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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.11.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111114018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911111401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911111401
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-11
- Tag 1911-11-14
-
Monat
1911-11
-
Jahr
1911
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tzir Museumszwecke zn ermögltche«. beabftchtiat die Krone, den Kofgartenbetrieb unter Verzicht üuf das Recht zur Benutzung der jetzigen Hoiaärten, insbesondere auch de» Herzoam-Gartens ausAr « al de» Kammergutes Pillnitz zu verlegen, gegen Vergütung des der Krone durch die Verlegung erwachsenden Aufwandes. Der Betrag von 800 000 Mark stellt den auf den Herzogin-Garten entfallenden Teil sener Vergütung dar. Der Rest der Vergütung soll, die Zustimmung der Stande zu dem ihnen vorzu legenden Vertrage zwischen der Krone und dem Staatsfiskus über die Hofaartenverleaung voraus gesetzt, aus dem Domcinensond» bestritten werden. Ob das dort geplante Museum zur Aufnahme des Dresdner Hygiene-Museums oder zur Erweiterung der Königlichen Sammlungen für Kunst und Wissen schaft bestimmt sein wird, rst in der betreffenden Ge setzesvorlage nicht näher ausgeführt. Oer türkisch-italienische Krieg. Die türkische Presse bespricht die Möglichkeit einer Ausdehnung der Feindseligkeiten Italiens aus den Archipel und die türkischen Küsten und meint, die Besetzung der Archipelinseln wäre kein Pres sionsmittel, da die Türkei dort nichts zu ver lieren hätte und von der Fortsetzung des Krieges nur Vorteil haben könnte. Der türkische Ministrrrat be- schlotz am Sonntag, den Konstantinopeler Blättern zufolge, den Mächten zu notifizieren, Latz die Pforte im Falle eines Angriffes auf die türkischen Inseln oder Küsten sofort alle Italiener a u s w e i s e. Ueber die Aktion im Aegäischen Meere liegt noch folgende Depesche vor: Konstantinopel, 13. November. (Eig. Drahtmeld.) Die hiesigen maritimen Kreise nehme» an, datz die Italien ischeFlotte im Acgäischen Meere, wenn sie überhaupt etwas unternimmt, was bis jetzt noch nicht der Fall gewesen ist, die Dardanellen a n- greisen wird. Kein Auftreten Deutschlands gegen eine italienische Seeattion. Italienische Blätter berichteten, Deutschland und Oesterreich hätten gegen die geplante Flotrcnaktiou Italiens im Acgäischen Meere Einspruch erhoben. Minister di San Gniliano habe aber mit einem ge harnischten Protest geantwortet. Diese Nachricht trifft, wie wir feststellen können, in bezug auf Deutsch land nicht zu. Deutschland hat einen derartigen Schritt nicht unternommen. Es hat weder für, noch gegen die beabsichtigte Flottenaktion Stellung ge nommen. Die Mächte und die Slnnexionsertlärnng. Konstantinopel, 13. November. (Eig. Drahtm.) Hier sind Gerüchte verbreitet, datz die Mächte aus den türkischen Protcst gegen die Annexion von Tripolis bereits geantwortet haben, doch ist das, wie von unterrichteter Stelle mitgeteilt wird, nrcht der Fall und wahrscheinlich werden die Mächte über haupt nicht antworten, da sie auch die An- nexionserklärung unbeantwortet gelassen haben. Neue Kämpfe in Tripoli». Wie aus Tripolis gemeldet wird, entstand gestern bei dem Brunnen bei Bumiliana ein leb hafter Kampf. Die Türken, die, 1000 Mann stark, die italienischen Posten anariffen, wurden, nach dem letztere Verstärkungen erhalten, zuriickge- schTagen. Auf italienischer Seite wirkte bei dem Kampfe eine Feldbatterie mit, die den Türken schwere Verluste beibrachte. — Weiter wird dazu gemeldet: Tripolis, 13. November. (Agenzia Stefani.) Gestern in den ersten Morgenstunden wurde die süd liche Front der italienischen Stellungen zwischen der Kavalleriekaserne und dem Bumilianabrunnen ange griffen. Der Angriff wurde von einem Bataillon regulärer Türken, die von Artillerie unterstützt waren, ausgeführt, kam jedoch 600 Meter vor der italieni schen Stellung infolge des Artilleriefcuers zum Stehen. Die Türken verloren fünf Tote, darunter einen Offizier, und nahmen zahlreiche Ver wundete mit sich. — Gegen 2 Uhr nachmittags wurde ein neuer ähnlicher Angriff gemacht, der ebenfalls von den italienischen Truppen zuriickge « wiesen wurde, die keine Verluste hatten. Die Siegesideldunge« der italienische« Presse. Die italienische Presse hat sich bisher die redlichste Mühe gegeben, die nicht erheblichen Erfolge Italiens in Tripolis m sensationellen Siegesmeldungen m feiern. Demgegenüber empfiehlt der „Corriere della Sera" allen italienischen Redaktionen Mäßigung in den Ueberschriften und Kommentaren, da „es sich um einen Kolonialkrieg handele, der die Geduld de« Publikum» noch lange in Anspruch nehmen werde". Türkisch, Verlustliste i» italienischen Licht. Das italienische Kriegsministerium gibt eine Liste der in den letzten Tagen erfolgten Verluste der Tür ken in Tripolis heraus. Danach haben die Türken am Donnerstag 100 Tote und Verwundete zu ver zeichnen. Am Freitag sollen die Türken während eines heftigen Kampfes, in dem erstere die Angreifer waren, ca. 2000 Tote und Verwundete verloren haben. Die Verluste der Italiener an den beiden Tagen sind wie man es wohl nach einer aus Rom kommenden Meldung nicht anders erwarten kann — nur gering. Ballons und Aeroplane auf dem Kriegsschauplatz. An- Tripoli- wird gemeldet: Ein Drachenballo« bei Tripolis. Mailand, 12. November. Nachdem der italienische Drachcnballon am Sonn abend früh einen Probeausstreg gemacht hatte, leistete er sofort große Dienste beim Ein schieße» der S chi s f L g e s chü tze aus die feindliche» Stellungen bei Ainzara. Gegen abend stieg der Ballon trotz starken Windes ans und signalisierte dem Kreuzer „Carlo Nlbcrio", daß sich das feindliche Lager in 8000 Meter Entfernung befinde. Daraufhin waren von sechzehn Schüssen evcnsovteleTrcs- fe r. 'Der Feind slob unter Zurücklassung vieler Toter und Verwundeter. Die Signale wurden ge geben vom Ballon aus durch rote Fahnen. Nach einer Mitteilung der Pariser Sportzeitung „Aero", die diese Nachricht aus sicherer Quelle er fahren haben will, hat die Türkei ihre Pariser Gesandtschaft beauftragt, mehrere bekannte fran- zösischeFlugzeugführerzu engagieren. Tie Flieger sollen im Feldzuge in Tripolis Verwendung finden. Die türkische Regierung bietet bei einem Engagement von 6 Monaten 10 000 Fr. für jeden Monat. Außerdem wird den Fliegern zugesichert, nach Beendigung des Kriege- bei der Errichtung einer Militärsliegerschule in Konstantinopel als Flug lehrer angestellt zu werden. Die Tunir-Krawalle. In Tunis herrscht wieder Ruhe. Tie. franzö sische Behörde glaubt einer förmlichen Verschwö rung aus die Spur gekommen zu sein. Die auf rührerischen Araber, die festgenommcn wurden, tru gen alle größereGeldbeiträge bei sich. Auch bei den Eingeborenen, die während der Unruhen von der Polizei und den Truppen erschossen wnr- den, sind Beträge von zusammen 20 000 Fr. ge funden worden, die beim Untersuchungsrichter hin terlegt sind. Die Frage drängt sich auf, woher da verlumpte und barfüßige Gesindel, von dem die iliuhestörungen ausgingen, »u dem Gelbe gekommen sein möge. Man glaubt, daß Sendlings der türkischen Regierung oder der Senus- siv an der Arbeit gewesen sind. Italienische Massendesertationen. 8t. Innsbruck. 13. November. (Tel.) Bei Bor ghetto sind in den letzte» Tagen über 200 italienische Deserteure über die Grenze gekommen. Sic flüch teten wegen des Krieges in Tripolis. Auch aus Nizza kommen zahlreiche Meldungen von Tescrta- tionen über die französische Grenze. Die Reservisten leisteten der Einberufnngsorder keine Folge und schifften sich nach südamerikanischen Häfen ein. Auch «ine Folge de» Krieges. Brüx, 13. November. (Privattelegramm.) In Brnch kam e- zwischen italienischen und tschechischen Bergarbeitern nach einem Streit üd«r den italieuifch- türkischen Krieg zu einer förmliche» Schlacht. Ter Italiener Mal iliana wurde durch einen Mes serstich ins Herz getötet, der Italiener To- menico tödlich, weitere - Bergarbeiter teils leicht, teils schwer verletzt. Die Revolution in Shins. Di« Revolution macht weitere Fortschritte. In Mukben wird di« Prooinzo«rsammlung demnächst di« Unabhängigkeit L«r Provinz erklären. In Kal- fengfu handelt di« Nationalv«rsammlung im Ein verständnis mit dem Militär uno den Literaten, doch scheint, nach der „Morning Post", die llnabhangig- keitserklärung der Provinz erst später zu erfolgen. Di« Familie des Gouverneurs hat die Stadt ver lassen, der Gouverneur selbst ist zwar noch daaeblie- ben, schläft aber nicht mehr in seiner Amtswohnung. In Haniang haben di« Kaiserlichen ein Bom bardement eröffnet, das ziemlich wirkungslos blieb. Die Unadhänglgkeit der Schantungsprovinz besteht seit letzten Freitag. In Paotingfu ver suchten die Kaiserlichen vergebens, einzudringen. In Fut schau sind di« geschlagenen Mandjchus rm Jamen des Vizelönigs zusammengedrängt. Man er wartet harte Kamps«. Mittlerweile Sengen und Brennen der Räuber. Nach einer Meldung des amerikanischen Admirals Mardock versuchten ManLfchus das Fremdenviertel von Futschau in Brand zu stecken. Der Vizckönig von Futschau hat Selbstmord begangen, und der Tatarengeneral wurde gefangengenommen. Auch die ganze S ch a n s i p r o v i n z ist revolutionär. Die bürgerliche Verwaltung von Taynanfu ist in den Händen der dortigen Nationalversammlung. — Weiter wird gemeldet: Schanghai, 13. November. (Reuter-Bureau.) Tschifu ist ohne Blutvergießen zu den Revolutio nären übergegaugen. In Nanking haben, wie bereits gemeldet, di« kaiserlichen Truppen wieoer die Oberhand, sie lassen sich dort als Sieger zu den drakonischsten Maßnahmen gegen die Rebellen ymreitzcn: H Loudon, 13. November. (Eia. Drahtmeld.) Aus Nanking hier einaetrosfene Nachrichten besagen, datz das Standrecyt in der Stadt in derschärf - st en Weise gehandhabt wird. Der Kommandant der kaiserlichen Truppen, General Schang, läßt alle Verdächtigen, unter denen sich auch eine ganze Anzahl seiner eigenen Soldaten befinden, erschießen. In der Stadt macht sich bereits ein Mangel an Nahrungsmitteln bemerkbar. Die Revo lutionäre haben ca. 15 Meilen außerhalb Nankings ein Feldlager errichtet. Die Regie rungstruppen Haven Artillerie und große Mengen von Munition herbeiaeschafft, um sich mit den Aufständischen in einen Kampf einlasien zu können. Die Lage in Tientsin. Tientsin, 13. November. (Eig. DrabtmelL.) Mehr als 100 000 Flüchtlinge, unter denen sich viel Gesuche! befindet, halten sich zurzeit hier auf und bilden eine große Gefahr für die Fremdennieder lassungen. Das ganze Geschäftsleben liegt dar- nieder. Für Lebensmittel werden, namentlich von Fremden, ungeheure Preise gezahlt. Die Be unruhigung ist allgemein. Die absurdesten Gerüchte werden von der kopflos gewordenen Menge blind ge glaubt. So heißt es z. B-, daß Puanschikai den Befehl gegeben habe, seine sämtlichen Rivalen bei der Anwartschaft auf den Präsidentenposten er morden zu lassen. Die falschen Gerüchte tragen viel dazu bei, die allgemein« Verwirrung zu erhöhen. Der Kaiser von China in Mulden. Die „Nowoje Wremja" veröffentlicht eine bisher unbestätigte Privatmeldung aus CHarbin, derzu- folge der Prinzregent von China mit dem Kaiser seit drei Tagen in Mukdcn weilen, was aber geheim gehalten werde. Russische Truppensendungen nach Peking. Petersburg, 13. November. (Eig. Drahtmeld.) Hiesige Blätter melden, daß gestern nacht 2 Abteilun gen Infanterie und eine Abteilung Artillerie, ins gesamt 1500 Mann, von Wladiwostock mit der Eisen bahn nach Peking abgegangen sind. Puanschikai in Peking. Peking, 13. November. (Reuterbur.) Puan, schikai ist nachmittags mit zweitausend Mann hier eingetrosfen. Eine enorme Menschenmenge war zusanuneugeströmt, die ibn schweigend empfing. Die I Ordnung wurde nirgends gestört. Keine amerikanische Intervention. Die Bundesregierung in Washington erklärt offiziell, daß di« aus Japan stammende Meldung, wo- nach die amerikanische Regierung beschlossen hätte, die Mächte zu einer gemeinsamen Aktion auf dem Zangtsekiang aufzufordern, jeder Begründung entbehre. Werter wird gemeldet: Berlin, 13. November. (Eig. Drahtmeld.) Von derBauoerwaltung der kaiserlich-chinesischen Tientsin-Pukow-Eisenbahn, Nordstrccke in Trentsin, ging heute bei der deutsch-chinesischen Eisenbahngesellschaft Hierselbst die Mitteilung ein, daß alle europäischen Angestellten der Bahn gesund und wohlauf seien und daß augen blicklich kein Anlaß zur Beunruhigung vorliegc. Die üeuMe Kriegsbereitschaft. In Ergänzung der amtlichen Mitteilungen über die — unrichtig geschilderte — Kriegsbereitschaft von Heer und Flotte erführt die „Mil.-pol. Korrespondenz" von unterrichteter Seite folgende interessante Einzel heiten über den Grad der im September bestandenen finanziellen Vorkehrungen für den Ernstfall: „Es sind seitens der Reichsregierung Maßnahmen und Verabredungen mit den staatlichen und privaten Geldinstituten getroffen gewesen, wo nach, so fortgreifbar, über genügend bares Gold hättLdverfügt werden können, um die voraus sichtlichen Ausgaben eines ersten Kriegs monats zu bestreiten. Auch für «ine sehr viel längere Kriegsdauer war jede denkbare geld liche Eventualität genau, im Zusammenwirken aller Reichs st eilen, erwogen und vorbereitet worden. Wenn die Erfahrung der kritischen Herbsttage noch neue Lehren gezeitigt hat, so dürften sie sich dahin gehend bewegen, daß man an die Erhöhung des friedensmäßigen Kriegsschatz-Barbe standes denkt. Von militärischer Seite wird einer Verstärkung der im Juliusturm lagernden Spe- zialreserv« von 120 Millionen Mark Gold sehr da» Wort geredet. Diese Summe hat wohl den Erfor dernissen vonvordreißig Jahren genügt, wird aber für die heutigen allerersten Mobilmachungs- bedürfnisse als zu klein erachtet. Es steht zu erwarten, daß ein Modus ausfindig gemacht werden kann, wonach die Erhöhung des Kriegsschatzes um etwa Las Dreifache seine» heutigen Betrages möglich ist, ohne eine so hohe Summ« Goldes wie 360 bis 380 — wei tere — Millionen Mark dem Verkehr ganz zu ent ziehen." Wenn von einem leitenden Finanzmann, der in engen Beziehungen zu einer unsrer größten Privat- banken steht, das Empfinden des Großkapitals über die jetzt überwundenen Gefahren der letzten beiden Monat« als mit dem Gefühl des „Reiters übe rm Bodensee" verglichen worden ist, so wird von der betreffenden Persönlichkeit Wert auf die Feststellung gelegt, Laß dieser Ausspruch sich lediglich auf die bedenkliche lleberspannung der Speku- latron und des Kredits in eben jener Zeit und darauf bezogen hat, daß «in Krieg Deutschland in der denkbar ungünstigsten Zeit getroffen haben würde, und daß sein Ausbruch im September von den schwersten wirtschaftlichen Schäden für uns hätte begleitet sein müssen. Die lpsmlüi-krsnMWen verhsnülungen. Frankreich hat die Enttäuschung erlebt, zu früh gejubelt zu haben Nach der Unterzeichnung des Marokkovertrages mit Deutschland wähnte es sich be reits Herr über ganz Marokko, als plötzlich auch Spa nien seine Ansprüche gsltepd machte, und zwar in Die Phantasie im Sinüesleven. Bon Rektor P. Hoche. Tie Phantasie macht eigentlich da» ganze kind liche Seelenleben aus. Von besonderer Bedeutung isr diese »krast für daS Spiel. Hier wirkt sie im höchsten Grade schöpferisch und baut ein Reich auf, dessen Grenzsteine unendlich wezt voneinander ent fernt sind, selbst in jenen Spielen, die nur äußer liche, körperliche Betätigung verlangen, folgt es den Regungen seiner PImntasie. Beim Singespiel duckt es sich nieder mrd ahmt „das HäSlein in der Grube" nach; da zieht es keuchend den schweren Holzblock nach sich, so bildet e» sicb ein, die Lokomotive zu sein und einen ganzen Zug von Wagen schleppen zu müssen. 2Seil die Phantasie beim SHiel derartig tätig ist, wird dem Kinde auch jenes Spielzeug am zuträglichsten sein, daS seiner Einbildung die meiste Nahrung gibt. In dieser Beziehung kann man die heutigen Apielwaren durchaus nicht loben, denn sie sind zu fertig, zu gekünstelt. Ihr materieller Wert verursacht gerade ihren pädagogischen Nachteil. Wenn die Puppenstube als getreue Photographie eines Wohnzimmers gelten kann, wenn das Schiss ein richtiges Modell eines wirklichen Fahrzeuges ist, was bleibt dann der kindliclfen Phantasie noch zu schaffen übrig? TaS Kind selbst übt an solchem ferti gen Spielzeug auch die beste Zkritik: denn es staunt eine Zeitlang über den vollkommenen Mechanismus, sucht ihn dann von innen zu be- schauen und wirst endlich den wertlos gewordenen Gegenstand, mit dem es nichts mehr anzufangen weiß, überdrüssig und teilnahmloS zur Seite. Das einfachste Spielzeug wird dagegen immer das beste sein. Tenn ihm kann eS hunderterlei Beziehungen andichten. Ter Zauberer Phantasie verändert und vervollständigt auch die geringsten Tinge. Ter zcr- sranste Lappen wird zum schimmernden Gewände, der armselige Glasscherben zum funkelnden Ge schmeide, das dürre Blatt zum goldenen Lösfel. Einfache Tinge: ein Hänschen Sand, eine lange Schnur, wieviel Möglichkeiten bieten sic der Einbil dung dar! Nickt der wirkliche, soirdern der dem Spielzeuge innewohnende Illusion-wert mackt es für das Kind reizvoll. Bezeichnend sagt Jean Paul: ,HedeS Stückchen Holz ist ein lackierter Blumenstab, an dem die Phantasie hundertblSttrige Rosen auf- stängeln kann." Auch da» Märchenglück ist ohne die Phantasie nickt denkbar. Wie ist doch da- schwache Wort, der dürftige Buchstabe imstande, das Gemüt de» Kindes in einen grünenden und blühenden Wunder garten zu verwandeln. „Glückliche Zeit der Kind- Heit, in der eine neue und wunderbar«, vollstän dig durch den Zauber einer lebhaften Phantasie ge- schaffene Welt an Pracht, an Deutlichkeit der Einzelheiten, ja auch an Unwanoelbarkeit mit den naheliegendsten, von dem leiblichen Anne erblickten Welträumen tvetteifert, ehe das Nachdenken be gonnen hat, eine scharfe, scheidende Grerrze zwischen den Gebieten der historischen Wahrheit und der Erdichtung zu ziehen." (Sully.) Wie sehr die Phan tasie gerade unter dem Banne des Märchens daS ganze Leben des Kindes ausfüllt, will auch Maxim Gorki uns beweisen, wenn er in seinen „Trei Menschen" berichtet: „Ticht beicinandersitzend, feier ten die Knaben, zitternd vor Neugier und seltsam freudiger Spannung, ihren Einzug in eine neue Wunderwelt, in der gewaltige, böse Ungeheuer unter den mächtigsten Streichen böser Ritter verröchelten, in der alles großartig, schön und wunderbar war und nichts dem grauen, eintönigen Alltagsleben glich. Ta gab e» keine Betrunkenen, keine zer lumpten klcmen Zwergmenschen, und statt der halb verfaulten, hölzernen Baracken standen da gold schimmernde Paläste und himmelaufstrcbende, un nahbare eiserne Burgen." Wäre daS Kind imstande, nnS sein Phantasie- leben offen darzulegen, wir würden wohl staunen müssen über den Reichtum seines Innern. Wievicle Luftschlösser baut «S, von denen wir keine Ahnung haben! Es liebt zu plaudern, zu schwatzen. Tabci spricht cS häufig nur au-, was cS an Einbildungen gerade erlebt. Und da seine Phantasien mit der Wirklichkeit in der Regel nicht viel gemeinsam haben, so plaudert cS allerlei Tinge, die objektiv unwahr sind. In der Tat wird daS Kind aus diesem Grunde häufig als Lügner angesehen, aber mit Unrecht. Tenn seine Worte sind der getreue Ausdruck dessen, was cs gerade empfindet. Was kümmert es in den frühen Jahren die objektive Wahrheit, und wie könnte es sich schon ausschwinaen, Kritik an seinen eigenen Empfindungen zu üben, sie in Zucht zu nehmen. „In den ersten fünf Jahren," sagt (jean Paul sehr richtig, „sagen die Kinder kein wahres und kein lügendes Wort, sie reden nur." Und gerade die begabtesten, die geistig regsamsten Kinder werden am öftesten solche falsck)e Lügen auskprechen, da bei ihnen auch die Phantasie am geschäftigsten ist. Jedenfalls braucht den Er zieher dieses Durcheinanderwersen von Dichtung und Wahrheit nicht sonderlich zu betrüben; e» schädigt den Wahrheitssinn de» Kinoe» nicht, unt> die Neigung zu solchen Phantasiclügen schwindet meist mit den Jahren. Von besonderer Bedeutung ist die Phantasie auch für die Furcht des Kindes, die eine so große Rolle in seinem Leben spielt. Furcht entsteht gewöhnlich vor dem Unbekannten. Auch hier zeigt es sich wieder, daß das Kind diesen Vorstellungen gegen über ziemlich machtlos ist, daß e» unter ihrer Herrschaft steht. Tenn die schreckhaften Einbildun gen kehren wieder, auch wenn der Geist gegen sie ankümpfen will. Eine reiche Phantasie kann dem Kinde ein Paradies bereiten, sie kann lhm aber auch zur Hölle werden. Wie sehr die schreckhafte Ein bildung da- jugendliche Gemüt beherrscht, geht daraus hervor, daß sie auch noch während des ScklafcS weitecwirkt und das Kind mit wirren Träumen quält und bedroht. TaS sind gewöhnlich Naturen, bei denen die Einbildungskraft ihre Gren zen überschreitet und pathologisch wird. Bei einer derartigen Geistesverfassung ist zweierlei zu unter scheiden: entweder ind die übrigen Fähigkeiten normal und nur die Phantasie ragt über alle andern bedeutend hinaus, oder die ganze innere Veranlagung ist gegen die Einbildungskraft zurück getreten und unentwickelt geblieben. Pathologisch >oird die Phantasie auch dann, wenn die früher bewußte Selbsttäuschung sich allgemach in die un bewußte verwandelt, wenn das Kind also nicht mehr genügend ^unterscheiden kann zwischen dem ästhetischen Spiel der Vorstellungen und der eigentlichen Wirk lichkeit. Tie höchste Steigerung dieser gefährlichen Anomalie ist der Wahnsinn. Auch ihm fehlt es nicht an Vorstellungen; aber sie treiben ein völlig willkürliches Spiel miteinander und treten in den schwereren Fällen nie ins Bewußtsein. Wo die reickse Phantasie dxr bewußten Selbsttäuschung unterliegt, da kann sie rechte Frühreife ernten und die An lage zum Talent zeigen: jedenfalls kann sie dann auch eine reiche Quelle der Freude werden. Tiefem Phantajicreichtum kommt die äußere Einsamkeit sehr zu statten. Je weniger der Mensch von den wirklichen Dingen abgelenlt wird, je mehr zieht er sich in seine eignen Seelentiefcn zurück. Auch schüchterne Kinder, die vor der Welt der äußeren Erscheinungen scheu zurückweichcn, führen meistens ein nm so reicheres Euibildungslcbcn. Verhältnismäßig seltener kommt abnorme Phan- tasiearmut vor, ja vollständig ist sic als sogenannte Aphantasie eigentlich nur bei Idioten möglich. In dem Maße, wie derartige Kinder sich in der nor malen Richtung entwickeln, tritt auch die Phantasie immer mehr auf, wenngleich zunächst im passiven Zustande, d. h. wenig vom eignen Willen beeinflußt. Phantasiearmut läßt sich am besten beim Spiel beobachten. TaS phantasielose Kind hat keine Freude an Sachen, denen ein reicher Jllusionswert inne wohnt, da ihm eben die Kraft fehlt, das Mangelnde der äußeren Ersck»cinung in der Einbildung zu er setzen Ebensowenig ist es imstarrde, beim Erzählen von Geschichten die Einzelheiten anSzuschmücken, einen Gedanken allein weiter zu verfolgen. TS tritt aber auch häufig der Fall ein, daß die Phantasie außer ordentlich arm ist, während die Verstandestätigkeit gesteigert ist. Solche Kinder werden später zu jenen kühlen, nüchternen Naturen, die jedes Ting aus seinen praktischen Wert prüfen und selten eines hohen Aufschwunges fähig sind. ES tut kaum not, auf die zahlreichen Lichtseiten der Phantasie besonders hinzuweisen; aber ebenso klar muß sich der Erzieher darüber sein, daß sie imstande it, der geistigen Gesundheit in hohem Maße zu schaden. Sie schafft zu den Menschen herzen nicht nur die schönsten Ideale, sondern sie erfüllt es auch mit Wahn und Aberglauben. Wie wahr ist, was Feuchtersleben in seiner „Tiätetik der Seele" von dieser Macht sagt: „Sie ist ein sanftes, pestalisches Feuer, welches, wenn es jung fräulich gehütet wird, leuchtet und belebt, wenn man eS aber entfesselt, verzehrend um sich greift." Deshalb muß der Erzieher der Pflege der Phan tasie besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Am wenigsten läßt sich wohl gegen Phantasiearmut tun. Tenn die Einbildungskraft ist nun einmal in der Hauptsache Veranlagung, die sich nicht beliebig ins Leben rufen läßt, so wie man ja auch nicht in jedem Felsen einen Wasserquell öffnen kann. Phan- tasiearmut kann natürlich nicht zu gefährlichen Aus- wüchsen, Hum „verzehrenden Umsichgreifen" der Ein bildungskraft führen. Aber dieser Vorteil wiegt den Nachteil nicht auf, der darin besteht, daß sich der Mensch nie aus der nüchternen Alltagswelt in eine Jdcalschöpfnng zurückziehen kann. Gegen das Ueberwuchern der Phantasie gibt es dagegen manche Heilmittel. Wo srch die Kräfte der Ein bildung entfesseln, da wird eS angebracht sein, den Sinn LeS Zöglings schon frühzeitig auf wirkliche Tinge zu richten, ihm eine Beschäftigung zu geben, die tüchtige Arbeit und den Gebrauch aller Ver standeskräfte von ibm erfordert. Auch die Lektüre muß scharf überwacht werden; mit besonderer Vor sicht scheide man alles Aufreizende und Abenteuer liche aus, denn es ist ja nur zu bekannt, welchen Schaden beispielsweise die Jndianergeschichten in den Köpfen unserer phantasiebegabten Knaben anzu richten pflegen. Bei Kindern, die viel träumen und über ihrem Berlorensein die Anforderungen des Alltags übersehen, achte man darauf, daß sie mög lichst wenig allein sind und sich körperlich ermüden, sei cs in langen Wanderungen, in Bewegungsspielen oder in gemeinsamer Arbeit. Auch ein wohlmeinen des liebevolle» Wort wird gerade an dem begabten Kinde nicht spurlos vorübcrgehcn. In erster und letzter Linie aber suche man sich zum Vertrauten de» Kindes zu machen, einen Einblick in sein Phan tasieleben zu tun, um es dann um so besser be einflussen zu können.
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