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Bezugö-Prei» t»r L«tp,:, vn» Por«rt« durch »nl«r« Iräa«r und Svrditrur« 2m al ligltch la» >.iau» gebracht: »Pt. monatl^L7U Mk. viertrliädrl. Bet anlern Filialen a. Vn» aobmestellen abaehoU: 78 Pi. monatig L2S Mk. oierteliährl. Darch die Veit: innerhalb Dentlchland, and der deatlchen Kolonien vterteliährl. Ü.SU Mk.. monatl. IMMk. <w»jlhU Postdestellgeld. Ferner in Belgien, Dänemark, den Donaustaaten, Italien, Luxemburg. Niederlande, Nor wegen, Oenerretq»Ungarn, Ruhland, Schweden und Schwei». In allen übrigen Staaten nur direkt durch die Geschäft», Itell« de» Blatte» erhältlich. Abend Ausgabe. MpMer Tageblatt Lnzeigeu Preis tär Inserat» an» »leiptza and Umgeb«« di« lspaltige Petttieil« SPs dieReNam». »eil» I Mk. von au»wärt, M Ps. Reklame» 1Ä Mk. Inserat« von Betzärden im «art lichen Teil die Petitjeii. « Vs. Gelchaslsanjetgen mit Blatzvorichriike» iw Preise «rdSht. Rad^t nach Tarif Bella,«gedübr Sesamr. aaflag, S Mk. v. Tausend «rkl. PoKgeoilbr. Teildetlag« hoher. 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Vas Diliiliglte. - Trn der Vulkanwerft in Hamburg fand heute vormittag im Beisein Les Kaisers der Stapellauf des Hapagdampfers „Imperato r" statt, l«. des. Art.) * Der österreichische Ministerpräsident Graf Stürgkh hat mit Rücksicht auf seinen Gesund heitszustand dem Kaiser sein Rücktritts gesuch überreicht. Der Kaiser hat aber die De mission vorläufig nicht angenommen. * Die Lage in Marokko hat sich wieder ver schlimmert. (S. bes. Art.) * Seismometer der Leipziger Erdbeben warte registrierte heute früh um '<4 Uhr ein Erd beben von ausserordentlicher Heftig keit. dessen Herd in 8000 Kilometer Entfernung von uns liegt. (S. Leipzig u. Umg.) * Der in Leipzig geplante Streik der Barbier- und Friseurgchilfen, der noch vor dem Feste beginnen sollte, ist verschoben worden. (S. Leipzig u. Umg.) Oer Ltspellsuk des „Imperators". In Hamburg traf heute früh um 8,20 Uhr früh der kaiserliche Sonderzug auf dem Dammtorbahnhof ein. Im Gefolge des Kaisers befanden sich Ober- hofmarschall Graf v. Eulenburg, Generaloberst o. Pl essen, die Flügeladjutanten Oberstleutnant v. Muli us und Major Freiherr v. Holzing- B e r st e t t, Leibarzt Dr. Riedner, der Chef des Zivilkabinetts Wirkl. Geh.-Rat v. Valcntini, der Chef des Militärkabinctts Gcncralodjutant Fr^i Herr v. Lyncker, der Chef des Marmekabinetts Admiral v. Müller, als Vertreter des Auswär tigen Amtes Gesandter Freiherr v. Je irisch. Auf dem Bahnhofe hatten sich zum Empfange ein gefunden: Bürgermeister Burchard, Bürgermeister Dr. Schröder, preußischer Gesandter v. Bülow mit Legationsrat Graf v. Bcssewit. Staats sekretär des Reichsmarineamts v. Tirpitz. Der Kaiser, der Admiralsuniform trug, begrüßte jeden einzelnen der Erschienenen und fuhr mit Bür germeister Burchard im offenen Staatsautomobil vom Bahnhof nach den Landungsbrücken, auf dem ganzen Wege von einem zahlreichen Publikum mit lebhaften Kundgebungen begrüßt. Auf dem festlich geschmückten hamburgischen Staatsdampser wurde sodann die Fahrt zur Vulkanwerft angetreten. Während der Fahrt durch den Hafen fiel ein leichter Regen. Schon von früher Stunde an beförderten .zahl reiche Dampfer die Säuren der Geladenen mr Dul kanwerft, wo neben dem gewaltigen zum Ablauf be reiten „Imperator" große Tribünen errichtet worden waren. Vor dem hochragenden Bug stand die Tauf kanzel, hier war der Hauptplatz für die Festgäste und den Senat, während die größte Tribüne an der Breit seite des Schisses lag. Der Festplatz und die ganze Werft waren reich mit Flaggen und Girlanden ge schmückt. Besondere Vorkehrungen wurden getroffen, um Havarien der im Hafen liegenden Fahrzeug« zu vermelden, die vielleicht durch die bei dem Ablauf des Riesenschisfes erzeugte Wasserbcwcgung heroorgerusen werden könnten. Auf der Landungsbrücke traf der Kaiser vor der Abfahrt zur Vulkanwerft mit dem Herzog Albrecht von Württemberg zusammen, der mit dem Chef der Hochseeflotte. Admiral von Holtzen- dorff, auf den Landungsbrücken eingetrosfen und dort von den Bürgermeistern O'Swald und Predöhl emp fangen worden war. Kegen */«10 Ubr traf der Kaiser mit Gefolge auf der Vulkanwerft ein. Hierauf hielt Bürgermeister l)Or. Burchard folgende Festrede: „C u s re K a i se r l i ch e M a j e st ä t! Zum drit ten Rial, voöe ich die Freude, einem Schiffe der Hamburg Amerika-Linie, das sich anschickt, den schützenden Helgen zu verlassen, ein Geleitwort uns den Weg zu geben. Es war am 2b. Rovember 1899 in Stettin, als der für die ostasiatische Fahrt bestimmte Dampfer „Hamburg" seinem Element übergeben ward. Wiederum in Stettin war es. am 29. August 190ö, jenem denkwürdigen Tage, als einem gewal tigen Amerikafabrcr von seiner hohen Taufpatin, Deutschlands K a i s e r i n. der eigene klangvolle Name verliehen wurde. Und heute soll ich dem vor uns liegenden Riesenschiffe, das seinen Namen von Euerer Majestät erhalten soll, den Taufspruch widmen. Der Stapellauf des für Ostasien bestimm ten Dampfers „Hamburg" bedeutete für die Ham- burg-Amerika-Linic den ersten Schritt auf neuer ver heißungsvoller Bahn. Sie bekundete damit, daß sie von nun an überall da in Wettbewerb treten werde, wo es gelte, neue Wirtschaftsgebiete über See zu er schließen oder erschlossene ertragreicher zu gestalten. Und der Erfolg hat ihr recht gegeben. Ihre Schiffe befahren heute alle wichtigen amerikanisctten Häfen; sic fahren nach Arabien und Persien, nach Ostindien, China und Japan, nach West- wie nach Ostafrika. Sie verdrängt nicht andere Linien, hat vielmehr, wo sie sich mit vorhandenen Unternehmungen verband, die Intensität des Verkehrs erheblich gesteigert, Kapitalkraft und Arbeitsenergie und Sachverstand zu gemeinsamem Wirken vereint und damit dem ins Große gehenden und zu korporativem Zusammenschluß drängenden Zug« unserer krafterfüllten Zeit rühm lich gedient. Gewaltige Betriebseinheiten, lebens volle und leistungskräftige Schöpfungen sind entstan den durch die Verbindung gut entwickelter und in ihrer Individualität unberührt gebliebener Einzel organisationen. Und nun die Feier des Jahres 1905. Für die Hamburg-Amerika-Linie war der Stapellauf der „Kaiserin Auguste Viktoria" auch deshalb bedeutungsvoll, weil ihrer Flotte mit diesem weit räumigen, prächtigen Schiffe ein neuer glanzvoller Typus eingereiht wurde, der in seiner vornehmen und behaglichen Ausstattung allen Ansprüchen einer verfeinerten Kultur auf lange hinaus zu genügen schien. Aber die Zeit schreitet fort, die Ansprüche wachsen, nach wenigen Jahren galt es wiederum, Neues zu schaffen, mächtigem Wettbewerb in oft er probter und doch jugendlich gebliebener Tatkraft zu begegnen. Nun, die Hamburg-Amerika-Linie ist vor schwerwiegenden Entschließungen niemals zurück geschreckt; sie hat den Zeitpunkt, in dem zukunfts reiche neue Ideen sich durchsetzen wollten, stets er kannt und benutzt, und über vorsichtigem Wägen und Erwägen das Wagen nicht verlernt. Das ist ham burgische und hanseatische Art. Diese allem Klein lichen und Rückständigen abholde Anschauung hat der Hamburg-Amerika-Linie allgemeine Anerkennung erworben, weit hinaus über des Reiches Grenzen, und wo immer über der großen Schiffahrt Lebens interessen verhandelt wird, gilt ihr einflußreiches Wort. Und der lebensvollen ujzd iebenwrckenden Bc- triebsführung der Hamburg-Amerika-Linie, die keinem Fortschritt sich versagt, dem großen genialen Zuge, der sie beseelt, widmen auch Euere Majestät kongeniales Interesse. Deshalb auch diesem Schiffe, das zwei gewaltige Kontinente einander nähern, den Güteraustausch zweier großer Nationen erleichtern, aus jeder Reise Tausende hinüber und herübertragcn, und damit dem Friedenswerkc der Kulturcntwicklung dienen soll. In seinen gewaltigen Abmessungen ragt cs emvor aus der Menge aller übrigen deutschen Schiffe, wie der Sterne Schar um die Sonne sich stellt, wie der Kaiser bastelst unter Deutschlands Fürsten. Schoa jetzt ist es ein Triumph deutsche» Schiffsbaukumt, ein Beweis zuversichtlicher Nerrebrsfreudigkeit, erfolg reichen deutschen Wettbewerbs iivo zukunftsfroher Machtstellung auf allen befahrenen Meeren * Vor allem aber stellt dies Schiff stch dar als eine Schöpfung hochkultivierter Friedenszeit und des unter dem Schutze der Kaisermacht blühenden selbstbewußten deutschen Bürgertums. Unter dein Schutze der Kcnsermacht, unter den Auspizien Euerer Majestät hat sich sie glänzende Entwickelung voll zogen, der wir unsere Kriegsmarine und unsere stolze Handelsflotte verdanken. Euerer Ma jestät wird vor dem untrüglichen Urteil der Geschichte der Ruhm verbleiben, den bis dahin nur an den Küsten gepflegten maritimen Gedanken m das Reich hineingetragen, das ganze deutsche Volk dem Meere vermählt zu haben. Dafür ist Euerer Majestät be sonders Hamburg dankbar. Aus dem Schlosse zu Versailles schrieb dem Senat der große Kaiser, das Deutsche Reich werde, wie er vertraue, ein Reich des Friedens und des Segens sein. Das ist es gewesen, auch in den letzten vierundzwanzig Jahren. Des zum Beweise wird dies Schiff jetzt seinem Elemente über geben. Auch in ihm verkörpert sich die Friedensmacht des deutschen Kaisertums. So tauche in die Wellen, du gewaltiges Schiff; sonnenbeglänzt und erfolgreich, wie unseres Kaisers gesegnetes Leben, sei deine Meerfahrt, und würdig sollst du dich erweisen allewege deiner alten sturm- und wetterbewährten Heimat. Die höchste Ehre soll dir werden. Deutschlands Kaiser will zu dir reden, und stolzen Klanges wird dein Name sein. M i t des Kaisers Majestät bist und bleibst du unlöslich verbunden! Nachdem der Kaiser die Taufe vollzogen hatte, sprach Bürgermeister Burchard: Wir alle aber, die wir Zeugen waren der nun vollzogenen feierlichen Handlung, vereinen dank erfüllt uns zu dem Rufe: Sein« Majestät der Kaiser lebe hoch!" StMleüsleier kür Gral WM- Metternich. London, 23. Mai. Gestern abend veranstaltete die deutsche Kolonie ein Bankett zu Ehren des scheidenden Botschafters. Dr. Ernst Schuster hielt ein« A b s ch i c d s r c d c, in der er die Der« dienstc des Botschafters um die deutsche Kolonie schilderte. Er schlos; mit dem Wunjche, daß dem Bot- Ichaster noch viele sreundliche uno «onnigc Jahr« oer Ruhe uns Erholung beschieden jein mögen. Graf Riet ternich erwidert« u. a.: „Ich kann es mit Worten kaum sagen, wie sehr mich der freundliche Ab-schredsgruß erfreut. Ge tragen von dem Vertrauen der Lands leute, die mein Wirten aus nächster Näh« be obachten konnten, scheide ich gern aus der amtlichen Stellung. Ich trete um jo lieber zurück, als ich, wie ich hoste und zuversichtlich glaube, meinem Nachfolger «ine leichtere Ausgabe h in te r las je. Meine Aufgabe mar, es, oorzuberei- tcn, und ich hoffe und vertraue, daß es den Nach folger veichieoen sein wird, die Frucht reifen zu ,chen. Nach dieser Abschweifung verlasse ich das Gebiet der Politik. Einem Botschafter steht nicht di« Freilnut der Rede zu. Vielleicht kommt aber noch -einmal die Stunde, wo ich ohne Ver letzung des Dekorums mich mit Freimut über die Vergangenheit und die Gegenwart äußern kann. Was mich heute abend erfüllt, ist auch nicht di« leidige Politik, der ich ohne Schmerzen entsage, es ist vielmehr das freudige Bewußtsein, crncn Platz in der Wertschätzung meiner Landsleute er worben zu haocn. Dieser Abend wiro mir unver geßlich bleit»«!'.." Die F est ve r s a m m l u n g war gut besucht. Unter den Anwesenden befanden sich das Personal der Botschaft und das der Konsulate, der letzte Lord mayor Londons, Sir Vezey Strong, und General Srr Alfred Turner. Die Rede Dr. Schusters und die Erwiderung des Botschafters wur» den begeistert ausgenommen. Die Feier gestaltete sich zu einer großen Ovation für den Grafen Wolff-Metternich. Nach dem Grafen sprach Vezey Strong, der betonte, wie sehr das englische Volk, speziell die Londoner, den Weggang des Grafen be dauerten. Sie wären in der Tat undankbar, wenn sie nicht der freundlichen Dienste gedächten, die Metternich in den Bestrebungen für ein gutes Einvernehmen der beiden Narionen geleistet habe. Redner erinnerte an di« Eröffnungssitzung der englisch-deutschen FreundschuftvffcchiUschLft inr Man- stonhouse, der er präsidiert«, und fuhr fort: Di« Deutschen waren unsere Kameraden und Genossen in allen Werken des Friedens und des Handels. Wir sind beide überwiegend handeltreibende Nationen, würdigen beide die Be deutung des Friedens für den Handel und wünschen engste gegenseitige Freund schaft für jetzt und all« Zukunft. Strong sprach sodann der deutschen Kolonie seiner herzlichsten Dank für ihre Unterstützung des Mansionchouse-Fonds für dis Hinterbliebenen der Opfer der „Titanic"-Kata- stropbe durch das von ihr veranstaltete Konzert in der Guildhall aus. Er erinnerte an die Guild - Hall-Rede des Deutschen Kaisers im Jahre 1907, worin der Kaiser erklärte, er werde alles für die Erhaltung des Friedens tun. Strong fuhr fort, es sei kennzeichnend für die Lage, daß der Friede Europas von Deutschland und England abhäng«. Die Engländer hätten in dem Grafen Metternich einen festen und aufrichtigen Freund der Freund-jchaftsbe- strebungen zwischen beiden Nationen gehabt. Der Nachfolger werde, dank der Vorarbeit Metternichs, voraussichtlich eine leichtere Aufgabe finden. 2, Seimliche Liebe. Roman von Konrad Remling. (Nachdruck vrrvoten.) Dann fragte Georg nach den Eutsnachbarn. Es hatte sich wenig verändert in Len fünf Jahren. Aus dem Klange der alten, bekannten Namen wehte es ihm plötzlich lieb und traut, wie Heimatluft, ent gegen: Der alte Herr von Halbach saß also nach wie vor als Junggeselle auf Gatow und polterte in seiner derben, urwüchsigen Weise unter den Knechten und Mägden umher; die beiden Komtessen Kramsdorff waren noch immer unverheiratet und sparten in rührender Liebe für den Bruder Leutnant, dessen etwas flottes Leben sich nur schlecht vertrug mit den Einkünften des kleinen Gutes; auf Heinersdorf gab es einen neuen Besitzer, den „man" nicht ganz für voll ansah, weil er ein Bürgerlicher war, und der deshalb auch nur zu größeren Festlichkeiten eingeladen wurde; im kleineren Kreise blieb man lieber mehr „unter sich"; er hieß — Neumann und war — nicht Reserve offizier — er trug allerdings den Doktortitel, und man sagte, er sei s«hr wohlhabend. Trotz alledem sei er ein liebenswürdiger und in jeder Beziehung wohl erzogener Mensch. Georg von Helldorf lächelte bei sich: Dieses „trotz alledem" war auch ein Klang, der in dieses Milieu und zu diesen Menschen paßte, zu denen er von nun an wieder gehören sollte; selbst die klug« und von ihm so bewunderte Mutter sprach es nach, anscheinend ohne den Widerspruch zu bemerken, der darin lag. Und Georg von Helldorf fragte weiter. Ein Name war es, den er noch immer nicht gehört hatte von der Mutter — ein Mädchenname! Und gerade diesen wollt« er nicht selbst aussprechen. Wußte das die Mutter? Hatte auch sie diese Erinnerung nicht ver gessen? Und zögerte sie nun, um ihn zu prüfen? „Woran denkst du, Georg?" Die Baronin hatte bemerkt, daß er seit einig«» Minuten nur noch mit halbem Ohre zuhörte. Georg von Helldorf fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, um die leichte Nöte der Verlegenheit zu verbergen, die darin aufstieg. „Ich lausche deinen Worten, liebste Mutter, und denke an die Vergangenheit." Die Baronin sprach weiter. Und dann plötzlich konnte er sich nicht länger be zwingen; er versuchte zwar gleichgültig zu erscheinen, aber es gelang ihm schlecht. „Was ist eigentlich aus Hanna von Wittenau geworden? fragte er und nestelte dabei an seiner Krawatte, wobei sein« Hand zitterte und die Stimme gezwungen und unsicher klang. Frau von Helldorf hob den Kopf. „Daß man Loch oft an das Nächstliegende zu aller letzt denkt!" Sie schien also doch völlig ahnungslos zu sein. „Hanna Wittenau hat vor etwa drei Jahren geheiratet. „Geheiratet?" Die Kehle des Barons war plötzlich wie zuge schnürt; er wollte noch irgend etwas hinzufügen, aber seine Stimme versagte, und er bewegte nur mehr mals zustimmend den Kopf, als sei es ja eigentlich selbstverständlich, was er soeben börte. Und dennoch war er nahe daran, seine Selbstoeherrschung zu ver lieren; ein Kältegefühl ging von seinem Herzen aus und lähmte auf Augenblicke den ganzen Lftirper, wie ein plötzlicher Schreck es tut. Frau von Helldorf schien nichts davon zu be merken. Mit einem Lächeln fuhr sie fort: „Und nun rate einmal, wen sie geheiratet hat!" Er hatte allmählich leine Fassung wiedergewonnen und nannte ein paar oeliebige Namen, die ihm zu fällig in die Erinnerung kamen. Den rechten traf er nicht. Dann kam ihm die Mutter zu Hilfe. „Du errätst es also nicht; und doch ist es jemand, der dir stets sehr nahe gestanden hat — ein alter Schulfreund von dir — nun?" „Warnow?" Es lag nicht nur Erstaunen im Ton sein«! Stimme, sondern mehr noch Abwehr und bange Er wartung, daß er in der Tat den Rechten erraten haben könnte. „Ja — Rudolf von Warnow." „Das ist nicht möglich." Er erschrak vor seinen eigenen Worten. Nun hatte er stch also doch verraten. Frau von Helldorf argwöhnte noch immer nichts; das Erstaunen Georgs war ja doch begreiflich. „Aber weshalb sollte es nicht möglich sein?" ent gegnete sie. „Glaubst du. daß man Rudolf Warnow nicht lievgewinnen kann?" „Doch, doch — gewiß" — er sagte es sehr hastig — „im Gegenteil: Warnow ist ein Mensch, den man liebgewinnen muß — eine stille, vornehme Natur — kein Held. Vielleicht, vielleicht auch nicht das, was wir Edelmann nennen, aber ein — Edelmenfch im besten und wahrsten Sinne des Wortes — ein Charakter, der lauter und rein ist, wie kaum ein anderer." Er ereiferte sich förmlich, seine Worte überstürzten sich, und er hatte das Gefühl, als müsse er alles dies laut und eindringlich sagen, um Gedanken und Emp findungen in sich selbst zum Schweigen zu bringen, die ungewollt aus dunklen Tiefen seiner Seele aufstiegen und die Reinheit des soeben gemalten Bildes zu trüben drohten. Die Baronin horcht« plötzlich auf. „Nun — du scheinst ihn noch immer sehr zu lieben, und ich gebe zu, daß er es verdient. Aber schließlich hat er auch seine — Eigenheiten." „Es ist em Idealist. „Jawohl. Und mehr als das: ein versonnener Träumer, der oftmals gar nicht in diese Welt hinein zugehören schein." ,T>ie Gelehrtennatur in ihm! Ich verstehe das sehr wohl. Schon auf der Schule mußte er sich den Spott gefallen lassen, daß wir ihn „Herodot, den Vater der Geschichte" nannten." „Er hat auch heute noch nicht davon gelaßen; und ich befürchte — sehr zum Nachteil seiner — seiner wirtschaftlichen Lage. Er hat das Gut seines Onkels übernommen, und man sagt, daß die Verhältnisse auf Denzin sich von Jahr zu Jahr ungünstiger gestalten." „Die Warnows sind nie reich gewesen und waren von jeher schleckte Rechner." „Gewiß. Aoer es ist auch geradezu tragikomisch, zu sehen, wie dieser Mann sich tagaus, tagein mit den Helden der Geschichte umgibt, die schrverterrasselnd und tatendurstig durchs L«ben gegangen sind, die Staaten gegründet und das soziale Leben geschaffen haben — wie dieser Mann selbst der Wirklichkeit machtlos gegenübersteht und nichts, aber auch nichts mit ihr anzufangen weiß." Georg von Helldorf war nachdenklich geworden. Die Erinnerung an den Jugendfreund hatte ihn auf Augenblicke die bittere Enttäuschung vergeßen laßen, die er soeben erfahren. Nun kehrte dies« Empfindung wieder: Diesen Mann also hatte Hanna von Wil- kenau geheiratet! Was für ein Leben die beiden wohl führen mochten? Und ob . . . Nein — jetzt nicht mehr darüber nachdenken — jetzt und niemals mehr! Das war vorüber. Und das Bild der Heimat, das ihn noch vor einer Stunde so lieblich umschmeichelt und gelockt, als er -im Scheine der sinkenden Sonne dem Vaterhaus« eut- gegenfuhr — dieses Bild begann wieder zu verblaßen vor seinen Augen, und graue, müde Töne mischten sich darein, die es gleichgültig und alltäglich machten und seinen Glanz verwischten. Zweites Kapitel. Mit tausend neuen Plänen halt« Georg von Helldorf die heimatliche Scholle betreten: Er wollte reformieren, Wandlung schaffen und Besseres an die Stelle des Alten und — nach seiner Ansicht — Ver brauchten setzen. Vielleicht war er sich selbst nicht einmal ganz klar darüber, wie er diese schöpferischen Ideen in die Praxis umsetzen sollte — aber es lag ihm daran, sich als durchaus modernen Menschen zu zeigen, der die große Welt da draußen und das soziale Leben kennen und verstehen gelernt hatte. Zunächst wollte er im kleinen Kreise beginnen, bei den Ar beitern auf seinem Gute. Die Leute sollten endlich einmal lernen, ihre Arbeit gern und freudig zu tun, nicht aus stumpfer, verständnisloser Gewohnheit, wie er es von früher her kannte. Es lag etwas Demo kratisches in diesem Plane, den er aus dem Lande der „Gleichberechtigung aller" mit herübergebracht halt«: Krankenvcrsorgung . . . Gewinnbeteiligung des einzelnen und eine Altersversorgung, die über die staatlich gebotene noch hinausging. Aber er ging noch weiter; auch seine Standes- genossen dachte er allmählich zu seinen Anschauungen zu bekehren. Es gab da tausend Vorurteile, die aus- aerottet werden mußten, Lcbensgewohnheiten und Ansichten, die ihm nicht mehr hineinzugehören schienen in die neue Zeit, wie er sie verstand, sogar Sitten und Gebräuche im alltäglichen, gesellschaft lichen Verkehr, über di« er sich, als freier Mann, längst hinweggesetzt hatte. Sein liebster Gedanke war: die Individualität des Menschen, der sich „ausleben" sollte, wenn er wirklich darauf Anspruch machen wollte, zur Gattung Homo kmpie-n.-, zu gehören; und Lieser Ausdruck war in der Tat nicht nur ein Schlagwort für ihn, es war ihm heiliger Ernst damit. Und dennoch erging es ihm, wie es fast allen Hcilsocrkündern zu ergehen pflegt: Er erlitt kläglich Schiffbruch damit. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)