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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.02.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191402224
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140222
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140222
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-02
- Tag 1914-02-22
-
Monat
1914-02
-
Jahr
1914
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s. Beilage. Sonntag, 22. /ebruar 1914. Leipziger ^agediatt. Nr. SS. sonntags-Nusgalre. SeUe 21. — - r* * Unterhaltungsbeilage 4» 4» - Soviel gibt'«, was beglücken kann und Freude macht entstehen: es kämmt aus Herz und Augen an, dah sie, was Glück ist, sehen. Trojan. Schauspieler-vagabun-en. Von Hermann Kienzl, Berlin. Die romantische Zeit des Theaters! Di« Zeit der Wandertruppen, des Enthusiasmus und des Elends! Ist das Elend romantisch? Sind Augen im Hunger glanz, verhärmte Wangen, zersetzte Kleider, schmutzige Laken romantisch? Nein. Aber ein heiliges Feuer hatten die Menschen, die, der inneren Stimme folgend, aller Not und der gesellschaftlichen Mißachtung trotzten, um abens Könige, morgens Bettler zu sein. Es wäre gewiß lohnend, die Geschichte der deutschen Wanderbühnen, vornehmlich des 18. Jahr hunderts, zu schreiben. Welch' ein rührender, zu weilen auch heiterer Glanz umschimmert das Martyrium der Armut! And es würde auch klar: Manchem Schauspieler-Vagabunden, manchen Gesell schaften, die da unstet durch Len Staub der Land- srraßen von Stadt zu Städtchen zogen, gebührt ein schönerer Kranz aus Mclpomenes und Thaliens Händen, als diesem oder jenem seßhaften und wohl bestallten Hofschauspieler unserer Tage. Weit wichtiger als die Austeilung des Nuhmes, als die Wiederbelebung verschollener Namen wäre di« Ver tiefung Les Verständnisses für das Werden und Wesen des Theaters der Gegenwart — und wäre die Ergänzung unserer Kulturgeschichte durch ein wich tiges Kapitel. Höchst seltsame, verworrene Schick sale ungewöhnlicher Personen bereichern außerdem, wenn sic uns vermittelt werden, ein noch wert volleres Wissen: das Wissen vom Menschen. Was wir bisher an Literatur über die alten Wander theater besitzen, ist Stückwerk. Die junge Wissen schaft der Thcatergeschichtc dringt nur langsam und mühsam in diese Vergangenheiten. Das beste Quellenmaterial und den besten Gesamteindruck geben die Hamburger Tagebücher des Schauspielers Karl Ludwig Coste noble (herausgeeben von der Gesellschaft für Theatergeschichte), desselben Costenoblc, der auch der beste Chronist des Schrey- vogclschcn Burgtheaters, und in seinen jungen Jahren selbst ein Wanderkamödiant gewesen ist. Greifen wir hinein ins Leben der Schauspieler- Vagabunden alter Zeit! Wo wir es gerade anpacken, dort ist es interessant. Da war in den siebziger Jahren des 18. Jahr hunderts ein Kandidat der Theologie, Gottfried Bürger aus Thorgau. Er entführte und heiratete das hochadelige Fräulein Wilhelmine Charlotte von Lütkcns und schloß sich mit ihr Wanderbühnen an, die das Rheinland und Westfalen durchzogen. Als Frucht dieser Ehe ist am 1. März 1779 Sophie Schröder zu Paderborn geboren worden. Sophie Schröder, „Deutschlands gMtc Tragödin", die Mut ier der Sängerin Schröder-Devrient, wurde mit ihren Schauspielereltern von Ort zu Ort ge schleppt und betrat selbst im Jahre 1789 in Stettin zum erstenmal die Bühne (als Knabe in Kotzebues „Adelheid von Wülfingen"). Mitte Ltzr neunziger Jahre war sie mit ihrer Mutter in Reval, wurde dort von Kotzebue „entdeckt" und 1798 von ihm ans Wiener Burgtheatcr gebracht. Ihr künstlerischer Siegeslauf ist bekannt, ihr viclbcwegtes, langes Leben im Irrgarten der Liebe liegt uns offen, fett Heinrich Stümcke ihre Briefe mit biographischen Anmerkun gen veröffentlichte. Den Stümckeschen Angaben ver danken wir auch genauerers über Sophie Schröders Eltern und den ersten ihrer vier Gatten. Die Mutter der Sophie, die Schauspielerin Bürger, trennte sich 1789 von ihrem Gatten und hei ratete in rascher Folge angeblich noch vier Männer. Sic war eine sehr geschätzte Kraft der Tillyschen Truppe. Sophies Vater, der den Pfarrer- mit dem Komödiantenberuf vertauschte, erntete keine Lor beeren. Er starb schon 1789. Der Sophie Bürger, späteren Schröder, erster Gatte war der Schauspieler StoIlmers. Sie hei ratete ihn als 14jähriger Backfisch und schenkte ihm mit 15 Jahren einen Sohn, init 16 Jahren eine Toch ter. Dieser Stollmers (geboren 1764 zu Eymatten) hatte eine besonders abenteuerliche Vorgeschichte. Er hieß, ehe er Schauspieler wurde. Nikolaus Smets von Ehrenstcin, entstammte einem alten brabanti- schen AL.'lsgeschlecht und war als Doktor juris und Kriminalrichter am Kurkölnischen Gerichtshof zu Bonn tätig, auch als Verfasser eines Werkes über Polizeiwesen geschätzt. Er verliebte sich in eine Hof dame, entführte sic und ließ sich heimlich mit ihr trauen. Vor der Ungnade des Landesherrn fliehend, ging Smets zum Theater und änderte seinen Namen. Seine Gattin starb in Petersburg (sie erstickte am Kohlendunst eines schadhaften Ofens), und Stoll mers heiratete die kleine Sophie, mit der er von Reval ans Wiener Burgtheater kam. Bald darauf ließ er sich von Sophie scheiden, sagte der Bühne Valet und wurde — Hofrat in reichsgräflich Ratibor- schen Diensten. Später war er Richter in Aachen und starb in Geistesumnachtung. „Eine höchst dunkle Persönlichkeit nennt Alexan der v. Weilen in den Anmerkungen zu Costenoöles Tagebüchern den Schauspieler K l Euolfinger Ritter von Steiesberg, der eigentlich Baron Franz Albert Molek von Lcrchenstein geheißen haben soll. Unsicher sind seine Lebcnsdaten. Man glaubt, er sei 1757 in Böhmen geboren und in jungen Jahren russischer Offizier gaweien. Er schrieb viele Theater stücke und polemische Broschüren, übernahm 196 die Leitung des Prager Nationaltheaters, war 1799 mit einer Truppe in Augsburg, 1800 in Freiburg, 1801 in Amsterdam. Dort wurde er von seiner Gesellschaft verlassen und geriet in bittere Not. Einige Zeit später führte er wieder eine Truppe; 1807—1809 war er Schauspieler in Augsburg, 1817 starb er zu Moskau. Mit dem Schauspieler Ochsenheim er wirkte Tostenoble 1794 bei Quandts Trupp« in Bayreuth -usammen. Costenoblc schreibt über ihn: „Ochsen- Heimer war früher Professor der Philo sophie in Mainz gewesen, aber überwiegender Hang zur Schauspielkunst trieb ihn fort; mit einer Empfcylung von Iffland betrat er bei Quandt zum ersten Male die Bühn« als Flickwort- im „Schwar zen Mann". Mir ist aus meiner ganzen Lebensbahn nichts Ungeschickteres und Ungelenkeres in Ausdruck und Gebärde vorgekommen, als die Versuche Ochsen heimers, so daß man an ihm hätte ver-weiseln mögen Mit steifen Armen, geballten Fäusten, gebogenem Körper pflegte er seine Rede im Ernsthaften tonlos und im Komischen salzlos hcrauszuholpcrn. und wenn ihm gar «in Liebhaber anvertraut wurde, so schien es immer bei einer Umarmung, als ob er selbst um fallen und di« Geliebte mit sich reißen würde. Und was ist dieser Ochsenheimer geworden! „Ockfen- Heimer wurde eine Zierde des Frankfurter und spä ter (von 1807 bis 1822) des Burgtheaters in Wien. Frau Rat Goethe schrieb: .Ochsenheinrer . . ., den sogar Iffland würde Mühe Haven, herunterzu spielen." Unter den Wanderschauspielern und Truppen führern im zweiten Teil des 18. Jahrhunderts war Daniel Gottlieb MedardusQuandt (ge boren 1762 in Leipzig) vielleicht die interessanteste Persönlichkeit, ein großer Geist, ein ewiger Enthu siast. Nach einem an Wanderungen und Erfolgen reichen Theaterlebcn fristete Quandt seinen Lebens abend als Privatgelchrter in Prag, wo er 1815 'starb. Wie es ihm bei dem ewigen razchen Wechsel der Glücksumständc zuweilen erging, beleuchtet ein Ge spräch, das Costenoblc im H)rc 1832, lange nach Quandts Tod, mit dem Schauspieler Gley führt«. „Wir sprachen auch von der unglaublichen Ver schwendung der Madame Quandt, die es in Gemein schaft mit ihrem träumerischen Gatten so weit trieb, daß er am Ende senies Hamburgischen Engagements keine Hose mehr anzuziehen hatte und Besuche sitzend empfangen mußte, wobei er die Vorderseite seines Körpers mit einer schwarzen Weibcrschürzc bedeckt hatte. Dann kamen wir auf das tragische Ende des sonst vermögenden Mannes, wie er durch Krankheit ein Auge verloren hatte und in bitterster Not bei Liebich in Prag antichambrieren mußte, wo er als Herausgeber eines Winkelblatts dem Gley, der mit seiner Frau in Prag gastierte, um einen Dukaten schrieb." Was Costenoblc, der lange mit der Quandtschcn Gesellschaft durch die Städtchen gezogen war, von den Taten dickes Mannes und den tragikomischen Erleb lebnissen und Zuständen seiner Trupp« erzählt, soll — bei einer folgenden Betrachtung — ein anschau liches Bild des Wanderkomödiantentums geben. ves Prinzen Wilhelm Feuertaufe. (Am 27. Februar 1813 bei Bar für Aube.) Nach seinen eigenen Auszeichnungen. Bon Paul Bnrg. (Aalstdiuck verboten.) Der König stieß beim Verlassen des Ge höfts einen Flaschcnscherbcn unwirsch mit dem Fuße aus dem Weg und wandte sich nach den Herren des Kricgsrats nm. „Des Champagnersaufens sollt' alleweil ge nug sein in meiner Armee, Herr Marschall. Das lockert die Zucht. Vollends wird man uns keine knappen Schadensansprnche stellen." Aus der Tür trat der Marschall Blücher und schob die Mütze ins Genick. Der alte Mar schall Vorwärts war diesen Morgen eigens vom Könige Friedrich Wilhelm nach Bar sur Aube berufen worden, am Kriegsrat teilzunchmen. Der Sieger von La Rothiöre war mit seinen Gedanken schon wieder auf dem Heimwege. „Majestät halten zu Gnaden! Aber da denke ich milder drüber. Sollen froh sein, die Fran- zöser, daß wir sie den Wein aussaufcn. Ich schließe mich jarnich aus, ich ich." „Aber der Soldat —!" verwies ihn der Kö nig und knöpfte seinen Ucbcrrock fest zu gegen die schneidende Kälte. Blitzenden Auges sah Gebhard Leberecht Blücher in den Hellen Wintertag und lachte seinen König fröhlich an. „Euer Majestät haben freilick) die Soldaten nich so nahe ins Auge als wie ich. Das kloppt sich wacker schon ein halbes Jahr rum. Na, bei Leipzig war's keine Kleinigkeit die drei Dage. Un da die verd Gose — — — brrrrr! Nu sind lvir endlich da, wo der schöne Schampus wachsen tut, un nu soll man ihm nich mal saufen. — Nee, Majestät, ich meine man: Immer feste druff!!* Das lockert doch och nischt, Majestät. For die Disziplin stehe ich in. Aber ivenn'S heißt: Vorwärts! da macht der Schlampanjer verflucht fixe Beene un Helle Oogen. Passen Majestät mal uff, wenn's heute hier Widder losgeht ! Gestern abend hat Wredc noch was uff den Deetz gekriegt, is bis uff drei elende Katen aus Bar Widder ransgeschmis- sen. Der Sturm wird ihm verflucht sauer wer den .... Ja, wenn unsere juten Jungens da kecncn Franzoseuwein gekneipt hätten! " Gnciseuau verzog lächelnd sein bartloses Ge sicht, und der König wandte sich Witgenstcin zu. „Meine Söhne? —" Da drängten sie sck)on durch die Reihen der Offiziere, der stämmige Kronprinz mit seinen großen Augen in dem vollen Gesicht, des Vaters Abbild, und der schmale schlanke Gardckapitän Prinz Wilhelm. Die hohe Nkütze mit der bau- ürcluden Troddel schattete seine seinen Züge. Der Arm, von einer blinkenden Feldbindc um schlungen, hielt den Degen hochgcrafft. Der König winkte ihnen zn. „Wenn das Treffen beginnt, soll Luck mit eluh nach vorn reiten, daß ihr ans Gefecht kommt. Aber daß ihr euch nicht unnütz ex poniert. Ich werde es Luck selbst sagen und komme auch nach." „Vater, beginnt die Schlacht heut so früh?" Ueber des Prinzen Züge ging ein Leuchten. „Sobald Wrede bereit ist, die Stadt zu stür men. Das Korps Witgenstcin wird den Feind umgehen." Witgenstcin winkte seinem Pferdcburschen und saß auf. Leibjäger brachte« die prinzlichen Pferde. Man saß auf und ritt die Chaussee entlang. Zur Rechten unterhalb der Stadt Bar krachte Kanonendonner. „Das sind Russen, die da schon loskartät- schen." Cin Major zeigte in die Schlucht hinab. Die Stadt lag tief unter der Chaussee, und längs der Straße waren alle Weinberge mit Jägern des Korps Wrede besetzt, die jetzt, in langen dünnen Reihen ausgcschwärmt, eine starke Fusi- lade begannen. Prinz Wilhelm faßte seinen Bruder beim Acrniel und zeigte erschreckt hinab. „Da, die Jäger stehen ja fast einzeln; die müssen ja zurück. Fritz, da! Der Feind ruckt vor!!! —" Friedrich 2rftlhelm sah sich verträumt um. „Die kriegen wir schon!" schrie neben ihnen eine rauhe Stimme in das Knattern. General Gotschakoff sauste auf seinem Schecken die Straße hin, an den Prinzen vorbei. Fast im gleichen Augenblick tauchten zur Linken der Chaussee weißL Kürassierkoller, wehende Rvßschweife aus blinkenden Helmen auf. Gemächlich folgte am Waldrandc die braune ralngischc Infanterie. ,^Los!" Des Königs Stimme schallte den Prinzen ans Ohr. Sie spornten ihre Pferde und jagten mitten hinein ins Knattern der Ge wehre, mit dem Könige auf dem rechten Flügel der Pskowschen Kürassiere. Ha, wie das splitterte, knatterte, trachte! Mit einem Satze gingen die Pcinzenpferde hinter dem königlichen Feldherrn über die Weinbergs mauer, die — nur lose übereinandergelegte Steine — polternd unter ihnen zusammenbracb. Hock; stiegen die Pferde und holten aus. Prinz Wilhelm fühlte cs um sein Gesicht pfeifen, am Ohr zischen. Das waren feindliche Flintenkugeln, eine herrliche Musik! Er hielt geradeaus und ließ den Bruder weit hinten. Von der Seite preschte ein Schimmel au den König. Thiele reckte seinen Arm aus den) Sattel und schrie ins Getümmel: „Majestät, mit den Prinzen zurück! Das edelste Blut wäre umsonst vertan!" Er beugte sich nach dem Zaume des königlictscn Brannen aus dem Sattel und riß ihn herum. Vater und Sohn wandten, jagten cin Eckchen zurück, wo Friedrich Wilhelm verhielt und tönrbettierten mitten im Kngelprasscln, denn anch hier flogen die kleinen Kugeln noch immer zwischen den Pferden hin und unter ihnen weg. „Warm aus dem Lauf!" lachte der König dem Prinzen Wilhelm zu und hob eine Kugel vom Sattel, die sich an den Beschlügen platt gedrückt hatte. Er reichte sic dem Prinzen her über und sah in leuchtende Jünglingsaugen, die über Vater und Bruder hinaus auf die bestürmte feindliche Stadt, ins feindliche Frank reich blitzten. Der blanke Widerschein der Winter sonne stand in diesen frohen, tränmenden Jttng- lingsangen. „Hurra, Hurra!" hallte es aus den Wein bergen. Die Jäger rückten geschlossen vor, den Kalugakürassieren nach. Salve auf Salve knat terte zwischen den kahlen Rebenstauden. „Der Feind reteriert!" Eine Stafette preschte vorbei. Da gab Prinz Wilhelm seinem Pferde die Sporen und jagte mit den Siegern. — — — Was am frühen Morgen also begann, endete mit einem entscheidenden Siege der Alliierten späten Nachmittags. Wie Regimenter bliesen Generalmarfch. Feierlich hallten die Klänge über das kahle, weiße Feld, nmbrausten die beiden einsamen Reiter auf der Straße hinter Bar. General Witgenstcin, der Sieger, rieb sich den Arm. „Verfluchtes Blei, hat mir den Klwchen blankgerisscn. Wenn man wenigstens einen Schluck hätte! Her mit Blüchers Cham pagnerwagen !" Prinz Wilhelm lvandtc sich fröhlich im Sattel herum. ,D>aß das Papa nicht hört!" „Na, man ehrlich. Königliche Hoheit; Sie haben doch neulich auch mitpokuliert. — So ist'S auch recht, wie Blücher sagte: Schlachten schlagen, da müssen wir auch was für die Kehle haben." „Ich habe sogar unserer Lotte versprochen, ihr Champagner mitzubringen. Da hat mich aber der Papa nicht schlecht anaefahren: Nimm dich vor dem Teufelszeug in Acht! — —" General Witgenstcin lachte. „Na, er schmeckt Ihnen natürlich nun nicht mehr" „Und ob, General! Zu schön schmeckt er. Ist ja auch in der ganzen Welt nicht so schön wie hier. Wer weiß, ob man noch mal her kommt in seinem Leben —?" Zwei Reiter kamen ihnen entgegen über den glitzernden Schnee, Marscl)all Blüchers Recken gestalt auf dem Schimmel und Fürst Schwar zenberg, der behäbige, im weißen Koller. Der österreichische Generalissimus hatte anch einen Prellschuß am linken Arm und verzog das Ge sicht. Blücher lachte und zügelte sein Pferd. „Sieh einer! Unsere liebe Königliche Hoheit Na, weil ich heute hier gewisser ¬ maßen Gast bei Sic war, meine Herren, will ich mal was spendieren ans meinem Keller." Er bückte sich über seine Sattcltasche, zog eine dicke Flasche hervor nnd hieb ihr am Sattelknopf glatt den Hals ab. „Da, meine Herren, uff die glorreiche Batallje! Witgenstein, du bist der Aeltste; verteile mal diesen edlen Stoff, aber mit Verstand, lvir haben bloß den einen Buddel." Der General reichte zuerst dem Prinzen hin, der schüchtern die schäumende Flasche abwehrte. „Schenieren Sie sich man nich, Königliche Hoheit! Mitgekloppt, mitgetoppt. Un vor den Droppen da drinnc brauchen Sic sich nn nich zu fürchten; sowas kriegen Sie in Ihren tan zen Leben in janz Berlin nich vor die Nase. Kosten Sie man mal!" „Ans ihre Gesundheit, meine Herren!" Prinz Wilhelm setzte an und tat einen wackern Zug. Er gab die Flasche weiter. „Prost!" Sie kreiste zweimal in der Runde, bis an Blücher der letzte Schluck kam. „Nu müssen wir erst mal die Franzosen wieder verkloppen; bis Paris iS noch ene janze Ecke Wegs. Uff Ihre janz spezielle Jesundheit, Prinz Wilhelm! Wenn Königliche Hoheit in Ihrem Leben mal wieder nach Frankreich kom- men, so ivie wir hier, mit Kanonenmusike, nn Sie kriegen so scheenen Wein dann dann denken Sc mal an den ollen Blücher." Und er trank. „Guten Aben ooch!" Warf die Flasche hin- ter sich und ritt davon. »Lob -er Narrheit.' Münchner Fafchingsbrief an eine norddeutsche Dame. Indiskreterweis« mitgeteilt von Malter ». Hollander. Sehr verehrte gnädige Frau! So l-aben Sie München fluchtartig verlassen, ohne daß ich Sie versprochenermaßen in alle Schönheiten dieser merkwürdigen Stadt und in alle Merkwürdig leiten ihrer Schönheit hab« einführen können. Sie schreiben, daß sie sich nun in der hastigen Sachlichkeit Berlins geborgen fühlen, wie in einer Eremitage und daß die „krampfhafte" Lustigkeit des Faschings, dieser „triviale Jahrmarkt von Ringen", wie ein böser Traum hinter Ihnen liege. Aus Ihrem Brief fühle ich eine Art mitleidigen .Kopsschüttelns heraus, daß ich, ein Norddeutscher, betulich in enger Stadt er zogen, in meinem Privatleben mancherlei (jogcnann rcn) ernste» Dingen zugewandt, nun mich auf den er regten Wogen behagliaen Unsinns wiege wie ein zielloser Kork und, in allerlei farbiges Tuch gekleidet, einhersteure; und Sie betonen mit Recht, daß der Mann solch farbiges Tuch sonst nur zu tragen pflegt, wenn ein trotziges schwer» an seiner Seite oder ein bösartiges Gewehr ans seiner Schulter jeden Ge danken an leichtjcrtigcn Schönheitssinn zu Boden schlägt. — Ich will meiner Verteidigung eine Ge schichte zugrunde legen, d.« durch ihr „Wirklich-pafsiert sein" nichts von ihrer märchenhaften Symbolik ein gebüßt hat. Also: Irgend wann einmal — sagen wir vor 400 Jahren — erhob ein gräßlicher Drache im Süden sein Haupt und begann aus zähen Pranken fortkriechend Schrecknis uns Oede um sich zu ver breiten — die P e st!! Leichenrerbrenncndc scheitel Hansen, von hohlwangigen Menschen geschürt, waren die Laternen seiner Straße. In München erschien das Ungeheuer in einer tanz und kußersiillten Nacht, und es erhob sich Angst und Gebrüll, als das erste Paar zu taumeln begann und mit verkrampften Hän den nnd milchzrünen Gesichtern zu Boden sank. Beten uns singen begann in den Häusern. Jeder hockte für sich in einer finsteren Ectc: denn Todesfurcht legte sich wie ein Stacheldrahtzaun um die Menschen, und jeder konnte Todesbringcr des andern fein. Mancher fleh!«, cs möchte ihm die Bleidccke -cs Himmels nun endlich auf den Kopf fallen, damit alle Qnal ein Ende hab«. Die mutigsten Leute in der Stadt waren damals die Schäffler (d. i. Faßmacl)«r>: schufen sie doch Tag für Tag Gehäuse jür den mächtigsten aller Dämonen, den Alkohol, sie beschlossen, die Pest zir bannen. Zu diesem Zweck zogen sic sich rote Jacken an, wanden sich Kränze und begannen zu fröhlicher Melodie einen Tanz ans der Straße. Die Menschen aber tauchten aus Angst und Dumpfheit empor, rieben sich die verstockten Ohren und fühlten mit einem Mal«, daß es Frühling geworden sei nnd es sich verlohne, rveiterzuleden. Aus dem Tanz der Schäffler blühten Kraft und Lebens wille, und schließlich trompeteten, tanzt«n und bliesen sic der Pest das Lebenslicht aus. — Und weil die Schäffler nicht ausgestorbcn sind, so tanzen sie noch heute. — Sehen Sie, diese Kraft des Tanzes, der Buntheit und der Freude ist die primitivst« Bercch tigung des Faschings. „Seelenhngiene" pflegten sic dergleichen zu nennen. Nun ja, ich gebe Ihnen zu Aber mehr, gnädige Frau, mehr als Zuschauen ist di«ser Fasching. Ja seine innerste Bestimmung ist gerade, daß wir, die wir unserer geistigen Strultur nach zum ewigen Zuschauer verurteilt sind, zum Mitleben kommen. Wir sind einsam wi« >cne Pest bedrohten, wir leben klug und verständig in irgend einer Ecke des Lebens, eingeengt durch eine mühsam erlernte Mannes- oder Frauenwürde, eingebaut in einen Organismus, der uns zu nützlichen und klein lichen Menschen erzieht, — und immer weiter ent fernt von den Quellen spontanen Erlebens, führen wir ein Dasein melancholischer Zweckhastigkeit, das nur zuweilen in unruhigen Stunden von der Sehn sucht nach der märchenhaften Schönheit der erträum ten Stadt „Nirgendwo" gestört wird. — Erkannten Sie nicht an, daß der Schauspieler der eigentlich wahre Mensch sei, weil er vieler Leben zu erleben hat? Hier ist die Möglichkeit Schauspieler zu sein, ja, Sie können auch noch der Dichter Ihrer Nollen jein. Reizt es Sie nicht, für ein paar Feststunden ins alte Rom zurllckzusinken, einzutauchen in ein Gewirr von farbigen Seiden, weißen Schultern, von male rischen Gebärden und undefinierbaren Düften des Orients. Seien sie nicht böse, lieb«, gnädige Frau, wenn ich meine, auch Ihnen würde solch angenehmes Spiel nicht schaden. Verleben Sie «in paar Stunden plötzlicher Sympathie mit irgendeinem Manne, der Ihnen kennenswert erscheint, und vergessen Sic nicht, daß nm andern Tage dieses Römerrcich ins Asch grau« versunken ist. Dann werden Sie sich vielleicht erinnern, daß Sie von irgendeinem merkwürdigen Leben hörten, daß Sie plötzlich cin Schicksal sahen, dessen Wirrnis und Vcrschlungenheit in erstaun lichem Gegensatz zum äußeren Gleichmaß seines Trägers stand. - Vor allem aber — und nun kommt mein stärkstes Argument —, in was für un erhörte Farben können Siff sich kleiden! Farben, deren Kraft in Berlin einen Auslaus und in jeder Gesellschaft eine Panik Hervorrufen würden, und nach denen Sie doch immer gelechzt haben, weil sie Ihnen so gut steh n! Nichts ist hier unmöglich (es sei d«nn, daß allzu betonte Paradieshaftigkeft den Polizei kommissär verletzt). Man darf die Jahreszeiten auf den Kops stellen und unter pelzgeschmückten Bürgern im Tcnnisanzug und Strohhut der Kälte trotzen, man darf die Tageszeiten umdrehen und morgens auf der Trambahn in die graue Geschäftigkeit der Schulkinder und Bureausckretärc den farbigen Akzent eines verlebten Festes tragen. Sic können Walküre sein nnd Dienstmädchen, Heuschrecke und Orientalin, Rvkokodämchen und Dirndel, Sie können Dame sein und Baby, Griechin und Malweib, Indianerin und Hexe. Sie können in einer Woche im Kostüm Ihrer Urahne. Großmutter, Ihrer Mutter und Ihres Kindes erscheinen. Und was mehr ist: hier in München werden Sie stets den Rahmen dazu finden. Witz und Geschmack sprudeln hier aus tausend Quellen und Einfällen, und die unbehinderte Schüpferlaune gebietet Phantasmagorien von über- stiegenster Märchenschönheit. Alles nur für ein paar Stunden, wie es sich für eine echte Schönheit geziemt. Sie haben sich natürlich nicht überzeugen lassen, Sie werden sagen, daß ein Betrunkener stets den Alkohol preist, Sie werden sich auf meinen Katzen jammer und die Leere meiner Börse freuen. Ich wollte ja nur Meinung gegen Meinung sehen. Zum Streiten ist das Leben augenblicklich zu nett und Z« anstrengend. Vielleicht schüttle ich bald ebenso weis« mein Haupt wie Sie und empöre mich als „vernünftiger" Mensch über Tanz, Buntheit, Narretei und (6eldausgabe. Bis dahin verbleibe ich Ihr stets ergebener.... (Name leider unleserlich? D. Herausgeber.)
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