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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.02.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-02-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120220011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912022001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912022001
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-02
- Tag 1912-02-20
-
Monat
1912-02
-
Jahr
1912
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bette 2. Nr. 92. los. Iahr-any Leipziger Tsgeviatt. rciä>isck>-unaarische Htaatskunst orientierte, war und blieb der Hretbundgedanke in den Beziehun gen zwisckzen Deutschland und Oesterreia--Ungarn, di- während der Annexionskrifis dr« B e - lastungsprobe glänzend bestanden. ObgleicI' e auch im letzten Jahrfünft kein Moment gab, dks'en Behandlung Hütte Schwierigkeiten bereiten können, ein hoher» Verdienst des Grafen Aehrenthal ist es, daß er die Bemühungen der italienischen Äegic- rnng, die öffentliche Meinung des Lande» mit grogen ttnrklichen Interessen des KönigreicksS im Linklang zu hallen, durch eine behutsame Pflege der Beziehun gen zu der südliänm Nachbarmacht unterstützte. Im «leiste des mitteleuropäischen Friedenr-bündnisies suchte chras Aehrenthal das Verhältnis der habs burgischen Monarchie auch xil den ii b r i g e n M ä ch- t e n auf dem Fuße frcuitdschastlicher tt-esinnuna zu wahren und etwaige Trübungen zu besciugcn. Trü bungen solcher Art blieben Oesterrciä>-llngarn nicht erspart, als es iin .Herbst 1808 sich enlschlos,, zur end gültigen Angliederung der ehemaligen türklscksen Pro- vinzcn Bosnien und Herzegowina an die Monarchie zu schreiten. Mit diesen diplomatischen Unternehmungen, dessen erfolgreich Durchführung nun Grasen Aehrenthal die dankbare Anerkennung eines Kaisers eintrug, wird sein Name in der Ge- ästchte Lesterreici>-llngarnS eng verbunden fortlebcn. Co ist Gras Aehrenthal al« treuer Diener seine kaiserlichen Herrn, als erhabener Sohn seines Landes und als ersolgreiclwr Staatsmann und Förderer der Interessen Oesterreich-Ungarns durch da- Leben gv- gangen. Auch in Deutschland wird man ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Wien, 10. Febr. sTel) Reichskanzler v. Beth. mann Hollweg und Staatssekretär v. Ki Ker len-Wächter sprachen gestern der Gräfin Aehreir- thal ihr Beileid aus. O Pest, 19. Febr. (Tel.) Im Abgeordneten haus widmete Präsident Navah dem Grafen Aehrenthal einen warm empfundenen Nachruf und beantragte, das; das HauS der Witwe kondoliere, das Beileid protokollarisch verewige und sich an der Leichnfeier beteilige. Ministerpräsident Gras Khuen-Hädervarh drückte das tiefste Bei leid der Regierung aus und beantragte, daß das Abgeordnetenhaus am Tage der Leichenfeier zum Zeichen der Trauer keine Sitzung abhalte. Der Krieg um Tripolis. Die italienische Flottenaktiou in den türkischen Gewässern. Aus Saloniki wird gemeldet: Die türkische Negierung ordnete infolge der an gekündigten Alnon der italienischen Flotte in türkischen Gewässern, insbesondere im Äegäischen Meere, die strengste Bewachung der Küste an. Alle zur Verteidigung notwendigen Maß nahmen sind bereits getroffen worden. Die Friedensvrrmittelungen der Zungtürken. Aus Rom wird gemeldet: Der von dem jungtürktschen Komitee „Ein heit und Fortschritt" mit der Führung der Frie- densverhandlungeii mit der italienischen Regie rung beauftragte Unterhändler, ein italienischer Bankier namens Salem, wird, wie das „Gior- nale d'Italia" meldet, in Rom erwartet. 8t. Mailand, 19. Febr. (Tel.) Am Sonntag nachmittag fand hier eine von der gesamten so zialdemokratischen Partei Italiens einbcrufcne Pro test Versammlung gegen den Kiffeg statt. Es waren ca. 6000 Personen anwesend. Nach dem Meeting kam cS zu einer Kundgebung vor dein Redaktionsgebänüe deS „Avanti", wobei ein kleiner Zusammenstoß mit Polizisten statt sand. * Neue Malissoeenunruhen. 8t. Mailand, 19. Febr. Der in Brindisi eingetrosscnc Kapitän oes Schisses „Barion" hat ein Telegramm mitgebracht, wonach die Malis soren am 16. Februar ein türkisches Lager überfallen und 400 türkische Soldaten getötet lmbcn. Generrüverlsmmlmrs ües Sundes der Landwirte. llx. Berlin, 19, Februar. In der Niesenhalle des ehemaligen Sportpalastes in der Potsdamer Straße, de» größten Bersamm- lungsraume» in Berlin, wurde heute mittag unter einem ganz gewaltigen Andrange von Landwirten aus allen Teilen des Reiche» die diesjährige General versammlung de» Bundes der Landwirte eröffnet. Einer wahren Völkerwanderung gleich ergoß sich der Strom der Teilnehmer durch dre Potsdamer Straße nach dem Veriammlungslokal. Der Saal war früh zeitig start gefüllt. Die Teilnahme in diesem Jahre steht hinter der der früheren Jahre in keiner Weise zurück. Der Generalversammlung liegt folgende. Resolution des Vorstandes zur Beschlußfassung vor: „Der Bund der Landwirte tritt in ungebrochener Kraft für den gleichmäßigen Schutz jeder na tionalen Arbeit ein. Er erachtet es gerade jetzt besonders für wichtig, das deutsche Bolt in seiner Versorgung mit Fleisch und Brot vom Ausland immer unabhängiger zu machen lind zn erhalten. Für die Erreichung dieses Zieles ist aber die Er haltung des bisherigen Systems des Schutzes der landwirtschastlichen Produktion unbedingt ge boten, und zwar einschließlich der Erzeugnisse des deuffckien Fntterbaues und der deutschen Gärtnereien. Der Bund der Landwirte sicht eine besonders wich tige 'Aufgabe der gegenwärtigen Zerr in der sozialen und wirlicbastlichen Fllriorge für den gewerblichen und kaufmännisch bürgerlichen Mittelstand, der in eine: van Jahr zu Jahr gefährlicher werdenden Weise durch die großkapitalistischen Unternehmungen. Kon- sumvereinsbestredungen ujw. in seiner Existenz be droht wird. Diese Fürsorge muß in gleicher Weise aus unseren immer zahlreicher werdenden Beamten stand ausgedehnt werden. Der Bund der Landwirte hält es für unbedingt geboten, den Zusammenschluß der christlichen uno nationalen Arbeiterschaft zu unterstützen, und die Arbeitswilligen vor der Vergewaltigung durch sozial demokratischen Terrorismus unbedingt zu schützen. Die stetig steigenden Anforderungen für Heer und Flotte verlangen nach der Ankündigung der Regierung wiederum die Einführung neuer Steuern. Der Bund der Landwirte erwartet, daß hiervei unsere Steuerpolitik nach dem Grundsatz sozialer Gerechtigkeit geregelt wird. Angesichts der Tatsache, daß dre Ausgaben für die Erhaltung und Berbeßerung des gegenwärtigen Kulturstandes in Deutschland den Einzelstaatcn, Provinzen und Kom munen obliegen und überwiegend durch direkte Steuern aufgebracht werden, die in erster Linie zweifellos den Mittelstand belasten, bedeutet es einen gerechten Ausgleich, wenn sich demgegenüber an den Aufwendungen für unsere nationale Verteidigung und für dre Erweiterung unserer politischen und wirtschaftlichen Weltmachtstellung auch die jenigen Bevölkcrungskreise in gerechtem Maße beteiligen, denen die Segnungen dieser Auf wendungen im besonderen Maße zugute kom men. Das kann aber nur unter Beibehal tung indirekter Steuern und bei gleichzeitigem Ausbau einer besonderen Besteuerung des mobilen Großkapitals geschehen, nicht aber durch eine ebenso sozial ungerechte wie in ihren Er trägen wert überschätzte Ausdehnung der Erb schaftssteuer auf Krnder und Ehegatten, deren Wiederernbringung, yur„dazu hieneu würde, di-, Zerrissenheit der brirgernchen Partei^' von neuem .zu vermehren.. Heber alle wirtschaftlichen Fragen jedoch stellt der Bund der Landwirte die Sorge um Kaiser und Reich. Für des Reiches Macht und Stärke, für die unverminderte Erhaltung der Machttülle der Monarchie werden wir rn unerschütterlicher Treue zu Kaiser und Reich mit allen Kräften erntreten." Gegen 1 Uhr eröffnet der Vorsitzende des Bundes Dr. Roesicke-Eörsdors die Versammlung. Er wird lebhaft begrüßt, als er seine Rede wie folgt beginnt: Der Bund der Landwirte zeigt sich in unge schwächter Kraft. (Bravo.» Er macht, wenn man diese Versammlung überschaut, nicht den Eindruck, als ob er am Boden liege. lRein, nein!) Er gedenkt sodann der Mitglieder, die der Tod im letzten Jahr dem Bund entrissen, und erinnert besonders an den Grafen Dohna-Finckenstein, dem die Herren nach eisern sollten. Von den Toten zu den Leben den. Die Waffen ruh'n, des Krieges Stürme schweigen. Die Wahl ist vorüber. Aber Siegesfreude konnten nach dieser Schlacht nur die Sozialdemokraten empfinden. (Pfui!) Was war das Ergebnis des Kampfes, den alle Gegner mit ver gifteten Pfeilen geführt? Der Hansa-Bund wollte das Zentrum und nebenbei die Sozialdemokraten niederwerfen. Und nun? Ohne Zentrum und ohne die Sozialdemokratie kann kein Gesetz im Reichs tag gemacht werden. Die Liberalen sind zu einer Trabantentruppe der Sozialdemokraten herabgcsunken. Mit Triumphgcschrei begrüßten die Liberalen Herrn Scheidemann als Vizepräsidenten, einen Mann, der die gröbsten Schmähungen gegen unser Herrscher haus geschleudert Hal. (Pfui!) Schon zähle der Reichstag zu einem Viertel Re publikaner, und wie viele verkappte mag es noch geben! Der Reichskanzler ist im Irrtum, wenn er ineinte, daß die Macht der Sozialdemokraten ichwinden werde, wenn sie zu Taten übergehen sollte: da mühte beizeiten dieser Macht entgegengetrcten werden, ehe es zu spät ist. (Sehr richtig!) Und Pionier der Umsturzpartei ist der Hansa-Bund, dessen Führer zur Umgebung des Kaisers gehören. Entweder haben diese Männer nicht vorausgciehrn, wohin die Dinge treiben, dann ließen sie es an der nötigen Klugheit fehlen, oder sie wußten es. dann überlasse ich es Ihnen, den Charakter dieser Herren einzuschätzen. (Bravo!) Wir feierten kürzlich die 200. Wiederkehr des Geburtstages des großen Königs. Er nannte sich selbst den Philosophen von Sanssouci. Aber er ließ alle Philosophie beiseite, sobald es zu handeln galt. Er dor uns ein Vorbild jener Pflicht erfüllung. die heute schwankend geworden ist. Aber im Bunde lebt noch das alte Pflichtgefühl gegen den Kaiser und die deutschen Fürsten. Wir sagen mit Herrn von Oldenburg: Uno ist der Kaiser nicht eine Einrichtung. Uns ist er eine Person. (Stürmischer Beifall.) Wir sind der Schutz der Throne. Wir wollen es bleiben! Und in dieicm Sinne rufen wir: „Es lebe der Kaiser und alle deutschen Fürsten!" — Die Versammlung erhebt sich und stimmt begeistert das „Heil dir im Sieger kranz" an. Der nächste Redner ist Freiherr v. Wangenhrim. In dem letzten Wahllamvf ist eine ganze Sintflut Uber den Bund der Landwirte hernredergeaangen. Aber es war nicht reines Wasser. Die Kloaken der Großstadt hatten sich aeöffnet und mit einem Gold- ström sich vermengt. Lebhaft sind die Verluste zu beklagen, die wir erlitten, aber wir müßen dre Verluste wieder einzubringen suchen. Wir hatten den Liberalen zu sehr getraut und nicht gewußt, daß sie für die Sozialdemokratie >o rückhaltlos kämpfen werden. Herr v. Wangen heim stellt fest, in welchem Maße der Zoll tarif sich bewährt habe, und kommt dann auf die Blockpolitik zu sprechen. Zugunsten dieser Politik habe der Bund kein Opfer gescheut. Er sei bet den Wahlen damals Hand in Hand mit den Liberalen gegangen. Aver als diese darauf ausgegangen seien durch die Finanzresorm den Swift heraufzubefchwören, da hat man sich natürlich getrennt. „Jetzt", so fährt Redner fort, „leisten die Nationalliberalen den Sozialdemokraten Vor spanndienste." (Pfui!) Rufen Sie nicht „Pfui!" meine Herren. Drücken Cie lieber Ihr Bedauern aus, daß eine Partei, die ein Bennigsen und Miquel geführt, auf diese Bahn gekommen ist. Herr Basser- mann ist ia aber auch längst als der Totengräber der Barter bezeichnet worden. (Sehr richtig.) Ich bin kein Antisemit in dem gewöhnlichen Sinne. Giss' erkenne dankbar und gern die Tüchtigkeit vieler jüdischer Mitbürger an. Ich erkenne an, daß sie dem Vaterlande Wackeres leisten.- Bei dem Wahlkampf hat aber die jüdische Presse und jüdisches Gold in einer Weise zu wirken ge sucht, daß ich sicher voraussehe: es wird ein neuer, wenn auch idealer Antisemitismus unter Führung eines Fritsch erwachen. (Leb hafte Zustimmung.) Wenn der Reichskanzler in seiner letzten Rede der Hoffnung und dem Wunsch Ausdruck gegeben hat, daß vom Volke her aus der Sturm gegen den Radi kalismus sich erheben werde, so befindet sich Herr von Bethmann Hollweg im Irrtum. Ich kenne die Stimmung im Volke und weiß, daß es ein erwecken des und anspornendcs Wort von der Regierung erwartet, durch das der Nation der Weg und die Richtschnur gezeigt wird. Der Herr Reichs kanzler möge nur dafür sorgen, daß uns nicht Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. (Zuruf: Sehr richtig!) Es ist nicht zu leugnen, daß eine große Erbitterung Platz gegriffen Oienstss, 20. Februar 1Sl2. hat. Diese Erscheinung ist um so bitterer ^zu be klagen, als wir selbst aktive und inaktive Staats minister hinter den Kulissen an der Arbeit gesehen haben, die radikale Partei zu stärken. Lassen Sie mich zum Schluß an ein Wort erinnern, daß unser unvergeßlicher Plötz sprach: „Wir bleiben die Alten!" Ja, wir bleiben die Alten in Treue gegen Gott, gegen unsern Kaiser und vor allem gegen uns selbst. (Stürmischer Beifall.) Von lebhaften Zurufen begrüßt, nimmt jetzt Dr. Diederich Hahn das Wort. Er soll den Geschäftsbericht für 1911 erstatten. Er verweist jedoch darauf, da» dieser bereits gedruckt vorliegt und beginnt die politische Lage zu beleuchten. Diese Lage, so führt er aus. wird durch zwei Pole gekennzeichnet: durch die Sozialdemokratie und durch die Herrschaft des mobilen Kapitals (Zuruf: Juden!). Nein, meine Herren, entgegneie darauf Dr. Hahn, es sind nicht die Luden allein, es sind auch die Christen, wenn auch die Luden es verstanden haben, den festen Punkt zu bilden, um den sich die anderen Kreise konzentrieren. Redner be- schcntiit sich dann mit der Politik des Fürsten Bülow. Der Fiir,t habe das Großkapital in den Mittelpunkt seiner Politik gestellt. Dieser Macht sollten alle anderen Kräite die Wege ebnen. So sollte auch der Bund vor den Wagen des Groß kapitals gespannt werden. Da kam die Steuerreform. Die anderen Parteien, die den Großdlock bildeten, vertagten. Da hat der Bund der Landwirte mit das ganze Odium aus sich genommen, dem Volke neue Lasten au'gebürdet zu haben. 400 Millionen in direkte Steuern Haden wir mithelsen müssen, dem Reiche darzubrinqen. und nun bei den letzten Wahlen habe man den Buckel hingehalten und habe sich verhauen lassen. (Heiterkeit und Beifall.) Das sei der Dank. Was helfe cs, wenn der Reichskanzler kürzlich in zwölfter, oder bester in dreizehnter Stunde (große Heiterkeit) Worte der Mißbilli gung über den Ausgang dieser Wahlen gesunden nabe? Als während der wetteren Ausführungen Dr. Hahns antisemitische Aeußerungen laut werden, bittet er. derartiges zu unterlassen. Man würde gegnerischerseits derartige Rufe dazu benutzen, um diese imposante Versammlung als antisemitische Radauversammlung zy kennzeichnen. Je vornehmer und je ruhiger man sei, um so besser sei es für die Sache des Bundes. Erschließt mit einem Hoch auf das deutsche Vaterland, worauf der Gesang ..Deutschland, Deutschland über alles" erbraust. Stürmische Hochrufe auf Dr. Diederich Hahn ertönen, nachdem de: Gesang beendet ist. Nunmehr ergreift Herr v. Oldrnburg-Januschan das Wort. Es dauert geraume Zeit, bis die stür mischen Begrüßungszurufe sich gelegt haben und er beginnen kann. Er beschäftigt sich zunächst mit Dr. Paasche. In Berlin fei im vorigen Monat ein deutscher Wehrverein gegründet worden, und in diesem habe man Dr. Paasche al» Vertreter der Landwirtschaft zum Vorstandsmitglieds ge macht. „Dagegen", so ruft Herr v. Oldenburg mit erhobener Stimme, „müssen wir uns verwahren! (Stürmisches Bravo.) Dieser Mann, der Juden zu Offizieren machen will (Gelachter), und der mit Hilfe der Sozialdemokratie in den Reichstag kam, gehört nicht zu uns. (Lebhafte Zustimmung.) Ich hatte im vorigen Jahre prophezeit, daß mancher von uns auf dem Wahlfelde bleiben Insvrvl» im lelprlger Medlutt urirtzen «tetr, gvrue gleich, ob « groöv SvscbLkts- anrelgen sinck oclor?nmi- livnnacbiicbten ocker lcleins 6eIexenb»iGin8srstv. Kksn »oiito ckvsbalb re^elmsLi^ cko» I-»ipriger lugs-Iatt rur Insertion benutzen. Kuüolk Hass. Zu seinen, vierzigjährigen Bühnen jubiläum. Freundlich hieß mich Rudolf Haas willkommen, als ich in sein Arbeitszimmer eintrat, und schloß das Buch, dem eben noch sein SUldium gegolten. Es waren Anzengrubers „Kreuzelschreiber". das Stück, in dem er an seinem Ehrentage am Dienstag auftreten wird. Vierzigjähriges Schauspielerjubiläum von Rudolf Haas: „Die Kreuzelschreiber". Wahrlich, unser Haas hat diese Auszeichnung verdient. Denn das verdanken wir -em Jubilar, daß er seinem ge liebten Anzengruber eine Heimstätte auf der Leipziger Bühne bereiten half und dem kräftigsten Dichter der siebziger Jahre neue Freunde gewann. Es ist sonder bar, daß der Mann, den wir so oft in der modernen Operette als den lustigen Spaßmacher sehen, im Grunde seines Herzens tiefernster Natur ist. Freilich, die abgeklärte Heiterkeit des Alters und ein sonniger Humor aus fernen Iugcndtaaen schimmern oft aus seinen Erzählungen hervor. Aber — und das sind sein« eigenen Wortr, „wie froh will ich sein, wenn ich einmal herauskomm« aus dem ganzen Operettenwust, der statt guter Kunstleistung vom Spieler eine vir tuose Akrobatik und Parterregymnastik verlangt. Ordentlich unglücklich bin ich, wenn es für mich heißt, in der Operette anzutreten, und ich freue mich schon Tag« vorher, wenn meine Mitwirkung im Schauspiel bevorsteht." 2ver den herrlichen Rottbauer gesehen, den Haas auf die Bühne stellt, wer bedenkt, daß d«r alte Lrenninger stets al» jein« Glanzrolle gegolten hat, der kann ihm nachfühlen. Verwunderlich ist's nicht, daß ihm di« Eharakterrollen in Bauernstück«n besond«r» liegen. In Ihnen atmet «r den Erdgeruch der heimatlichen Scholle. Zu Ottenschlaa, einem kleinen, weltfremden Flecken, wurde er als Sohn eines Landarztes geboren. Wann? Das will er selbst in seinen „Memoiren" verraten in etwa zwanzig Jahren. So hoch bemißt der Lehnsmutige sein Ziel „vorläufig noch". Dom Vater zum Studium der Medizin bestimmt, kam er zunächst als Sängerknabe in die Benediktinerabtei Gättweig Die «insetzende Mutation der Stimm« machte dem Kirchensängerdienst ein End« und führte den jungen Haa» zur Fortsetzung seiner Studien auf das Gymnasium nach Wien. „Nur der verdienet Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß", dachte der Jüngling und begann einen Vernichtungs kampf gegen Schulzwang, Studium und Wissen- schäften. Was verschlug es ihm, daß er dreimal in, Exam«n stieg und schließlich Best «gier doch di« Waffen strecken mußte. Frei ist der Bursch! Da« Kriegsjahr 1866 kam. Da trat er mit des Vaters Einwilligung in das erste Wiener Freiwilligen bataillon ein. H«i, war das eine lustige Kumpanei, zusammengesetzt aus zugrunde gegangenen Studenten und entlaufenen Gymnasiasten, sechzehn Jahre zählten die jüngsten. So ging es lustig hinein in das welsche Land zum Kampfe gegen Italien. In einem Vorpostengefecht Lei Custozza ward der junge Held verwundet, doch bald rückte er wieder ein in die Reihen der Kämpfer. Als Wachtmeister der Husaren zog er schließlich den bunten Rock au», den zwei Medaillen schmückten. Er wurde Zollamts assistent in Schärding unweit Passau. Hier fand «r seines Lelxnsweaes Wende. Eine Theatertrupp« hatt« in dem kleinen Nest Einzug gehalten, in das Herz des jungen Zollmanns aber die Liebe zur jugendlichen Naiven — der Gattin des Herrn Direktors. Da war es um Haas geschehen. Woran er vorher nie gevacht, geschah: er ging zur Bühne. Als Ferner Franz im „Meineidbaüer" pflückte er das erste „Ruhmesgemüle" zu Rottalmünster in Niederbayern. Etwa vier Jahre trieb sich der junge Hcldenspieler in dieser Gegend umher, Mitglied der elendesten Schmieren, teren stattlichster Mitgliederbestand sieben, meist aber nur drei Personen zählte. Selten wurde ein Ort aus gesucht. der mehr als 15—20 Gehöfte hatte. Denn in den abgelegenen Stätten der Welteinsamkeit hatten sich die Menschen die kindlich reine Seele bewahrt und lauschten inbrünstiger Andacht voll der Mimen Kunst in der „Griseldis" und in Schillers „Räubern", gespielt von — drei Personen. Nach langer Irr- ahrt, reich an Hungertagen und herber Enttäuschung, andet« Haas am damal, kleinsten Theater Münchens, xm Elysium-Theater. Hier hieß es auf d«m Posten ein. denn jeden Tag gab es zwei Vorstellungen. „Der geschundene Raubritter" hieß da» Kassenstück. da» den ganzen Sommer hindurch Len Spielplan bildet«. Junge Kaufleute und Dtudenten waren das Stamm publikum des Hauses, und al« solche besaßen st« da» Recht, di« Chöre mitzusingen im zarten Klang der Sphärenharmoni« oder nach der Knüppeldammweise des Barditu» der alten Germanen, i« nachdem der Liedcrgott seine Gaben ihnen zugewiesen. Dafür aber waren die Sänger auch dankbar: Rettiche, Brot und Weißwürste flogen in genügenden Mengen auf di« Bühne, den hungernden Schildknappen willkommene Beute. Aus diesem ..Tempel der Kunst" wlkrd« Rudolf Haas nach kurzer Frist entführt, und zwar von dem Volkssänaer Johann Fürst, dem späteren Direktor de« Wiener Pratertheaters. Dieser hatt« mit sicherem Aug« da« Talent unsere» Künstler« entdeckt und sHng ih» Verhältnisse, die Haa« bet seinem Kommen fand, waren gut. Auch einen Bekannten aus früherer Zeit traf er an, nämlich Karl Sukfllll. Und trotzdem verlebt« er im zweiten Jahre seine» Hiersein, bi« bittersten Tage seines Lebens. Es galt, die schwerkranke Gattin zu pflegen, denn die anfangs bescheidenen Verhältnisse gestatteten es dem Künstler nicht, bezahlte Hilfe zu werben. So war sein Leben ein steter Wechsel zwischen Gehen und Kommen zu Probe, Spiel und Krankenpflege. Und trotz aller Auf opferung entriß ihm der Tod am 14. Juli 1904 die treue Lebensgefährtin. Doch damit noch nicht genug, mußte er zwei hoffnungsvollen Kindern die Augen zum letzten Schlummer zudrücken. Nun ist es still geworden um den, der einst fo recht den tollen Lärm und bunten Wechsel dieses Leden» kennen lernte. Doch Schaffen ist Les Lebens Lercht- werLen, sagt Nietzsche, unL Rudolf Haas gehört zu den Schaffenden in seiner Kunst. Zahllos sind die Nollen, die er als Schauspieler darstellte, wie über haupt sein Schauspielerrepertoire größer als das seine der Operette ist. In dieser hat er den Ollendorf im „Bettelstudenten" 319mal und in der „Fledermaus" sämtliche männliche Rollen zusammen 516mal gespielt. Unzählig oft ist er im „Meineidbauer", in den „Kreuze!» schreibern" im „Fleck auf der Ehr" uns in 's Nullerl", in diesem allein 68mal als Träger der Titelrolle, aufgetreten. Manch verwelktes Blatt, manche verblichene Blume und viele Bänder und Schleifen neuen Datums an Len Wänden der „Katakombe des Ruhmes", wie er sein Arbeitszimmer lächelnd nannte, gestiftet von Theaterdirektoren. Komponisten, Autoren. Freunden und Freundinnen, zeugen von den Erfolgen feine» Schaffens. Noch unter dem Abschied plagte mich die Neugier, aus dem Munde dieses Ahasver der Bühne etwa, über den Aberglauben zu hören, dem lxkanntlich ge rade die Helden der Bretter, die die Welt bedeuten, in weit größerem Maße huldigen als andere Sterb- liche. Und da hat er verraten, daß er es vor keinem Auftreten unterläßt — und sei es auch nur im ge heimen — ein Kreuz zu schlagen. Dann kann er ge trost ins Rampenlicht treten und hat nichts zu fürchten, selbst wenn einmal, wie es ihm schon geschah, der Souffleurkasten leer geblieben ist. Ja, dann mag es wohl geschehen, daß er das gar nicht merkt. Auch das hat er schon durchqemacht. An seinem Iubeltage aber wünschen wir ihm: Möge er noch recht, recht ost das Kreuz schlagen, möge die Zeit noch in weiter Ferne liegen, da der große Inspizient dort über den Sternen ihm abklopft und der Vorhang sich senkt über da» schaffensreich« Leben unseres Rudolf Haas. v«. Lpvobtz, - ein« Tournee durch Deutschland vor. So ging die Reis« bis Hamburg, Bremen, durch die Rheinland« nach Wien, Troppau, Eger, Prag, Salzburg und Ischl. Nach kurzer Bodenständigkeit trieb es den taten freudigen Mimen wieder hinaus in di« Welt. Die Reise führte Lurch ganz Italien bi, nach Syrakus, sann zurück nach Preßburg, von dort durch Rumänien und Bulgarien in die Türkei, um ein vorläufige» Ende in Pest zu nehmen, wo der Künstler vier Jahre am Deutschen Theater tätig war. Dann ging es in Etappen über Kissingen und Würzburg nach Han nover. Die nächsten neun Jahre gehörten nun ab wechselnd der Tätigkeit in Hannover und Magdeburg. In Magdeburg feierte Haa» al» artistischer Leiter de» Wilhelm-Theater» am 1. März 1898 sein 26jähriaes Schauspielerjubiläum. Di« Sommermonate dieser Zeit führten ibn ständig als Gast an das Thalia- theater nach Chemnitz. Inzwischen war er auch auf ein Jahr nach Linz gegangen, da ihn di« Sehnsucht trieb, einmal in der Heimat zu spielen. Doch die dortigen Theaterverhältnisse schreckten ihn gar bald ab. Was nämlich dem Oesterreicher beim ersten Auf enthalt in Deutschland am meisten weh tut, der ge wisse Schneid und straffe Zug, d«r in allen unseren Instituten, vor allen Dingen an den besseren Theatern herrscht, da» wird ihm bald zur unentbehrlichen Not wendigkeit. Die Verhältnisse, die Haas in Linz fand, waren aber das Gegenteil von dem, was er in Deutschland kennen lernte. Damals hat er sich's zu geschworen. nie wieder in der Heimat zu spielen, und er hat Wort gehalten. Auf der Rückreise nach Deutschland hätte da« Schicksal des Künstler« beinahe wieder «ine Wendung genommen. Der ehemalige Stabstrompeter der Sze- «diner Husaren fühlte sich nämlich stark genug, den Sitz am Dirigentenpult al« Theaterkapellmeister ein- zunehmen. Es war in Regensburg, wo er die Auf führung der „Schönen Galathee" leiten sollte. Doch nachdem er dreimal nacheinander „umgeschmissen" hatte, legte er den Taktstock vertrauensvoll in die Hände der Direktor», um reumütig zur geliebten Schauspielkunst zurüchzukebren. Bon Magdeburg au» ging es noch einmal nach München, raubritterlichen Angedenkens, wo ihm sich aber jetzt die Pforten de« Gärtnerplatztheaters öffneten, und dann landete Ru dolf -aas endgültig in Leipzig. Da» war im Jahr« 1902, also vor nunmehr zehn Jahren. „Ich war furchtbar unglücklich, al« ich nach Leipzig kam", ineinte .Haas. „Denn einmal batte ich eine tod kranke Frau, und zum andern gefiel mir nach dem schönen München die Stadt gar nicht. Lange Jahre noch Labe ich Heimweh nach der schönen Isarstadt ge habt. Doch jetzt kühle ich mich mit Leipzig verwachsen, verwachsen durch Freud« und Leid, Di« Heater-
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