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5« Jahre Sozialpolitik Eine Gedenkstunde im Sozialpolitischen Ausschuss des Deutschen Reichstages sichern»» beruhe im weseuilichen »ms Nichteisilllnng der Erwar- lungett, von dcnen der Gesetzgeber in den letzten Jahren bei Be messung der Leistungen ausgcgcingen sei. In der Unfallversicherung liesen zur Zeit etwa 800 Oltt) Verletzten- und AchOoO Hinterbliebenenrenten. In der Krankenversicherung hätten sich von 1921 bis 1929 die Brauns und Grieser sprechen Berlin, 26. November. Zu vegtnn der heutigen Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses des Reichstages gedachte der Vorsitzende, R < i ch s m i n i st e r a. D. D r. Brauns (Ztr.) der Tatsache, dass die deutsche Sozialpolitik zur Zeit ans e i u h a l d e s I a h r- h ändert ihres Bestandes zurückdückt. Der Sozialpoli tisch« Ausschutz des Reichstages — so sührt« der Redner aus — lann an diesem Gedächtnis nicht achtlos voriibergeben; er mutz sich in diesem Hall« vielmehr al» Spreche, de» Reichstagsplenums d.nrachten. Schon vor dem Weltkrieg ist Deutschland ans dein Gebiet der Sozialpolitik führend gewesen, obrvohl damals blotz gewisse Sparten der Sozialpolitik, vielleicht nicht einmal die wichtigste, gesetzgeberisch behandelt wurden. (Fürsorge jär den nicht arbeitsfähigen Arbeiter und Arbeiterschutz im Be triebes An di« Frage des Arbeiterschutzes ging die damalige Gesetzgebung nur zögernd heran. Gleichwohl werden wir alle heute, gleich Wilcher politischen Einstellung wir huldigen, gleich wie mir zu den Einzelheiten der damaligen Gesetzgebung stehen, den Wert der damaligen Sozialpolitik nicht gering schätzen. Das damalige Deutschland war sozialpolitisch wegweisend siir die Welt. Der Krieg war auch für die deutsche Sozial politik zunächst verhängnisvoll. Im Jahre 192.1 standen wir nur noch vor Trümmern. Datz wir trotzdem die alten Zweige der Sozialversicherung wieder ausrichten, auch manche gute Idee in diesem Neubau verwirklichen, die Versicherung durch die Arbeits losenversicherung ergänzen konnten, ist ein Ruhmesblatt der deutschen Sozialpolitik der schweren Nachkriegszeit. Aber wichtiger noch als dieser Wiederaufbau war der Fort- schritt auf dem Gebiete de» A rbeitsrechtes Wenn wir auch nicht vordringen konnten bis zu einer Kodifizierung des gesamten Arbeiterrechts, im weitesten Sinne gesagt, wie es die Weimarer Verfassung vorsieht, die einschlägigen Gesetze: An erkennung und Erweiterung des Koalitionsrechts, Tarisrechts, Arbeitsgerichtsgesetzgebung, Vetriebsrätegesetz, Wirlschastsverlre- tnngen, bedeuten einen wesentlichen Ausbau derdeut- schen Sozialpolitik. Sie treffen den Kern der sozialen "rage, wie sie sich bisher »ns dargestellt hat. Diese Feststellunaeu notigen uns, den, R e i ch s a r b e i t s m i u i ft e r i u m, dessen Beamten, von denen wir einen der leitenden, Herrn Dirctlor D r. Grieser, hier unter uns sehen, und die das grösste Ver dienst um diese sozialpolitischen Lrrungenschajten haben, heute unseren aufrichtigen Dank und unsere Anerkennung für ihre Arbeiten und Leistungen hier auszusprcchen. (Lebhafte Zu stimmung.) Dieser Dank gebührt auch dem Sozialpolitischen Ausschutz des Reichstages und dem Reichstag selber. Ich weitz, diese Leistungen werden heni« verschieden, vielfach sehr abfällig beurteilt. Wo aber stünden wir heute, in dieser Zrit furchtbarster Slot, wenn die Wirtschaft vergangener, besse rer Jahre nicht eine gewifse Vorsorge für diese schweren Zeiten geschossen hätte, und wenn heute alle diese Lasten in ihrer Tota lität auf den Schultern der öffentlichen und privaten Fürsorge lägen! Man braucht zur Beantwortung dieser Frage nur an ihre finanziell« Z>!tr, ganz zu schweigen von ihrer pfnchologischen und politischen Seit«, zu denken. Die Weltkrisiv würde auch atme die deutsch« Sozialpolitik VN den v'v>-n b->» ' schäft nicht »««Krgrgangen sein und sie auch nicht weniger treffen. Heut« leidet auch die deutsche Sozialpolitik unter der Rot der Gegenwart. Je «her wir d«m Rechnung trage», desto mehr bauen wir Katastrophen in der Zukunft vor. Das wesent lich« in der Sozialpolitik mutz dem deutschen Volke erhalten bleiben. Wir müssen die deutsch« Sozialpolitik, die auch heute noch vorbildlich ist, retten und für eine bester« Zukunft erhalten. Das ist di« Aufgabe der Gegenwart. Was die Zukunft an neuen Sorgen sozialpolitischer Art bringt, das wollen wir auch überlegen uns bei unseren sozial politischen Massnahmen bedenken, denn alle Politik muh ihren Blick auch in die Zukunft richten, zumal in einer Zeitenwende, wie wir sie jetzt erleben. Vordringlich sind zur Stund« di« Auf gaben der Gegenwart und diese sind wahrlich schwer genug. Trotzdem dürfen wir uns ihnen nicht entziehen. Ministerialdirektor D r. Grieser vom Reichs, arbeitsministerium gab sodann einen lleberblirk über die der zeitige Lage der deutsckzen Sozialversicherung. Zur Zeit liesen 2,3 Millionen Invalidenrenten, 670 000 Witwen- und etwa 610 0«») Svaisenrenten. Die Invalidenversicherung, die I9ltO noch 56 Millionen Mark Nebelschütz gehabt hätte, lieh« infolge von Leistungssteigerung und Beilragsrüctgang siir 1931 einen Fehlbetrag von 2 l it Million«» und siir 1932 einen solchen von 265 Millionen erwarten. Infolge- besten werd« das Vermögen der Invalidenversicherung von lii37 Millionen im Jahre 1931 auf etwa 113«) Millionen sinken. Die Landesversicherungsanslallen müssten jetzt etwa 16 Millionen und 1932 etwa 22 Millionen monatlich zuschietzen. Dabei sei der Vermögensverlnü durch Verminderung der Vermögens anlagen unberiictsichügt. Di« kritische Lage der Inoalidenver- Einnahmeu und Ausgaben etwa verdoppelt. Seit 1930 gingen beide ständig zurück. Ain stärksten sei ter Rückgang beim Kran kengeld. Es werde über eine weilere Senkung der Arzneikosten und der Pjlegesätze siir Krankenhausbehandlung verhandelt iver. den mästen. Bei der Angestelltenversicherung ver- schärfte sich der 1931 eingesetzte Beitragsriickgang von Monat zu Monat. Trotzdem habe diese Versicherung noch erhebliche Ueber- schiiste. In der knappschastlichen Pensionsver« sichern»» werde der Haushaltsausgleich durch den starken Rückgang der Belegschaften bedroht Die Arbeiterpensionskass« hab« feit 1925 238 000 Mitglieder verloren. Der Negierungsvertreter betonte sodann, es müsse Haupt aufgabe werden zu verhüten, datz das Vermögen der In validenversicherung bei einem ungünstigen Kursstand verschleudert werden müsse. Ein« Beitragserhöhung in der In validenversicherung sei jetzt nicht möglich, lieber die Beseitigung organisatorischer Mängel der Sozialversickzerung werd« den ge setzgebenden Körperschaften «In Gesetzentwurf zugehen. Eine vom Ausschutz angenommene Entschlief; ung «r- sucht die Regierung um Matznahmen. die den notleidenden Landesrxrsicherungscinstallen di« Flüssigmachung von Ver mögensbeständen ermöglichen. Der wandernde Berg bei Falkenau wird gegenwärllg von der Ncichsbahndirektion Dresden abgetragen, Neber die umfangreichen und schwierigen Arbeiten lm Nutschgebir! berichteten wir aussiihrlich in der gestrigen Ausgabe. Sladk zwischen Os» und West Ntslrllb: bas Herz Mazedoniens zerfressene« gelbe, Gestein zieht einen Kranz von kahlen Bergen um den Kessel, in den gebettet Uesküb, das römi- sche Scopi und heutige Skoplje liegt. Sein wechselndes, bold zu Ostrom, bald zu Bulgarien oder Serbien gehöriges Schick sal, lieh ihn, vielgestaltigste Kultur- und Archilekturreste zurück, von denen die der Osmanenzeit, die siinshundert Jahre die Stadt hielt, heut« noch, trotz aller Anstrengungen, eine moderne, iüdserbische Metropole zu rverden, die zahlreichsten und ein dringlichsten find. Die Tllrkenbaumeister gaben mit ihren Va loren und Karawansereien, ihren Derwischklöstern und Moscheen, ihren Brunnen und vergitterten mohammedanischen Wohnvierteln der buntgomischten Stadt «inen gervaltsam öst lichen Anstrich. Die christlichen Kirchen wurden in Heiligtümer des Islam gewandelt, der slawische Adel verlor den ange stammten Namen und die alte Religion, wenn er seinen Besitz Helten wollte, die Gassen wurden mit fremdem Kriegs, und Handelsvolk besiedelt, dessen exotische Rasse immer wieder bis zum heutigen Tage durchschlug. Der Vardar zerschneidet die Stadt, er ist die Grenze zwisckzen Morgen- und Abendland. Diesseits ist noch Europa, weil» auch ein wildes Valkancuropa, jenseits aber beginnt die östliche Ävclt mit östlichen Mensck)«» »ud streng orientalischem Glaubenskult. Der Flutz und seine Ufer offenbaren die We senheit mazedonischer Landschaft. Träge treibt das Master durch die weit-gedehnte Ebene, Sandbänke schwimmen als weitze Inseln darin, aus Binsen-, Schilf- und Akaulbeerdickichten fliegen Störche und Reiher auf, Reisfelder, die über dunklen Lachen stehen und Maispslanzungcn gedeihen in üppiger Pracht, hohe Schöpfräder leiten das Flutzwasser weit hinein i» das Uferland, hochgepsähltc Wassermühlen mahlen Tag und Nacht. Die wulstigen Leiber schwarzer Vüsfel liegen sonnen- saul im morastigen Uferstreif, Pferbe und Wagen fährt man zur Kühlung und Reinigung mitten in den Flntz, dunkelhäutige Zigeunerinnen stehen hochgeschürzt, wüschewaschend in ihrer grellen Farbigkeit wle exotische Blüten im Wasser, Knaben »Wien in den seichten Stellen umher und fangen mit den Händen di« Fische, ziehen sic zn langen Reihen durch die Löcher der ausgestochcnen Augen auf Bindfäden und bieten sie zum Verkauf. Ein Eesträu winkeliger Häuser und nllersgeschwärzter Holzaltane wächst über der alten Vardarbrücke und zu Fügen der Festung, die beide der Scrkenzar Duschan der Stadt in ihrer mittelalterlichen Blütezeit schenkte, terrassenbildend empor. Die wirren Gassen entfallen ein buntes, aus zahllosen Rassen und Trachten gemischtes Getriebe. An den Lehmmanern trocknen, zu Guirlandcn aufgezogen, die Tabakblätter, die zu sammen mit dem Mohn Mazedoniens Ruhm und Reichtum ausmachen. Staubschlcicr und sengende Hitze lasten schon in der Frühe über den Wegen. Vorsitflutliche Droschken und bunte Büffelkarrcn wirbeln den Sandboden auf. in dem die achtlos hingeworsenen Abfälle wie farbige Gistblumen liegen, Schwärme von Fliegen surren darüber. Düster und erhaben steht der türkische llhrturm über den niederen, von flachen roten Dächern gedeckten Häusern, in deren weitzgetünchte Gleichartigkeit blaue Derwischklöster und rötliche Ziegelmosaik byzantinischer und altbulgarischer Trümmer belebende Akzente zaubern. In schattigen Akazienhainen und unter hundertsäh- rigen Platanen schwingen die Kuppeln zahlreicher Moschee», die, wie die meisten des Balkan, vereinsamt sind. Nur um die Brunnen in den Vorhöfen hocken und liegen ein paar Moham medaner mit den Gobelsperlen in der Hand in verträumtem Nichtstun. Hin und wieder bereitet einer der Hodschas, der die Würde des Geistlichen mit der des Lehrers und Gcbetsrufers aus Sparsamkeitsgriinoen vereint, am Brunnen zu spärlichem Nebenerwerb Kaffee und Tee. Auch hierher fallen die Schallen türkisclzer Herrlichkeit. Trümmer und Verfall, wohin das Auge schaut, auch hier! In den Auslagen des Basars verspürt man den Einslust der nahen euronäilchen Stadt, doch artig und unverbildet. Braunschwarze Arabcrtypen — von jeher verjchleppten di« Türken Neger und Arbeitssklaven aus den Balkan, di« später freigelallen. sich mit der Bevölkerung ver mischten und di« Merkmale ihrer Abstammung heute noch, nach zahllosen Generationen, durchschlagen lassen — Zigeuner, denen Sonnenbrand und Schmutz eine herrliche glutende Bräune schenkte, Mohammedanerinnen, die in ihren dunklen Kutten und den seitlich abstehenden Hauben riesigen Nachtfaltern gleichen, serbische Bauern in silber-schweren Trachten und Zigeuner innen mit bunten, um den Leib gewundenen Fetzen, die die Kleider der Vorübergehenden küssend, um Geld bitten! Da» Viertel der mohammedanischen Zigeuner ist eines der malerisch sten d«r östlichen Stadt. Die Lehmhütten erwecken in ihrer erdgcduckten Kümmerlichkeit den Anschein, als sei der rotbraun« Stratzenstaub nur flüchtig als Herberge für fahrendes Volk mcf- geschichtet. Winzige Luken ersetzen die Fenster. Die Männer ziehen umher, um zu arbeiten, die Frauen betteln, tanzen und lungern dahin, früh vcnvelkt in einem Alter, in dem sie bei uns sich erst zu entfalten begännen. Zur Abendzeit, wenn mit dein Sonnenuntergang das Ge triebe des Mohammcdanervicrlels jäh erstirbt, und Schweige» und Düsternis über den ausgestorbenen Gassen liegt, gleitet da» bunte Leben hinüber zur Europüersladt. Zaungäste von drüben sammeln iickc vor 8<m li^UiN"-'Menen GMttött-' n-8 r-Mmen den europäischen Korso, der mit dem Empfang des Abendzuges beginnt und während zweier Stunden die ganze Hauptjtratze so sehr für sich beansprucht, datz der gesamte Wagenvertehr von Gesetzes wegen umgeleitet werden mutz. Er ist das Erlebnis der Stadt. Bettelkinder strolchen bis Mitternacht umher, halb wüchsige Knaben eilen, grotze Holzplatten mit irischem Gebäck auf dem Kopf, laut anpreisend vorüber, die getriebenen Messing« gesäste der Linionadenverläufer vcrschänke» Pitzes parsümicrles Eisgetränk. Der Slratzenhandel blüht, warme Pasteten, ge röstete und gekochte Maiskolben, Frücht« und Melonenkecue, getrocknete Fische, am Spietz geröstete Würstchen und Fleis.h- sliickc mit rohen Zwiebeln und Paprilasrüchten. werden darge boten, ein ganzes Abendessen kann man sür beinahe ein Ni!>t§ zusammcnkansen Licht und Lärm erfüllt die Europäerstadt, indes das Mohammedacrviertel schläst. Eine Totenliage heult schrill und unheimlich durch die Stille. In geheimnisvollen Kellern nur. an der Peripherie der östlichen Sladk. zu denen «ine har n-