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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 01.08.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-08-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120801018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912080101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912080101
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-08
- Tag 1912-08-01
-
Monat
1912-08
-
Jahr
1912
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Bezugs-Drei» Da» L«i»»i«»r D»,«blatt «r>ch«t»t >»«l tSglich, S»»«. ». F«i« , «u «»,»»«. Nb»i>i»«m«at».Annal>««: v«i »al«r«a lkügrr», gUtat««, S »» Lana-««stellen, >»«i« P»Iti»t«« «tz Lrl«strtU«r». Gt»»»l»irr«»»«»r»t» 10 P^ Morgen-Ausgabe. KWMrTagMaü Handelszeitung. ÄM» Amtsblatt -es Nates ««d des Nokizeiamtes der Stadt Leipzig. MiLV Nr. 388. Ommers»«. arn I. «lmmN isi«. Anzeige«. Preis W5LLMW llv VN. Ins«rat« »m» vehStd«« i« «at- ltchea I«U dt» Petit«»« « Pf. »«I-Sst.ant.ti.n «i! Pla,»,tlchttfte» tm Preis« erhöht Rabattaachlaris »«Ua««aebUt««samt» -«»«««»»« Luft,»-« können nt«t per««. §«,,,«« »erden Für da» tkrlchetnen « »»sttmmten Tagen »nd Platzen wird keta» itarantt« llbernammen. »n,et,en-«nnadm«: T-danni»»»«« «, bet simtlichrn StUalen ». allen Ann»»««» «»»«dttionen de» 2» »ad «»»lande» »«« »»» Verla« —» Mich« ck «Uft« 2ntzad«r: Pa»l «iirste». Nidaktt«, a»d Geschllst,ste««: 2ohanni»-asl« 8. chanPt'Mital» Dree»«»: veellräd« < t tl«i«»don «S2U. 106. Zshrysng. Unsere -estrige Abendausgabe »faßt 8 Seite«, die vorliegeud« Morge»««»»er 1« Seite«, r»ia«»e« S4 Seiten. Vas Wichtigste. - * In der bayrischen Kammer der Reich sräte ist es am Mittwoch zu einer Debatte über den bayrischen Jesuiten erlaß, gekommen. (S. bes. Art. S. 1.) * Bei der Wiederausnahme der Arbeit durch die londoner Dockarbeiter haben U n- ruhen stattgefunden. (S. Ausl. S. 2.) * In der Nähe der Stadt Mexiko findet seit -rei Tagen zwischen den Regierungstrup pen und den Aufständischen ein heftiger Kampf statt. (S Ausl. S. 2.) * Theateranzeigen siehe Seite 16. Mandschurei und Maugolel. zL Die Nachricht des Russkoje Slowo von einem bereits abgeschlossenen Protektoratsoer trage zwischen Rußland und den Mon golenfürsten ist für unwahr erklärt. So unverhohlen, wie es in den fünf verlautbarten Artikeln geschah, pflegt das Völkerrecht nicht auf den Kopf gestellt zu werden. Bon „zivilisiert" sein wollenden Staaten nicht und von Völkern, die der modernen Art ferner geblieben sind, erst recht nicht. Bisher hatten die Mongolen in ihrer Gesamtheit die chinesische Oberhoheit anerkannt, und an diesem Rechtsverhältnisse hatte auch kein russischer Einspruch jemals gerüttelt. Daß Hie Lehnsherrschaft sich ausschließlich auf die Man- dschud ynastie bezogen habe und daher mit deren Abdankung erloschen sei, wird sich schwer dartun lassen, da sie doch erst erworben ist, nachdem die Häuptlinge der Mandschu als „Bogdo Ehane" sich auf dein Throne von Peking niedergelassen hatten. Dieser historische Zusam menhang macht sie aber unabhängig von dem zufälligen Umstande, daß das große Chinesen volk sich seiner Fremdherrschaft entledigt hat und gegenwärtig in ein Stadium des Schwan kens zwischen republikanischen Regierungsformen und der Annahme einer neuen, von einem rein blütigen Chinesen zu gründenden Dynastie ge raten ist. Natürlich werden die Mongolen we nig nach dem Staatsrechte fragen, wenn ihnen eine Gelegenheit winkt, bei einer Schwäche oder Verlvirrung Chinas sich frei zu machen. Dann sind sie vom chinesischen Standpunkte Rebellen, und Wiederunterwerfung oder endgültige Frei gabe hängen von der besseren Waffe ab. Die Mitwelt hat wohl eigentlich bloß einen einzigen Fall erlebt, daß eine Rebellensache durch eine benachbarte Großmacht offen unterstützt und zur ihrigen gemacht wurde: das geschah auf Kuba von den Nordamerikanern. Aber immerhin erst im vierten Jahre des Aufstandes, nachdem das Geschick der Spanier zur Beruhigung der Insel recht zweifelhaft geworden war, die fort dauernde Unruhe aber doch di« Eigeninteressen der großen Republik anerkanntermaßen sehr stark schädigte. Aber China sollte von vornherein verboten werden, auch nur einen einzigen Versuch der Wiedereroberung zu machen? Und Rußland wollte durch Monopolisierung des öffentlichen Kredites, der Bergwerksausbeutung und des Eisenbahnbaues selbst ohne weiteres der Sache nach in die Stelle des Suzeräns einrücken, mochte es auch Bie „Unabhängigkeit" der Mongolei in tönenden Worten verkünden? So robust ist auch die heutige russische Politik nicht mehr. Sie hatte sich ja nach kurzer Anstandsfrist in jenem Port Arthur eingenistet, das sie dem sieg reichen Japan unter dem Aushängeschild« von Chinas „Integrität" abgejagt hatte; aber sie nahm die Maske eines „Pächters" vor. Wir denken, in dieser oder einer ähnlichen Form wird die Verständigung mit China auch diesmal ge macht werden. Verschiedene vorausgegangene Noten deuten ja darauf hin, daß der Sache nach die Nachricht des „Russkoje Slowo" die Tat sachen trifft, daß man allerdings von Peters burg aus einem chinesischen Rückerobcrungsver- suche auch dann Hindernisse in den Weg legen würde, wenn Aussicht auf einen vorhanden wäre, und nichf der bloße Gedanke schon an der zer fahrenen Lage in China selbst wie an dem Geld mangel erstickte. Vielleicht gibt schon das (we nigstens vorläufige) Scheitern der „Sechs mächteanleihe" und die patzige Erklärung der Chinesen, „sie brauchten das Geld gar nicht", einen Fingerzeig, daß das mit Riesenüberschüssen protzende Rußland sie auf einen hübschen mon golischen Pachtvertrag lüstern zu machen am Werke ist. Und diesmal hätte es mit keinem ja panischen Widerstande zu rechnen. Als Port Arthur gepachtet wurde, ließen die Pächter sich eher in den Besitz einweifen, ehe der Vertrag ver öffentlicht wurde; da bei einer umgekehrten Zeit folge zu besorgen stand, daß der andere Inter essent bei seiner im Feldzuge gewonnenen guten Ortskenntnis vor ihnen hineinschlüpfte und ihnen das Tor vor der Nase zuschlug. Heute hat man in Petersburg die Japaner als Feinde ernst lich fürchten lernen. Und in Tokio ist das Interesse an der Mongolei wirklich nicht allzu groß. Eben hat drüben ein Aufsatz Aufsehen ge macht, welcher überhaupt die Ausbreitung der Macht auf dem ostasiatischen Festlande einer ungünstigen Beurteilung unterwirft, sie in Ver gleich setzt mit dem zweifelhaften Vorteile des ehemaligen englischen Landbesitzes in Frankreich usw. So allgemein gehalten, dürfte der Artikel wohl keinen Beifall finden, auch nicht so gemeint sein. Daß Japan Korea und Port Arthur lvieder aus seiner Hand ließe, ja daß es auf eine künf tige Umwandlung seiner durch den Frieden von Portsmouth Rußland abgerungencn südmandschurischen Einfluhzone in unmittelbaren Besitz verzichten werd«, daran ist gar nicht zu denken. Aber die kargen Weide triften der Mongolen inmitten eines dürren Meeres von gelbem Lößsand« sind kein Boden für die Unterbringung des japanischen Bevölke rungsüberschusses, und ein paar Berggerechtsamc es nicht wert, im tiefen Innern des großen Asiens auf himmelhohen Flächen mit den Waffen umstritten zu tverden. So liegt denn eine Ver ständigung mit dem alten Gegner über die Auf teilung der chinesischen Außenlän der sehr nahe, zu der der Anfang schon vor zwei Jahren gemacht wurde, als man Korea in die Scheuern brachte. In dem Sinne dürfte die Petersburgfahrt des Fürsten Katsura zu fassen sein, die wohl nicht bloß wegen dex Erkrankung des Mikado keine west europäische Fortsetzung gefunden hat, sondern weil iyr Hauptziveck an der ersten Station bereits erfüllt wurde. Japan richtet sich in der S ü d- Mandschurei häuslich ein, wo ohnehin die" 'Unzufriedenheit mit der Beseitigung der Dy nastie sich am lebhaftesten äußert, und überläßt seinen Kontrahenten das von diesem begehrte Beutestück, das ihm selber doch zu schwer ver daulich wäre. Hat man sich künftig ordentlich ins Nest gesetzt, dann löst sich die Zweckverbin dung von selbst wieder, und dürfte noch ein Tänzchen um Wladiwostok, Amurland und Kam tschatka gemacht werden. Der dayrisihe Zelultenerlatz vor üer Sammer -erSetchsrSte München, 31. Juli. In der heutigen Sitzung der Kammer der Reichs räte, in der der Etat des Ministeriums des Innern zur Beratung stand, wurde u. a. auch die Frage de» bayrischen Jesuitenerlasses und die der Rrchtbettäti- gung sozialdemokratischer Bürgermeister in die Debatte gezogen. Im Laufe der Debatte erklärte Reichsrat Graf zu Törring-Jettenbach, er stehe auf dem Standpunkt, daß der Jesuitcnerlaß ein grober taktischer Hehler der Staatsregierung gewesen sei. Der Erlaß bedeute auch eine ganz be deutende Blamage für di« Staatsregierung und für ganz Bayern, und zwar von dem Augenblick an, wo die Staatsregierung zugeben mußte, daß sie nicht berechtigt war, den Erlaß herauszugeben, ohne vorher die Ansicht der Reichsregierung gebürt zu haben. Er bedauere, daß die Regierung wieder holt den Versuch gemacht habe, die Schuld an dem Erlaß dem früheren Kultusminister in die Schuhe zu schieben. Die Regierung habe Bayern mit dem Jesuitenerlaß einen recht schwachen Dienst er wiesen. Die große Majorität der bayrischen Bevöl kerung sei der Ansicht, daß es besser gewesen sei, wenn das Tor, das zwischen ihm und den Jesuiten errichtet sei, geschlossen bleibe, mit Rücksicht darauf, daß dadurch zweifellos d«r konfessionelle Friede gewahrt werde. Tin bedeutender Teil des katholischen Klerus teile diese Ansicht. Es sei bess wenn der konfessionelle Friede gewahrt bleibe. Di allgemeine Volksmeinung habe die Staatsregieru bisher ignoriert, und sie müße es daher nur begr lich finden, wenn eine große Anzahl von Leuten, sich bisher abwartend verhielten, sich von ihr a gewandt hätten. Wir wißen jetzt, schloß lö zu Törring, was wir in diesen und ähnlichen Fra von Ihnen zu erwarten haben. Es wird uns d nichts weiter übrigbleiben, als Hilfe von es anderen Seit« zu suchen. Wir wenden daher an die Reichsregierung, daß sj Schutz gewähr«, der von der näherstehenden Res versagt bleibt. Ich hoffe, daß dieser Appe v e rs a g t. Ministerpräsident Freiherr von Hertl klärt«, ob di« Regierung mit dem Jesuitenerlaß Bock geschossen habe, mü>s« er der Beurteilung a» überlassen. Di« Regierung sei bi» jetzt der Mei daß sie richtig gehandelt habe. Der Minisb , sident kam dann auf di« Ursache zurück, die d gierung veranlaßt habe, den Augusterlaß des aangenen Ministeriums zu mildern. Augusterlaß habe in weiten Kreisen der katho Bevölkerung groß« Erregung heroorge Wir fanden aber zugleich die Vorbereitun einem neuen Jesuitenerlaß vor, d n. zu im wesentlichen bestimmt war, den Augusterlaß zprück- zunehmen. So standen wir vor der Frage, was wir tun sollten. Wenn man aber davon überzeugt ist, daß das Gesetz von 1872 ein odioses Ausnahme gesetz und Kampfgesetz sei, und wenn man er wägt, daß der Reichsrat in wechselvoller Zusammen setzung der Parteien zu verschiedenen Malen die Auf hebung des ganzen Gesetzes verlangt hat, so war für " ' W ' — —V ' - - —- WM" Man beacht« anch dl« Anf«rat« 1« d«r Ab<nd»A«»gab«. "WW hen un al» soc__, vadner 7000, «he waren die übrigen deutscher BolkSüamm fehlte ganz. Und nur der zehnte Teil a nehmer kehrte zui ... , Geblieben. Vie harmlos doch die deutsche ziehenden Sieger „verdächtige Gesellen, rup struppige Kerle, deren Blick schon nicht ahnend' ' ' " 7 I dieser edle Russe, neben -erostrat und Rero der und einer Schlacht auswichen, war die Begeisterung der tatendurstigen großen Armee bald verslogen. Verdrossen marschierten die Hunderttausend« immer tiefer nach Rußland hinein in Staub und Sonnen brand. Endlich, bei Smolensk, gab es eine Schlacht. Doch was nützte der Sieg? Die Russen verwüsteten die Stadt, steckten die Vorstädte in Brand und zogen ab. Ein Mitkämpfer schreibt: „Die abziehen- den Russen hatten alles verwüstet, was irgend hätte von Nutzen sein können. Leichen überall, aber welche Leichen! Niemand hatte Zeit und Lust ge habt, sie aus dem Wege zu räumen, und gleich gültig durch Gewohnheit des täglichen Anblicks und eigenen Leidens gegen das, was in andern Zeiten den Gefühllosesten mit Schauder erfüllt haben würde, waven Geschütz, Bagage, Pferde und Fußvolk zweier Armeen Über Tote und Verwundete hinweggezogen... Mit Schaudern dacküe man: Das waren Menschen wie du, das kann auch aus dir werden!" Das war der Auftakt zu einer Sinfonie der Leiden und Grausamkeiten, wie sie die Weltgeschichte furchtbarer weder vorher noch nachher erlebt hat. Am besten erging es den Preußen, die als die nördliche Seitenarmee nicht so tief ins Land drangen und außerdem nur mit Widerwillen gegen die Russen zogen, in denen sie von Anfang an nicht ihre Fernde sahen. Auch die Oesterreicher und ein Teil der Sachsen, die südlich der Hauptarmee stand.n^ kamen glimpflich .davon. Dafür hatten iie nicht den Triumph, Moskau zu sehen, daS Ziel aller Wünsche, die Sehnsucht von Hunderttausenden. Die Sehnsucht sollte Gestillt werden, Anfang September sah die große Armee das heilige Moskau. Da war der höchste Festtag de- unermeßlichen Heeres- »rges, dann begann eine Letdenszeit, die jeder Schilderung spottet. Schon der Einzug in die Stadt, die nach mörde rischen Kämpfen erobert worden war, brachte böse Enttäuschungen und ließ das Aussichtslose aller Hoff nungen erkennen, die jeder an den Fall der alten Zarenstodt geknüpft hatte. Ueberall sahen die ein ziehenden Sieger „verdächtige Gesellen, ruppige und struppige Kerle, deren Blick schon nichts Güte ahnen ließ. Das war die Garde Rostoptschin», die dieser edle Russe, neben -erostrat und Nero der berühmteste Brandstifter der Welt, au» den Höhlen des verbrechens und den Dunkelkammern der mosko- witischen Gefängnisse -ervorgezoaen hatte, um den Feinden in der guten Stadt Moskau etnzuheizen. Eine infernalische Rache." Dies« Gesellen steckten Moskau in Brand, nach dem die Stadt fast von der gesamten Einwohnerschaft verlassen worden war. Ln allen Ecken züngelten die Flammen empor, in Hunderten von Häusern Feinde, für Hunderttausend« ist es der Ausdruck für Verhungern, Erfrieren, Ertrinken und Umkommen in der jämmerlichsten Form. Tausende wurden in Krankenhäusern verbrannt, Tausende im Gedränge unter die Räder, unter die Hufe gestoßen, zerfahren und zertreten, Tausende wegen eines harten Stücks Brot, wegen eines Schlucks Wasser oder Kaffees niedergeschlagen, Tausende ins Lagerfeuer gestoßen, um anderen Frierenden Platz zu schaffen. Unsere Phantasie wäre nie und nimmer in der Lage, all die Greuel zu ersinnen, denen die Teilnehmer des Zuges nach Moskau ausgesetzt gewesen sind. Wir find versucht, Schilderungen dieser unglaublichen Vorgänge als übertrieben zu bezeichnen, wenn nicht Hunderte von ganz einwandfreien Zeugen für die Richtigkeit bürgen würden. Das Tagebuchführen war vor 100 Jahren sehr im Schwange, so haben viele deutsche Teilnehmer an d?m Zuge nach Rußland genaue Aufzeichnungen mit nach Haus« gebracht — wenn sie nicht geblieben sind. Bor allem die Offiziere der deutschen Truppen führten, oft mit pedantischer Gründlichkeit, ihr Tagebuch in allen Lagen, selbst im Angesicht des Todes, mit peinlicher Genauigkeit. Wenn auch jedes dieser Tagebücher nack der Persönlichkeit des Schrei ber» individuell gefärbt ist, daS Studium von Hun derten solcher Dokumente muß ein richtige» Bild der Vorgänge geben. Der mühevollen Aufgabe, außer den bisher erschienenen Arbeiten über 1812 auch die Tagebücher und Aufzeichnungen der Kriegsteilneh mer, soweit sie überhaupt aus Privatbesitz, Biblio theken, Sammlungen und Archiven erreichbar sind, durchzuarbeiten, hat sich Prof. Dr. Paul Holz hausen unterzogen. ES dürfte nicht viel an der Zahl 200 solcher Aufzeichnungen fehlen, deren Inhalt Holzhausen zu einem Buch verarbeitet hat, das unter dem Titel „Die Deutschen in Rußland 1812" bet Morawe L Scheffelt in Berlin erschienen ist. E» ist ein Buch, wie e» nur wenige in der Weltliteratur gibt, denn der Weltliteratur gehört e» an, wenn es auch bloß von den Deutschen in Rußland handelt. Aber die Franzosen, die Portugiesen, die Italiener und all di« anderen Völler haben dasselbe Schicksal gehabt, ein Schicksal, das kaum ein zweiter Kriegszug der Welt je durchgemacht haben wird. Als Napoleon die Völler zur Heerfahrt sam melte, folgten sie ihm freudig und mit Begeisterung, denn der Ruhm de» Kaisers, der Zauber der Un besiegbarkeit rissen alle mit fort. Jeder wollte dabei sein, Mitwirken an den neuen Ruhmestaten. Und als dann alles ganz anders kam, hielten sie stumm und treu ihr Gelübde der Heeresfvlge, ms der gänzliche Untergang alle Bande aufhob. Als die Russen Schritt für Schritt »uruckgtngen entstanden immer neue Brände, so daß schließlich alle Löschversuche aufgegeben werden mußten und die große Armee sich genötigt sah, außerhalb der Stadt ihr Lager aufzuschlagen. Man kennt die Geschichte des wartenden Na poleons und seine eitle Hoffnung, die Russen möcl)- ten kommen und um Frieden bitten. Wochenlang lag er mit seiner großen Armee vor den rauenden Trümmern Moskaus. Die Truppen, Offiziere »vic Soldaten, retteten aus der Stadt, was noch zu retten war, das heißt, sie plünderten in der scham losesten Weise. Enttäuscht führte Napoleon nach langem fruchtlosen Warten seine Heerscharen zu rück, auf dem zweifach verwüsteten Wege des Her marsches. An den Flanken und im Rücken wurde der schwerfällige, mit kostbarer Beute überladene Zug ständig von Kosaken belästigt. Zu Hunderten bröckelten täglich, ja stündlich dieienigen ab, die sich zu weit nach rechts oder links wagten, oder die allzu säumige Nachzügler waren. Die Verpflegung wurde schwierig, dazu kam Anfang November eine schneidende, den Westeuropäern ganz unbekannte eisige Kälte, der die schlecht ernährten, geschwächten und überanstrengten Menschen in Scharen zum Opfer fielen. Der Westfale Lohberg schreibt am 7. November: „In dem Biwak, daS wir heute morgen verlassen haben, hat das Regiment einige zwanzig Mann müssen liegen lassen, denen eS die Kräfte nicht gestatteten, den Marsch fortzusetzen. Biele davon waren im Sterben begriffen, und der Abschied war ein herzzerreißender Augenblick." Und wie den Westfalen, so ging es auch den anderen Truppenteilen, der Generalstabschef der württem- bergischen Truppen sagte am 8. November: „Nun habe ich da» Schrecklichste in meinem Leben ge sehen. Draußen auf der Ebene liegen unsere Leute, wie sie fick abend» um die Feuer gelagert haben, erstarrt, erfroren und tot umher." So fing das große Massensterben an, da» jetzt täglich Tausende von Opfern hinraffte. Da» Lo» der erstarrten Zurückbleibenden war entsetzlich, Wölfe und wilde Hunde rissen ihnen da» Fleisch vom Körper, und die Unglücklichen konn ten sich nicht wehren, obgleich sie noch bei vollem Bewußtsein waren. Andere wurden von den Ko saken bi» auf die Haut auSgeplündert und dann der Kälte überlassen, bi» sie erfroren. Am schlimmsten aber hatten e» die, die den russischen Bauern in di« Hände fielen. Die Landbevölkerung war in religiösem Haß gegen die Eindringlinge entbrannt und schlachtete und mordete jeden Nachzügler, der ihr in die Hände fiel. Nach der Schlackt bei Äiäsma sah der englische Militärattache Wilson eine Schar von Weibern um einen Baumstamm tanzen, aus Die veutlchen ln Kutzlanü l8l2. Bon vr. Alfred Lanick. Eine ungeheure Bölkerwelle wälzte sick gen Osten, hypnotisiert durch den Klang de» Namens Napoleon, geblendet durch seinen Ruhm und durch das Geheimnis der Unbesiegbarkeit. Ins Unermeßne, ins Uferlose gingen die Pläne des Korsen, und der Wfall Kaiser Alexanders von Rußland war ihm vielleicht ein recht erwünschter Anlaß, den Weg nach Indien über Moskau in seine Gewalt zu bekommen, nachdem er den südlichen Weg durch das Mittelmoer den Engländern, dank Nelson, nicht hatte entreißen können. Nack Indien über Moskau! Blendend, wie der Nam« des Kaisers, stiegen feenhafte Mlder von orientalischer Märchenvracht vor den Augen Eu ropas aus. Märchenbilder, die sich der gewöhn liche Sterbliche nur im Traum ausmalen konnte, unter der Führung de» großen, unbesiegbaren Kai ser» mußten sie Wirklichkeit werden, denn ihm ist alle» möglich, seiner Führung vertrauten sich Men schen und Völker blindlings an. Zuerst galt e» Rußland niederzuzwingen. Es wird dem Kaiser ein Spiel sein. Halb Europa rief Napoleon unter die Waffen, außer seinen Fran zosen die Spanier, Portugiesen, Italiener, Schloei- zer, Oesterreicher, Belgier, Holländer und alle deut schen Stämme, Württemberger, Bayern, Sachsen, Westfalen, Steutzer, Lipper, Oldenburger, Mecklen burger, Anhalter, Braunschweiger. Wer zählt die Bölter, nennt die Namen! Auch die Preußen mußten Heerfolae leisten. ES war eine neue Völkerwande rung, di« auf den Wink Napoleon» nach Ruß land zog. von Deutschen waren über 200000 Mann in diesem gewaltigen Heere, für damalige Zeiten ein unerhörtes Aufgebot. Davon entfielen auf die Preu- ngefähr 20 000 Mann, auf die Bayern mehr 000, die Westfalen 25 000, die Sachsen 2S000, nnhessen 5000, mit kleineren Zahlen > Staaten vertreten, aber kein zehnte Teil aller Feldzugsteil nehmer kehrte zurück, die übrigen find geblieben. Geblieben. Wie harmlos doch die deutsche Sprache sich ausdrücken kann! Denn hinter dem schlichten Wort verbergen sich alle Greuel und Grau samkeiten des Kriege», alles Leid und alle Not, denen Menschen nur ausgesetzt werden können, alle Wut und Raserei, der entfesselte Leidenschaft, Haß und Gier fähig find. Geblieben bedeutet hier nur für die wenigsten einen ehrenvollen Lod vor dem
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