückblicken dürfe und nunmehr zum eyten Male ein Landesherr die Schwelle des Hauses über schreite. Der Redner erbat von Sr. Majestät die Erlaubnis, vor Antritt des Rundganges einige Daten über die Entwickelung des Industriezweiges und den heutigen Stand des Unternehmens vorausschicken zu dürfen und führte folgendes aus: Das Haus Hupfeld ist aus der Firma I. M. Grob L Co. in Eutritzsch hervorgegangen, einer Kunsthand lung. welche sich Mitte 1882 der Musik zuwandte. Dieser Vorgang fällt mit der Begründung der Leip ziger Musikinstrumentenindustrie zusammen, denn da mals erschien das Drehinstrument „Ariston", dessen Eeneralvertrieb die Firma Grob übernahm. Die hier angewandte Technik wurde du.-ch Grob weiter entwickelt durch die im Jahre 1887 erfolgte Konstruk tion eines anfänglich sehr primitiven Klavierspiel apparates, welcher als der Ausgangspunkt unserer heutigen Fabrikation anzusehen ist. Im Jahre 1892 ging das Unternehmen in meine Hände über, das im Jahre 1904 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Unser Unternehmen ist namentlich in den letz Königslage in Leiprig ten 10 Jahren außerordentlich gewachsen. Die im Jahre 1899 aufgeführte Fabrik in Leipzig in oer Nähe des Berliner Bahnhofes erwies sich sehr bald als un- -mreichend, und trotz aller Vergrößerungen blieb der Raummangel bestehen, welcher uns zwang, nochmals zu bauen und die gegenwärtige Anlage äufzuführen. Im Klavicrsvielinstrumentenbau hat unser Unter nehmen durch organische Fortentwickelung der Tech nik Pionierdienste geleistet. Das bekannteste Instru ment ist die im Jahre 1902 erschienene Phonola, deren System der geteilten Baß- und Diskant-Nuan cierung zur Grundlage für die gesamte Entwickelung dieses Industriezweiges geworden ist. Der Phonola, einem pneumatischen Organismus, welcher als letzte Ergänzung des Klaviers zu betrachten ist. folgte bas erste selbstspielende Klavier mit künstlerischer Nuan cierung, dessen System wiederum weiter vervoll kommnet ist. Auch im Orchestrionbau hat sich unsere Firma, die als erste in Leipzig diesen Zweig pflegte, erfolgreich betätigt. Sie darf sich schmeicheln, durch organische Verschmelzung ihrer pneumatischen Instru mente init den Pianos und Flügeln das Höchste im Klaoierspielinstrumentenbau nach dem heutigen Stande der Technik vollbracht zu haben. Trotzdem hat unsere Frma keinen Augenblick gerastet, sondern ist an die Lösung eines Problems herangetreten, das man bisher für unlösbar bezeichnet hat: die selbst spielende Violine. Unser Erfolg, der sich in der Phonoliszt'Violina verkörpert, beweist nicht nur fort schrittlichen Sinn, sondern auch eine hohe Intelligenz unserer Mitarbeiter. Wir konnten in diesem monumentalen Fabrik bau, der in einem 63 Meter hohen Turme ein be sonderes Merkmal besitzt, in bezug auf Innenein richtung und Architektur etwas Besonderes schaffen. Unser Unternehmen, welches mit einem Kapital von 4^ Millionen Mark arbeitet, beschäftigt zurzeit un gefähr 1500 Arbeiter und Beamte und untechält in Leipzig, Dresden, Berlin, Hamburg, Frankfurt a. M., Haag und Amsterdam Filialen. — Der schon er wähnte Turm ist mit Fahrstuhl ausgerüstet und wird als Moterialienlager und Wasserreservoir voll ausgenutzt. Er dient ferner der Propaganda, denn in seiner Kuppel befinden sich in riesigen Lettern die Namen Hupfeld und Phonola, welche während der Dunkelheit durchleuchtet werden und die Aufmerk samkeit der auf den Thüringer Linien Reisenden er regen. Es erfüllt uns mit Stolz und Freude, Gw. Ma jestät Einblick in unsere Betriebseinrichtungen und in das bedeutendste Unternehmen Europas eines verhältnismäßig noch jungen Industriezweiges geben zu dürfen, welches den Kampf gegen ein« damals übermächtige amerikanische Konkurrenz wagemutig aufnahm und die Leipziger Musikinstrumenten-Jn- dustrie unserem Vaterlande erhalten hat. Nunmehr erbat Herr Generaldirektor Hupfeld vom Könige die Erlaubnis zum Beginn des Rund ganges. Der König, gefolgt von allen eingangs erwähnten Herren, bcgab sich zunächst in einen großen Ausstellungsraum, wo ein volltöniges Orchestrion den Parademarsch des 18. Königshusaren-Regimentes vortrug. In demselben Raume besichtigte der Mon arch ein das Fabrikgebäude bis ins kleinste Detail nachbildendes Modell, das schon auf der Weltaus stellung in Turin gezeigt worden war, und hörte di« dazugegebenen Erläuterungen. Ferner wurde ein Tableau in Augenschein genommen, enthaltend die 55 der Firma bisher zuteil gewordenen hohen un höchsten Auszeichnungen, darunter 2 Ehrenschilder über König!. Sächsisch« Staatspreise. — Der Weg zum Orchcstrionsaal führte an der Telephonzentrale, den Bureaus für Lohnwesen, Einkauf, Kalkulation und der Betriebsleitung vorüber, welche Abteilungen allein ein kleines Heer von Beamten beschäftigen. Nunmehr wurde der Orchestrion-Fabrilationssaal ausgesucht, woselbst die Holz- und Zinnpfeisen ver schiedenster Größen, das Schlagzeug und alle sonstigen interessanten Bestandteile eines Orchstrions die Aufmerksamkeit des Königs erregten. —Dem König wurde die Konstruktion eines plastischen Bildwerkes mit beweglichen Teilen erläutert und es bereitete ihm viel Vergnügen, auf dem in den verschiedensten Farbeneffekten erstrahlenden Bilde ein Zeppelin luftschiff, eine Eisenbahn, oder eine Bergbahn in Bewegung gesetzt zu sehen. Hieran ichloß sich die Besichtigung des großen, Hellen Versandgebäudcs, das mehreren hundert Srück- gütern zualeich Raum bietet und dem Ein- und Ab gang der Waren dient. Es ist mit zw«i Laderampen für den Eisenbahn- und den Wagenverkehr ausge stattet. Es interessierte den König, bei dieser Ge legenheit zu erfahren, daß für das Personal der Firma täglich zwei Sonderzüge zwischen Leipzig und Leuysck verkehren. Üeber eine große Freitreppe hinab gelangte der König nunmehr in den ersten Fabrikhof, gebildet aus Teilen der beiden Hauptgebäude, dem Turm und einem Anbau. — Es erfoigte nun die Besichtigung der Wohlfahrtseinrichtungen. Zunächst wurde der König in den Garderobensaal für männliche Arbeiter geführt, wo die vielen hundert eisernen verschließbaren Schränke und die modernen Wascheinrichtungen mit kaltem und warmem Wasser das Interesse des Königs erregten. Dann wurde der riesige Speijesaal für Männer durchschritten, und man gelangte zur Küche, die sich in bezug auf Größe und moderne Einrichtung genoft neben jeder grogen Hotel- und Restaurations küche sehen lassen kann. Der König nahm noch die Speiseräume für Arbeiterinnen und für die Beamten schaft in Augenschein. Se. Majestät überichritt nun nochmals den Hof und gelangte in das Tischlereigebüude, wo ihm im ersten Stockwerk die BoHrerei und Abteilung für Holz bearbeitungsmaschinen gezeigt wurden. Im Anschluß hieran erfolgte der Besuch der viel Interessantes bietenden Abteilungen für Maschinen- und Werkzeugbau und für Metallbearbeitung. Der König erfuhr hier, daß der Betrieb mit mehr als 300 der modernsten Maschinen ausgestattet ist, die zum großen Teil von der Firma selbst im Hause an gefertigt worden sind. Er sah hier ferner ein Tableau, enthaltend mehrere hundert Bohrwerkzeuge, wie sie in der Fabrik Verwendung finden. In einem Experimentierraum wartete des Königs eine beiondere Ueberraschung. Es wurde hier ern elektrisches Piano vorgeführt, das mit einer Neu heit, bestehend in einem Magazin von 10 verschie denen Rollen, ausgestattet ist. Der König wurde gebeten, von diesen 10 Rollen eine beliebige zu be stimmen und auf einen an einer entfernten Stelle be findlichen elektrischen Knopf zu drücken, welcher Bitte er in liebenswürdigster Weise entsprach. Die ge wählte Rolle wurde selbsttätig eingelegt und zum Spielen gebracht, und das mit einer Präzision und Selbstverständlichkeit, di« den König in Staunen ver setzte. Durch den Saal für elektrische Pianos hindurch gelangte der König nunmehr in die Violina-Abtei- lung. woselbst ihm eme im Bau begriffene selbst spielende Violcna erläutert wurde. Der König be wunderte ganz besonders den kreisförmigen rotieren den Violinendogen, an welchen drei Eergen in ver schiedenen Druckgradcn herangeführt wurden. Der Monarch liewunderte ferner das kunstvolle, jeden Ab satz und Verknotung vermeidende Gespinst eines der artigen Bogens, welches 13 000 Pferdehaar« enthält. Die weitere Besichtigung galt dem Windladenbau, den man als die Seele des pneumatischen Organismus bezeichnen darf. Hieran schloß sich die Besichtiguna des sogenannten Garniersaales, in welchem durch weibliche Kräfte die pneumatischen Teile, bestehend aus Ledermembranen, Ventilen usw., hergestellt werden. Nunmehr ging es in den imposanten 120 Meter langen Phonola-Piano- und Phonola-Flügelsaal, wo selbst stänoig ungefähr 90 Instrumente in Arbeit sind. Der König erfuhr hier daß der Umfang der Fabrikation «inen grogen Vorrat an Pianos und Flügeln erfordert, der in der Hochsaison di« Zahl 1000 erreicht. Ferner wurde der König darauf aufmerksam gemacht, daß oi« Fabrik nur d«n Bau von pneumatischen Apparaten pflegt, wovon jährlich mehrer« tausend die Fabrik verlassen. Es werden die erforderlichen Pianos und Flügel aus den renommiertesten deutschen Fabriken bezogen, wovon der größt« Teil sächsischen Ursprunges ist. Der König lauschte mit Wohlgefallen dem glän zenden Spiel zweier wundervoller, mit einer Phonola und Dea verbundener Flügel, Blürhner und Rönisch, die ein schönes Zeugnis von der Höhe der Technik und dem gemeinsamen Wege zweier Industriezweige ablegten. Von hier aus in den Poliersaal gelanßt, schritt der König die lange Front der hier ausgestellten Pianos ab, welche die verschiedensten Marken, Farben und Ausstattungen repräsentierten. Der Könrg war entzückt von dem sich ihm hier bietenden Bild und nahm Gelegenheit, einige Modelle genau zu besich tigen. In dieser Abteilung regen sich zahlreiche fleißige Hände um den Hupfcld-Jnstrumenten den äußeren Glanz zu verleihen, ehe sie ihren Weg nach allen Teilen der Welt antreten. Hier besichtigte der Monarch mit Interesse eine Ehrentafel, auf der die Namen aller Fürstlichkeiten verzeichnet stehen, die Musikinstrumente von der Firma Hupfeld be zogen haben; der König bemerkte launig: „Da fehlt mein Name noch!" An diese Besichtigung reihte sich der Besuch des ein Stockwerk tiefer gelegenen Notenlagers, das Tausende und Abertausende von Notenrotten enthält. Sodann betrat der König den Notenfabrikationssaal, wo er die zahlreichen, zum Teil von der Firma selbst konstruierten Stanzmafchinen im Betriebe sah. Der König verweilte vor einer Stanzmaschine neuesten Systems, welche 18 Rollen zugleich stanzt und ein wahres Kabinettstück deutscher Präzisionsarbeit ist. Der König wurde nunmehr in den noch größeren Notenrollen-Prüfungssaal geleitet, in welchem fast ausschließlich weibliche Kräfte beschäftigt sind. Die aus dem Maschinensaal kommenden Rollen werden hier genau mit dem Original verglichen und erhalten die Vortragsbczeichnung, die Etiketten und die Um- SULe Lheineck. 20f Roman von Hanna Aschenbach. „Brandwunden sind nichts für Laienaugen, am wenigsten für Damen", flüsterte er dem Freunde zu, als sich die Tür hinter Frau von Rheineck schloß. Er erschrak aber selbst, als di« Hülle von der verheerten Mädchenschulter sank. Schlimmer noch Karl Erdmann. Er, der Arzt, dem sich der Jammer der kranken Menschheit in seinen grausigsten Abarten offenbart hatte, der ohne Wimperzucken das Cht- rurgemnesser handhabte, er fühlte seine Sinne schwin- den vor einer Brandwunde am Arm des geliebten Mädchens. Er griff unwillkürlich stützesuchend nach des Freundes Arm. Der warf einen besorgten Blick in sein entfärbtes Gesicht. „Laß mich den Verband machen, Karl", sagte er ruhig und bestimmt. „Sieh du nach Frau von R^rineck." Und leise: „Das ist nichts für dich, alter Junge." Hildes Augen öffneten sich, von den Männer un bemerkt, sekundenlang wett vor Staunen, dann senkten sich die Wimpern wieder auf die blaffen Wangen. Karl Erdmann aber schob den Freund iast grob zur Seite. „Um keinen Preis", sagte er heiser. Er wusch die Wunde, strich kühlende Salbe auf und legte den Verband an. Auf seiner Stirn perlten große Tropfen. Jedes Zucken des wunden Gliedes übertrug sich wie ein elektrischer Schlag auf seinen Körper. „Aber gnädige, Fräulein", brach er endlich los, „hier hätte längst etwas geschehen müssen. Warum haben Sie das verschwiegen?" „Weil das andere wichtiger war und weil —" Sie vollendete nicht, aber ihre Augen flammten auf und trafen feindselig in des Mannes Antlitz. Was war mit ibm, daß sie ihn nicht einfach unter „den andern" rechnen konnte? Warum hatte sie, di« seinem Geschlecht mißtrauisch und verschlossen gegen über stand, ihm auf seinem Abendspaziergang ihr ganzes Seelenleben offenbart? Warum beanspruchte er einen Sonderplatz in ihrer Gedankenwelt? Warum zwang er sie, über seine Aussprüche nach zudenken. obgleich die sich weder durch Tiefe noch Originalität auszeichneten? Sie liebte ihn nicht. Lächerlicher Gedanke. Sie war gegen solche Ver irrung doch wahrlich gefeit! Warum aber nur ließ dieser Mensch, von dem sie rein gar nichts wollte, sie innerlich nicht in Ruhe? Sie warf einen bösen Blick auf das tief über ihren Arm geneigte braune Haupt. Wie dicht und glänzend das leicht gewellte Haar war. Und solch schöner Ansatz im Nacken. Sie wollte zornig über sich selbst, auffahren, aber fast hätte sie laut geschrien, so teuer mußte sie di« ungestüme Be wegung zaklen. Sie preßte das Gesicht in den ge sunden, rechten Arm, ein Zittern und Zucken schüt» telte ihre Glieder wie Fieberfrost. Halb schwanden ihr die Sinne. Sie hörte wie in weiter Ferne Männerschritte, ihr war, als würde ein schwerer Gegenstand durch das Zimmer getragen, dann klappte eine Tür — alles still, und dann eine Stimme gar weich und lind: „Armes, armes Kind. Und gerade ich mußte Ihnen weh tun." Eine innere Stimme drängte sie, etwas Gutes, Tröstendes zu sagen, aber sie hatte nicht die Kraft. Der Bann, der ihr Bewußtsein verschleierte, senkte sich noch tiefer. Einmal war ihr, als streife eine unsäglich milde, wohltuend kühle Berührung den Heißpulsierenden Arm. Des Arztes Hände waren es nicht, so lind sie zu greifen verstanden, der kühlend« Verband umschloß nur die Wunde selbst. Es war Wahnwitz zu denken und doch — sie wollte die Augen öffnen, wollte wehren — zurückstotzen, sie vermochte es nicht. Und plötzlich brauste es heran wie ein« große, schwarze Woge — sie sank — tiefer, immer tiefer. Ihr Name klang aus weiter Ferne: „Hilde, um Gottes willen, Hilde —" und dann nichts mehr. Als sie die Augen wieder aufschlug, ruht« ihr Kopf vorgeneigt an des Arztes Schulter, seine Rechte stützte ihren kranken Arm. Er kniete unbeweglich, so mühsam seine Stellung sein mockte, auf seinem Antlitz lag ein stiller Glanz. Al» ihr erschrockener Blick dem seinen begegnete, wurden seine Züge ernst und fremd. „Rühren Sie sich nicht, gnädiges Fräulein. Dok tor Neubauer holt Ihre Frau Mutter. Wir tragen Sie in diesem Sessel hinauf." Sie wollte eine verneinende Bewegung machen, aber der jäh aufzuckende Schmerz preßte ihr einen Schrei aus. Lr schlang den linken Arm noch fester um ihre Mitte. „Nicht doch, Sie dürfen sich gar nicht rühren — ich — ich kann Ihre Schulter nicht loslassen. Sie waren bewußtlos nach vorn gefallen. Ohne Hilfe wage ich nicht, Ihren Arm zu verändern. Harren Sie noch ein paar Minuten aus." Sie gehorchte. Von seinem Arm umschlossen, ruhte sie unbeweglich. Das rauhe Tuch seines Rockes preßte sich gegen ihre Wange — das war so heimlich, so traut — Erinnerungen tauchten auf. So yielt oer Vater sie umschlungen, wenn sein großes Mädel sich auf seine Knie schmiegte — er hatte auch solch rauhen Rock — und das war derselbe leichte Jodoformgeruch, der ihr so untrennbar von der lieben Gestalt erschien — der Vater, der gute, treue war er endl ch wiedergekommen? — Sie nestelte den heißen Kops, die pochenden Schläfen enger an das rauhe Tuch. Dem Manne stockte der Herzschlag. War es möglich? Durfte er seinen Sinnen trauen? Forschend beugte er sich nieder. Er konnte nur ein Stückchen ye p- geröteter Wange erspähen und an dem weißen Halse einen hastig an und ab schwellenden Knoten. „Das Fieber", sagte er sich leise, und seine Augen gingen besorgt nach der Tür. Draußen war alles still geworden. Wo sie nur blieben? Der Kranken, transport mußte längst fort sein. Ach. er kniete gern stundenlang so, sein Lieb im Arm, doch nicht an sich durfte er denken. Aber so gern er die Fiebernde zur Ruhe gebracht hätte, wagte er weder zu rufen noch sich zu rühren. Er kostete die Minuten aus, die seinem Herzensleben fortan Inhalt geben sollten. Len einzigem wenn dies holde Geschöpf sich ihm nicht aus freien Stücken zuneigte. Ach, wie sollte sie! Und werben um ihre Liebe durfte er nicht mehr, sein Wort band ihn. Wie unsagbar er sie liebte! Wie weich und warm sich diese jungen Glieder an ihn schmiegten, der wundervoll« Mädchenarm so nahe — so nahe — Karl Erdmann gab sich innerlich «inen mächtigen Ruck. Wollte er zum Räuber werden an seinem heiliareinen Lieb? Mit ruhiger Ueberlegung durfte dergleichen nicht geschehen. Heftige Schritte nahten, er begrüßte sie mit Er leichterung. Frau von Rheineck war sehr bestürzt. Sie hatte Hildes Zimmer in Eil« aufnahmebereit gemacht; nun schien es ihr unrecht, die Tochter so lange allein in der Gesellschaft des Mannes, den sie sich al» Arzt verbeten, gelassen zu haben und war ihrer geschlossenen Augen wegen fast froh. „Eine leichte Ohnmacht, gnädige Frau, Ihre Tochter sank vornüber", erklärte der Doktor die Situation auf ihre stumme Frage hin. „Es hat sich, wie zu erwarten war, ein wenig Fieber eingestellt. Ich stütze die kranke Schulter auf diese Weise am sichersten. So wollen wir sie auch hinaufschaffen, gleich in diesem Sessel. Wenn du hier anfassen wolltest, Claus — so, nun langsam den Kopf zurück legen — so — es genügt schon." „Aber nein, gnädige Frau, das ist für zwei Kerle wie uns Loch eine Kleinigkeit", beschwichtigte Doktor Neubaur die Einwendungen der Medizinalrätin. „Trotzdem würde ich vorschlagen, Ihre Küchenwalküre auch noch anzuwerben. Je sänftiglicher der Apparat funktioniert, je weniger schmcrjchaft für Fräulein Tochter." Frau von Rheineck fand gar nicht Zeit, weitere Bedenken geltend zu machen; schon setzte sich der Zug in Bewegung. In Hildes Mädchenheim angelangt, wurde di« Patientin auf das Bett getragen, dann überließen die Herren sie den Händen von Mutter und Dienerin. Ehe Karl Erdmann die Tür hinter sich schloß, warf er noch einen langen Blick auf das heiße Ge» sichtchen. Ihm war, als höben sich die Wimpern ein wenig, aber die Augen öffneten sich nicht. Er lauschte im Nebenzimmer angstvoll auf jeden Laut. Der Freund, scheinbar harmlos am Fenster lehnend, beobachtete die leidenschaftliche Erregung des sonst so fest in sich ruhenden Mannes mit steigender Be sorgnis. Das war kein vorübergehendes Aufflam, men, das war tiefe, reine, ins Lebensmark greifende Liebe — ihr Ausgang des Mannes Schicksalsspruch. Im Krankenzimmer blieb alles still. Nach einer Weile kam Frau von Rheineck, dankte den Herren mit bewegten Worten, erbat sich Verhaltungsmaß regeln für die Nacht und dann — dann gab es auch nicht den geringsten Grund, länger in der Villa zu verweilen. Schweigend schritten die Freunde durch die wie» der still gewordenen Gassen. An derselben Stelle, an der sie an jenem Abend ihrer ersten näheren Be kanntschaft schieden, trennten sie sich auch heute wort los. Auf die Frage, die Claus Neubaur damals um des Freundes Herzensleben in seiner Seel« be wegt«, hcöte er heut« Antwort erhalten. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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