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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.02.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-02-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120209019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912020901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912020901
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-02
- Tag 1912-02-09
-
Monat
1912-02
-
Jahr
1912
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Bezugspreis Ar L»<v»ta «n» d«rch «»Irr« Iräarr und Sordttr»«« 2m «I Id-ltch t«, vau»«,dia«i » P!. «onatU. L7V «I. »t«tt«IILHU Bri un>»rn »ilialr« u. Un» nahmrftrllen adacdoli L Vs. monalU. r^d««. »c«n«>iahkt. Durch dir V«Kr tnnrrhald Drulichlanb« und der drutILen Kolonien viril,liavil. ».«« Ml., monott. Ml. ou«uhc. PaüdrllrUurld ileener in Briaira, Donrmarl »rn 7^-nauiioairn, Italien. Luirmduiu. illirdrilunvr. «ol» wegen r «jleiie'ch - Unuorn Viudlund, Cchweven, trwweu a counirn. .in allen adligen kiuuir» nui o>i«n dui<y di« Eeichan.nell« or» Vlattr» «rhoiilich. Da« Velpilge, laardlal« rrichrtni rmal täglich, tsunn» u. iirirrlag« nui innrarn». Udonnemeni«-«lnnadm» A»d«n»i»ua!lr iz d»i«n>rl«n tiaarrn <z»>>oirn. vgedileuien »M> Unnahmenellen. iowi« Pollamlelnund lkrirllragrin. U»«1«Io«,kanl.pl,t, w P,. Morgen-Ausgabe rWiger Tagtblall . -r,..^,ch.;!rD"--^' Handelszeitung. ru..r°W.j!L Amlsölatt -es Aales und des Aokizeiamles der Ltadt Leipzig. Anzeigen Preis skk 8«1«rat» «u« >.'«i»«>, und Umgrbung d« Upaltia« vrtttt.il, LP, n,« «eNome- ,„l« 1 ML nanau»°>ai,«A>P,.«r»lo,nr>, llv Mk. Inl. '»>r o«n Bedoidrn ,m amt- Uchrn le" °>e Prtiij«u, zu P« <b«Ichäst«an,eigen mit Pla,»orlchrlft«« i..> Preu« «rdödl Nada« nach larii BeUagegedühi »eiamt. autzagedMk o lautend «rkl. Poft,«dghr. Teildeilag» döbrr. Aefteriellte Lultiaur tonnen nl-dt zurück, gerogen weiden «eile da« «rlcheinen an bellrmmlen lagen und Plätzen wird lern« lbaranll, üdrknommrn. «nzelgen.Ännohm« I«da,n,,,,N, li, d«, lämuichrn Filialen » allen Nnnoncrn» Etped>l,on«n de» 2a- and Äu»londe». Druck und Verl«, »„ K Nitrft« änftadel. P„« Nklrftrn. Nrdaltlon «n» ch,1chätt«B«vdi Sodannisgail« l^ L»u,I»Hil>,lr Dr,»d««: «rrstrad« < i clelegtza» ckSAX Nr. 72. Aeiiag, aen S. /evruar lSi2. 126. Jahrgang. UM- Unsere gestrige Abendausgabe umfaßt 8 Seiten, die vorliegende Morgennummer 18 Seiten, zusammen 24 Seiten. Vas Dichtiglle. * Auf Antrag Bassermanns wurde die Präsi dentenwahl im Reichstage auf heute vertagt. (E. Art. S. 1 u. Bericht S. 9.) * Der Führer des bayrischen Zentrums Frei herr v. Hertling ist mit der Bildung des Kabi netts beauftragt worden. (S. Letzte Dep. S. 3.) * Am Mittwochnachmittag ist in Berlin Eene- ralreldmarschall Wilhelm v. Hahnke ge storben. "Großadmiral v. Köster sprach gestern abend in der Leipziger Ortsgruppe des Flottenvereins über die Aufgaben der zu künftigen Flottenpolitik Deutschlands. (Siehe des. Art. S. 111 * In Leipzig im Hause Weststraß« 81b verübt« gestern nachmittag «in Unbekannter einen Raub anfall auf den Zigarrenhändler Kraul. Der Räuber schlug ihn mit einer Eisenstange nieder und raubte die Ladenkasse. (S. bes. Art. S. 7.j Dir Haden kein Präsidium'. (Von unserer Berliner Redaktion.) „Wir haben kein Präsidium" singen die Stu denten, die 374 Fleißigen des Reichstags können es auch. Zum Glück für das Parlament hat sich der vorläufige Vorstand mit Träger an der Spitze als repräsentabel erwiesen. Gestern hat er gut gearbeitet, heute war freilich schon nichts Rechtes mehr für ihn zu tun, und wenn noch mehrmals vertagt werden müßte, würde wohl mancher Kri tiker sagen: die Zeit werde vertan. Daß es ganz gleichgültig ist, wer in den Vor- stand der Volksvertretung des Deutschen Reichs gewählt wird, kann freilich niemand im Ernst behaupten. Würde z. B. ein Sozialdemokrat Vor- - sitzender, so hätte das zweifellos große politische und soziale Bedeutung. Wenn sich natürlich auch Mittel denken ließen, die geeignet wären, unheil volle Wirkungen des Vorgangs zu neutralisieren. Für die Auffassung, die man in den hinter der Sozialdemokratie stehenden Massen sieht, ist viel leicht als eine äußere Erscheinung zu kenn zeichnen: an beiden Tagen, Mittwoch und Don nerstag, war die Zufahrtsstraße zum Reichstag von einer dichten Menge — am zweiten Tag tvohl noch dichter als am ersten — eingesäumt. Das dürfte noch nie bei einer Präsidentenwahl vorge kommen sein. Große politische Entscheidungen sind im Reichstag ohne Menschenauflauf vor sich gegangen. So gehört es freilich zum schwersten des Schweren, die Stimmung, die in den Massen lebt, zu beurteilen. Stellt sich ein Spazier gänger vor ein Schaufenster in der Großstadt, so kann er in wenigen Minuten einen Menschenauf lauf ve.ur achen. Di - Wartenden roc dem Reichs tagsgebäude schienen aber von einem inneren Drange hergetrieben zu sein. Sie wollten, so erklären wir uns ihr Handeln, mit eignen Augen sehen, was nun die 110 Sozialdemokraten im Parlament ausmachen; sie wollten den neuen sozialdemokratischen Präsidenten heraustreten sehen. Nachdem die Sozialdemokratie angekün digt hat, daß sie einen Vorstandssitz haben wolle, beschäftigt dieser Gedanke die Einbildungskraft der sozialdemokratischen Massen. Nicht wenige bürgerliche Politiker sind ge neigt, auf diesen Gedankengang sich einzulassen. Bis indienationalliberaleParteihin- ein reicht die Anschauung, man müsse der So zialdemokratie die erziehliche Wirkung, die von der positiven Arbeit ausgehe, nicht vorenthalten. „Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen." Schließlich enthält die Präsidentenwahl nicht ein unendlich großes Risiko. Schlüge der Versuch fehl, wäre — so ungefähr geht die Argumentation weiter — aus der deutschen Kaiserkrone noch kein Juwel gebrochen. Gewiß; wenn man durch die Zuteilung eines Präsidentensitzes aus der Sozialdemokratie eine nationale Partei machen könnte: dann könnte man unsertwegen ihr alle drei Vorstandssitze anbieten. Ja, wenn! Sehe man sich doch einmal die „positive Arbei t", die verlangt wird, an: Etat, Heeresvorlagen, Flottenvorlage — kann dann jemand glauben, daß die Sozialdemokratie die bewilligen wird. Nun springt freilich helfend die andere Theorie ein: dann ist die Sozialdemokratie eben ins Unrecht gesetzt und man kann sich einer anderen Kombination zuwenden. Klingt auch wieder ganz schön. Sieht man sich aber die bürgerlichen Politiker, die dieser Theo rie anhängen, näher an, so bemerkt man, daß ihr sonstiges Wirken nicht darauf hinausläuft, die Sozialdemokraten ins Unrecht zu setzen, sondern im Gegenteil sie zu streicheln, ihr Macht bewußtsein zu erhöhen und ihnen Zugeständnisse zu machen. Hoffentlich werden bei der Präsidentenwahl solche Zugeständnisse nicht gemacht. Wenn es sich bestätigen sollte, daß die Sozialdemokraten den liberalen Fraktionen offiziell mitgeteilt ha ben, im Falle der Wahl eines Sozialdemokraten zum Vizepräsidenten würden sie die staatsrecht lichen Verpflichtungen erfüllen, so ist das nicht viel. Der Gang zu Hofe und das Hoch auf den den Kaiser ist keine staatsrechtliche Verpflichtung. Es ist lediglich in der Geschäftsordnung des Reichstages vorgesehen, daß der Präsident dem Kaiser von der Zusammensetzung des Vorstands Mitteilung macht. Nach dem Wortlaut könnte dies durch einen eingeschriebenen Brief, der ledig lich die Unterschrift des ersten Präsidenten trägt, geschehen. Bekanntlich ist aber Gewohnheit, daß die drei Vorsitzenden zum Kaiser gehen, und wenn man von dieser Gewohnheit der Sozial demokratie zuliebe abweicht, so ist das eben eine de mrepublikanischenGei st «gemachte Konzession. Hoffentlich dringen bei der Prä sidentenwahl auch nicht taktische Schliche durch. Man hört davon, daß das Zentrum oder andere Parteien der Linken die Verantwortung für die Geschäfte des neuen Reichstages zuschieben wol len. Es könnten also Mitglieder der Linken ge nügend Stimmen als Präsident erhalten, ohne daß sie nachher der Unterstützung aller der Par teien sicher wären, die sie gewählt haben. Um gekehrt könnte sogar die Neigung bestehen, sie statt bei der Geschäftsführung zu stützen, ins Unrecht zu setzen. Man würde dann auf eine Präsidialkrisis zusteuern, vielleicht aus den Krisen gar nicht herauskommen. Der einfachste und fruchtbarste Weg wäre, daß die Mehrheit des Reichstages sich einen Vorstand wählt, den sie in der kommenden Legislaturperiode nach Kräf ten in der Aufgabe unterstützen will, die zugleich die Aufgabe des ganzen Parlaments ist: In der Arbeit! O Das offiziöse Depeschenbureau verbreitet noch nachstehende Meldung: Bis zu Beginn der Reichstaas sitzung war, wie man in der Wandelhalle des Reichs tags erzählte, die Frage der Besetzung des Präsidiums überhaupt noch nicht so weit gediehen, daß man sich für bestimmte Persönlichkeiten schlüssig g . macht hätte. Vielmehr handelte es sich einzig und allein darum, wie die drei Präsidentenposten auf die einzelnen Fraktionen verteilt weiden sollen, und auch diese Frage hat sich bisher nicht lösen lasten. In Abgeordnetenkreisen neigt man der Ansicht zu, daß ein Sozialdemokrat auch als Vizepräsident für Rechte und Zentrum nicht in Frage kommen dürfte, nach dem die sozialdemokratische Fraktion ihre Repläsen- tationspflichten nicht übernehmen will. Die Na tionalliberalen wollen zum Teil ent schieden für ein Präsidium der Linken eintccten, während ein anderer Teil mehr für eine Ver ständigung mit dem Zentrum und der Rechten ist. Eine Besetzung des Postens des 1. Präsidenten durch einen Zentrumsabgeord- neten hält man vielfach nicht für ausge schlossen, doch handelt es sich bei all diesen Les arten nur um die persönliche Ansicht einzelner Ab- geordneter. Die Fraktionen haben einen vogtiven Beschluß noch nicht gefaßt, darum kam es auch zur Vertagung. IS 12 — ein Ltzicklslsfahr? „Wir stehen an der Wand, weiter zurück können wir nicht", so ungefähr hat sich Graf Posa- dowsky im Wahlkampf ausgesprochen. Das Wort prägt fick ein, und von selbst tritt eine lebendige Anschauung hinzu: man sieht einen Fechter, der frei willig oder unfreiwillig den Rücken fest an eine hohe Mauer gepreßt hat; zurück kann er keinen Schritt, von links und rechts stürmen auf ihn die Gegner; so steht Deutschland zu Beginn des Jahres 1912. Aber Graf Posadowsky deutete auch an, daß es gefährlich sei, die Notwendigkeit zu behaupten, daß ein Volk sich mit Gewalt Luft mache. Dadurch könnten Entschlüsse der Gegner gezeitigt iverden, die uns die eigene Entschlußfreiheit noch mehr beengen. Tie Lage Deutschlands in der Welt ist der Gehen- stand der gespannten Aufmerksamkeit fremder Poli- tiker. Oft wird sie mit einer gewissen Schadenfreude geschildert. Zuweilen aber finden sich doch Anzeichen, laß man auch im Auslande geneigt ist, „frchisch" zu ein, sobald man sich Deutschland in ähnlicher Lage vorstellt, wie Preußen zu Friedrichs deS Großen Zeit sich befand: einer mächtigen Koalition gegen über. Eine großzügige Betrachtung vom holländi schen Standpunkte sinket sich in der von Prof. Valkenier Kips herausgegebenen Amsterdamer Mo natsschrift: „De Tijdspiegel". M. P. C. Valter be urteilt dort die Lage Deutschlands nach den letzten weltpolitisclien Ereignissen und nach den Reichstags- Wahlen. Für ihn, wie für jeden echten Politiker, ist Inneres und Aeußeres untrennbar miteinander ver- bunden. Wir stellen hier — ohne zu den Einzelheiten Stellung zu nehmen — in deutscher llebersetzung »u- sammen, was für den deutschen Leser das grüßte Interesse besitzen dürfte. „Es wird", so sagt Valter, „auch in den Nieder- landen noch viel gesproä-cn über ein e r o b e r u n g s- 1 ustiges Deutschland, über den militärischen Geist in Berlin, der für den Frieden gefähr- sich ist. Fortwährend werden wir von un,ercn englischen und französisclM Freunden daraus auf- merksam gemacht. Aber in der Geschichte der letzten 40 Jahre finden solck>e Meinungen keine Stütze. Im Gegenteil! DaS deutsche Volk kennt seine Re- aierung als f r i e d l i e b e n d. Hat das Reich riesige summen aus sein Heer verwendet, dann geschah dies hauptsächlich in der Absicht, die Gefahr eines Nevanchekriegcs auSzuschließen: und gab es seit dem Jahre 1900 große Lummen für seine Flotte aus, so war dies notwendig zum Schutze seiner nicht durch Krieg, sondern m friedlicher Arbeit errungenen Kolonien und zur Sicherung keines Welthandels. Von aggressiver Politik ist keine S p u r z u e n t d e ck e n; fast immer hat Deutschland den mächtigen Einfluß, den es seiner großen Wehrkraft verdankt, zugunsten einer fried lichen Beilegung aller internationalen Streitfragen, welck)e sich ausdrängten, angewandt. Denn an der Erhaltung des Friedens hatte das Land mit seinem wachsenden Handel und seiner sich prächtig entwickln- den Industrie nicht nur ideelles, sondern auch augen blickliches und zukünftiges materielles Interesse. Hätte Deutschland nicht ein starkes Heer gehabt, dann hätte Frankreich schon lange einen Krieg gewagt, der die Entwicklung von Deutsch lands Industrie und Welthandel gehemmt und ge- gesclstidigt lstitte, der vielleiclst das deutsch Land gänz lich arm gemacht und gewiß das Glück aus Taufen- den von Familien verjagt hätte. Alle Energie und alles Geld, das auf die Bewaffnung verwendet wurde, war in Wahrheit ein Opfer, das aus dem Altar des Friedens dargcbracht wurde, des Friedens, der nur bewahrt werden konnte durch eine Machtentfaltung, die im Verhältnis zu der steht, welche ihr gegenüber geltend gemacht zu wer den drohte. In den letzten Jahren wurde jene gegenüber stehende Macht viel größer. Deutschland erfuhr heftige Feindschaft von England und Frankreich zusammen. Deutschland steht mög- licherwcise einer Koalition gegenüber, welche eine außerordentliche Rüstung fordert. Jetzt wie früher versprechen die deutschen Kriegsrüstungen eineBürgschaftfürdenFriedenzusein. Haben die „Junker" und die „Schwarzen", die Kapt- talisten und die Industriellen in der Bergan,«ihcit Schatze dafür geopfert, sie werden diese bei der jetzi gen politischen Konstellation weniger als je verweigern können. Sollte die deutsche Regierung unschlüfsia .sein, die notwendigen Opfer für die Kriegsrüstungen zu bringen, dann würde die Mög- lichkcit für das Zustandekommen eines Bündnisses, das noch schärser gegen Deutschland gerichtet wäre als die Entente, erheblich verstärkt werden. Dann erhielten die Delcasss wieder das Wort in Frank- reich, und es entstünde wiederum lue Gefahr eines Krieges. Der diplomatiscl>e Erfolg, den Teutscl>- land im Jahre 1911 noch zu erzielen wußte, würde ganz gewiß nicht reiche Frucht tragen, wenn er nicht durch kräftige militä rische Rüstung gesichert und befestigt wird. Zeigt aber daS deutsche Volk auf deutliche Weise, daß es noch immer Verständnis und den Willen hat, sich auf Eventualitäten vorzubereiten, dann wird höchstwahrscheinlich Frankreich, wo man soeben das Drohen eines Krieges mit Deutschland so deutlich gespürt hat, dazu gebracht werden, die Revanche- idee für immer im Zusammenarbeiten mit dem mäch tigen Nachbarstaat untergehen zu lassen. Tenn Tausende und Tausende Intellektuelle in Frankreich, die besten politischen Köpfe in jenem Lande, sind sich dessen klar bewußt, daß eine absolute Genug- tuung für das Jahr 1870 — wofür indessen, be? rücksichtigt man die bestehenden guten Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland, wenig Aussicht besteht — doch zu teuer bezahlt wäre mit der briti - sch en Hegemonie, die fast mit Notwendigkeit aus einem großen kontinentalen Kriege entstehen müßte. Versteht Deutschland, daS durch eine loyale ausländische Politik einerseits und durch seine ge waltige Streitkraft andererseits die französiscl en Chauvinisten bis zum Jahre 1900 immer im Zruine zu halten vermochte, jetzt durch noch größere Kraft- anspannung den Rückhalt, den die Dclcasss seit dem Jahre 1902 an England hatten, zu neutralisieren, so wird sich auch bald die in den letzten zehn Jahren versuchte Verwirklichung der großen politischen Idee Edwards VII. als unmöglich erweisen: die Bil dung einer Koalition (die auch die kleinen Nordsee- staaten mehr oder weniger umfassen soll e), die direkt gegen Deutschland gerichtet ist, deren Ziel aber viel weiter liegt: gegenseitiger Streit und Schwächung der Festlandsmächte, wodurch Englands schon acl>- tenswcrtcr Einfluß auf der Wcltbühne und sein un- ermeßlicl)er Reichtum noch in hohem Matze zunchmen würden. Dann darf der Bankerott der so sehr tätigen E n t e n t e p o l i t i k erwartet werden, an der alle Großmächte der Welt, kcine ausgenommen, für kürzere oder längere Zeit zu ihrem unmittel baren und ohne Ausnahme zu ihrem bleiben den Schaden mit England zusammengearbcitet haben, und der wir innerhalb zehn Jahren drei große Kriege zu danken haben: den spanisch amerikanischen, den südafrikanischen und den russisch japanischen. Holland hatte und hat auch jetzt noch ein leb- hafteS Interesse an einem starken Deutsch- land, wo es keinen ernsthaften Staatsmann gibt, der an Eroberung des Küstenlandes denkt. Wäre im Jahre 1899 die deutsche Flotte stark genug ge wesen, dann würden — die Weißbück>er des Jahres 1896 und die in jenem und dem folgenden Jahre abgehaltenen Besprechungen lassen darüber nicht den geringsten Zweifel — die holländischen Repu- bliken in Südafrika n i cht der englischen EroberungS- lust zum Opfer gefallen sein. Und jetzt, zehn Jahre später, tritt das niederländische Interesse an einem kräftigen Deutschland wiederum stark in den Vorder- gründ; denn nur ein solches Deutschland kann die Gefahr eine- Krieges beschwören, in den unser Land fast sicher verwickelt werden würde. Wenn irgendwo außerhalb der Grenze des deutschen Bundesstaates der feste Entschluß der Rcichsregieruug, die Webr- mittel den Verhältnissen entsprechend aus der Höhe ihrer Ausgabe zu erhalten, aus Beifall rechnen darf, wenn irgendwo die Aussicht mit Freude begrüßt wird, daß die' „Junker" und die „Schwarzen", die „mitt- tärische Umgebung" des Kaisers und besonders der Kaiser selber die nötigen Opfer zu bring«., bereit sind, um den Frieden zu wahren, indem sie sich auf den Krieg voroereiten — dann ist das in Hol- l a n d." —a. Zwilchen Rom unü Karthago. (Von unserem römischen Mitarbeiter.) Es war just das richtige politische Wetter, als Frankreichs ehemaliger Außenminister Gabriele Hano- taux seinen Landsleuten im „Figaro" mit leuchten den Farben die drohende „pu nische Gefahr" an die Wand malte. Es stimmt alles, was dieser besta Renner der Schwächen seiner Grande Nation da er zählt. Auch über den Grad der Gefahr wird man mit ihm einig sein können. Und die Verbrei «r der Gefahr, Herrn Hanoraux' „Punier", hallen es nicht einmal für der Mühe wert, die Kassandrastimme mit Beschwichtigungen zu dämpfen. Schlimm für die Grande Nation, sehr schlimm! Ueber Nacht ist ihr ein Feind jenseits der Alpen erstanden, der ihr schon jetzt nicht weniger furchtbar deucht, als der tradi- tionelle Gegner, dem sie durch das Loch lec Vogesen ins Antlitz schaut. Ter Franzose, dessen Ruhe hin ist und dessen Herz schwer wird, nennt sei, en neuen Feind den „Punier". Wozu dieser gewaltsame Rollen tausch!? Sind denn die Italiener von beute nicht die Erben der alten Roma? Und haben die Gall.er denn nicht erst vor wenigen Jahrzehnten die Herr schaft des einstigen Karthago cum beuesicio iavsu- tarii übernommen, sehr zum Verdruß der Nachfahren jenes zornwütigen alten Römers, der mit seinem coterum censoo jeden Hcrrgottstag Tod und Verderben für den Erbfeind predigte? Lassen wir also Per sonen und Tingen den alten ehrlichen Namen, so sehen wir das zweitausend Jahre alte weltgeschicht liche Trama mit den französisch gewordenen Puniern und den italienisch gewordenen Römern als Parti »c von neuem in S^ene gehen. Ter Ausgang des Bölkerspiels um die Herrschaft des Mittesineers — kann er zweifelhaft sein?!? Die Lebenskraft der Gallier von heute »st nicht weniger erschöpft, als die Widerstandsfähigkeit der Punier Hannibals, denen die Schlendertage von Capua gefährlich wurden. Nachwuchs! heißt daS Zauberwort, dessen Klang jedes Patriotenherz in Italien höher schlagen, in Frankreich aber erzittern läßt. 3,73 Lcbendgeborene aus je 100 Italiener, 1,96 Lebendgeborene auf je 100 Franzosen! - Wenig mehr als die Hälfte von dem italienischen Nachwuchs. Hier Blül^en, Wachsen, Gedeihen! Tort in die Augen springende unaufyaltsame Dekadenz! Wer s nicht glaubt, fahre von Rom nach Paris und halte Umschau. Und wenn der bloße Augenschein trügen soll », so sind die Zahlen unerbittlich: Frankreich zählte vor öO Jahren 37 Millionen, heute 39 Millionen Bür- gcr, Italien vor 50 Jahren noch nicht 24 Millionen, heute 35 Millionen Bürger. Frankreich gibt all jährlich an das Ausland und an seine Kolonien noch nicht 5000 Bürger seines Mutterlandes ab, Italien mindestens eine halbe Million seiner Söhne, in be- sonders schlimmen Jahren sogar bis dreiviertel Mil- lion. Wenn diese nun an der Scholle gehal «c wer- den?! Wie lange braucht Italien wohl, um auf den Stand der französiscl-cn Bevölkerung hinauf zugelangen? Das statistische Rcchenere.npcl ist nicht schwer. Oder machen sich auch in Italien Zeichen einsetzendcr Tekadenz bemerkbar? Genau vor 50 Jahren zählte man 3,71 Lebendgeborene auf je 100 Italiener, heute aber 3,73. Also auch hier Fort schritt, nicht Stillstand, nicht Rückgang, wie bei den stammverwandten Franzosen, die vor einem Jahr hundert noch 3,17, vor 50 Jahren noch 2,59 Lebend geborene auf je 100 Bürger zählen durften. ES scheint nicht, als ob die Lolkswirtschafter der Grande Nation das viel gesuchte Mittel zur Hebung und Stärkung der Nachkommenschaft iclwn gefunden hät ten. Es macht weit mehr den Eindruck, daß gegen den Niedergang des französischen VolkStums eben sowenig ein Kraut gewachsen ist wie gegen den Tod selber! „Tas beste Mittel gegen die Entvölkerung," ruft der Bischof Gibier von Versailles aus, „ist Gottesfurcht und Glaube!" Ter fromme Herr brauchte sich nur an den Vatikan zu wenden, um zu erfahren, daß eS mit dem Glauben und der Gottes- furcht der Italiener nicht um ein Haar besser bestellt ist als in der gleichermaßen katholischen Bevölke rung Frankreichs. Und doch ruht der Segen der Nachkommenschaft auf der glaubenslosen Einwohner schaft Italiens, die den lieben Gott wenig, die Fran zosen aber gar nicht fürchtet. Wenn nun die Volkswirtschaftler drüben mit ihrem Latein zu Ende sind, brauchten es darum ihre Staats männer nocb lange nicht zu sein. Sie hätten sicb die Invasion der nachkommenreichen Italiener nicht nur gefallen, sondern sie auch fördern sollen. Sck^on manchem hat das Oiviäe st impera! über momentane Schwierigkeiten hinweggeholfen. Al er schon einem Julius Cäsar fiel, als er seinen Römern die erste Bekanntschaft mit den Galliern vermittelte, bei diesen ein großes Maß von Neid und Eifersucht auf, und den Parisern der alten Lutetia sagte ec nach, daß sie „semper rscuw vovarum cupicli" waren. Hat sich seit den 1900 Jahren etwas geändert in dem Volks- charakter der Gallier? Händel-, Lchel- und Neue rungssucht steckt ihnen als schlimmes Erbteil im Blut. Nur zu gern möchten sie das Mittelmeer als mar« n ntrum beherrschen. Herr Hanotaux klaat's, daß e-. nicht so ist. „Frankreich kann nicht zugeben, daß sein afrikanisches Reich nunmehr von seinem Mutter land getrennt und abgeschnitten wird." Ja, wa- mächten die Franzosen überhaupt noch zugeben? Spanien und Deutschland mißgönnen sie Marokko, Italien das bißchen Tripolis. Doch der „Matin" setzt großmütig statt des mars oostrum ein marv latinum. Allein der Name macht es nicht. DaS Bewußtsein der Kraft allein ist aus schlaggebend, jener Kraft, die nicht mit tönenden Schlagworten um sich wirft, sondern zur Tat schreitet. DaS wiedergeborene Italien fühlt sich jung und
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