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Mummet 215 Söchfische VolksFeilunk ir. September >«^r Rutzland-eulscheinParagvay Bewegte Schicksale Die in Paris erscheinende russische Zeitung „Poslednisa Nowosti" („Letzte Nachrichten") veröffentlicht einen Bries, dessen Verfasser einer der deutsch-russischen Menoniten ist, die infolge der religiösen Verfolgungen in Sowjetrutzland gezwungen waren, sich anderswo eine Heimat zu suchen. Der Verfasser des Briefes wurde mit einem Teil seiner Schicksalsgenossen nach Paraguay verschlagen, und zwar nach dem jetzt vielgenannten Chacogebiet, um welches sich Paraguay und Bolivien streiten. Es war ein weiter Weg, den diese Menoniten zurllcklcgen mutz ten. Aus Sowjetrutzland kamen sie nach dem Fernen Osten, von dort auf dem Seeweg um Asien herum nach Eurozm und schlietz- lich nach Südamerika. Im Chacogebiet, wo sie sich endlich niedergelassen haben, befinden sich — heitzt es im Brief — gegen wärtig „ausschlietzlich russische Flüchtlinge, eine geringe Anzahl Indianer und eine ebenfalls kleine Zahl deutscher Menoniten aus Kanada". Wie dünn bewohnt das Gebiet ist, ist aus den Worten des Verfassers zu ersehen, welcher berichtet: „Wir sind 1-15 Kilometer mit der Eisenbahn und 10V Kilometer mit Ochsen gefahren, sahen aber unterwegs kein einziges Dorf... Es be stehen hier 17 Kolonien deutsch-russischer Ansiedler, die 1030 an gekommen sind. Die Lebensverhältnisse hier find von den russi schen so verschieden, wie Tag und Nacht: alles, was wir von der Landwirtschaft in Rutzland wutzten, ist hier ganz nutzlos, — es mutz hier alles neu gelernt werden, wobei niemand da ist, bei dem wir etwas lernen könnten. Wie schwer es auch war, so haben wir doch gewisse Resultate erzielt. Es ist hier schon eine Versuchsstation geschaffen worden, aus der In den letzten Jahren Versuche mit dem Anbau von Weizen gemacht worden sind, es sind 47 Arten gesät worden, von denen sieben gute Nesulate gaben. Wir haben dieses Jahr in der Wintersaison (die Saat begann am 15. März) 17 Hektar Weizen gesät. Wir warten mit grotzer Ungeduld die weiteren Ergebnisse ab. Wenn wir unsere Ziele erreichen werden, sind wir gerettet, den,, in Para guay hat es bis jetzt eigenen Weizen nicht gegeben. Man baut hier Zuckerrohr, Pistazien, Maniok, Bataten (siitze Kartoffeln), Melonen und sonstige Ecmiiseartcn. Das bauen aber nur unsere Leute an, bei den Eingeborenen an den Usern habe ich, abgesehen von Maniok und Bataten, kaum was gesehen." „Gcwitz ist aller Anfang schwer, besonders aber in unserer Lage, — ohne einen Cent in der Tasche. In der ersten Wock>e haben wir schon etwas geleistet: wir haben Brunnen, die durch schnittlich 7 Meter tief sind, gegraben. Heute haben wir eine Schule eröffnet: Wir haben im Wald kleine Flächen ausgcrodet, sägten für jedes Kind einen Klotz zum Sitzen und einen andern, aus dem man schreiben kann, und alles läust wie geschmiert. Ls sehlt uns aber an Lehrbüchern usw. Dank Professor Unruh sind für uns in Deutschland landwirtschaftliches Gerät und son stige Gegenstände gelaust worden, man rechnete aber mit 60 Familien, während wir «0 sind. Mit unserer Nahrung steht cs vorläufig ungünstig. Die Kinder leiden jetzt häusig an Nuhr und Angenkrankheiten, Mir könne,, daher selbstverständ lich nicht die Hände in den Schatz legen und warten. Gewitz, wenn cs in Rutzland besser geworden wäre, so würde keiner von uns hier bleiben wollen. Die Menoniten aus Kanada leben hier siinf Jahre, unsere zwei Jahre. Ich will nicht prahlen, in der össentlichen Ordnung und Disziplin, in ihren Lebensnormen wie in den Gebäuden sehen unsere Kolonien so aus, als ob sie schon zehn Jahre hier gelebt hätten: die Stratzen sind sauber, Bäume sind gepflanzt, in jeder Kolonie gibt es eine Schule, auch Schulen höherer Stufe, — in dieser Hinsicht sind wir den aus Kanada gekommenen um 50 Jahre voraus. Die Menoniten aus Kanada haben 15 Dörfer, wir, die russischen, — 17. Die Entwicklung der Landwirtschaft wird hier dadurch gekcmmt, datz wir keinen Absatz Haden, wir mlinen alles oyne meld machen." ..Mrs die Ruhe und Ordnung anbctrisst, so mutz ich sagen, datz wir hier wie im Paradies leben, wie Menschen, die von der Welt abgeschnitten sind. Niemand mischt sich in unsere Angelegen heiten ein, wir wissen von keinen Gesetzen: niemand, keine Re gierung, verlangt von uns Rechenschaft. Mas unsere Leute auf der Dorsvcrfammlung beschlossen haben, und was der Dorf älteste zur Ausführung bringt, das ist das Gesetz. Mir leben hier ganz nach den Regeln, die zur Zarenzeit in Nutzland galten. Die Indianer, die unter uns leben, sind gewissermatzen noch wilde Menschen. Nur nach unserer Ankunst begannen sie all mählich ein menschliches Aussehen anzunehmcn. Kleider zu tra gen, Speisen zu kochen usw. Ihre Waffe besteht noch jetzt aus Pfeilen, sie sind ausgezeichnete Schützen. Man kann nicht sagen, datz sie dumm sind, sic haben alle schnell Deutsch sprechen ge lernt, so datz wir über alles, was wir brauchen, sich mit ihnen auf Deutsch verständigen können. Eie arbeiten gut, aber nur kurze Zeit, denn sie leben wie wandernde Tiere im offenen Wald." Der Brief schlietzt mit der Bitte nm Hilfe für den Schulbau, da die Kolonisten keine Mittel haben, das Schulgebäude mit einem Dach zu versehen, sie haben keine Schreibmaterialien usw. Die „fliegende Familie" notgelaudet Kopenhagen, 12. September. Bei der grönländjschcn kolonlalverwaliung ist gestern abend folgendes Telegramm eingelaufen: Hutchinson, der bekanntlich mit seiner Familie den Atlantik überfliegen wollte, ist um 15,10 Uhr Greenwicher Zeit auf dem Meer nolgelandet. Position 65,28 Grad Nord, 38,45 Grad Mest. Die Maschine sandte SOS-Signale, die von der Nadiostation Angmagsalik ausgefangen wurden. Die TNaschtne wünschte fosorklge yllfe. Der englische Flschdampsex „^ord Talbot", der sich 25 Meilen von der angegebenen Po sition entsernt befand, fuhr sofort zur Hilfeleistung ab. Bi« 16,23 Uhr Greenwicher Zeit wurde durch die Radloslatioa Angmagsalik ununterbrochen die Verbindung mit der Ma schine ausrechterhallen. Nach dieser Zeit aber hat man auf Anrufe keine Antwort mehr bekommen. Um 17,30 Uhr Greenwicher Zeit war »Lord Talbot" etwa 15 Meilen von der Position des Flugzeuges entsernt. Die angegebene Position befindet sich 20 bis 30 viertel- weilen südlich von Angmagsalik, und zwar sehr nahe der Küste und vielleicht sogar innerhalb der Schären. Um 19,22 Uhr teilte die Uadioslation Angmasalik mit, datz der Zischdampser „Lord Talbot" sich an der angegebenen Position bcsinde, jedoch von dem Flugzeug nicht, entdecken konnte. Der Aischdampier sucht nun in süd westlicher Richtung. 7 Freiballone durch Gewitterbö entliihrt Bitterfeld, 12. September. Am Sonnabend sollten zu der alljährlich stattsindenden Uleitsahrt des Deutschen Luftfahrt- Verbundes eine Anzahl mit Ulasserstossgas gefüllte Freibal lone von Bitterfeld aus gestartet werden. Es waren u. a. bereits drei sächsische Ballone aus Dresden, Chemnitz und Schwarzenberg in Füllung begriffen. Gegen 10,30 Uhr abends setzte plötzlich eine Gewitterbö von unerhörter Hef tigkeit, verbunden mit kagelfchlag, ein, die sieben Ballone trotz der schweren Sanosackbelastung entführte bezw. zer störte. Bei Tagesanbruch konnte der Chemnitzer Ballon „Hin denburg" aus den Drähten einer 100 000-volt-Leitung unbe schädigt geborgen werden. Mehrere andere Ballone, darunter der Schwarzenberger, wurden schwer beschädigt, einige dürs- ten ganz verloren sein. Entführt wurden drei Ballone, dar unter der Dresdner Ballon „Sachsen": dieser konnte am Sonntagnachmiltag bei Jüterbog unversehrt geborgen wer- den; zwej Ballone werden noch vermisst. Drei neue Gesandte beim Reichspräsidenten Die neuen Gesandten nach ihrem Antrittsbesuch bei Hindenburg vor der Reichskanzlei. Bau links nach rechts: Kreeminsch fLcttland), Dr. Mastny (Tschechoslowakei) und Dr. Labougle (Argentinien). — In den letzten Wochen erfolgten mehrere Ver- änderungeu innerhalb des diplomatischen Korps der Reichshauptstadt. Nach Hindenburgs Rückkehr nach Berlin erfolgte jetzt der Antrittsbesuch der neuen Gesandten. Menzel bei der Arbeit Pias. Dr. G. I. Kern, der icn Laus« ixr letzt«» Jahre elic« Anzahl von Oelftudlen und Gouachen Menzels bei den Porarkxtten s für sein« MenzeUclogiaphl« In« allgemeinen NilnstlerlexUan, hat wleder- > sind«» können, hat zusammen mit der Galerie Caspari in München '«in« fesselnd« Menzel-Ausstellung «ingrrlchlet. Mir »ringen hi«i ein« Studie van ihm Wer kennt nicht Werke von Adolph Menzel, wen haben nicht Arbeiten seiner Hand erfreut, begeistert? Und welcher deutsche Künstler und Kunstfreund hätte nicht reiche Anregun gen von ihm empfangen! Die Frage nach der absoluten Bedeutung der Menzelschen Malerei ist verschieden beantwortet worden. Jedoch besteht Einstimmigkeit des Urteils darüber, datz er der grösste deutsche Zeichner des 10. Jahrhunderts gewesen ist. Der Franzose Degas hielt ihn für den .zzrötzten lebenden Meister". Die Eröffnung einer Ausstellung Menzelscher Arbeiten in der (Haler!« Caspari mutz daher als ein besonderes Ereignis im deutschen Kunstleben angesehen werden. Zumal in einer Zeit der Gärung und allgemeiner Unsicherheit über künstlerische Grundbegrisfe. Die Schau ist dem Umfange nach klein. Nach ihrem Inhalt ist sie bedeutend, da sie erlesene, wie auch eine Anzahl nie gezeigter Stücke bietet. Sic enthält vornehmlich Zeichnungen (Bleistiftzeichnungen und Pastelle) des Meisters, ergänzend treten Radierungen, Aquarelle, Gouachen und Oel- studicn hinzu. Sie bringt uns also zunächst zusammen mit dem Zeichner Menzel. Das Zeichnen war Menzels Lebenselement, fein tägliches Brot. Die Zeichnung war Formung seiner Eindrücke, Nieder schrift seiner »rotzen und kleinen Erlebnisse, Erfahrungen, Niederschlag seiner Forschungen und Erkenntnisse, Ausdruck mittel, wie für andere das Wort. — Menzel zeichnete immer und überall. Es ist charakteristisch für ihn, datz sein besonders konstruierter Nock und Mantel ein Dutzend Skizzenbüchcr fassten; datz er ein Abkommen mit einem Feuerwehrmann traf, der ihn bei nächtlichen Bränden wecken mutzte, eine Verab redung, der wir die Zeichnungen wie auch die Aquarelle nach dem brennenden Zirkus Renz verdanken. Charakteristisch, datz er als Achtzigjähriger, in eisiger Mitternacht, auf der Pots damer Stratze in Berlin, wo Verfasser dieser Zeilen ihn sah, «ine Gruppe von Arbeitern zeichnete, die bei flackerndem Licht die Gleise der Stratzcubahn instand setzten. Menzel zeichnete mühelos. Es gibt nichts, was er nicht zeichnen kann, es gibt aber auch nichts, was er nicht zeichnen will. Ihn interessiert alles im Bereiche der sichtbaren Welt: seine verbogene Schuh sohle ebenso wie die markanten Züge zeitgenössischer Charakter köpfe, die anmutige Erscheinung junger Damen wie die Fili- granarbeit künstlerischer Schmiedearbeiten, die Gclciskurve der Berlin—Potsdamer Bahn, die Barockfafsaden süddeutjckzer Kirchen, wie ein alter Baumstumpf. In dieser Bejahung der Realität ist er ganz Exponent feiner Zeit. — Menzels künst lerisches Interesse bleibt aber nicht auf das Greifbare und Sicht bare beschränkt, er zeichnet und malt auch Menschen und Vor gänge einer versunkenen Welt. Seine einzigartige Schilde rung der friderizianischen Zeit, die Prägung ihres Helden, seinen Taten in Krieg und Frieden ist Beweis.— Mit seinem Stift erobert Menzel auch das Gebiet abstrakter Geistigkeit. Einer Fülle geistvoller Einsätze gibt er bildhafte Gestalt. Sinnige Verknüpfungen, Witz, Laune und Sarkasmus sind Vorzüge seiner Klückwunjchadresfen, seiner allegorischen und symbolischen Vignetten. Die Formensprache ist immer naturalistisch. Menzel kennt keinen dekorativen nnd monumentalen Stil. Sein Stil ist Natur, gesehen durch sein Temperament. Diesen Stil in seinem unverkennbaren Charakter bewahrt er in der flüchtigen Skizze und im ausgesührten Bilde, in der leichten Impression und in der sorgsam aufgebauten Komposition. Weil die Zeichnungen Menzels ganz verschiedenen Zwecken dienen, gehören sie auch für ihre künstlerische Wertung in ver schiedene Kategorien. Die Zahl der Blätter ist Legion. 6000 bewahrt allein die Berliner Nationalgalerie. Die Mehrzahl erhebt im Sinne ihres Urhebers gar keinen Anspruch aus eine höhere künstlerische Bedeutung. Für ihn waren sic Werkzeuge, Hilfsmittel der Erinnerung, der technischen oder historischen Konstruktion. Als klassisches Beiipiel ist das „Fahrrad" be kannt, dessen Einzelteile Menzel mit einem konstruktiven Ver ständnis gezeichnet hat. als sei er Werkstaltzeichner. Selbst solche Studien erheben sich bei ihm zu Leistungen von indivi dueller künstlerischer Prägung; zuweilen erreichen sie sogar, ost dem Künstler unbewusst, den Rang höchster Mcisterscl-aft. — Als Kategorie ungleich wertvoller ist die kleinere Gruppe von Zeichnungen, die der Künstler bewusst als Kunstwerke anl-gle und durchführt«. In ihr offenbart sich der ganze Reichtum seines Talentes. Für die Wertung der einzelnen Zeichnungen darf ihre Zweckbestimmung, die sich fast immer ohne iveiteres, schon aus dem Motiv ergibt, nicht unberücksichtigt bleiben. Es war den Veranstalern der Ausstellung daran gelegen, möglichst viel« Blätter Menzels zu vereinigen, die der Gruppe der selbständigen Kunstwerke angehören, lieber die Er wartungen hinaus wurde das Ziel erreicht. Die Schau zeigt Menzel in hervorragenden Merken als Darsteller des Men schen, des Porträts wie der Figur, des Stillcbens, des Kostüms, ols den scharsbeobachtenden Erzähler, als den fein fühligen Interpreten der Landschaft, den Kenner der Archi tektur und ihre Stile und nicht zuletzt als den schöpferischen Historiker. Rian wird zugeben, datz die Schärfe seines Geistes und Auges, sein Erinnerungsvermögen und seine Vorstellungs- kraf einzigartig sind. Uetzer all diesen Vorzügen steht nur noch seine künstlerische Begabung. Ein« von Stufe zn Stufe durch di« langen Jahrzehnt« eines arbeitsreichen Lebens fortschreitende künstlerische Ent wicklung lm-t bei Menzel nicht statt-gesunden. Jedenfalls lägt sie sich nicht nachweisen, wenn wir von den ersten Anfängen seines Schassens abiehen. ..Menzel wurde, der er war" (Liebermann). Anders ist es mit seiner Technik. Sie erweitert und vervollkommnet sich ständig und nach jeder Richtung. 'Nicht nur, datz er sich immer neue Techniken zu eigen machte, er schuf auch neue Techniken, wie seine „Versuche auf Stein mit Pinsel und Schabeisen" beweisen. Die Technik des deutschen Holzschnittes hat er. wie bekannt, völlig umgestaltet. — Er ist der grösste Virtuos« des Bleistifts, den die Kunstgeschichte kennt. Der weiche, schwa-rze, vierkantige Schreincrstift, den er in den fünfziger Jahren gegen den harten, grauen, fcingespitzten Bleistift vertauscht, wird 'm seiner Hand zum Instrument eines Zauberers. Je nach der Lage, die sie ihm gibt, und der Stärke des angewandten Druckes bringt dieser Stift scharfe Linien und plastische Formen, oder in breit hingeletzten Flächen Stosse, wie menschliche Haut, Haare, Gewebe aller Art, Glas, Stein und Metall hervor. — Als Hilfsmittel beim Zeichnen verwendet Menzel fast immer seine geliebte „Estompc" (Mischer). Manche Blätter aus den letzten Jahren sind fast nur mit dem Wischer ausgesührt. Das „Genie", sagt Goethe in Dichtung und Wahrheit, „ist die Kraft des Mcnchcn, cvelche durch Handeln und Tun Gesetz nnd Regel gibt". Menzel h<r-t die Forderungen erfüllt,