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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.02.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191402224
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140222
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140222
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-02
- Tag 1914-02-22
-
Monat
1914-02
-
Jahr
1914
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Sette 2. Nr. 96. Sonmsgs-Nusgsve. Leipziger Tageblatt. Sonntag» 22. /evruar l914. öcsetzung zu gewinnen. In sachlicher Beziehung ist var allem zu verlangen, daß die Lehrer ihren Deutsch- und Geschichtsunterricht in streng na- tioiralem Sinn gestalten. Besonders must im Geschichtsunterricht mehr, als dies bisher ge schieht, an die alte, deutsche Geschichte des Londes angeknüpft werden. Daß jeder Versuch, die Elementarschule mit französischem Sprach unterricht zu belasten, aus nationalen, mehr noch als ans schultechnischen Gründen entschieden znrückgewiesen werden mnst, ist selbstverständlich. Erscheint die richtige Ausnützung der Elemen tarschule als eines nationalen Erziehungsmit tels relativ leicht, wenn nnr die Lehrerschaft durch Befreiung von materiellem Druck befähigt wird, ihr eigenes nationales Streben voll in den Dienst der Sache zn stellen, so liegen die Dinge im höheren Schulwesen entschie den schlimmer. Dao ist nm so bellageuswerter, als durch die höheren Schulen die Sohne des Landes ihre Erziehung erhalten, die im späte ren Leben berufen sind, Führer des Bolles und als Beamte Träger der Liaalsautorität zu wer den. Schon das Lehrerpersonal der höheren Schulen ist in seiner Gesamtheit nicht so na tional zuverlässig, wie die Eleineularlehrer. Die älteren, aus BUdeutscbtand stammenden und vielfach drüben ausgewachsenen Lehrer nehmen es allerdings nut jedem an deutschem Empfin den auf, aber unter den jüngeren, zum Teil klerikalen Lehrern herrscht vielfach eine stark p a r t i t il l a r i st i sch e Gesinnung, ja direkte .Hinneigung zn nationalistischen An schauungen, wie überhaupt Klerilalismus und Nationalismus sehr häufig „ans einem Holz wachsen". Daß aber ein Gesinnungsgenosse des Herrn Wettert« gar nicht imstande ist, seine Schüler für die Geschichte des deutschen Boltes zu begeistern und ebensowenig, ihnen die gro ßen deutschen Dichter innerlich nahe zu bringen, ist selbstverständlich bei Leuten, denen franzö sische Kultur ein erstrebenswertes Ideal ist, das uns rückständigen Deutschen näher zu bringen, selbst vielen nicht deutschfeindlichen Elsässern als die eigentliche Aufgabe Elsast-Lothrjugens im Berbande des Reichs gilt. Wie gering das Vcr- ständnis vieler dieser Jugenderzieher für ihre Stellung ist, zeigt sich auch darin, dast cs bei den jüngeren alteinheimischen Lehrern vielfach Sitte ist, nicht nnr unter sich im Lehrerzimmer, sondern auch auf dem Schulhofe in Gegenwart der Schüler französisch zu sprechen und den Berkehr mit den altdeutschen Kollegen zn mei den, ja diese außerhalb der Schule zu „schnei den". Das must von Grund auf anders werden, wenn Gymnasien und Oberreatschulen im Reirhs- land deutsche Bildungsstätten sein sollen, nicht Anstalten zur Förderung undeulscher Gesinnung. Neben einer sorgfältigeren Auswahl der Lehrer ist eine Umgestaltung des Lehrplanes notwen dig, die dem Unterricht im Deutschen und in der Geschichte wehr Zeit ejnräunit. Die einfache Uebcrnahme altdeutscher Lehrpläne, wögen sie an sich noch so gut sein, genügt nicht. In den höheren, alteinheimischen Ureisen wird im Hanse weist französisch gesprochen nnd fran zösisch gelesen, und wenn deutsch-gesprochen tpird. daun nur oer Dialekt. Deshalb fehlt Hu höl)ö--' reu Schulen die Unterstützung, die der Unter richt-inr Deutschen in onderen Tei-te» des-Rei ches von der Familie erhält und der dort die geringe der deutschen Sprache eingeräumte Stundenzahl weniger bedenklich erscheinen lässt. Und ebenso darf mit der Pflege der vaterlän dischen Geschichte nnd Literatur in den elsässi schen Familien als Ergänzung des Unterrichts nicht gerechnet werden. Deshalb wnst die Schule hierzulande wehr deutsche und Geschichtsstun den haben, alS irgendwo sonst im Neich, wenn anders sic die Altclsässcr znm Deutschtum er ziehen soll; ja der ganze Lehrplan mnst aus dem deutschen Unterricht ausgebaut werden. Ist an den höheren Knabenschulen schon viel zu bessern, so sieht es mit dem höheren M ä d ch enschulwescn trostlos aus. Es ist nicht znviel gesagt, wenn man behauptet, dast die privaten Mädchenschulen geradezu die Brutstätten des welschen Geistes im Rcichsland sind. Und alle Arbeit für das Deutschtum wird vergebens sein, solange nicht die künftigen Müt ter des elsässischen Volkes zu deutschen Frauen erzogen werden. Hier sei nur eines gesagt: das Französische darf nicht der Mittelpunkt des gan zen Unterrichts bleiben, es must vor allem als Umgangssprache zwischen Lehrerinnen und Schü lerinnen unterdrückt iverden. Auch an den Mäd chenschulen must der Unterricht in deutscher Sprache und Geschichte der Kern des ganzen Systems werden. Dadurch allein kann eine Ge sundung der Mädcl?enschule im nationalen Sinn angebahnt werden. Leicht wird, so schließt Steiner, die Arbeit, die da zu leisten ist, nicht sein. Schivere Wider stände müssen überwunden, Versäumnisse langer Jahre, ja von Jahrzehnten müssen gutgemacht iverden. Und eine entsagungsvolle Aufgabe liegt vor dem Reformator des reichsländischen Schul wesens. Denn er erntet Schlimmes, das er nicht gesät hat, und das Gute, das er sät, wird er selbst zum grossen Teil nicht wehr ernten. Aber wir zweifeln nicht daran, dast die Arbeit geleistet werden wird, sobald man an den maßgebenden Stellen zu der Ueberzengung durchgedrungen ist, Last in Elsast-Lothringen der deutsche Staats gedanke in erster Lime getragen werden muß von der deutschen Schule. f>olitiletie UeberlieM vom Stapellauföes Linienschiffes „Kronprinz". Auf der in festlichem Schmuck prangenden Ger- mcwicuverft in Kiel erfolgt« am Sonnabend vormit tag in Anwesenheit der Admiralität, der dienstfreien Offiziere der Garnison und der Marine, sowie der Spitzen wr Militär- und Zivilbehörden und unter Teilnalpne verschiedener Abordnungen der Stapellauf des Linienschiffes „Ersatz Brandenburg". Um 10'2 Uhr trafen Prinz und Prinzessin Heinrich von Preußen und Prinz Sigismund ein, gleich darauf die Kronprinzessin, deren Stan darte von der Flotte salutiert wurde. Die höchsten Herrschaften wurden vom Vertreter des Staatssekre tärs des Reichsmarineamts, Vizeadmiral v. Krosigk, Herrn Krupp von Bohlen und Halbach und den Mit gliedern der Direktion der Kermaniawerft empfangen und zur Taufkanzel geleitet. Ehrenwache und Musik stellte das 1. Seebataillon. Unter Führung des Vize admirals v. Krosigk und in Begleitung des Herrn Krupp von Bohlen und Halbach und des Schifsbaudirektors der Werft betraten die Kronprinzessin und Prinz Heinrich die Taufkanzel. Die übrigen amvesenden höchsten Herrschaften nebst Gefolge nahmen in dem neben der Taufkanzel errichteten Pavillon Platz. Prinz Heinrich hielt die bereits in der gestrigen Abendnummer gemeldete Taufrede. Nachdem das Kaiserhoch verklungen war, taufte die Kronprinzessin das Schiff auf den Namen „Kron prinz" und der Schiffbaudircktor befahl den Ablauf des riesigen Schiffskörpers, der unter den Klängen der NationglhMnc und Hurrarufen glatt und sicher -tzckn -LtapeUauj^ruchm« eine A b - ordnung des Grenadier-Regiments o aus KöniaMrg, bestehend aus dem Kommandeur Oberst Paschen, Hauptmann von Prondzynski und Oberleutnant Rittwegrr, teil. Vie Enttäuschten. Der bayerische Episkopat und die baye rische Ze n trums pr e s se-haben eine bittere Enttäuschung erlebt. Denn die feierlichen Pro teste, die sie mit vereinten Kräften gegen eine angebliche Beschimpfung der katholischen Moral durch die „Münchener Neuesten Nachrichten" in die Welt schickten, sind mittelbar durch richter liche Entscheidungen als gegenstandslos erwiesen worden. Es handelte sich dabei um Hie in den „M. N. N." enthaltene geschichtliche Festellung, dast in der Vergangenheit katholisctp: Moral zustände einen verdcrbliclsen Einfluß aus ganze <p, alte Stammtisihherrlichkeit. Von B. Westenbrrgcr. Wie stand er ehemals jo fest und sicher im Halb dunlel seiner Ecke und liest die große, weiße Ahorn platte durch die dämmerige Kneipstube leuchten. So sicher und selbstbewußt nahm sich der alte Stammtisch aus, als wollte er mit dem stolzen eigen willigen Philosophen sagen: Mir gehl nichts über mich. Bieler Pflege bedurfte er nicht. Die Wirtin oder die Magd scheuerte ihn Sonnabends tüchtig ab, und das tat ihm wohl. Ganz sicher must er einmal jung gewesen jein, aber wann das gewesen war, das wußte kein Mensch mehr. Da hatte er gewiß lein Nißchen und lein Sprüngchen gehabt, war gewiß ein ehrliches Stück eines guten Lijchlermeisters gewesen. Bald kam einer >n bunter Mütze und grub mir fester Hand seinen Studenten zirkel mitten in die Platte. Andere Zecker zogen zum Zeitvertreib mit dem Messerknauf die Holzfasern nach. Mit den Fahren immer mehr, Rinne an Rinne. Wie Altersrunzeln. All das schadete ihm nicht. Aber nach Jahren kam ein neuer Wirt, und der machte aus der altehr- samlichen bürgerlicl-cn Bierkneipe ein „besseres Lokal", und des zum Zeichen, zog er logleich dem alten Stammtisch ein weißes, mit lanjpveilnzen blauen Vierecken bemustertes "Wachstuch über das runzlige Gesicht. Das war eigentlich schon der Anfang vom Ende. Das nahm ihm Männlichkeit, Milde und Standesbcwußtsein. Also man schämte sich seiner. Und ein späterer Wirt — das war, als aus dem Wirts haus eine Restauration ward — wollte cs noch feiner haben und deckte ihn wie alle anderen gewöhnlichen Tische mit einem weißen Tafeltuch. Nun bedeutete er nichts mehr. Er hat nichts mehr voraus, ist ein Tisch unter anderen Tisck)en. Vielleicht wird bald ein anderer Wirt entziehen und den plumpen altmodischen Gesellen hinaussteckcn, auf den E»ang, in einen Winkel, in die Küche, wer weis; wohin? * * * So geht's allenthalben mit den alten Stamm tischen. Zwar triffst du da und dort noch einen, dem inan's ansieht: er wird in Ehren gehalten. Das geschieht da, wo sich noch etwas Stammtischhcrrlichkeit be wahrt hat. Aber die alte Stammtischhcrrlichkeit — wo ist sie noch? Die rauchumnebeltc Stammtischhcrrlichkeit unserer Väter und Großväter, meine ich. Stammtische gibt es genug; auch in den neuesten Bierpalästen entflel-en sie, tragen als Warnungsschild für Unvor sichtig: ihr Schild: Belegt!, tragen auch wohl allerlei Vcreinsabzeichen und stehen unter dein Auge des „Obers". - Aber die deutsche langsitzige Stammtischhcrrlichkeit von einst? Sie schwand dahin, iu der Großstadt schneller, in der Kleinstadt langsamer. Sie war ein «tück deutsches Kulturleben. Denn der Stammtisch ist zweifellos eine urdeutschc Erfin dung, gar nicht denkbar ohne die Gemütlichkeit, die ja auch im engsten Zusammenhang mit der alten, vielbesungenen und oielgefcholtcnen Trinkfreudigkeit zum deutschen Wesen gehörte und deren greifbarer Ausdruck er wurde. Die Geschichte des Stamnitifchs — noch keiner hat sie geschrieben und wäre doch eine ganz artige Doktor arbeit. Gab cs doch weithin berühmte Stammtische, literarische, politische, akademische, philosophische, bureaukratische, bürgerliche, gemischte usw. Don den literarisch-künstlerischen vielleicht der berühmteste der in der Hinterstubc von Lutter und Wegener in Ber lin, an dem der große Devricnt und der merkwürdigste aller Dichtcrphanlasten, der Gespenster-Hoffmann, ihr weinwürzia Wejen trieben. Der „Kladderadatsch" — eine echte Berliner Stammtischgeburt. Erzählen ließ sich von dem kleinen Schumann-Tisch im „Kaffee- l»aum" in Leipzig, von Gottfried Keller, den wir doch auch zu uns Deutschen zählen, und seinem knurrig schnurrigen Gebaren am Stammtisch in der „Meise" zu Zürich oder in der über die Maßen engen „Apfel- lammer". Aber davon ein andermal. Der politische Stammtisch muß seine Blüte zeit in den vierziger und fünfziger Jahren gehabt haben, die Nachblüte dauerte vielleicht bis zum großen Wcndejahre 1806. Er blühte und gedieh, so lange die Politik wirklich eine lohnende Sache war, und das war sie in der Sturm- und Drangzeit unstreitig, schon deshalb, weil damals wirklich alles möglich war, sogar die Republik, und deshalb jeder mitreden konnte und keine Dummheit etwas Genierliches hatte. Der große Hegel hatte einmal giftig gesagt: „Das Volk ist derjenige Teil des Staates, der nicht weiß, was er will." Jedenfalls war man begeistert, und wo hätte sich die Begeisterung besser ausleben können als am Stammtisch! Da konnte sich jeder austoben, und jeder hatte Zeit. Es gab ja nur wenig Eisenbahnen, wenig Zeitungen, wenig Telegraphenlinien, kein Telephon, keine Teletunkcn, keine Autos. Man mußte warten auf Neuigkeiten. Und cs war in aufgeregter Zeit nicht selten, daß so ein ganzer Stammtisch abendlicher weile aufbrach und ein paar Meilen aus dem Leiter« »urückkehrte, zeigen deutlich, daß sie seine Aus führungen vollkommen billigten und für sie die Mitverantwortung übernehmen. Die Kammer fühlte, daß die Z ior ideuti g - keit derHaltuna des Ministeriums nickst sortdauern kann. Während sie in der vergange nen Woche die Fortsetzung über die Inter pellation wegen des Gesundheitszustandes der Soldaten, gegen die stürmische Forderung der Rechten und der gemäßigten Linken auf eine Woche vertagte, beschloß sie am Freitag nahezu einmütig, die Erörterung diesmal nicht auf den nächsten Freitag, sondern schon auf Montag anzuveraumen. Wenn bis dahin nicht allerlei Geschäftchen und Mackzenschäften in den Wandelgängen und dem Ministerzimmer verab redet werden können, so wird die Krise wohl schon am Montag ausbrcchen. Heer und Zlotte. Riesenkaisermanöver. Nach Erkundigungen an der für die großen Herbst übungen maßgebenden militärischen Zentralstelle sind wir in der Lage, die folgende erste Vorschau auf die Kaisermanöver dieses Jahres zu veröffentlichen: Als vor sieben Jahren zwei der sechs Armeekorps, die im kommenden September vor dem Kaiser üben sollten, ihr letztes Kaisermanöver hotten, da stand zwischen der Diemel und dem Desenbcrg der Hafer hoch im noch nicht ganz reifen Halm, und um War burg und Höxter war viel Weizen ungejchnitten. Der Flurschaden, den die Westfalen und Hannoveraner, mit je der mecklenburgischen und kurhessstchen Division, damals machten, war beträchtlich; die Landes bevölkerung litt trotz der gezahlten Entschädigungen erheblich. So ist denn in diesem Jahre, wo es noch einige Striche südlicher zu den Kaisermanöver- märjchen und -gefechten kommen soll, die Uebung s- zeit um eine volle Woche später gelegt worden, so daß die Truppen schon eher als 1907 iahte Felder und damit geringere Flurschadenmöglichkeiten vorfinden werben. Vier preußische und zwei bayrische Armeekorps, dazn viel Heeres- kaoallerie (man spricht von fünf Reitcrdivi- sionen) werden bei Blau und Rot beteiligt jein. Dazu kommen: die Leitung, die Schiedsrichter, die neutralen Formationen, di« kaiserlichen Gäste, die fremden Militärattaches, schließlich die „schwarze Partei", das immer stärker anwachsende Heer der Manöverbummler, so daß zwischen dem Ick. und 18. September einiger Betrieb nördlich des Mains und östlich der Lahn vorausgesagt werden darf. Wie 1909 im Taubertal, 1911 in Mecklenburg- Strelitz, 1912 um Oschatz wird diesmal Armee gegen Armee fechten. Gewisse Erwägungen weilen darauf hin, baß die beiden General-Inspekteure von Bülow (Hannover) und Prinz Rupprecht von Völker ausübten und sie, statt sittlich zu heben, an den Rand des Abgrundes brachten. In dieser geschichtlichen Feststellung erblickte die Staatsanwaltschaft einen beleidigenden Angriff auf die Morallehre der katholischen Kirche und leitete gegen den verantwortlichen Redakteur der „M. N. N." eine Untersuchung nach § 166 StGB. ein. Der Angeschuldigte wurde aber durch Entscheidung des Landgerichts München I außer Verfolgung gesetzt, und die gegen diesen Be schluß eingelegte staatsanwaltliche Beschwerde ist vom Obersten Landesgericht zurück gewiesen worden. Bekümmert wirft infolge dessen der „Bayerische Kurier" die Frage auf, ob der feierlich Protest der bayerischen Bischöfe, voran des Münchener Erzbischofs, gegen den fraglicl;en Artikel der „M. N. N." für das Ge richt unbegründet sei, und er glaubt dieser Frage durch den Zusatz Nachdruck geben zu sollen, daß die bayerischen Bischöfe an ihrem feierlichen Protest festhalten. Das Münck-ener Zentrums blatt will deshalb die Sache noch nicht als er ledigt ansehen, wenn es sich auch mit der ge richtlichen Entscheidung abfinden muß. , Die Klage: „Ach, man will auch hier schon wieder anders als die Geistlichkeit" — ver leitet hoffentlich anch die heißblütigsten Schäf- lein der empörten geistlichen Hirten Bayerns nicht zu Unbesonnenheiten, die sie die weltliche Gerechtigkeit noch von einer unangenehmeren Seite kennen lehren könnten. Gefahren für -as Kabinett Voumergue. Die Kammersitzung in Paris vom Freitag hat eine ganz neue, für das Ministerium über aus drohende Lage geschaffen. Die Rede des Unterstaatssekretärs im Kriegsministerium, Herrn Maginot, hat, von ihrer sachlichen und ziffern mäßigen Angabe über den Gesundheitszustand des Heeres abgesehen, in ihrem politischen Teil die Bedeutung einer förmlickzen und schroffen Absage an die geeinigten Soziali sten und die Radikalen, d. h. an die Gruppen, auf deren Unterstützung allein das Ministerium rechnen kann in der wichtigsten poli tischen Frage des Augenblicks, in der des drei jährigen Dienstes. .Herr Maginot hat der „Voss. Ztg." zufolge den Anhängern des Mini steriums in dürren Worten gesagt: „Es ist un geziemend, die Erkrankungen und Todesfälle des Heeres als Agitationsmittel gegen den drei jährigen Dienst zu mißbrauchen. Es ist unge hörig, dem vorigen Ministerium die Schuld an dem schlechten Gesundheitszustand des Heeres in die Schuhe zu schieben. Die Hauptnrsache der Erkrankungen ist der ungewöhnlich strenge Winter gewesen, den das vorige Ministerium nicht voraussehcn konnte. Es wäre ein Ver brechen, wenige Monate nach der Annahme des Gesetzes über den dreijährigen Dienst, dessen Wiederabschaffung zu versuchen." So zialisten und geeinigte Radikale schrien bei diesen Aeußerungen des Herrn Maginot förmlich vor Wut auf. Die Rechte und die Gemäßigten be deckten seine Worte mit stürmischem Beifall, der unverkennbar einen irolnsck)en Beigeschmack hatte. Die Freünbe d kvakM fas ¬ sungslos. In den Wandelgängen suchten sie die Lesart zu verbreiten, Herrn-Ättrgtkwt sei die- Zunge durchgcganqen und er meine nicht, was er gesagt habe. Darauf konnte ihnen erwidert werden, daß Herr Maginot seine Rede vorher niedergeschrieben und Wort für Wort auswendig gelernt hatte. Andere Radikale wollten bezweifeln, daß Herr Maginot sich in Uebcreinstiinmung mit seinem Kollegen im Kabinett befindet und iin Namen des Ministeriums gesprochen hat. Auch auf diesen Einwand ist die Antwort im voraus gegeben worden. Der rücksichtsvolle und gerade zu herausfordernde Händedruck, mit dem sowohl Ministerpräsident Doumergne als auch der Kriegsminister Noulcns und der Minister des Innern Ren» Renault dem Unterstaatssetretär dankten, als er nach seiner Rede ans seinen Platz I-IOLO lvagen zur nächsten Großstadt fuhr, wo vielleicht schon Depeschen eingelaufen waren, und hatte inan sie ergattert, so ging's holterdipoltcr zurück zum heimatlichen Stammtisch, und die Neuigkeiten wur den „verdebatticrt" dis zum Morgengrauen. Und gab's nichts zum Debattieren, so hatte man — Lieder: „Was ist des Deutschen Vaterland?", „Schleswig- Holstein meerumschlungen", „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein". Nebenbei: es waren wirklich deutsche Lieder, und man konnte sie wirklich singen von Anfang bis Ende. Heute? — „Püppchen, mein süßes Püppchen." Wer hat diese Stammtischherrlichkeit zerstört? Das tat die neue Zeit; vielleicht kann man auch sagen: Bismarck tat's. Er nahm ja dem Volk seinen Lieb- lingsstofs, die „deutsche Frage" vom Stammtisch weg. Dafür stellte er das Deutsche Reich eines Tages sichtbarlich vor alle 2Velt, und viele von den alten Stammtijchbrüdern standen wie vor einer Waisen hausbescherung gerührt da und waren's zufrieden, daß just alles so kam (wenn auch ein bißchen anders), wie sie's gewollt. Da ward denn wohl vielerorts das Bildnis des Mannes verehrungsvoll an die Wand gehängt, des einst „Bestgehaßten". — Ein alter Acht- undoierziger-Stammtischler sagte mir einmal, er habe den Bismarck immer für einen Nebukadnezar, Holofernes oder so etwas gehalten, bis er einmal auf einem Bilde gesehen habe, wie er die lange Pfeife rauchte — das sei doch wenigstens ein menschlicher Zug, und seit der Zeit habe er sein Vertrauen ge habt, das er ja auch im ganzen und großen gerecht fertigt habe. . . Aber so viel Bismarck-Stammtische sich bildeten und erhielten — mit der alten Politisiererei und Kannegießerei war es allenthalben aus. Das poli tische Leben wie so vieles nahm andere und sicherlich bessere Formen an. Die Hauptsache aber: man hatte keine Zeit mehr, und — wir wurden „hygienisch". Du lieber Himmel, was wußte der alte Stamm tisch von Hygiene?! schon das Aufkommen der Lüf tungsoorrichtungen war ein Angriff auf seine eigen tümliche Lebensatmosphäre. Die Alten liebten das trauliche, rauchige Dämmerdunkel ihrer Wein- und Bierstuben: die junge Welt wollte im Hellen sitzen, verlangte Licht, immer mehr Licht, bei Tage, und erst recht bei Nacht. Einst Oelfunzel, Talglicht, Stearin kerze, dann Petroleum, Gas und heute das sieghafte „Elektrische". Einst die Pfeife, dann die Zigarre, heute die flüchtige Zigarette. Kneipe, Wirtshaus, Restauration, das moderne Cafö, die Bar! Das sind, wenn man es gelehrt ausdrücken will, nebeneinander hergehende und in Wechselbeziehungen stehende Entwick lungs- und Wandlungscrscheinungen. Und wie die Ansprüche an den Wirt und seine Stätte viel größer geworden sind, so ist der Verkehr ein anderer ge worden; er wechselt rascher. Die Trinkjitten wandel ten sich. Man denke nur an den täglichen Früh schoppen, der noch vor ein bis zwei Menschenaltern für viele Bürger aller Stände, nicht blos für die Stu denten, eine schier notwendige Lebenseinrichtung war! Man trinkt nicht mehr, um zu trinken. Das Bier hat sich als Nationalgetränk behauptet, ist auch durchweg ein besserer Trank als das Gebräu der „guten alten Zeit", das einmal gut, manchmal schlecht geriet, je nach Kunst oder Zufall; aber die einst selbstverständ liche Alleinherrschaft schwand. So kam vielerlei zusammen oder nacheinander. Und daß wir s ja nicht vergessen: die Frauen! Sie standen mit der alten Stammtischherr.ichkeit immer aui gespanntem Fuße. Sic haßten den Stammtisch, mit allem drum und dran, mit seiner Langsitzigkcit, Uhr- und Hausschlüsselvergeßlichkeit, seiner Bayrisch-Bier-und Lcberwurschtigkeit; sie konn ten ihn im wahren Sinne nicht riechen, und wo er gar einen femininen Einschlag hatte, in Gestalt der weißbeschürztcn Resi, Line, Trine und Fine, war er ihnen erst recht ein Greuel, und was die Frauen hassen, das schützen die Götter nicht. So mußte denn der alte Stammtisch den kürzeren ziehen oder sick> bedeutsam wandeln, wie man sagt, „modernisieren". Richten wir nicht zu streng über seine Sünden. Er war schließlich das, wozu ihn die Menschen mach ten. Und um noch etwas Gutes von ihm zu sagen: an ihm und um ihn herum, da wuchs oft eine ehr liche, brave, treue Männerfreundschaft heran, wie sie in unserer Zeit der Zeitlosigkeit schwer gedeiht. Man kannte sich, und hatte kein Hehl voreinander und verstand Spaß. Wo solch ein Stammtisch ausstirbt, da ist er fü: die letzten der Uebriggebljebenen eine einzige Erinnerung, und sie hängen ihr nach, werden stiller und stiller. Da sitzen die zwei Weißbärte beim gewärmten Bier — vor ihnen steht noch immer der kecke Schütz aus Porzellan mit seinem Gewehr als Hüter der großen Schnupftabaksdose, und der Kasse für die Strafgroschen. An der Wand die verblichene Photo graphie von all denen, die einst hier saßen, schwatz ten, spielten, lachten und ihre Schnurren erzählten, und — alle gegangen sind. Die beiden Veteranen werden auch bald gehen, das wissen sie, und wenn der eine abends einmal etwas auf sich warten läßt, so rückt der andere unruhig und sorgenvoll hin und her. Aber da kommt er ;a auf fernen wackeligen, gichtbrüchigen Beinen herangehumpelt, und da leuchtet in beider Auqen ein «ch,innrer von Freude. Den Abend sind sie noch zusammen! Ob auch morgen?
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