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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.11.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111110018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911111001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911111001
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-11
- Tag 1911-11-10
-
Monat
1911-11
-
Jahr
1911
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Nr. S12. los. Islirmms. ollten andern Sinn haben, als der 'nteresse Deutschlands hält, wer in der Richtbean- »pruchuna des Besitzes eine Preisgabe des Ansehen» erblickt, kann kein Oter kennen und muh verlangen, das, wir in den Krieg ziehen, um Südmarokko zu er» ober». Die Wiederherstellung der Algecirasakte kann kein gleichwertiges Aequivalent sein. Mit dieser zweiten Formel ist also vom Stand punkte der Ehre und des Ansehens Deutschland» nichts anzufangen aber auch nicht vom Standpunkte einer prattischen Realpolitik. Sudmarokko wäre für uns um deswillen nichts Begehrenswerte» gewesen, weil seine Erwerbung, Sicherung und Verteidigung uns dauernd Opfer auferlegt halte, die in keinem Verhältnis zu dem Werte stehen würden. Das ist von jeher, bis zum letzten Sommer hinein, die allgemeine Uebcrzeugung gewesen, (Sehr richtig!) Ich will nicht von Bismarck sprechen, der aeraoczu den Wunjch aussprach, das, sich Frankreich Marokko aneigne. Sie würden antworten, das, sich die Zeiten geändert haben. Aber auch nach Bismarck ist ununterbrochen die An sicht vertreten worden, daz wir in Marokko keine politischen Interessen zu verfolgen hätten. Feierlich ist es anerkannt im Februar-Abkommen von 1909. Alle Parteien des Reichstages haben bei Besprechung des Abkommens dem Anerkenntnis zugestinimr. Wo her soll sich das mit einemmal geändert haben? Süd- Marokko ist zwcisellos ein schönes Lund und soll be sonders erzreich sein und e.,icn fruchtbaren Boden habeir, auf dem m.- deutschen Auswanderer sich an siedeln könnten. Ich will nicht sirei'er., wiewobl sich »'ner marokkanischen E'.tdr.unaepoii i' mancherlei Anerkennung machen 'teste. Also ick, nehme an, daß cs oir sich ein sehr wünschenswertes Stück Erde ist, aber man must doch jagen, wer es nun einmal für die Ausgabe Deutschland" hält, begehrenswerte Länder dl^ch krieg zu erobern, tonnte ebenso gut und viel leicht noch lnnier al ; auf Marokko aui ändere Länder verfallen. (Sehr richtig! Hört! Hört! Unruhe.) Das ist ja auch tatllichlich geschehen, sogar in bezug aus europäische Lander. Aoer das lind phantastische Spielereien, und ich wundere mich nur, daß es immer noch Menschen im Auslands gibt, oie ihnen eine Bedeutung für die deuUcye Politik beilegen. Eine starke Politik gerade im Sinne einer Weltpolitik kann Deutschland nur führen, wenn es sich auf dem Kontinent stark erhält. Rur das Gewicht, das wir als Kon tinentalmacht einsetzen, ermöglicht uns den Welthandel und dir Weltpolitik. Beide fallen in iich zusammen, wenn wir zu Hause nicht start sind. Erwerben wir Äustenposttionen, deren Sicherung wir nur durch eine Verzettelung und Schwächung unserer kontinentalen Kräfte erreichen können, dann sägen wir an dem Ast, auf dem wir ntzen. (Sehr richtig!) Deshalb hat unsere Politik in den lohten Jahrzehnten richtig gehandelt, wenn sie politische Rechte in Marokko nicht unstrebte. Des halb sind wir jetzt auch aus dem rechten Wege, indem wir einen Landcnverb in Marokko von vornherein aus der Aktion ausschiedcn. Ich nehme es für unsere Politik als besonderes Verdienst in Anspruch (Sehr richtig!), dast sie der Utopie eines Landerwerds in Marokko nicht nachgclauzen ist. Die Klagen über schlechte Politik stammen aber nicht nur aus den Kreisen, die ein Stuck von Marokko wollet^ weit darüber hinaus sind sie erhoben worden, sclltrn solche Klagen einen , eigenen Regierung in auswärtigen Fragen Schwierig keiten zu bereiten, so müssen ste ein greifbares Ziel zeigen. Ich will nicht von denen sprechen, die sich im Sommer schlechthin einen Krieg wünschten. Ihre Zahl war aber doch wohl nicht so gro>^. wie die Worte, die sie in den Mund nahmen. (Heiterkeit.) Ucber die Verwerflichkeit dieses Treibens will ich kein Wort mehr verlieren. Andere haben einen Präventivkrieg, sei es gegen Frankreich, fei es gegen England, oder gegen beide, gewollt. Sie alle wissen, wie Bismarck über Präventivkriege dachte, sein Rat, >o hat er gesagt, werde nie dahmgeben, einen Krieg zu nihren, weit er später doch einmal geführt werden müsse. So könne er der Vorsehung nicht in die Karren sehen. Auch einen siegreichen Krieg betrachte er an sich immer als ein Uebel, das die Staatskunst den Böllern zu ersparen bemüht sein müsse. Run, das und die b.rundjälze, die uns auch jetzt geleitet haben. Riemand kann rvis cn, ob Deutschland der Krieg mit seinen Rachbarn ocschicsen sein wird. Aber für mich, der heute die Verantwortung zu tragen hat, ist es Pflicht, die Geschälte so zu führen, dast der Krieg, der zu vermeiden ist und der nicht von der Ehre des Landes gefordert, auch vermieden wird. (Sehr richtig! links.) Das sind die Grundsätze gewesen, nach denen die Morokkopolitii in der lechen Episode geführt worden ist. Marokko war eine dauernd schwärende Wunde in dem Verhältnis nicht nur zu Frankreich, sondern auch zu England. Der Zug der Franzosen nach Fez führte eilt alures Stadium herbe» und machte eine Operation notwendig. Wir baden sie vorgenommen, um die Wunde zu heilen. Das Ergebnis der vor liegenden Verhandlungen hätten wir nie erreicht, wenn nicht beide Regierungen demselben Ziele zu- aeslcucrt hätten. Ich halte es für einen groben Gewinn, dast es Deutschland und Frankreich möglich gewesen ist. sich über eine so heikle, so viel offene und lüteurc Gefahren bergende Frage, wie die Marokkofrage, im Wege einer friedlichen Verständi gung zu einigen. Diese Tatsache ist mehr wert als alle Diskussionen über Abrüstung und Schiedsver- träge. Sie kann die Grundlage werden für die An bahnung und Festigung eines Verhältnisses, wie sie den wahren Vedürfnisten und dem Fortschritt der beiden grosten Nationen entspricht. Gcwist kann man erst in Zukunft auf dieser Grunslage bauen, aber es wäre ein Versäumnis der Gegenwart gewesen, wenn sie den Eckstein verworfen hätte, anstatt ihn zu legen. Ich sprach davon, dast die Marokkosrage auch unser Verhältnis zu England tangierte. Auch darüber noch ein kurze» Wort: Krajt vertraglicher Abmachungen stand bei allen ma rokkanischen Differenzen zwischen uns und Frankreich England aus Frankreichs Seite, zum min desten diplomatisch. Deshalb reinigt unsere Ver ständigung mit Frankreich auch im Verhältnis zu England den Tisch. Ich kehre zu dem Gedanken zurück, von dem ich vorhin ausging. Mistmut und Pessimismus, der unser Volk erfüllt, und der die Regierung zu anderen Taten treiben wollte, musste ich greifbare Ziele zeigen, Ziele, die gerade bei der Erledigung der Ma- rokkofragc erreicht werden konnten. Weshalb wir nicht au» ein Stück Marokko ausgegangen sind, habe ich ausaeführt. Dafür wurde besonders dringlich ver- langt, dast wir wenigsten» die Verhandlungen mit Frankreich hätten abbrechen und auf der Wiederherstellung der Algecirasakte Kälten bestehen fallen. Der Abbruch der Verhand lungen wäre ein leichtes gewesen, noch leichter viel- leicht, überhaupt nicht anzufangcn. Aber die Wieder herstellung der Algecirasakte hätte gar nichts ge nutzt. Ich sehe kein Interesse Deutschlands an der Wiederherstellung eines Zustandes, der an den nicht mehr haltbaren Fiktionen der Souveränität de» Sultans von Marokko und der Unabhängigkeit de» Scherifenreiches leidet. Wir kennen doch diesen Zu stand feit 1906 genau grnug. Er war materiell und moralisch unbefriedigend. Zum Teil ist auch die Triebfeder des Verlangen» nach der Algecirarakte eine ander« gewesen. Wenn wir nicht Südmarokko Kaken wollen oder können, so soll e» wenigsten» nicht Frankreich haben, so war in diesem Sommer vielfach Lrlrnlyrr zu lesen. Für mich besteht der Wert der Politik nicht in dem Schaden, den man anderen zufügt, son dern in dem Vorteil, den da, eigene Land gewinnt. Eine Politik, di« den Schaden de» andern sucht, ohne Rücksicht, ob ste einem selbst nutzt, ist kurzsichtig, und die Erbitterung, di« st« erzeugt, ist doch einmal in Zukunft bar zu bezahlen. Wer aber in dem Macht- zuwacbs, den Frankreich durch das Protektorat in Marokko erfährt, eine Existenzgefahr für Deutschland erblickt, kommt eben auf den Präventivkrieg hinaus. Also, wozu da» Verlangen nach der Algecirasakte? Wurde etwa auch sie von dem Ansehen Deutschlands verlangt? Nein, unser Ansehen als Groszmacht ver langt es, nicht zu dulden, datz ein internatio naler Vertrag wie die Algecirasakte, der unsere Unterschrift trägt, ohne unsere Zustimmung zu unserem Nachteil einseitig geändert wurde. Dafür mutzten wir kämpfen, im Notfall mit dem Schwerte. Danach haben wir gehandelt und unsere Haltung hatte Erfoly. Lassen Sie mich zum Schlüsse das Fazit ziehen, wie sah es vor Fez und Agadir au»? N, minell war Marokko selbständig. Der Zustand t-ar nach Tanger und Algeciras eine stete Gefahr in unserer Beziehung zu Frankreich. Die offene Tür war zwar auf dem Papier, aber cs fehlten die be sonderen Garantien, die die Unklarheit der staat lichen Ve hältnisie doppelt dringlich machte. Auf politische A'virationen in Marokko hatten wir ver zichtet. Wir Haden in Marokko nichts am'gcgcben, was wir nicht bereits früher aufgegeben hatten. Dafür haben wir dis fehlenden wirtschaftlichen Ga rantien erlangt. Wir haben außerdem einen be deutenden Kolonialbesitz erworben, de: unter unse rer Kolonialvcrwaltung Früchte tragen wird. Wir haben dies erreicht im Wege friedlicher Verstän digung mit Frankreich. Zum ersten Male ist es gelungen, eine große schwierige politische Frage, die den Keim zu grostem Unheil barg, im Vertrags wege mildem westlichen Nachbar zu lösen. Das ist das Fazit. An Ihnen ist es jetzt, das Für und Wider dieser Politik abzuwägen, die zu diesem Abkommen geführt hat. Wrr erwarten nicht Lob, wir fürchten aber auch keinen Tadel. sBravo! in der Mitte.) Abg. Freiherr v. Hertliug: Tas nnS zur Kennt nisnahme vorgelegte Abkommen hak vielfach noch Unklarheiten, die beseitigt werden müssen. Rach unserer Meinung beruht die bisherige Praxis, der artige Verträge dem Reiorsiage nur zur Kenntnis nahme vorzulegen, aui irriger Auffassung. (Hört, hört!) Mr sind der Auffassung, dast schon die heutige Reichsverfassung es bedingt, das- Verträge von io auücrord.'ntlicher Tragweite der Gciiehinignug des Bundesrats und des Reichstags bedürfen. »Leb- hastes: Sehr richtig!) In Fragen der auswärtigen Politik must der Parleisiaudvnnkt zurün treten. (Sehr richtig!^ Tas vorliegende Abkommen ist das Ergebnis der auf 7 Jahre zurückgehrn-den Politik in Marokko, die lcm Ruhmesblatt der deutschen Geschichte darftcllt. Tic Trmanstration in Marokko und die kcnscrrcije nach Tanger, für die Fürst Bü low die Verantwortung übernahm, war eine un glückliche. Ter Hauptfehler unserer dortigen Politik war, daß sie Stetigkeit und Festigkeit vermissen ließ. Andererseits ist die deutsche Politik durch das Vor gehen der letzten sieben Jahre für die Zukunft fest gelegt worden. Territorial« Erwerbungen sind üom Reichstage stets abgewiejen worden, odglciw Frank reich oftmals damit einverstanden wär. Als der „Panther" nach Agadir entsandt wurde, erschien das als ein erwünschtes Anzcickfen aktiver Politik. Aber später wurde die Aktion anders aufgefaßt. Tast Landerwerbungen nicht durch diese Temvnslra- tion beabsichtigt waren, hat der Reichskanzler heute schon auSgesübrt. Ich frage aber: Mrs ist denn geschehen, um jener englijctfen Provokation entgcgen- zutreten? (Lebhaftes: Sehr gut! nn Zentrum.» Ter clnmut und der jammende Zorn des deutschen Voltes haben eine Befriedigung nicht erhalten. (LeoHaftes: Lehr richtig!'' Tie Indiskretionen ans dem ko- tonialamk werden wohl darauf znrückzusiihren seGi, daß unsere offiziöse Preßdedienung zn den letzten Monaten absolut nicht nur der Hohe gewesen ist. Sie hak cs nicht verstanden, die öffentliche Mer- nnng in der richtigen Mise zu belehren. Lazu kommt die ungleiche Behandlung der Zeitungen. Es ist vollständige Geheimhaltung proklamiert wor den. Trotzdem tonnten größere Organe immer wie der Mitteilungen über die Verhandlungen bringen. Tics sind unerträgliche Zustände. — Tie Sou veränität Marokkos ist nicht mehr vor handen. Marokko ist ein von Frankreich ab hängiger Staat. Wir ycrbcn gewisse Sorgen dem Abtommen gegenüber. Eine ganze Reihe von Be stimmungen scnd getroffen worden, durch die die gleiche Behandlung dec Nalionen zum Beispiel vci den marotkcniijckfen Submissionen gesichert tver- den soll. Es sind aber keine Garantien gegeben worden dafür, daß diese Zubilligungen still- schweigend gehalten werden. Kompensationen sind gewiß notwendig, es wäre aber besser gewesen, sie dadurch entgegenzunehmen, daß die französisck-en Vorzugszölle rn den Kolonien abgeschajft wurden. (LebhaitcS: Sehr richtig! im Zentrum.) Ler Zugang zu den großen Strömen ist gewiß ein großer Vorteil, für »ns enthält der Vertrag aber auch große Nach teile und Uebelstände. Lazu rechne ich tue Etappcn- stationen in Kamerun. Tie ganzen Fricdeiisbestre- bungcn scheitern immer Meder an den lvirtschaft- liäien Verhältnissen. Von unserer Friedensliebe ist so viel gesprochen worden. Wir find nicht nur fried liebend, sondern auch macht,g. Wir find ein reiches Volk und dank der Finanzrcform sind wir auch sparsam. (Schallendes Gelächter bei den Soz.) 'Aus der steten Betonung unsrer Friedensliebe hat man unsere angebliche Schwäche konstruiert. Es kann keine Rede davon sein, das; unsere Ausrüstung nicht mehr auf der früheren Höhe stehe, um mit aller Energie für die deutsche Weltmacktstellung einzu treten. Es könnte nichts schaden, wenn einmal ge sagt würde, daß wir den Frieden aufrechterhalten wollen, daß dieses hohe Gut aber zu teuer erkauft sei, wenn cS mit dem Anfgeben unserer Weltmacht- stcllung bezahlt werden würde. (Lebhafter Beifall im Zentrum.) Abg. v. Heydrbrand und der Lass (Kons.): Wenn uns diese Vorlage zur Kenntnisnahme vorgelegt worden ist, so meinen wir, daß wir nicht lediglich Akt von dem Vorgang zu nehmen haben, sondern daß der deutsche Reichstag sein Urteil abzugeben hat, und da ist eine ausführlichere mündliche Aussprache in einer Kommission notwendig. Insbesondere sollte in einem Weißditch der Gang der Verhandlungen dar gelegt werden. Fragen von derartig entscheidender Wichtigkeit wie das Abkommen dürfen aber nicht der Zustimmunade, Reichstage» unterworfen werden, sie müssen von einer einheitlich verantwortlichen Stell«, die die Ueberficht über sämtliche politischen Vor gänge hat, und über di« entsprechend« Sachkenntnis verfugt, entschieden werden. Eine voll« Auf klärung ist notwendig, um so mehr, al» di« Verhand lungen unter allerlei Geheimhaltung geführt worden sind Man mutz ein zu,treff»nd«e Bild erhalten. Seltsam ist es. datz der Vertreter de» Kolonialamt», der allein di« Dln^ richtig beurteilen kann, sich wei gert. hier di« Verantwortung zu übernehmen. (Leb hafte, -Sri! -Sri!) Z» meiner großen Freud« ist TsyedlrttL. di« Befähigung de» Hern ». Lindeguift auch vom Reichskanzler anerkannt worden. Ebenso sollt, die Ehr« de» Herrn v. Lindequist wieder hergestellt wer- den. An dem Abkommen von Algeciras kann nicht mehr festgehalten werden. Marokko ist kein selbstän diges Land mehr. Es ist Frankreich überantwortet worden, und zwar mir Zustimmung des Deutschen Reichs, und das ist «in Alt von außerordentlicher politischer Bedeutung. Wir sind doch nicht bloß di« Mandatare Europas, da hätten wir doch auch er. warten können, datz da» deutsche Volk eventuell ein Sonderrecht bekäme. (Lebhaftes Sehr richtig!) Wir sind der Meinung, datz zu wenig für uns aus der Situation herausgeholt worden ist. Der Reichs kanzler steht in dem Abkommen eine Annäherung der beiden Völker. Diese Ansicht kann ich nicht teilen. Ich geb« mich aber nicht der Illusion hin, datz die Hoffnungen Frankreichs auf Revanche heute beseitigt seien. Was uns den Frieden sichert, ist nicht Ver ständigung, soi.dern das deutsch: Schwert. (Lebhaftes Bravo und große Bewegung im ganzen Hause), und eine Regierung, die gewillt ist, im gegebenen Augen- blick von dem Schwert G-ebraucb zu machen. (Leb haftes Bravo rechts.) Der Augenblick ist er nst, und da sollte man nicht dis deutsche Regierung vor dem Ausland« unnötig herunterrcitzen; so leicht ist die Situation unserer Politik nicht gewesen. Sie stand früheren Zugeständnissen g.gcnuScr und wer in einer Posi tion, in der schon mehreres ain'gcgeben wer, was uns jetzt zuerlannt worden ist. Die Würde Ler Nation verlangt, daß wir jetzt nicht in der Vergangenheit hernnurainen, nm den Schuldige» zu such.»- Unsere Würde verlangt, de» Blick vorwärts zu richte». Be dauerlich ist es, daß i» einer sogenannten Tischrede in W.eir von eine,» englischen Staatsmann ei» Ton angeichlägcn worden in, der als Drohung und Her ausforderung angesehen worden ist. (Lebhaftes Sehr richtig! und Bravo!) Das sind sonderbare Tischreden, und dos deutsche Volk verbittet sie sich. (Leohoites Bravo! aus mehreren Seiten, große Be wegung und Unruhe.) Jetzt will England allerdings alle diese Dinge vergessen, nachdem es ihm nicht ge lungen ft. Deutschland und Frankreich in einen Krieg zu vei cln. der nicht zum Nachteil Englands ge wesen r^ns. Aber wir Deutschen haben es noch nicht vergessen! tBraoo!), wie ein Blitz in der Nacht hat die Nede des Botschafters, die uns die Schamröte ins Gesicht steigen ließ, gezeigt, wer Ler Feind ist. (Bravo!) Das deutsch« Volk wird die Antwort zu geben wissen, denn es handelt sich in letzter Linie um seine Existenz. Die Negierenden haben da» Recht, aber auch di« Pflicht, die Entscheidung zu fällen, und wir erwarten, daß sic getragen sein werde von dem Gefühl der deutschen Nation. (Bravo!) Wir werden bereit sein, wenn es erforder lich ist, Ovfer zu bringen. (Bravo! rechts, Lärm bei den Soz. Große Unruhe.) Präsident Graf Schwerin: Ich bitte, derartige siürmiiche Unterbrechungen cm Interesse der Würde des Deutschen Reichs und des Deutschen Reichstags zu lmterlasfen. Abg. Heydebrand fortsahrend: Namens meiner sämtlichen politischen Freunde erkläre ich, daß wir bereit sind, wenn die Stunde und unsere Ehre es fordert, nicht bloß an Blut, sondern auch an Gut Opfer zu bringen. Wir sind verett, das Verrnögen der Besitzenden zu besteuern, das Vermögen der Lebenden, nicht der Toten. (Große Unruhe.) Die Konsequenzen zu ziehen sind wrr bereit, wir erwarten aber, daß auch die Reichsreqierung sich von diesem Gefühl leiten läßt. Da gilt kein Reichstag, keine Regierung, kein Heer, kein Herr und kein Knecht. Nichtswürdig ist die Nation, die nicht alles für ihre Existenz einjetzt. (Brausender Beifall rechts und auf mehreren Seiten.) Staatssetretär v. Kiderlen-Wiichter: Auf unsere Anfrage hat uns die englische Regierung amtlich erklärt, daß der englische Botschafter beim Wiener Hose mit der Veröffentlichung des fraglichen Artikels in keiner Beziehung stehe. Einer derartigen amt lichen Erklärung müssen wir Glauben schenken. Abg. Bebel (Soz.): Empfinden Sie (nach rechts) es nicht für eine Schmach für den Reichstag, wenn man ihm zumutet, kein Urteil über einen solchen Vertrag abzugeben? (Lebhaftes Bravo!) Wenn unsere Regierung etwas Vernünftiges will, findet sie uns auf ihrer «eite gegen die Rechte, zum Beispiel bei den Handelsverträgen, der elsay-lothringischen Verfassung usw. Unser Abkommen über Marokko, bet dem viele Landesregierung ganz ausscheidet, ist das gleiche Vorgehen brutaler Macht wie das Vor gehen Italiens in Tripolis. (Sehr gut!) Die eng lische Erregung ist erklärlich. Wir würden im um gekehrten Falle uns nicht anders verhalten haben. Die Blockade von Agadir bezweckte zunächst unzweifel haft, festen Fuß dort zu fassen. Tatsächlich hätte uns >er Hafen von Agadir 4() bis 50 Millionen zum Aus- >au gekostet. Außerdem wären zwei Armeekorps in tändlger Bereitschaft zu halten gewesen. Ein chwcrerer Fehler hätte nicht gemacht werden können. Lebhaftes Sehr richtig!) Unglaublich war die Sprache der bürgerlichen Bresse dem Kaiser gegen« üoer. Zum Beispiel der „Post" und der „Rheuusch- Westfälischen Zeitung". (Der Kronprinz und Prinz August Wilhelm verlassen die Hofloge.) Die ab lehnende Haltung des Herrn von Lindequist gibt uns zu denken. Das neue Gebiet am Kongo wird uns noch enorme Lasten auferlegen. Bedenklich ist in der Rede Cailleaux', daß die Zustände in Zentral afrika nicht endgültig seien. Sie (zur Rechten) unter graben den eigenen Staat und die Gesellschaftsord nung, aber die Götterdämmerung naht. (Lachen rechts.) Die Börse war bei dem kleinen Anfang äußerst erregt. Banken und Sparkassen wurden ge stürmt. Nicht wir sind schuld an der Entwicklung dieser Dinge, die Schuld trlsst Sie! (Lebhafter Der- fall bei den Soz.) Abg. Bassermann (Natl.): Die Kulturvölker sind darauf angewiesen, Weltpolitik zu treibe». Dadurch ergeben sich die unvermeidlichen Reibungen. LV ü n - schenswert war« e» gewesen, wenn das un, unterbreitete Material weniger dürftig wär«. Darin liegt eine Mißachtung für den Reichstag, und cs zeigt sich, datz unser Inter pellationsrecht reformbedürftig ist. Erwerb und Verlust von Reichsgebiet kann nur auf dem Wege der Reichsverfassung geschehen. Das liegt im Sinne der Verfassung. Aber auch die einfache Billigkeit verlangt es, daß wir, die wir für die Be- kämptung der Schlafkrankheit und sonstige Dingr große Geldopfer bringen müssen, das nötige Ma terial, das die Vorbedingung dieser Verhandlungen ausmacht, bekommen. (Sehr richtig!) Es gibt nicht bloß eine Kongopolitik. Unsere ganz mühsam auf gebaute Orientpolitik ist zunichte ge worden, die mühsam zustande gebracht« Algeciras akte ist hinfällig und die Unabhängigkeit des Sche- rifischen Reiches und die Selbständigkctt des Sultans aufaegeben. Die Hoffnungen. d»e an die Ab machungen von Algecira» geknüpft wurden, sind arg enttäuscht worden. (Hier ereignete sich ein Zwischen fall. Der Abg. Janta-Polczqnski (Pole), dem augenscheinlich Übel geworden war, fällt vonderBank,der Abg. Dr. Mugdan bemüht sich um ihn und führt ihn unterstützt von mehreren Abgeordneten, au, dem Saale.) vasiermaun (fortfahrend): Die Kundgebung vor Agadir hat zunächst zu extravaganten Hoffnungen Anlaß gegeben. Al» aber di« Aeutzerunge» eng lischer vtaatemLnner bekannt wurden, da macht« Fttltsy. 10. November ISN. der Jubel einer wachsenden Entrüstung über diesen englischen Eingriff Platz, der keine Tischrede, sondern ein« Drohung war. Es war ein schwere» Gefühl, da» über Deutschland lag, und es wäre sehr wünschenswert gewesen, wenn diese englischen Kund gebungen entsprechend zurückgcwiescn worden wären. Vielleicht kann auch hierüber ein Weißbuch Aus kunft geben, welche Maßnahmen wegen dieses Miß griffes getroffen worden sind. Dann kamen die Nachrichten von den Kompensationen am Kongo. Leider ist nicht von vornherein den extra vaganten Hoffnungen auf Marokko von der Presse abteilung des Auswärtigen Amtes entgegengetreten worden. Solche Hoffnungen hätten sofort zerstört werden müssen. Wir finden, datz das Resultat von Agadir nicht erfreulich ist, und wenn wir dieses Abkommen zu geneh migen hätten, dann würden wir es ab lehnen. (Sehr richtig! b. d. Natl.) Das, wa» wir bekommen, steht in keinem Verhältnis zu dem großen Nutzen, den Frankreich bekommt. Die wirt schaftlichen Garantien die Vorteile der offenen Tür sind nicht für Deutschland allein errungen worden. In erster Linie hat England den Vor teil davon. (Lebh. Sehr richtig!) Was di« Kompensationen an langt, so gibt man sich ja schon damit zufrieden, daß man wenigstens den Herd der Schlafl'rnnrheit bekommen hat. (Große Heiterkeit.) Herr v. Linde quist hat sich als ein aufrechter, charaktervoller Monn erwiesen, der das Schiff des Herrn v. Aethmann verließ, als er den Kurs des Schisses nicht mehr als den richtigen erkennen konnte. Jet t in sagen, er hätte niemals dazu getaugt, ist un gerecht. Das wäre außerdem allein ein Vorwurf gegen den Reichskanzler, wenn er einen solchen Mann so lange im Amt belassen hätte. (Sehr richtig!) In den Ausführungen des Reichskanzlers lag in vielen Dingen eine Politik der Illusion, die vor der rauhen Wirklichkeit nicht standhält. Au« der Nede des französischen Ministerpräsidenten dagegen leuchtete Stolz hervor über die Erfolge der zähen französischen Marokkopolitik. 'Mögen wir am Kongo bekommen, was wir wollen, schwerwiegender sino die Folgen für die allgemeine deutsche Politik, die Fürst Bülow inszenierte, und von der auch die ...Kreuz zeitung" betonte. Latz es dadurch gelungen sei, diese allgemeine Politik zu k-stalten, datz Deutschland mächtig und stark in de. Welt dastehe. Das war zu den Zeiten der Annexion von Bosnien und der Herzegowina. Die Einkreisungspolitik war durch brochen. Heut« aber befinden wir un, insck> w « rer Lag«, da eine der Dreibundmächte die Hand auf mohammedanisches Gebiet gelegt hat und unsere Politik mit der Türkei stört. Wir müssen uns mit dem mageren Vergleich abfinden. Wohl aber ist es berechtigt, den Blick hierbei uuf Heer und Marine zu lenken. Unbekümmert um den Eindruck im Auslande mutz, wenn möglich, eine Flotte nvermetrunq vorgenommen w-rden. (Groste Unruhe bei den Soz., Sehr richtig! bei den Natl.) Mir wünschen eine feste, zielbewutzte Hand in der auswärtigen Politik, die frei ist non theatrali schen Effekten, und eine energische Politik unserer Neichsregierung. Das deutsche Vo'k war bereit, sein Blut und seine Ehre einzusetzen kür die deutsche Nation, für das Deutsche Reich. Das Ausland mag sich klar darüber sein, datz wir unsere nationale Edre zu wahren wissen, und wenn wir dazu kommen, uns mit den Waffen zu verteidigen. so wird das Ausland ein einiges Deutschland finden. (Lebhaf ter. langanhaltender Beifall bei den Natl.) Darauf wird die Weiterberat,inq auf Freitag 1 Uhr vertagt. Schluß 6 Uhr. Die Zukunft ües Kongos. Ueber die Bedeutung der französischen Gebiets abtretung an Deutschland und über die Zukunft Zentralairrkas und des Kongos veröffentlicht der Senator und frühere Minister Pierre Baudill, eine Autorität aus dem Gebiete der Ko lo n i a l p o l i t i k, in den „Annales" einen bedeut samen Aufsatz. Er spricht zunächst von der geringen Beachtung, üte man in Franlrecch der Kongotolonic gejchentt yat. „Die öffentliche Meinung in Frankreich har ihr in ihrer Gunst nicht den Platz eingeräumt, auf den sie ein Recht halte. Dennoch ist die Kongololonie diejenige, deren Ausgestaltung und Eroberung uns die grogte Ehre macht. Sie hat uns wohl weniger militärische Anstrengungen gekostet, als jede andere, aber nirgends sonst hat der französische Geist mehr ruhige Arbeit, mehr friedliche Energie verschwendet als hier. Die Namen von Savergnan de Brazza, von Valay, Crampel, Mizon u. a. verleihen der Geschichte der Begründung der Kongokolonie einen ruhmvollen Glanz. Hal der Kongo sich nie einer großen Popularität erfreut, so ist er ebensowenig von dem Eifer der französischen Regierung begünstigt worden. Während sie alle ihr« Aufmerksamkeit auf unsere Besitzungen im Sudan, am Senegal und Niger lenkte, schien sie den Kongo als eine unangenehme Last zu betrachten. Sie sah in dem Kongo hauptsäch lich das notwendige Durchganasgebiet, um unsere vorgeschobenen Posten im Schari, Bagirmi, am Tschadsee und im Wadai mit Lebensmitteln za ver- sorgen. Aber man ließ das ganze Land in jener primiiioen und ungenügenden Ver fassung, die es zur Zeit der Besitzergreifung gc- habt hatte. Die Regierung glaubte genug dafür ge- tan zu haben, wenn sie ungeheure GeLietsstrecken unter eine bestimmte Anzahl vo„ Ausbeutungs gesellschaften verteilte. Dennoch ist keine Ko lonie der Gegenstand so hartnäckiger diplomatischer Kämpfe gewesen wie diese. Man hat sich Schrill für Schritt verteidigen müßen gegen die versteckten Feindseligkeiten Englands, gegen die Eingriffe der Portugiesen, der Deutschen und der Belgier. Diese politischen Verwicklungen hätten für un» der klarste Beweis für ihre ungewöhnliche Bedeutung sein müssen. In einem Lande, in dem die auswärtigen Angelegenheiten die öffent liche Meinung und die Regierung in dem Matze be schäftigen, wie sie es verdienen, hätte man dafür Sorge getragen, möglichst rasch den materiellen Weri des Landes zu heben, worin wirklich das beste System der Verteidigung von Kolonien besteht. Aber wir haben nun eben, irotzdem man darauf kchimoft, eine Vorliebe für militärifche Expeditionen gewahrt. Unsere Gedanken sind lieber auf geheim nisvolle Gebiete gerichtet, die den Schauplatz für heldenhafte Taten unserer Soldaten darbicten. Da gegen genügt es die Augen auf die Karte von Afrika zu richten, um die Bedeutung der großen hydro graphischen Senkung Aequatorialafrikas zu erkennen. Man sieht logleich. daß dieses Gebiet zu einer der wichtigsten Durchgangsregionen der Zivilisation bestimmt ist. Der Mensch stoßt hier ohne Zweifel auf furchtbare Feinde. Der äquatoriale Urwald birgt den reichsten Vorrat an tödlichen Krankheiten. Aber die Hindernisse, die sich hier vor dem Menschen aufrichten, sind nicht unbezwinglicher als die in Brasilien im Becken des Amazonenstroms, da» man um seine» Reichtum», seiner Ausdehnung und seiner Lag« willen ganz naturgemäß mit Aequatorialafrika ver- «leichen kann. Bemerken wir noch, datz der Lma-
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