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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 26.05.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191205260
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19120526
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19120526
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-05
- Tag 1912-05-26
-
Monat
1912-05
-
Jahr
1912
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Filiale Leipzig l Drv.-Kass« Trimm. Stetnweg > W'"LL' Amtsblatt -es Rates und -es Notizeiamtes -er Hta-L Leipzig. fgr Inserat, au» Leipzig und Umgebung di« Npaltig« P«Iitzeil« 2!i Pf, di« Sieklame- zeil« l Ml. oon »»»wärt» 30 Pf. Neklamen l^tv Mk. Ins«rat« von Behörden im amt lichen Teil d», Petitrett« Li) Ps. T«IchLfr»an,eigen mit Plahoorschrtften im Preis« «rhoht Nabatt nach Tar«'. Brtlagegebtlhr Gesamt auslag« L Ml o. Tausend erkl. Postgebühr. Teildeilage höher. F«sterr«tlte Nusträg, tonnen ntlii zurück- nriogen werden Für da» Erscheinen an brstimmten Tagen and Pläürn wird keine Garantie übernommen. Anzeigen«Ännavm«: Iohanni.gass« 8. bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Erpeditionen de» In- und Au»!ande» Druck und Verlag »»» Fischer lt Kürst«» Inhaber: Paul ttüriten. Nedaltion »nd Geschältoftell«: Iohannidgasse ii. -aapt»Filiale D,,»S«n: Eeettrof,« t. l (Telephon «621». Nr. 266. Des Pfingstfestes wegen erscheint die nächste Bummer Dienstag früh. Unsere gestrige Abendausgabe umfahr 8 Seiten, die vorliegende Morgennummer Zö Leiten, zusammen 42 Seiten. vss Wichtigste. * Der Kaiser har am Tonnabeno den öster reichischen Minister des Acußern, Graf Berch told, in Audienz empfangen. (S. Disch. Reich. S. 2) * In Rom fand am Sonnabend die Trauer feier für den verstorbenen bayrischen Legationsrat von Red Witz statt. (S. Ausl. S. 3.) * Der Londoner Transportarbei- terstreik hat an Ausdehnung zu genom men. (S. bes. Art. S. 2. * Während des gestrigen zweiten Tages der Iohannisthaler Flugwochc ereigneten sich ver schiedene Unfälle, u. a. stürzte Fokker mit dem ihn begleitenden Offizier ab. Fokker wurde lebensgefährlich verletzt, der Offizier war auf der Stelle tot. * Theateranzeigen stehe Seite 29 und 30. Pfingsten. Die christliche Kirche begeht daS Fest der Aus gießung des Heiligen Geistes. Das Fest hat, in der Sprache unserer Zeit gesprochen, etwas „De- motratisclfes" an sich. Nicht eine Persönlichkeit, wie in den Evangelien, steht im Mittelpunkte. Wir sehen auch nicht eine Vereinigung tvcniger von jener weihevollsten Art: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen." Die Bühne weitet sich und wir sehen eine Volksversammlung, mehr noch: eine Völkerver- sammlung. „Parther und Meder und Elamiter" und so fort. Und die Sprecher dieser weiten Gemeinde werden von einem Geiste erfüllt, den alte Hörer verstehen. Als die Völker aus eigener Kraft ihre Einheit sichern wollten, entstand die babylonische Sprachverwirrung; durch freie Gabe von oben wurden die Getrennten wieder vereint. Eine erhabene Auffassung von der „Gleichheit" der Menschen; sic sind alle fähig, das Wort zu hören, wenn es vom Heiligen Geiste ein gegeben ist. Bei uns Deutschen vollzieht sich wohl keines der kirchlich-weltlichen Feste in demokratischeren Formen, als Pfingsten. Jede tief innerlich emp fundene große Glaubcnstatsachc bringt nach christlicher Anschauung den Bruder dem Bruder nahe, aber die äußeren Umstände üben auf uns schwache und geistesträge Menschen ihren Einfluß. Gibt die äußere Natur bei uns zu Ostern dem Auge und dem Empfinden die Sicherheit neuen Werdens, so ist Pfingsten die Zeit, wo der ganze Mensch sich ungebunden in der Natur, „da Gott den Mensckfen schuf hinein", bewegen kann. Nicht ängstlich bedacht, sondern ftci und sorglos ruhen Hunüerttausende um Pfingsten am Her zen der Natur. Inniger und vielleicht innerlicher verkettet zu Weihnachten die Liebe hoch und niedrig, arm und reich, aber der eine bleibt im Palast, der andere in der Hütte; zu Pfingsten sind beide Teile im trivalen Sinne „gleich"; dem Armen gehört Wald und Flur genau wie dem Reichen, denn mehr als Schauen und Sich- freuen kann auch der Reiche nicht. Die erstarkte Sonne malt den winterbleichen Deutschen schon wieder Farbe ins Antlitz; es ist, als gäbe es keine Kranken, keine Sterbenden, alle Gesichter sind verschönt; die Sonne und die Natur sprechen gleichverständlich zu allen. Es ist nicht vermessen, zum geheimnisvollen Glaubensinhalt und zum Weben der uns um gebenden Schöpfung die Tatsachen des mensch lichen Gemeinschaftslebens in Vergleich zu stellen; müssen wir uns doch jeder Gelegenheit freuen, die Tagesgeschehnisse auf ein hohes Piede- stal zu heben und mit reinem Geiste zu erfüllen. Eine stille und auch allen verständliche Sprache haben die letzten Taten einer repräsentativen Körperschaft gesprochen. Mr alle haben dem deutschen Reichstag etwas abzubitten. Manchen Monat hätte es geschienen, als käme es den handelnden Politikern nur noch auf das Parteimäßige an. Neugestaltungen in Recht, in Verfassung und in Fürsorge für die lohnarbeiten den Schichten, die früher hochbedeutsam erschie- , nen wären, wurden als nebensächlich behandelt; I Sonntag, üen 26. Mai l9l2. alles war schal, nur das Parteimäßige, das Trennende, der Kamps um die Macht schien zu locken. Wir hatten nicht zu hoffen gewagt, daß der Reichstag die Vorlagen zur Stärkung der mann haften Wehr des Vaterlandes so lvenig verkürzt, so rasch und so eindrucksvoll zum Beschluß er- ifeben würde. Dem deutschen Schwert ist nun neue Wucht und Schärfe verliehen. Sic gilt ganz gewiß nicht frevlem Tun, sie gilt dem Schutze eines fleißigen, werktätigen Volkes, der Gesittung und den Hochzielen deutschen Geistes und Ge mütes. Seit der Reichstag daS vollbracht, ist trotz allen unerfreulichen Erscheinungen mehr Vertrauen in deutschen Landen, mehr Zuversicht in dem selbstlosen Sinn des Volks. Wie würden sich die Männer freuen, in denen deutsches Seh nen Fleisch geworden, jene Eckchart- und Atting- Hausen-Naturen, die sich in den Jahren nach 1870/71 unaufhörlich sorgten, ob das nach langer Ohnmacht und Uneinigkeit Errungene erhal ten bliebe — wie würden sic sich freuen, wenn sie das erlebt hätten! Alle Stämme in Süd Nord, Ost und West haben es verstanden, sie spüren den Geist der Brüderlichkeit, den Geist, der einig und opferfreudig macht. Durch unsere Dankbarkeit wollen wir den Reichstag auf der Bahn, die er eingeschlagen hat, festhaltcn. Die Sorge und die ernste Mahnung hat ihre Zeit, aber auch die Freude; dies Pfingstfest begehen wir als gute Deutsche, wenn wir der Freude uns einmal voll hingebcn. Gkkiüüler Rückblick. Di« „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: In einer kurzen, angestrengten und ungewöhnlich bewegten Tagung hat der Reichstag Leistungen voll bracht, die sich mit den fruchtbarsten Sessionen messen können. Und doch hat man dem Wirken dieses Reichs tags mit schwerer Sorge entgegengesehen. Nach einer Zeit tiefer Verstimmung zu den Wahlen berufen, hatte das deutsche Volk seiner parlamentarischen Vertretung «ine Zusammensetzung gegeben, die sichtbare Zeichen der schw«ren Parteizerwürfnisse an sich trägt. Di« Verleugnung des Gemeinsamkeits gefühls unter den bürgerlichen Parteien bei den Wahlen und der daraus resultierende Kraftoerlust liehen für di« gefährliche Bestrebung Raum, di« das liberale Bürgertum auf Gedeih' und Verderb' an die Seit« der Sozialdemokratie bringen wollte. Die So zialdemokratie selbst kam diesen Bestrebungen zu nächst durch ein maßvolleres Verhalten äußerlich entgegen. So konnte es geschehen, daß di« liberalen Parteien einem sozialdemokratischen Abgeordneten Sitz im Präsidium einräumten. Es war, als ob der ganze Jammer der Parteiwirren noch einmal drasti schen Ausdruck suche, eh« der Reichstag zur Arbeit kommen sollte. Aber gerade an diesen Vorgang und seine Folgen knüpfte sich der Stimmungsumschwung, der dann zu einer überraschenden Regelung der großen Aufgaben dieser Tagung beigetragen hat. Der Widerspruch der Sozialdemokratie und der reichsfeindlichsn Splitterparteien ist angesichts der großartigen Kundgebung des Reichstags nach innen wie nach außen ohne Eindruck geblieben. Regierung und Reichstag dürfen mit Befriedigung auf das voll brachte Werk blicken, und wohlverdient waren die Worte des Dankes, di« der Reichskanzler bei der Vertagung im Namen des gesamten Vaterlandes, des Kaisers und der verbündeten Regierungen im Reichstage aussprach. Konnte schon seit geraumer Zeit darauf gerechnet werden, daß die bürgerlichen Parteien den Mehr vorlagen ihre Zustimmung geben würden, so schien bis in die letzten Tage die Beschaffung der Deckung gefährdet. Bei der Beseitigung der sogenannten Liebesgabe kam es darauf an, die Ein nahmen aus der Branntweinsteuer zu vermehren, ohne aber dem produzierenden Gewerbe die Grund lagen gesunder Entwicklung zu entziehen. Diesem Zweck dient es, wenn die Hälfte der Mehrerträg« für Unterstützung des gewerblichen Spiritus verwendet wird. Die verbündeten Negierungen konnten sich daher mir diesem Entschluß einverstanden erklären, nachdem für eine andere Deckung Sorge getragen war. Die verbündeten Regierungen haben auch dazu ihre Zustimmung erklärt, daß diese Deckung in einer allgemeinen Besitz st euer bestehen soll. Die Reichsfinanzverwaltung wird nunmehr die Ausarbeitung einer allen Arten des Besitzes gerecht werdenden Besitzsteuervorlage obliegen. Ob es ge lingen wird, eine Besitzsteuer zu finden, die auch allen Arten der Parteianschauungcn und Lehrmeinun gen gerecht wird, ist allerdings eine andere Frage. Bedeutsam ist vor allem, daß die gesetzgebenden Körperschaften unbeirrt durch Versuchungen irgend welcher Art an dem Grundsatz: „Keine Aus gabe ohne Deckung!" festgehalten haben. So fern bei der Wirtschaftsführung des Reiches an der erprobten Sparsamkeit festgehalten wird, ist ein Rück fall der gesundenden Finanzen in die frühere Schul denanhäufung nicht zu befürchten. Die Sozial demokratie, di« am Anfang mit gedämpften Tönen operierte, hat sich im Laufe der Session voll zu ihrer alten Manier zurückgefun den. Während ihre Vertreter im preußischen Ab geordnetenhause andauernd durch Verleugnung der Grundlage jeder parlamentarischen Verhandlung die widerwärtig st enSzenen provozierten, holten sie im Reichstag noch in den letzten Tagen zu An griffen gegen die Monarchie und den preußischen Staat aus, die an verbissenem und blindem Haß ihresgleichen sucht. Der Reichskanzler protestierte durch Tat und Wort gegen diese maßlosen Ausschrei- I tungen, die jedenfalls aufs neue gezeigt haben, wie I vorsichtig man mit der Hoffnung auf eine in ruhigere Bahnen lenkende Entwicklung der Sozialdemokratie sein muß. Auch jetzt hat sich bei ihr der revolutionäre Trieb wieder stärker erwiesen als die taktische Rück sicht. Gerade Scheidemann war angesichts dieser Vor gänge am wenigsten geeignet, den Nachweis zu wagen, daß seine Partei seit ihrem Bestehen jede Gewalt abgelchnt habe. Er verlangt aber, daß die Fortentwicklung den sozialdemokratischen Forderun gen Rechnung trage, sonst könnte auch seine Partei, so bedauerlich «s für sie sein werde, den Lauf des Verhängnisses nicht aufhalten. Ihre bisherige fried fertige Gesinnung, di« vom Redner offenbar aus taktischen Erwägungen unterstrichen wurde, ist ein frei erfundenes Phantasiestück. Aus den Kund gebungen der Partei und der sozialdemokratischen Presse lassen sich hundertfache Belege für den revolu tionären Charakter der Sozialdemokratie anführen. Schon allein die jubelnde Zustimmung der Genossen zu allen blutigen Umwälzungen im Ausland« steht zu Schcidemanns Versicherung in Widerspruch. Koutsky hat die Ide« d«s Revisionismus oon einer Eroberung der politischen Macht ohne Gewaltanwendung abge wiesen. Der Parteitag in Jena jagte, daß gegebenen falls der politische Massenstreik als Kampfmittels an zuwenden sei. Massenstreik aber bedeutet den Stra ßenkampf und die blutige Revolution. Rosa Lu^em bürg hat diesen Massenstreik unter Berufung auf die russische Revolution gepriesen. Herr Schcidcmann wird diese Zeugnisse erst widerlegen müssen, ehe er mit seiner Behauptung Glauben finden wird. Der Wshirecktskwstuhr in Pelt. H In der ungarischen Hauptstadt ist es über Ar beiterdemonstrationen für das allgemeine Wahlrecht zu blutigen Zusammenstößen mit der Po lizei gekommen. Der lange vorbereitete Angriff auf die öffentliche Ordnung hatte sich den Augenblick des P r ä s i d e n t e n t e n w e ch s e l s im Unter hause zu feiner Betätigung ausgewählt. Die Wahlrechtsfrage trägt in Ungarn ein ganz anderes Gesicht als in den anderen Ländern, denen sie gleichfalls als «in überaus lästiger Knüppel am Beine hängt. Es ist unglaublich, wie viel Unauf richtigkeit sich dort an ihre Behandlung gehängt hat. Wenn man auf den rührenden Eifer der Justh-Gruppe um die Verwirklichung dieser demokratischen Forderung sieht, möchte man die bösen, wahrscheinlich von Wiener Luft angewchtcn, gegen wärtigen und vergangenen Regierungen Ungarns für die Väter aller ihrer Hindernisse, die Herren oon der Unabhängigkeitspartei aber für die selbstlosen Idea listen halten, die dem gerechtesten System eine Gaffe brechen wollen, so sicher es auch den nichtmadja - rischen Nationen eine gewaltig breitere Ver tretung schaffen wird, als unter dem heutigen Ver fahren möglich ist. Und doch hat das Destillat des echtesten Madjarentums, die nach Kossnth dem Ael- teren benannte Oppositionspartei beinahe vier Jahre im Regiments Transleithanicns als leitend« Kraft gesessen und keinen Finger gerührt, um ihre Pro gramme aus der papiernen Gruft zu lösen, um ihre Versprechungen cinzulösen. Dagegen war es das Ministerium des schärfsten Widerstandes gegen die Separatisten, das Kabinett Fejervary, das als bisher einziges di« Hand an einen Versuch zu einer durchgreifenden Reform gelegt hat. Es war die Zeit, in der auch O'c st c rr e i ch sein allgemeines Wahlrecht bekommen hat. In beiden Reichshälften hatte gleichzeitig die Anschauung sich zur Modemeinung der maßgebenden Kreis« entwickelt, daß das Reich des nationalistischen Teufels, der allen parlamentariichen Geschäftsbetrieb lahmlcgt«, durch den Beelzebub des Sozialismus gebrochen wer den müfse. Als der berühmt« Maffenschritt der Wiener Arbeiterbataillon« vor dem Palais des Mi nisterpräsidenten erdröhnte, trat Herr v. Gautsch mit der Miene eines Mannes, der auf «inen Besuch schon lange gewartet hat, auf den Balkon heraus und verkündete seine Bewilligung der ihm oon der Straße überbrachten Forderung. Auch die ungarische Regie rung erklärt« unter ähnlichen Umständen ihre grund sätzliche Geneigtheit und ließ durch einige Stunden die wegen ihrer zurückgebliebenen Entwicklung damals noch sehr regicrungsfromme Sozialdemokratie der Hauptstadt in den Mauern des Reichstages toben, daß es den Kossuth und Apponyi ganz dämmerig vor den Augen wurde. Inzwischen hat man jetzt im Cis seinen Irrtum erkannt. Der d e u t s ch e S o z i a l i s m u s hat aller dings die Stoßkraft des der Regierung auch manchmal äußerst unbequemen deutschen Nationalis mus erheblich erschüttert. Aber di« tschechische Sozialdemokratie läßt Völkerverbrüderung Völker verbrüderung sein und hat cs sich gar nicht einfallen lassen, das Band ihrer nationalen Gcmeinbürgschaft mit den Konservativen und Agrariern ihres Stammes zu durchschneiden. Ebenso bleiben polnische und ruthenischc Sozialdemokraten, wenn sic's auch nicht so offen sagen, doch im Nebenbetriebe Polen und Ruthenen und können sich im Grunde ihrer Seele gegenseitig so wenig riechen, wie die bürgerlichen Polen und Ruthenen. die sich an der Lemberger Uni versität alltäglich katzbalgen. Da ist es denn kein Wunder, wenn in Pest die Neigung gewaltig herabg«gang«n ist, das verfehlte Experiment nachzumachen; statt den nationalen Streit durch den sozialen zu ersticken, sich eine zweite, ans Magere gehende Fehde auf den Hals zu laden, eine Kluft auch noch in der Tiefenrichtung der stän dischen Ober und Unter aufzureißen, ohne doch damit di« alte im Nebeneinander der nationalen Be- sonderungswünsche auszufüllen. Trotzdem ist kaum daran zu zweifeln, daß dem ungestümen Mahnen der Volksmaffen an endlich« Einlösung der alten Schuld verschreibung eine Anerkennung ihrer fortdauernden Gültigkeit gewährt werden muß. Königsworte be halten nun einmal unter allen Umständen ihre ver bindende Kraft, und die Verantwortung eines I etwaigen Fehlers fällt auf den Augenblick da «s zum I 106. Jahrgang. ersten Male verpfändet wurde. Es ist auch nicht röt lich, die zeitliche Spanne zwischen Versprechen und Halten jetzt noch zu vergrößern. Die goldene Reg«l „l'i-incüpiis ob-Ktt!" gilt nur das erstemal, wenn die Straße ihre Forderungen der Staatsweishcit ab trotzen will. Heute ist die dringendere Pflicht, die öffentlich« Ordnung ungesäumt außer durch polizei liche Machtmittel dadurch herzustellen, daß dieser dritte Zündstoff neben Wehrfrag« und Geschäftsordnung ausgeschaltet und der Opposition, di« sich unauf- richtigermeisc dieses Streitgegenstandes bemächtigt hat. der Wind aus den Segeln genommen wird. Die Bahn muß so rasch wie möglich freigcmacht werden für den letzten Versuch, durch des neuen Präsi- dentenTisza Energie den Kampf um die Heeres- gesetze ohne das gewaltsame Mittel einer Auflösung und ohne verfassungswidrige Vergewaltigung der Geschäftsordnung zu endiaen. 4 Ruhe in Pest. Pest, 25. Mai. Heute herrscht hier vollständige Ruhe. Die Stadt zeigt ihr normales Aussehen. — Die nächste Sitzung des Abgeordnetenhauses findet am Mittwoch statt. Sämtliche Fraktionen der Oppo sition hielten eine Konferenz ab, um ein gemein sames Vorgehen in der Frage der Wahlreform und der Wehrreform zu vereinbaren. Die Verhandlungen über die Bildung einer Koalition sind noch nicht abgeschlossen. Der Krgnprin; als Kegimentskllmmrmüeur. Mit Bezug auf den im „Türmer" erschienenen, auch in den Rciciistagsverhandlungen erwähnten Artikel, der darüber Klage führte, daß der Kronprinz seinem Danziger Regiments zu oft fern sei und „seit September vorigen Jahres wirklich strammen Dienst noch niemals und nirgends habe tun können", schreibt — aus Grund einer besonderen Informierung — die „Mil.-pol. Korrespondenz": Es ist selbstverständlich, daß der Kronprinz neben seiner Tätigkeit als Regimentskommandeur auch noch Pflichten als Thronfolger hat, die ihn gelegentlich von Danzig fern halten müssen, wie er z. B. auch jetzt als Vertreter des Kaisers an den Beisetzuiigs- feierlichieite» in.Kopenhagen teilnimmt. Dafür ober widmet sich der Kronprinz während seiner Anwesen heit in Danzig dem militärischen Dienste um so eifriger. Am ganz frühen Morgen, oft schon wenn der Stalldienst beginnt, begibt er sich in die Kaserne und reitet später auf den nahe gelegenen Exerzier platz. wo er dem Eskadronsererzieren beiwohnt. Im Anschluß daran folgt täglich eine mehrstündige Tätig keit auf dem Regimentsgeschästszimmer, wo der Kron prinz die mannigfachen verantwortungsvollen Ge schäfte des Regimentskommandeurs erledigt. Der Nachmittag findet ihn meist in der Kaserne, wo die Schwadronen zu Fuß exerzieren oder Turn und Dienstunterricht abhalten. Das Dienstinteresse des Kronprinzen geht sogar so weit, daß er sich persönlich um die musikalische Ausbildung des Trompetcrkorps bemüht, dessen Leistungen seine Ansprüche nicht ganz befriedigten. Während im allgemeinen in der Armee die Ueberwachung der Uebungsstunden der Musik zu den Ausgaben des Regimentsadjutanten gehört, wohnt der Kronprinz oft mehrere Stunden den Proben des Trompeterkorps seines Regiments bei. Gegen Abend kann man in Langfuhr den Kronprinzen häufig dabei beobachten, wie er sich im Sportkostüm an den Turnspielen seiner Husaren beteiligt und da durch diesem fakultativen Dienstzweig. der seit etwa zwei Jahren in der Armee «ingeführt ist, zu Ansehen und Beliebtheit bei seinem Regiment verhilft. Die Anwesenheit des Kommandeurs bringt es von selbst mit sich, daß auch die Offiziere der 1. Leib-Husaren sich rege an diesen Turnspielen beteiligen, so daß der gesamte Dienstbetrieb des Regiments seit der Heber- nähme des Kommandos durch den Kronprinzen äußerst rege und gegen früher vertieft worden ist. Oer itsliemlck-türkilcke Krieg. Der Ernst der internationalen Lage. (Von unserem römischen Mitarbeiter.) Rom, 24. Mai. Der Ernst der internationalen Lage kommt weder in den politischen, noch in den Poltskreisen Italiens in besonders auffallender Form zur Geltung. Weit eher erhält man den Eindruck der absoluten Gleichgültigkeit gegen über der gefahrdrohenden Zuspitzung der Ereig nisse, für die gerade Italien in erster Linie die Urheberschaft übernehmen muß. Hier sagt inan sich nicht nur an den unverantwortlichen stellen, sondern auch bis weit hinauf in die Kreise, die füw das Wohl und Wehe des Landes die Ver antwortung tragen: mag's drüber und drunter gehen. Italien hat bei einer Aufrollung der Balkanfrage wenig zu verlieren, weit eher etwas zu gewinnen. Die Meinung herrscht allgemein vor, daß Italien jetzt nur noch in Frankreich einen gefährlichen Neider besitzt, während die übrigen Großmächte entweder ganz auf der italie nischen Seite stehen oder wie England gute Miene zum bösen italienischen Spiel aufsetzcn. England, so erklärte man mir lzeute auf der Eonsulta, »vird es sich dreimal überlegen, ehe es gegen den von Rußland gereichten Stachel lökt. Rußland »nd immer wieder Rußland, hört man sagen, führt in dem Bal kanstreit jetzt das große Wort. Und die übrigen Mächte müssen sich den russischen Wünschen an bequemen oder gegen die Politik des Herrn von Sazonoff klare Stellung nehmen. Ob man sich hier nicht am Ende doch noch über die Trag- weite der russischen Orientpolitik täuscht, entzieht sich im Augenblick jeder Beurteilung.
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