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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.11.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-11-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111117029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911111702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911111702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-11
- Tag 1911-11-17
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Monat
1911-11
-
Jahr
1911
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* Frankfurt a. M„ 17. November. (Priv -Tel.) Gestern abend 10 Uhr 25 Minuten wurde ein kurzer. - starker Erdstoß wahrgenommen. Verschieden« Häuser haben groh« Risse erhalten. Die Bewohner eilten be stürzt und zum Teil nur notdürftig bekleidet aufdieStraße. Feuerwehr und Rettungs wache sind vielfach in Tätigkeit getreten. Ernsthafte Unfälle sind nicht vorgekommen. Auch aus Mainz und Straßburg laufen Meldungen über Erdflöhe ein. An verschiedenen Orten sind die Fernsprech- leitungen gestört. Ein Rahdebe». Frankfurt a. M., 17. November. Zu dein gestern hier verspürten Erdbeben teilt der hiesige Pbnsikalische Verein noch folgendes mit: Das Erdbeben wurde hier kurz vor Uhr konstatiert Die geophysika lischen und meteorologischen- Instrumente im Physikalischen Verein wurden v o l l st ä n d i g in Unordnung gebracht und die Pendel ganz zur Seite geworfen, so dah die Registrierung aussetrte. Dies wurde aber im Physikalischen Verein sofort bemerkt, so dah die Instrumente sogleich wieder in Ordnung gebracht werden konnten, um eventuell weitere Fernbeben aus zu,zeichnen. Die .st o n t a k t p e n d e l u b r war bei den Instrumenten um 10 Uhr 27 Min. 10 Sek. stehen geblieben, so dah der Zeitpunkt des Erd bebens mit Leichtigkeit festzupellen war. Nach allen Begleitumständen muh es sich nm ein Nnhbcben bandeln, da irgendwelche V orläuser nicht zu k o n st a t i c r e n waren. Freiburg i. Br., 17. Nov. Um 10 Uhr >5 Min. abends ereignete sich ein heftiges Erdbeben, das zirka sechs bis sieben Sekunden währte. Die Er schüttcrnng war ungewöhnlich start. Von den Hau lern fielen Ziegel und Schornsteine herab. Die ganze Bevölkerung, darunter Mütter mit unbeklei deten Kindern aus dem Arm, sloh entsetzt auf die Strahc. Gunzenhausen, 17. Nov. Von alten Stationen auf der Strecke nach Ansbach wurden zu gleicher Zeit Erdbeben gemeldet. Die Lokomotive des Zuges 27-1 wurde auf der Strecke Nördlingen- Gunzenhausen zweimal hoch gehoben. Strahburg i. E., 17. Nov. Die Uhren auf den Postämtern blieben sämtlich stehen. Die Tele phonverbindungen mit Berlin und Frankfurt a. M. sind gestört. In Metz wurden ebenfalls Erdstöße wahrgenommen. k. Konstanz, 17. November. iPriv.-Tel.) Gestern abend 10 Uhr 25 Minuten zeigte sich am westlichen Himmel ein starker, blitzähnlicher Feuerstrahl, und man verspürte ein starkes, wellen förmiges, sich mehrfach von Norden nach Süden bewegendes Erdbeben, durch das Kamine einstürzten und Häusermauern barsten. Viele Gebäude, darunter das Postgebäude, sind stark be schädigt. Der Bevölkerung bemächtigte sich eine große Panik. rli. Mülhausen i. Els., 17. November. lPriv. Tel.) Gestern abend 10 Uhr 25 Min. wurden zwei Erd stöße von außergewöhnlicher Heftig keit verspürt, die sich in westöstlicher Richtung bewegten. Ueberall liefen die Leute vor Schreck auf die Straßen, wo vielfach Trümmer von he r a bg e sa l l e ne n Schorn- st einen und Ziegeln lagen. In den oberen Stockwerken vieler Wohnungen weisen die Wände statke Sprünge äuf.' Vom ScitcntuNn der reformierten Stephanskirche ist ein ze »t »er schloß re r Steiubkock h e r.u nckc r g est ü rz.t.ni Soweit bekannt, sind Personen nicht verletzt worden. Im Stadttheater wurde die Vorstellung abgebrochen, da die Besucher erschreckt ü a o o n l i e f e n. Zürich, 16. Noo. Abends lurz vor ' Ul Uhr wurde im ganzen nördlichen und mittleren Teile der Schweiz, namentlich in Zürich und Luzern, ein äußerst starkes, zwanzig Sekunden dauerndes Erdbeben in der Richtung von Nordost nach Süd west verspürt, das die größten Häuser in Schwankung brachte und überall großen Schrecken hervorrief. Luzern, 17. Nov. Ein heftiges Erdbeben, das mehrere Sekunden andauerte, erfolgte 10.28 Uhr abends. Es war von einem starken unter irdischen Rollen begleittet. Die Häuser schwankten beträchtlich, Möbelstücke wurden hin und her geworfen. Die Bevölkerung floh erschreckt auf die Straßen. v. Paris, 17. November. ' (Priv.-Tel.) Gestern abend v Uhr 20 Min. wurde in der von Be sä n >.o n disBelfort reichende,, Gegend ein Erd beben verspürt. * Wien, 17. November. (Priv.-Tel.) Um 11 Uhr nachts wurde in der ganzen Stadt ein iH Mi nuten andauerndes Erdbeben verspürt, das die Richtung von West nach Ost zu nehmen schien und von mehreren kurzen Schwankungen begleitet war. c>. Mailand, 17. November. (Priv.-Tel.) Hier wurde gestern abend 10s/» Uhr eine Erderschütle- rung von einigen Sekunden Dauer ver spürt, die auch in Lecco, Varese und anderen nahe gelegenen Ortschaften wahrgenommen wurde. wss Sie Türkei noch retten kann! Der Mannesmut, die Tapferkeit. Todesverachtung und Bedürfnislosig keit eines einzigen türkischen Ba taillons dürfte genügen, manches europäisches Durchfchnittsregiment qualitativ vollauf auszustatten. (Moltke in einer Ansprache 1860.) lemporu imnimtur! Wohl kaum hätte Ulan es »och vor ganz kurzem wagen können, die Möglichkeit eines Bündnisses zwischen eine», spezifisch christlichen Staat und dem islamitische» „Erzfeind" und „Kultur gegner", der Türkei, auch nur ernsthaft zu disku tieren. Aber die Zeiten ändern sich! Die neueste Gc chichie kehrt, daß das puritanisch angehauchte, hochkirchliche Großbritannien ganz gut mit dein heidnischen Japan auskommen kann. Die Folgen dieser natürlich nicht ganz uneigennützigen Toleranz haben ganz bedeutend ,ur Erhöhung englischen Prestiges und zur Vergrößerung seines europüffchen Einflußes geführt, wie es erst unlängst anläßlich der sranto-dcutichcn Verhandlungen —trotz aller offiziellen Beichönigungsoersuchc — deutlich hervortrat. Und was Altengland recht, mag Deutschland und Oester reich billig sein! Betrachten wir nun den Drei bund von heute. Die Zahl derienigen, welche diesem etwas unnatürlichen Bündnis von Freund und Feind, von Germane und Romane langes Leben Voraussagen, schwindet zusehends. Es hieße, deutsches Auffassungsvermögen gering einsckätzen, wenn man glauben machen wollte, d,c italienische „Bundes hilfe" in Algeciras und während der Marokkoaffäre wäre vergeßen oder nicht verstanden worden. Im großen ganzen hat Italiens Bundestreue sich stets unter dem Nullpunkt politischer Wärme und Wohl wollens bewegt. Die unausgesetzt nach dem rassen- und wesensverwandten westlichen Nachbarn ichielende Italia ist fast fortwährend der empfangende und — siehe Tripolis! — nehmende Teil des Bundestrios gewesen und gedenkt es auch fernerhin zu bleiben. So viel ist klar, auch nicht einer der beiden Kon trahenten der Tripelallianz hat im letzten Jahrfünft mit der Biindnistreue Italiens ernsthaft gerechnet. Die Tenore italienischer Presse- und Diplomaten stimmen lassen glücklicherweise eine Selbsttäuschung nicht zu. Je früher dieser unsichere Kantonist Farbe bekennt, desto besser! Ueber kurz oder lang wird die Begehrlichkeit der Grotzinächte — auch in der Politik gilt: 1'nppStir vnm en Uütllgennt! — einen neuen Vorstoß gegen die Integrität des Ottomanischen Reiches provozieren. »Allen Freunden der Türkei, und nicht am wenigsten dieser selbst, muß sich die bange Frage aufdrängen, jod dieses Reich, seine anerkannten militärischen Werte in Ehren, derartige immer sich wiederholenden An griffe und Amputationen auf die Dauer wird er tragen können. Die des öfter» der Türkei seitens der westeuropäischen Mächte gegebenen Garantien, die die Unverletzlichkeit ottomanischen Besitzes verbürgen, sind nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben find. Was die Türkei ein für allemal braucht, ist ein großer, treuer und mächtiger Freund, der in ihrer Erhaltung ein Ledensinteresse sieht oder sehen will. Diesen Freund kann es nur in Deutschland und den mit ihm ourch das freie Spiel politischer Kräfte zu- jammengejchweißten Oesterreich erblicken. Beide haben lebhaft bas erwähnte und gewünschte Interesse. Sieht man von den« nun einmal verschmerzten Ver lust Bosniens ab, so stehen Deutschland und Oester reich in großer Loyalität der Pforte gegenüber. Merkwürdigerweise hat das soldatische, räumlich so getrennte Deutschland viele übereinstimmende Eigen tümlichkeiten mit den tapfer ihrer Haut sich wehrenden Türken. Die überaus turkophile Haltung der nahezu gesamten deutschen Presse ist größtenteils diesen vorhandenen Volkssympathien zuzuschreiben. Der türkischen Diplomatie ist stets — mit welchem Recht, bleibe dahingestellt — das Lob großer Geschicklichkeit und Anpassung gemacht worden, möge sie den richtigen Zeitpunkt einer völligen und ganzen Annäherung an den einzigen europäischen Freund nicht verpaffen! Noch immer widersteht die Türkei jedem, auch dem energischsten und plötzlichsten Angriff, und noch immer ist türkische Bravour auf all den unzähligen Schlachtfeldern dieselbe alte, sprichwörtliche geblieben! Es bleibt zu hoffen, daß die leitenden politischen Stellen Oesterreichs und Deutschlands nicht verkennen werden, welch hoher Wert in dem Bündnis mit einem stets Vertragstreuen Staate liegt, dessen 4 Millionen kriegstüchtiger und kriegsbereiter Männer einen kaum hoch genug einzuschätzenden Faktor für die Sicherung des Land und Seewegs nach dem Orient sowie eines g-oßcn gewaltigen Absatzgebietes bildet. Für die deutsche und österreichische Industrie aber ist das Vorhandensein und die politische Sicherung eines so beträchtlichen, aufnahmefähigen Erdteils eine wahre Lebensfrage. Deshalb, ehe es zu spä ist. diesen italienischen Beuteherren der Ruf: naucks oll! * Oer Krieg. Tie Meldungen, daß bereits Friedensverhaad- lungen zwischen den beiden kriegführenden Mächten im Gange sind oder wenigstens angebahnt werden sollen, namentlich von türkischer Seile, da man hier nach und nach zu der Ueberzeugung gekommen sei, daß mir dem mit neuesten Waffe» und Ausrüstungen ausgestatteten Italien der Kampf auf die Dauer doch aussichtslos sei, erfahren jetzt eine gründliche Wider legung durch den türkische» Geschäftsträger Mukhtan in Wien. Derselbe äußerte einem Mitarbeiter der „Neuen Freien Presse" gegenüber: „Mir ist nichts über die Möglichkeit eines nahen Friedens zwischen der Türkei und Italien bekannt. Fetzt, wo die tür kischen Waffen und die türkische Lebenskraft in Tri polis sich zeigen, ist am wenigsten der Augenblick, von Frieden zu sprechen. Auch wenn Italien den Krieg über das Aegäische Meer tragen sollte, würde uns das nicht anfechten. Es würde uns gleichgültig lassen, wenn Italien eine Insel besetzte. Mir ist auch nichts darüber bekannt, daß zwischen der Türkei und Griechenland ein Abkommen betreffend Kreta geschloffen werden soll." — Damit würde sich auch die Nachricht decken, daß Oesterreich sich auf eine Ver schärfung der ganzen Lage gefaßt macht, also an den baldigen Frieden nicht glaubt. Zurückbehaltung der Reservisten bei der österreichischen Marine. Wien, 17. November. (Eig. Drahtmeld.) Die östcrreich ungarische Negierung behält die Ma- rinemailnschaften des Jahrganges 1908 unter Waffen, und zwar nicht nur jene Mannschaften, die zur Reservceskader gehören, sondern alle Mann schaften des Jahrganges 1908, so daß der volle Kriegszustand erreicht wird. — Weiter wird ge meldet: Wien, 17. November. (Eig. Drahtmeld.) Gestern ist der Marinekommandant Graf Monte- cuculi nach Pola abgereist, angeblich zur In spizierung neuer Schiffsbauten. Zu der Lage in und um Tripolis wird weiter gemeldet: - " Scharmützel bei Tripolis. Die Türke» fahren fort, die italienische Stellung bei Tripolis zu beunruhigen, und zwar spielen sich diese Kämpfe zumeist auf dem linken Flügel der italienischen Stellung ab. Jedoch scheinen die Türken und Araber jetzt vorsichtiger geworden zu sein und im Feuergefecht ihr Heil zu versuchen. Es wird telegraphiert: Tripolis, 17. November. Mittwoch nachmittag entwickelte sich bei dem Fort Hamidie und bei Scharaschat verschiedene Male ein Feuer gefecht. Eine vom 18. Infanterieregiment unter nommene Rekognosizerung führte zur Erbeutung von Waffen und Munition. Der Bau von Baracken zur besseren Unterbringung der Truppen schreitet fort. Der Regen hält an. Die „Agenzia Stefani" hat dagegen ein Tele gramm aus Tripolis vom 17. Novemoer erhalten, das oo» einem verlustreichen Kampfe der Araber zu berichten weiß. Danach sollen bei dem Bombarde ment von Ain Zara ungefähr 600 Araber getötet worden sein. Neue italienische Truppen für Tripolis. Mailand, 17. November. (Eig. Drahtmeld.) Der „Corriere de la Sera" meldet aus Kairo, daß die Landung italienischer Truppen in Salem, a» der ägyptischen Grenze, bevorsteht. — Weiter heißt es: Aus den Regimentern N r. 37, Garnison Alessandria, und Nr. 50, Garnison Turin, wird die 8. Brigade unter Generalmajor Reisoli gebildet werden, die in den nächsten Tagen nach Tripolis abgehen wird. General Caneva, der Oberkommandierende in Tripolis, rüstet sich zu einem weiteren Vordringen in das Hinterland von Tripolis, wie telegraphisch ge meldet wird. Allerdings soll der Zug dorthin erst im Anfang des nächsten Jahres erfolgen. Der Erpeditionsplan Canevas für das Hinterland von Tripolis. Nom, 17. November. (Eig. Drahtmeld.) General Laneva Hal dem Kriegsministerium seinen Plan für eine Expedition in das Hinterland von Tripolis zugehen lassen. Die Expedition soll bestehen aus 9000 Mann mit 6000 Kamelen und 1000 afri kanischen Pferden. Jedes Korps erhält 12 Aeroplane, ein lenkbares Luftschiff und sechs Batterien, teils zu Gebirgs-, teils zu Fcldzwecken. Die Italiener werden zuerst die in der Nähe von Tri polis liegenden Oasen besetzen. Das Expeditionskorps wird im Januar voll ständig organisiert sein, so daß gleich zu Beginn des neuen Jahres die Expeditionsmärsche in das Hinterland beginnen können. Die ersten Kämpfe sind also Anfang Februar zu erwarten. Noch unklarer wie die Operationen aus dem Fest lande, scheinen die zu Wasser zu sein. Vor allem bleibt immer die Frage offen: Wo bleibt die italienische Flotte? Darüber wird gemeldet: Rom, 17. November. Die „Tribuna" erhält aus Konstantinopel folgende Meldung: 18 italienische Kriegsschiffe ankern vor Kum Kalessi, am Eingang der Dardanellen. Man wisse nicht, ob das Bom bardement bereits begonnen habe. Das Kabel Rhodos—Lemnos ist zerstört. Demgegenüber aber steht folgende Nachricht: Rom, 17. November. Die „Agenzia Stefani" er klärt die Nachricht der „Tribuna aus Philipvopel, daß die italienische Flotte in den Dar danellen erschienen sei, für unrichtig. Wo ist die italienische Flotte? Rom, 17. November. (Eig. Drahtmeld.) Die italienische Regierung hat auf eine Anfrage geant wortet, daß sie auf eine Flottenaktion in den Dar danellen, wenigstens vorderhand, völlig Verzicht leistete. — Nach weiteren Meldungen konzentriert sich ein Teil der italienischen Flotte augenblicklich im Hafen von Tarent. Bevorstehender Sturmangriff aus Tripolis. Rom, 17. November. (Eig. Drahtmeld.) Nach hier vorliegenden Meldungen aus Tripolis legen die Türken wieder einen bedeutenden Eifer an den Tag, um die italienischen Stellungen anzugreifen. Süd lich der Stadt Tripolis steht eine große Truppen macht vereinigter Tücken und Araber, dke auf den geeignete» Augenblick warten, um einen Sturm angriff auf die italienischen Stellungen zu unter nehmen. General Eaneva hat alle Vorbereitungen getroffen, um allen Angriffen des Feindes energisch entgegentreten zu können. Die Revolution in Lhins. Nachdem Puanschikai in Ser Tat die Leitung der Regierung übernommen hat, scheinen sich die Verhält nisse etwas ruhiger gestaltet zu haben. Wenigstens ist es ihm ohne Schwierigkeiten gelungen, das Kabinett Puanschikai zu bilden. In demselben übernimmt Liangtunjen das Ministerium des Aeußern, Wangshihtschen das Bayerns Versailles. Der Bilderdiebstahl in, Schle ißheimer Schloß, durch den eine Reihe künstlerisch und historisch wertvoller Gemälde aus dieser prächtigen Galerie geraubt wurden, fügt ei» neues Glied in die lange Kette von Einbußen aller Art. die die früher hier aufges^eicherte herrliche Bildersammlung erfahren hat. schleißheim war ja einst der Hauptaufbewahrungsort der kostbaren Kunstschätze, die die bayrischen Herrscher gesammelt, und besonders Max Emanuel hatte die Galerie zur besten und reichhaltigste» i» ganz Europa gemacht. Aber schon die Plünderungen der Oesterreicher hatte» allerlei verloren gehe» lassen: Unordnung riß ein, so daß 1726 hundert wertvolle Stücke überhaupt verschwunden waren. 1761 besaß die Galerie 925 Nummern, in seinem Katalog von 1775 beschrieb Weizenfeld 1050 Gemälde, darunter manche der schönsten Werke, die heute die alte Pina kothek schmücken. 1779 ließ Kurfürst Karl Theodor die wichtigsten Bilder nach München bringen, und seitdem hat die ehemals so stolze Sammlung immer mehr Schätze an die Hauptstadt abgebcn müßen. Vor kurzem erst hat Tschudi die letzte Perle Schleiß heims, das wundervolle Reiterbildnis des Grafen On- oarez von Velasqucz, von seinem ursprünglichen Platze entführt. Immerhin ist die Schlcißheimer Samm lung noch heute von hohem kunstgeschichtlichen und ästhetischen Wert, denn sie gibt einen ausgezeichneten Ueberblick über die Malerei des 18. Jahrhunderts, deren Farbenpracht und großartige Virtuosität man hier besser kennen lernen kann als sonst irgendwo. Wer erfahren will, wie Tüchtiges deutsche Maler auch noch im Zeitalter des Rokoko leisteten, muß nach Schleißheim gehen, nach der „königlichen Pina kothek des 18. Jahrhunderts". So manches der ge stohlenen Bilder, besonders die trefflichen Stillcben von Horemans, werden hier eine Lücke reißen. Aber der Sammlung, der so viel Unglück bcschieden war, ist auch ein großes Glück zuteil geworden: ge sondert von de» großartigen Prunkgemächern, in denen die Hauptmasse der Werke eine ideale Aufstellung gefunden bat, liegen ein paar Räume, die man wohl einenWeiyetempel dermodernen Kunst nennen darf. Sie umschließen das Wichtigste aus dem Lebenswerk von Hans von Akar des, diesem großen, erst in unseren Tagen ganz erkannten Meister einer idealen Formkunit, an den sich so vieles von dem, was in unserer Kunst zukunftsreich und bedeutend ist, anschließt. Bayerns Versailles, das stolze, leuchtend schöne Symbol des „Kaiser- traums" der Kurfürsten, das doch als Bauwerk nur ein unvollkommenes Scheinleben führte wie dieser Traum selbst, ist nun geadelt und mit einer neuen Würde begabt durch die Stiftung eines groß- be«1«en privaten Kunstfreundes, der an dieser stillen, hoheitsvoll einsamen Stätte der Zukunft das Vermächtnis eines der größte» deutschen Künstler darbrachte. Ein Hauch von melancholischer Größe und un- vollcirdeler Pracht, der die Bilder Mordes umgibt, schwebt auch über dem mächtigen Bau, den die Aus sichten auf das Erbe der spanischen Weltmonarchie in dem phantastischen Geiste Max Emanuels auf steigen und rasch der Verwirklichung entgegengehen ließen. Der kränkliche und regierungsmüde Herzog Wilhelm V. von Bayern batte zuerst um 1600 in der einsamen Schwaige Schleißheim ein einfaches Schloß errichten lassen und daneben die Klause des heiligen Renatus gebaut, in der er zu beten pflegte. Unter Mar Emanuel zog eine neue Welt iil diese verlassene fromme Idylle. Ein pavillonartiger Sommerbau mit dem fröh lichen Namen L u st h e i in stieg in die Höhe, und der hier sich entfaltende Geist der französischen Gartenarchitektur verlangte nach größeren ge waltigeren Anlage». Ein bayrisches Versailles sollte entstehen, ebenbürtig dem «itz des Sonnenkönigs, würdig des Herrschers, der bereits die deutsche Kaiser krone über seinem Haupte schweben fühlte. Der Bau, der im Frühjahr 17lD begonnen ward und mit fieber hafter Eile gefördert wurde, zeigt noch ganz den Charakter der italienischen Spätrenaissance-Architek- tur. Es war eine unruhige Zeit, dunkles Kriegs gewölk überschattete den weltgeschichtlichen Himmel von allen Seiten, und kaum waren die Mauern not dürftig 170-1 unter Dach gebracht, da zwang die Niederlage bei Höchstedt Max Emanuel zur Flucht aus seinem Lande, und die Ocstcrreicher legten die Hand auf die frühe Ruine. Die Folgen der überstürzten Arbeit, der raschen, unvollkommenen Fertigstellung sprechen noch heute aus den zwar edlen, aber einförmig nüchternen Linien des Baues. Dafür wurde dann im Innern an Pracht und Glanz vieles nachgeholt, und unter der kunstvollen Hand des ersten groyen einheimischen Meisters, der sich von der Nachahmung italienischer und französischer Vorbilder zu eigenartigem Schaffen befreite, des genialen Joseph Effner, entstand eine herrliche Innendekoration, die in glücklichster Harmonie die fremden Formelemente zu cmer originalen Anmut, Frische und Leichtigkeit verband. In Schleißheim ward so der Keim gelegt zu der Blüte des bayrischen Rokokos, die in der Amalienburg Cuvillids' ihren Höhepunkt erreichte. Wenn man heute das großartige, von einer llcberfülle kraftvollen Gcstaltenreichtums bevölkerte Treppenhaus hinauistcigt und die Flucht der Säle in ihrem einzigartige!! Zusammenklang von Archi tektur, Dekoration und Gemälden durchwanden, dann fühlt man jenen stolzen Sinn dieser deutschen Territorialfürsten, die den Wettbewerb mit dem weltbeherrschenden Ludwig XlV. aufnahmen. Als bei den glänzenden Hoffesten der Vermählung des Kurprinzen Karl Albert mit der Kaisertochter Marie Amalie im Oktober 1722 gleichsam die prunkvolle Einweihung von Schleißheim vollzogen ward, als in den werten Gärten die Wasserkünste 20 Fuß hoch sprangen, da war auch schon der größte Tag des kaum vollendeten Schlosses da, der bereits den Keim späterer Tragik in sich schloß. Zu groß, zu gewaltig war der Bausinn der bayrischen Herrscher gewesen: nur der Hof eines Kaisers konnte hier seine würdige Stätte finden; aber Max Emanuel starb, ohne daß seine Hoffnungen sich vollendeten. Und als dann endlich die späte Erfüllung ein trat, als die Kaiserkrone das müde Haupt Karl Alberts deckte, da war es nur ein ichwachcs Schein kaisertum. Das Schauspiel deutscher Jmperatoren- herrlichleit, für das das Versaclles der stillen Hoch ebene Bayerns so prunkvoll ausgestattet worden war, entschwand, und Schleißheim hatte seine eigent liche Bedeutung für immer verloren. Nsr Osuihenüey. Von Professor Dr. A. Biese (Neuwied). Max Dauthendey gehörte längere Zeit zu den jenigen jungen Dichtern, die auf Len leidlich ver nünftigen Menschen — unheimlich wirken. Aber wer sein reiches, freilich überreiches Schaffen verfolgt hat und sich nicht ermüden oder abschrecken ließ durch Wiederholungen oder Naivitäten, der mußte ein stetes, sickseres Fortschrcitcn zu echter, hoher Künstler- schäft wahrnehmen. Man versteht es, daß er zuerst zum Maler, zum Landschafter sich berufen glaubte und selbst erzählt: „Ich lieotc, ehe ich lieben konnte, die Getreidefelder, den Buchenwald und das stimmungsvolle Sommer und Winterleben in der Natur mehr als die Men schen." Und seitdem die Liebe jein „mürbes Herz enthusiastisch in lyrische Schwingung versetzte", sind Natur und Liebe die Mächte, die in wundervoller Einheit zusamnienrinnen und ihm in unerschöpflicher Füll« Lieder einflößen („Die ewige Hochzeit", „Der brennende Kalender", „In sich versunkene Lieder*im Laub", „Lusamgärtlein, Frühlingslieder". Hier wird die Poesie der Natur verschloßen, wie kaum sonst in zeitgenössischer Lyrik. Mit der naiven, mythenbil denden Phantasie beseelt der Dichter Blumen und Bäume, Mond und Sonne und Regen und Wolken: ihm steht es fest: alles Erschaffene denkt und fühlt, alles ist belebt von der Wunderkraft der Liebe-, die Winde haben ihr,. Sprache, die Gräser ihr eigenes Leben, und sie Grillen spielen zum Tanze aus; auch den Acckern gehen Augen auf. Kornblumen, die stahl blauen. stummen, betrachten wie Augen der Sonne Lauf; Waydschatten hängen ums Ohr wie Lauscher ...... , — . — am Tage wollen alle Ding« erscheinen und gefallen, aber nachts nur lauschen. So weiß der Dichter mit wenig Tönen Loch tiefe Stimmung zu erwecken und Landschaften von hohem Reiz mit schlichtesten Mitteln vor die Seele zu zau bern. — Doch als größter Landschafter verrät sich Dauthenvey in seiner Prosa, in seinen „Asiati- schen Novellen" („Lingren") und seinen „Japanischen Novellen" („Die acht Ec- jlchter am Biwase e"). Er, der die ganze Erde durchwanderte, hat sich in diesen Prosa-Dichtungen in die Seele von Land und Leuten so tief eingelebt, daß der Leser unwiderstehlich von dem neu- und fremd artigen Stimmungszauber umwoben wird: es ist wie ein berauschender Trunk; man glaubt die heiße Luft von Colombo zu atmen, die grausigen Totenvögel über den Totentürmen rauschen, wilde Bestien in der Angst der schwülen Nacht schreien zu hören und im blauen Licht von Penang zu wandeln; Li« Suggestion ist so stark, weil mit dem mustergültig reinen Fluß der Spracke und dem tief sie durchziehenden Rhythmus, der eben der Rhythmus einer tief in alle Wesen heiten sich einfühlenden Seele ist eine Gestaltungs kraft sich verbindet, die mit unwiderstehlicher Macht uns zwingt, alles mitzuschauen und mitzuerleben, ob es exotische Farben und Formen und Lichter, oo es Sonnenuntergänge am Meer oder die rosa und die blaue Stabt oder der Garten ohne Jahreszeiten mit seiner dünnen blauen Luft, oder ob es rasende Zau- derer, verträumte Kulis oder malaiische Kurtisanen und so weiter sind, die aus Asien uns der Dichter mit reicher, reifer Sprachkunst vorführt. — Unmöglich ist es, ein solch faroiges und zugleich beseeltes Bild von Japan aus wissenschaftlichen Werken zu gewinnen, wie aus den „Acht Gesichtern am Biwasee". Da ist Japan nicht Kulisse für diese oder jene Begebenheit, sondern di« Landschaft und die Menschen sind eins, Liese nur denkbar in jener, und beide sind wieder geboren aus der mystisch-visionären Kraft des Dich ters, der sie so tief in sein Innerstes aufnahm. Uno wie einfach ist der Stoff — trotz der phantastischen Ueberfchriften, wie „Die Segelboote von Pabasee im Abend heimkehren sehen", „die Abendglocke vom Mijderatemvel hören", „Von Jshijama Len Herbst mond aufgeyen sehen" — da hat ein schönes Mädchen Las Auge eines Prinzen auf sich gezogen, verliebt sich aber in dessen Licbesboten, und als dieser stirbt, da stirbt auch ihre Liebe — sie gibt sich allen und tötet sich zuletzt. Oder wir hören von einer japanischen Undine, von einer seltsamen Begebenheit ans dem chinesisch japanischen Kriege: wir sehen den roten Mond sich im Biwasee malen, die Segelboote oder die Wildgänje im Abendschein darüber hmschweben, wir werden nach Poshiwara, dem Liebesmarkt von Tokio, in das Treiben der Teehausmädchen geführt oder wir
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