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2. Vellage, vlenstag, 3. März 1914. Leipziger Tageblatt. Nr. 112. Morgen-Nusgade. belle 9. Nur Lriprig unü Umgebung Leipzig, 2. März. 3m Zeichen -er Mustermej)e. Bei der fortgesetzt gewaltigen Erweiterung ver Interessensphäre der Leipziger Messen sind diese in der ganzen Welt für den Fabrikanten des Binnenlandes, für den Importeur des Aus- iandes und für den inländischen Exporteur in ihrer vollen Bedeutung als Ein- und Berkaufs- gelegenheit anerkannt worden, so das; sic bei der stetig wachsenden Zahl von aus dem Aus lande kommenden Besuchern mehr und mehr den Charakter sich periodisch wiederholender inter nationaler Käufer- und Bertäufcrzusammcn- künftc angenommen haben. Füllen sich doch Leip- zigs stattlichen und kommunalen Meßpaläste mit allen Arten und Gattungen von Waren ans den verschiedensten Jndustriekreisen, entwickelt sich doch in dem ihnen zur Berfügung stehenden Häuserkoinplex der inneren Stadt moderner Musterlagerverkchr von so buntem, bewegtem Leben und Treiben, wie es selbst in den Basaren des Orients nicht größer ist. Die Leipziger Messe, die in diesen Tagen wieder unserer Stadt für eine kurze Zeit ihr typisches Gepräge aufdrückt, zieht, wörtlich ge nommen, „die weitesten Kreise", denn eine Riesen schlange von originellen Retlamemännern win det sich gegenwärtig Tag für Tag durch das dichte Menschengewühl der Petersstraße, über den Markt, das Salzgäßchen, die Reichsstraße, den Nenmarkt und den Petcrskirchhof an den von unten bis oben mit bunten Plakaten gespickten, vielfach mit Riesenflaggcn mit Lapidarschrift oder internationalen Wimvcln geschmückten, großen Mcßpalästen und Kaufhäusern vorder und läßt in dem phantastischen Aufputz ihrer ein zelnen Glieder die Neuheiten des Marktes, die Erfindungen der Technik riesengroß und deutlich verkörpert erscheinen. Man hat diesen Meß umzügen nach amerikanischem Muster von man cher <Leite einen karnevalistischen Charakter bei zulegen gesucht. Mit Unrecht. Wohl ist die äußere Ausstattung dieser in stetem ruhigem Schritt des Weges im Gänsemarsch wandelnden Ko lonne eine reiche, bunte, oft schillernde, wohl gemahnt das Kostüm einzelner Reklameträger und Rcklamefahrer, deren Reihen immer länger wer den, an die Effekte der Theatergarderobe, allein der Kern dieses wie ein Paternosterweck sich abwickclnden Umgangs der Plakatträger liegt doch immer in dem gelungenen nachdrücklichen Hinweis auf die anzupreisendcn Spezialitäten auf dem Gebiete des Mcßverkehrs. Wenn ein Pferd in Lebensgröße, natürlich in ausgestopftem Zustande, durch die Sträßen gezogen wird, so hat das Roß init dem Sport absolut nichts zu tun. Es weist nur auf fernem Fell auf die Be handlung mit farbenspcndcndcn Spritzapparaten hin, wenn vom schwarzen Ring schwarze Bänd chen flattern, so sind diese nicht das Wahrzeichen des Tanzbaumes, sondern mörderische schwarze Fliegenfänger, kurz, manche Anpreisung ver birgt sich hinter seltsamen Reklamegebilden. Gravitätisch schreiten hintereinander gleich vermummten Femgerichtsvasallen seltsame Gestalten einher, das Original-Salizul- Pergamentpapier gleich einem Fcldherrnstab in der Hand haltend. Dann taucht in dein bun ten Allerlei der „Fliegende Holländer", das be liebte Fortbewegungsvehikcl für Kinder, auf, und nach dcesem wird der Anblick auf Warmwasser- Apparatc, auf Sitzkissen in allen Dimensionen und „Wackes"-Trompeten frei. Selbst die Kwo chcnmühle erscheint unter den Haus und Kü chengeräten, und der Riesenfilzschuh, wie die Riesenrollcn von Toilettepapier vervollständigen das Potpourri der Meßneuheiten. Auch der hygienische Milchfüller und die Fußball-Tabak pfeife, auf die ein gigantisches Modell deutet, ein holzgeschnitztcs Riesenherz mit der sinnigen Widmung „Dein Herz soll mein Herz sein" spie len auf der Messe eine besondere Rolle. Der Berkehr wird hier geradezu mit der Nase auf die Errungenschaften und Erfindungen der Ge genwart gedrückt und mit den Ergebnissen der Technik bekanntgemacht. Man lernt in diesem Spiegelbild der Musterlager das Tangoballspiel, das dem Looping the loop ähnlich ist, den von Pseudoncapolitanern begleiteten Familien-Kine matographen, den schwarzen Kater mit den grünen Augen, das Zeichen einer Luxuspapicr- fabrik, die Jsolierflasche und die Zinkbadewanncn kennen. Es schwanken die leuchtenden Feder wedel in der Luft und nach ihnen flattert Gold regen am Ehristbaum blitzend vom Wagen. Immer dichter wird das Gewühl auf den Straßen, deren Hausfronten sich über und über mit „Nasen" bedeckt haben und die einem gi gantischen Adreßbuch gleichen, immer länger wird der Zug der „Ritter der Reklame", dcc Text und Beschreibung der einzelnen Artikel in Tau senden von fliegenden Blättern in die Hände der Umstehenden gleiten lassen. Es nahen die Rodelschlitten nnd die Eismaschine», die fchwan kendcn Logelkäfige, die Brieföffner, die Welt füllbleistifte, die Einlegesohlen und kleine höl zerne Transportwagcn. Auch Mncki, „der bel lende Hund", ist darunter, lind weiter kommt die Kolonne der Träger im Gänsemarsch heran, die einen in roten Talaren, mit dem Knopf sm Ohr, die anderen mit Hundehalsbändern, Sprech maschinen und Diktcerapparaten, mit Milch prüfern, Eisenmöbeln und Tafel-Senfgefäßen. Ein Teil weist auf das Fußballschachspiel, auf die Blumenbchälter aus Metall hin, ein anderer empfiehlt seine Korbmöbel, seinen Miniaturofen im Modell. Dazwischen bringt das Licht auf hoher Stange die Welt der Beleuchtung, das „Kurzil", das Sauerstvffwaschmittcl, der Rein tichkeit näher. Kaum nimmt der Zug ein Ende, denn noch immer drängen sich neue Gruppen heran, Post kartcnstäudcr, Glühlampen, Fruchtpressen, Brot schneidemaschinen, Uhrwaren, riesige Globin büchsen, schwankende riesig große Kraftextrakt büchsen, Sommerspiele, 2ick>erheitslamven, Fe- dcrzughoscnträger, Bären und andere Wolltiere, überragt von dem gigantischen silberglitzernden Tafelbesteck, Messer und Gabel. Bilderbücher, im Auszug natürlich, lenken das Interesse der Schauenden aui den Zug, kurz ein neues Moment folgt dem anderen in diesem schier endlosen Um zug. Der Sau von Kleinwohnungen. Wenn wir auf diese Frage nochmals zurück kommen, so gibt uns die Veranlassuug hierzu ter von uns bereits erwähnte Jahresbericht des Bau vereins zur Beschaffung preiswencr Wohnungen. Der Verein hat höchst anerkennenswerte Erfolge er rungen, und doch geht es ihm wie den privaten Bau unternehmern: er klagt Uber die hohen Bau tasten, die Härte der Bauvorschriften u. a. m. Doch hören wir den Beucht selbst. In diesem heißt es „Gleich beim Ankauf eines Bau platzes in große Vorsicht zu üben. Der Unter nehmer kauft zu einem bestimmten Quaorat- meterprciie und glaubt nun, da» hinsichtlich der Baulandkosten alles erledigt sei. Das ist ein Irrtum. Nicht allein daß Besitzwechselabnabe, Stemvelgebühren, Kaurvertrags-, Auilassungskosten usrv. ziemlich hohe Beträge ausmachen — es bestehen für unbebautes Land auch noch andere Gefälle, wie Brückenbauabgabe Erstattung von Kotzen für Fuß- rvcgherstellung, Beitrag zum Schleufenbaufonds und zur Borflutfchleuse, Brnnnenbaunbgabe, Platzumlage uuv. Lind alle die'e Lauen entrichtet, dann findet der Käufer gewöhnlich, daß das Quadratmeter sich gegenüber dem Kaufpreise um 6-8.//. höher stellt." Und nun führt der Bericht ein Beispiel an: Im Jahre 1 12 kaufte der Bauoerein den Block zwischen Scharnhorst-, Lößniger, Hardenberg- und Alten burger Straße, im ganzen 5863 Quadratmeter, zum Preise von 42 .// pro Quadratmeter. Als alle vor Baubeginn zu entrichtenden Abgaben und Ge fälle bezablt worden waren, fiellte sich heraus, daß nunmehr das Quadratmeter dieses Baulandes über 50 ./L kostete. Das ist eine Verteuerung des Baulandes um fast zwanzig P r o z.! Ferner wird im Bericht darauf hingewiesen, daß die Wohnnngspreise durch die jetzt modern gewordene Flachbauweise sehr verteuert werden, daß die Bau vorschriften mancherlei Härten enthalten, baß die Erfüllung der Sicherheitsleistungen oft große Be träge erfordert ujw. Zu alledem kommt noch die Steigerung der Preise für die Bau materialien und die der Arbeitslöhne. So komme es, daßz B. in Schönefeld einHaus mit2668Kubikmeter un bauten Raumes 1009 rund 35 750 .//, 1913 dagegen 42150 ./6 kostete, das find 6400 .4 mehr, eine Verteuerung von 18 Prozent! Allerdings ist dabei in der Ausstattung der Wohnungen manche Aende- rung eingetreten. (Beschaffung von Bädern, Wasser klosetts uiw.s. Aber die Verteuerung bleibt! Unter diesen Umständen ist es völlig zutreffend, wenn im Bericht gesagt wird, daß bei solchen Lasten der private Unternehmer zur Forderung von Mietpreisen genötigt ist, die der Minderbe mittelte bei seinem Einkommen nicht aufzuwenden vermag. Aber die Allgemeinheit wird die Frage aufzuwerfen haben Ist das ein gc- sunder Zu st and? Das muß verneint werden. Wenn der W oh n u n g s m a n g e l, der sich bei der letzten Zählung der leerstehenden Wohnungenlin erschreckendem Maße gezeigt hat, be hoben werden soll, >o muß alles getan werden, um auch die private Bautätigkeit auf dem Gebiete des billigen Wohnungsbaues konkurrenzfähig ^u machen. Das ist das P oblem. das unsere Wohnungspolitiker zu lösen Haien. Und wenn mangdem billigen Wohnungsbau gewiße Vorteile einräumt, auf der anderen Seite aber die Spekulation eindämmt, so dürfte sich wohl etwas erreichen lassen. Kirchennachrichten. Mittwochs finden bis in die Karwoche hinecn, nur am Bußtage nicht, in der Nikotaikirche abends um 6 Uhr liturgische Paisionsandachtcn statt. Die crl'e in dieser Woche hält Pastor Schuch. Der Thomanerchor wird darin das Passionsfpiel seines derzeitigen Kantors Prof. Dr. Schreck und die Sebastian Vachschc Motette: „Seliges Gedenken" singen. — Für Mittwoch, 25. Februar, hatte der Kirchenvorstand der Frie densgemeinde die Gemeindeglieder zu einem Parochialabende eingeladen, der dem Zweck dienen sollte, auf Grund eines Reserats über die augenblick lich brennende Frage der Krrchenaustrittsbewegung eine Aussprache über dieses Thema herbeizusühren und der Gemeinde über lokalkirchlichs Angelegenheit Bericht zu erstatten. Da Pfarrer Dr. Seydel durch Erkrankung am Besuche der Berjaminlung verhindert war. übernahm Schuldirektor Schenk als stelloertr. Vorsitzender des Kirchenvorftandcs ihre Leitung, und Pastor Hofmann gab an Stelle des Pfarrers inter essante und wertvolle "Mitteilungen aus dem kirch lichen Leben der Gemeinde. Pastor Liz. theol. Krüger hielt einen fesselnden, beifällig aufgenom menen Vortrag über den Sturmlauf gegen die Kirche in dem er die Geschichte, Gründe und Erfolge der Kirchenaustrittsbcwegung und die für die Kirche aus ihr erwachsenden Aufgaben und Lcbren be handelte. * Trauerfeier für Friedrich Hauschild in L- Lindenau. Am Montag vo, mittag fand in der Parentationshalle des Lindenauer Friedhofes die Trauerfeier für den nach kurzem, aber schwerem Krankenlager im Alter von 42 Jahren Heim gegangenen l'. Friedrich Hauschild statt. Zwölf ^zahre war er der Nathanaelgcmeinde ein treuer Seelsorger gewesen, wegen seines allezeit freund lichen Wesens von jedermann geschützt und geliebt. l In aufrichtiger Trauer umstanden daher Hunderte den mit Palmen und Kränzen reich geschmückten Sarg, an dem Fahnenabordnungen des König!. Sächsischen Militärvereins und des König!. Sächsischen Kriegeroereins die Ehrenwacht hielten. Harmonium- soiel und Gesang der Chorknaben unter Kantor Schelligs Leitung eröffneten die ernste Feier. Im Auftrage des Ephorus, Superintendenten Cor- des, der amtlich verhindert war an der Trauer feier teilzunehmen, und im Namen der gesamten- Nathanaelgcmeinde entbot Pfarrer Sorge dem treuen Diener am Wort den letzten Gruß und rief ihm ein „Habe Dank!" in die Ewigkeit nach. 2m Lichte der Worte. „Dein Wille geschehe", „Größer als der Helfer ist die Notja nicht"und „Ach bleib mit deiner Gnade bei uns Herr'Iesu Chriü"gab Herrl'.lno Dietrich eine Würdigung der Lebensarbeit des Verklärten, der noch vor vierzehn Tagen auf der Kanzel stand Nach der Rede des Geistlichen widmeten dem in der Vollkraft des Lebens Abberusenen herzliche Nachrufe unter Niederlegung von kostbaren Kränzen und Palmen: der theologische Studentenoerein Wingolf, der Kirchliche Familienverband von Natha«pel (Sprecher Herr Aktuar Seifert), die Helfer und Helferinnen des Kindergottesdienstes der Parochie durch Herrn Schultheiß, die Lehrer und Konfirmanden der 23. Bezirksschule, als deren Vertreter Herr Lusiauo-Paradiso, Sotcl Victoria au Lac. Mod. Hotelbau, in besterLage am Landungsplatz Para- diso u. neuen Kai. 80 Bett., Zimm. v. 3 Fr. an, m Pens, v. 8 Fr. an. Garten am Seeufer. Prosp. t.'. 4auett. Bei ,147.1 Kram