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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.06.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110609014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911060901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911060901
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-06
- Tag 1911-06-09
-
Monat
1911-06
-
Jahr
1911
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fehlt diejenige Kraft, di« vorwärt» treibt. X», gibt es aber gerade für die Notleidenden kein« starke Organisation. Darum ist e» notwendig, daß an da» Geiamtgefühl appelliert, daß die Pflicht statuiert wird, für die Schwachen z» sorgen. Da» ist Religion, da» läßt fick sonst nirgend» nnterbringen. Da» ist höher al» jede gewerkschaftliche Organisation. (Stürmischer Beifall.) Prediger Tietge-Königsoerg von der freireligiösen Gemeinde: Ich protestiere dagegen, daß wir Sach verständige brauchen müßten auf dem Gebiete der Sittlichkeit und der Religion. Da» ist eine Materialisierung der Sittlichkeit, die ich nicht mitmachen kann. Lassen wir uns über die Agitation anläßlich de» Falles Iatho nicht täuschen. Die fortschreitenden Elemente sind in der Kirche ohne Truppen. (Widerspruch.) Das liegt daran, weil sie immer nur kämpfen für die Pastorenfreiheit und niemals für die Gemeindefreiheit. (Widerspruch.) Es muh auf allen Gebieten die Wahrheit al» solche erkannt werden, denn nur Wahrheit macht frei. Deshalb richte ich an Eie die Ditte: .Beherzigen Sie die Wahrheit." (Unruhe.) Dors. Geheimrat Harnack: Dem Schlußgedanken de» Vorredners haben wir in 22iähriger Arbeit Rechnung zu tragen gesucht. Wir lehnen es aber ab, etwas Neues dazu zu lernen als Maxime oder als Ideal. (Lebhafter Beifall.) Damit schloß die Debatte. In seinem Schlußwort wandte sich Professor Ti t i us zunächst gegen den Prediger Tietge. Es ist mir einigermagen als Kühnheit erschienen, daß uns gesagt wird, wir seien Offiziere ohne Truppen. Wir können es ruhig jedem Beurteiler überlassen, zu entscheiden, ob unsere Ver handlungen tatsächlich ohne Wirkung geblieben find (Beifall). Den Pessimismus des Prof. Baumgarten gegenüber der großen Masse teile ich nicht. Dr. Nau mann hat weniger eine Geschichte des Evangelisch- Sozialen Kongresses gegeben, als orelmehr seine eigene Geschichte (Heiterkeit). Naumanns Idealismus ist nicht flügellahm geworden, aber er ist zur Besonnen heit und Nüchternheit gekommen. Wenn unser Kul turleben gedeihen >oll, so bedarf es, wie gesagt, neben den Routinier» und Berusspedanten der Idealisten. Das wollte ich durch meinen Lortrag einprägen. (Lebhafter Beifall). Das -weite Lerhandluugsthema, die Laudflucht, behandelte Wirkl. Geh. Rat Ministerialdirektor Dr. H. Thiel-Berlin. Er ging von der Tatsache aus, daß die Abwanderung aus den preußischen Land- kreisen nach den großen Städten erschreckend groß ist. Sie betrug in den fünf Jahren von 1895 bis 1900 jährlich 200 000 Personen, in den fünf Jahren von 1900 bis 1906 durchichnittlich 160000 Personen im Jahre. Es handelt sich hier um eine volkswirtschaftlich bedeutende Erscheinung. Haupt sächlich müssen die Lebensbedingungen aus dem Lande den städtischen Verhältnissen gleich wertig gemacht werden. Zu nennen sind Wohl- fahrtspflege, Jugendpflege, Haushaltungs schulen und angemessene ländliche Ver gnügungen. Das wichtigste Mittel aber, um die Landflucht zu bekämpfen, wird immer bleiben, daß wir dem Streben nach besserer Lebenshaltung entgegenzukommen suchen, indem wir dem einzelnen auch in der Landwirtschaft die Möglichkeit ver- schassen, sich emporzuarbeite«. sich, wenn auch ein noch so kleines Eigentum zu verschaffen. (Beifall.) Hierher gehört das wichtige Thema der inneren Kolonisation. Ohne die Wichtigkeit eines einflußreichen Großgrund besitzes zu verkennen, muß doch yervorgehoben werden, daß wir im Osten des Vaterlandes noch lange Groß grundbesitze in Kleinansiedlungen aufteilen können ehe wir die Grundbesitzverteilung erreichen, wie sie in der Mischung von Groß- und Kleinbesitz z. V. in Hannover besteht und allseitig als be friedigend anerkannt wird. Die zersplitterten Teile unserer Nation, die früher auswanderten, müßen als Rückwanderer wiedergewonnen werden. (Lebhafter Beifall.) An zweiter Stelle schilderte Pastor Ebel-Muschaken seine Erfahrungen, die er mit praktischen Maßnahmen, die er zur Behebung der Landflucht in seinem Kirch sprengel gemacht hat. Er hat es damit erreicht, daß die Landarbeiter in seinem Bezirke seßhaft geworden sind. (Lebhafter Beifall.) An beide Vorträge schloß sich eine lebhafte Debatte. Graf Dohna-Finkenstein: Mancher wird sich ge fragt haben, wie der evangelisch-soziale Kongreß zur Behandlung einer solchen eigentlich rein landwirt schaftlichen Frage gekommen ist. Heute wird es jedem klar geworden sein, daß die Frage der Land flucht eine eminent soziale und evangelische Be deutung hat. Unsere Evangelischen sollte das zum Nachdenken veranlaßen und dazu bringen, daß wir für unsere ländlichen Kreise nicht nur materiell, sondern auch geistig sorgen. Wir find keine Priester kirche, sondern eine Laienkirche, und alle Laien müßen daher Mitarbeiten. (Lebh. Beifall.) Reichstansabg. Frater: Ministerialdirektor Thiel hat mit Recht darauf hingewiejen, daß die Land- flucht einzelne Provinzen direkt entvölkert hat. Die meisten vorpeschlagenen Maßnahmen find Tropfen auf einen heißen Stein. Wenn wir Veßerung herbeiführen wollen, müßen wir zunächst die wirk lichen Ursachen erkennen. Die Statistik lehrt uns, daß die Landflucht da am größtenist, wo der Groß grundbesitz dominiert. In einzelnen Kreisen, m denen der Großgrundbesitz vorherrscht, umfaßt die Landflucht bis zu 22 Proz. der Bevölkerung, während in anderen Kreisen, wo kleine und mittlere Bauern wohnen, die Abwanderung wesentlich niedriger ist. Die letzte Ursache der Landflucht ist die Bil dung der Fideikommisse. (Widerspruch und Zustimmung.) An die Stelle seßhafter Bauern auf eigenem Grund und Boden ist ein besitzloser Tage löhnerstand getreten, der sich auf dem Lande nicht mehr wohl fühlt und der zunächst die große Ab wanderung nach Amerika brachte. Wenn wir das erkennen, dann müßen wir dazu übergehen, die ganze Fideikommißgesetzaebung einfach aufzuheben. (Unruhe.) Sie war 1848 schon einmal ausgehoben und setzte erst 1852 wieder ein. Wir müßten erst dazu übergehen, um mit Ernst Moritz Arndt zu sprechen, den gestorbenen Bauernstand wieder lebendig zu machen. (Beifall.) Dazu ist vor allem erforder lich die Gleichstellung der ländlichen Arbeiter mit den gewerblichen Arbeitern. Ich bedauere es, daß die Gelegenheit der Reichsversicherunas- ordnung verpaßt wurde, um ein solches gleiche» Recht zu schaffen. Ich hoffe, daß auch Sie mit dazu beitragen werden, über diese Reichstagsbeschlüße im Volke einen Sturm der Entrüstung zu entfachen, damit der nächste Reichstag diele Bestimmungen wieder beseitigt. (Lebhafter Beifall und Zischen.) Fräulein Friedenthal - Berlin (vom Ausschuß zur Förderung der Arbeiterintereßen): Wir wollen eine Enquete über die Lage der Landarbeite rinnen, wir wollen die gebildete Frau auf dem Lande anregen, die Zustände, unter denen die weib liche Landarbeiterschaft lebt, zu durchdenken und ge eignete Vorschläge zur Abhilfe zu machen. Wir wollen die materiellen und seelischen Bedürf, ntsse der weiblichen Landarbeiterschaft er- forschen und erkennen, wo berechtigte Unzufrieden- beit benscht. Wir wollen, daß bet diesem schwierigen Problem die Frauen aller Stände Mitwirken. Oberregierungsrat Kette-Danzig: Die Darstellung des Abg. Feg ter über den Großgrundbesitz im Osten ist weit über das Ziel hinausgeschoßen. Ich warne davor, anzunehmen, daß eine derartige Ansiedelung von Arbeitern und Bauern im Osten «ine so einfache Sache ist. Gewiß ist es auch mein Ideal, wenn Bauernhof sich an Bauern hof reiht. Aber diese» Ideal ist nicht erreichbar. Amtsrichter Heidenheim-Straßburg in Westpr.: Es ist nicht damit abgetan, daß man sagt, weg mit den Fideikommissen. Die Landflucht ist nicht zurückzuführen auf die Zu stände aus dem Lande, sondern der Zug nach der Stadt liegt in dem Drängen des deutschen Volkes zur Höhe und in dem gewaltigen Fortschritt von In dustrie und Technik. (Beifall.) Prof. Sohnrey-Berlin (vom Verein für ländliche Wohlfahrtspflege): Ich habe wiederholt gelesen, die Landarbeiter wollten keine Wohlfahrt, sondern ihr Recht. Es ist ein Uebelstand, daß man Wohlfahrt immer verwechselt mit Wohltätigkeit. Die Wohl- tätigkeit wendet sich an den einzelnen, die Wohl fahrt an alle. Die Wohlfahrtspflege ist von größter Bedeutung für das Land. Leider findet man für sie noch nicht überall das nötige Verständnis. Prof. Hans Delbrück-Berlin: Auch ich muß dem Abg. Fegter widersprechen. Manches ist ja richtig, was er sagte, aber er hat im ganzen so un geheuerlich übertrieben, daß ein ganz falscher Ton rn feine Rede hineingekommen ist, der aus unseren Kongreß überhaupt nicht paßt. Wir wollen uns unterrichten und keine Agitation treiben. (Sehr richtig!) Bei der Erbschaftssteuer wurde in falscher Weise vom Familiensinn gesprochen. Ich bin diesem Treiben scharf entgegengetreten. Aber man soll den Familiensinn da pflegen, wo es im allgemeinen Interesse liegt. (Beifall.) Reichtagsabg.DrMaumanm Der Evangelisch-soziale Kongreß hat sich mit dieser Frage bereits vor 17 Jahren beschäftigt. Wenn dem Abgeordneten Fegter vorgeworfen wird, daß er über Vie Linie hinausgegangen ist. die sich wissenschaftlich halten laße, dann muß ich darauf Hinweisen, daß auch Max Weber, deßen Wifsemchaftlichkeit wohl niemand be zweifelt, grundsätzlich auf dem Standpunkt wie Fegter steht. Im Regierungsbezirk Danzig be finden sich nur 5,3 Prozent des Landes in den Händen von Arbeitern. Wo soll eine solche Ärbeiterschicht die Hoffnung hernehmen, weiter zu tommen? Einen Familiensinn gibt es nicht nur in der Aristokratie, sondern auch bei diesen Landarbeitern. Wenn diese Leute auch un glücklich nach Berlin kommen, so sagen sie sich dock, wenn es uns auch schlecht geht, jo haben wir doch die Möglichkeit, etwas zu bekommen. Das ist und bleibt der Kernpunkt der Landflucht. (Beifall.) Damit schloß die Debatte. In seinem Schlußwort warnte Ministerialdirektor Thiele davor, die wichtige Frage der Landflucht vom Standpunkt ein seitiger parteipolitischer Schablone aus zu betrachten. (Zustimmung.) Tsgeslhronlk. Das Erdbeben in Mexiko. Selbst die recht mangelhaften Depeschen von Mexiko, die vorliegen, laßen erkennen, daß es sich hier um eine ebenso fürchterliche wie tragische Katastrophe handelt. Die Stadt hatte sich tags vorher zu dem am Morgen erwarteten Einzug Les Nationalhelden Madero vorbereitet, deßen Anhänger die Landleute weit un breit veranlaßt hatten, nach der Hauptstadt zu pilgern: auf Liese Völkerwanderung war Mexiko nicht vorbereitet, und Tausende und aber Tausende, die kein gastliches Haus fanden, waren gezwungen, auf den »Plazas" in der Nähe der Re- gierungsgebciude und Kirchen zuzubringen. Da kam morgens bald nach 3 llhr das Erdbeben und weckte die Menschenmassen, die für ein Fest vor bereitet waren, zu grausen, Schrecken. Der Regieruugspalafl wankte, und eine Mauer stürzte unter lautem Getöse ein. Das galt Len abergläubischen Indianern und Mischlingen, deren Tausende hier im Freien ihr Nachtlager auf geschlagen hatten, als ein böses Omen für die neue Regierung. Don panischer Furcht gepeiksck/t, stürzten sie durch die in Finsternis ge hüllten Straßen, über die Trümmer svlleck>er Häuser hinweg und eilten schreiend, betend, fluchend und weinend aus der Stadt, soweit sie die schreckensstarren Glieder zu tragen vermochten. Andere Tausende füllten di« Kirchen und flehten den Gott der Rache an, sie zu schonen, während di« »ewige Lampe" hin und her pendelte und die Scherben der gemalten Fenster auf sie herabregneten. Polizisten drangen in die Kirchen ein und suchten da» Volk von dem trügerischen Schutz der schwanken den Mauern zu überzeugen, aber da» Wort des Geistlichen auf der Kanzel übertönte die Warnung. Das Rollen der unterirdischen Gewalten vermischte sich mit dem Gebet der Menge. Die Mauern zitterten, aber sie standen. Eine» der ersten Gebäude, das etnstürzte, war die Kaserne von Cosme. Das Gefängnis von Belem fiel zu gleicher Zeit ein. Die meisten Sträflinge entflohen, mehre« wurden getötet oder verletzt. Zn den besseren Stadtteilen scheint das Erdbeben sonst nicht viel Unheil angerichtet zu haben, aber in den ärmeren Vierteln liegen, wie dem „Berl. Lok.-Anz." berichtet wird, Hunderte von Häusern in Ruinen, und bis jetzt weiß niemand, wie viel Menschen da eia Grab gefunden haben. Hier erwachten manche Familien erst, al» die Wände schon gefallen waren und von ihren Häusern nur noch die hölzernen Gerippe übrig waren. Dem unerklärlichen Umstande, Laß fast alle Wände und Mauern nach außen fielen, wird er zu verdanken sein, wenn der Verlust an Menschenleben nicht Tausende, sondern nur Hunderte beträgt. In den Städten und Dörfern südlich der Haupt stadt soll da» Erdbeben »och viel schlimmer gehaust haben, aber Einzelheiten fehlen, weil di« telegraphische Verbindung durch da» Natur ereignis unterbrochen wurde. Wilde Panik herrschte die ganze Nacht hindurch in der finsteren Hauptstadt, deren Beleuchtungsvorrichtungen, wie berichtet, zerstört waren. Madera» Empfang. Gegen 7 llhr morgen», als da, Beben avfhörte, strömten die Menschenmaßen, die eben noch den ..Libertadores" als den Unheilbringern geflucht batten, dem Bahnhofe zu, um Madero zu empfangen. New Yorker Depeschen berichten, der Freihtttsheld sei sehr kühl aufgenommen worden: dem aber widerspricht ein mexikanische» Telegramm -«» »Daily Telegraph", nach de« sich Madero» Ankunft zu einem wahren Triumphzuge gestaltete. Eine Viertelmillion Menschen war, mit wehenden Fahnen, angetan mit ihre« besten Kleidern, au», gezogen, um ihn Willkomm«» zu heißen. Vorsichtiger- weise hatte man zwei sichere Züge dem Zug« Maderos vorausgehen laßen, und als er endlich in die festlich geschmückte Station einfuhr, erhob sich ei» brausender Iubelruf, der gar selt sam mit dem Jammergeschrei ko», trastierte. Las noch wenige Stunden vorher selbst das Grollen der unterirdischen Gewalten über tönt hatte. „Viva ^la<i«nc>!" pflanzte sich der Ruf durch die Straßen fort, di« sein Wagen durchfuhr, und das waren di« solidesten, neuesten Straßen der Stadt, wo das Erdbeben wenig oder gar keinen Schaden getan hatte, bis er in Lem Palast anlangte, wo er von dem provisorischen Präsidenten Seüor de la Barra begrüßt wurde. Die Musik spielte, die Sonne schien heiler, und das Volk schrie immer wieder: »Viva ^satlsvo!" und geleitete seinen Helden im festlichen Zuge nach dem Hause seines Vaters. Wiederholt ist die Republik Mexiko der Schau platz gewaltiger Katastrophen gewesen. Zuletzt waren Ende Juli 1909 mehrere Städte Mexikos zer stört worden. Die Stadt Mexiko selbst hatte damals nur geringen Schaden erlitten. Zwei Jahre vorher war es in der Hauptstadt bei einem Erdbeben zu furchtbaren Panikszenen gekommen. Ueber hundert Menschenleben waren 1907 vernichtet worden. Neue Erdbebenmeldungen. Potsdam, 8. Juni. Die Potsdamer Erdbeben warte registrierte vorletzte Nacht wieder ein Erd beben, deßen Herd am Kaspischen Meer zu suchen sein dürfte. Um 1 Uh: 4 Min. 45 Sek. be gannen die ersten, um 1 Ubr 9 Min. 55 Sek. die zweiten Vorläufer. Die Entfernung wurde auf 3400 Kilometer geschätzt. Die Dauer der Er scheinungen betrug eine halbe Stunde. Derbent, 8. Juni. Heute morgen 3'/« Uhr wurde hier ein starkes Erdbeben von 3 Sekunden Dauer wahrgenommen. Tiflis, 8. Juni. Zn Shcmacha wurde heute früh gegen 3 Uhr ein starkes Erdbeben wahr genommen, das sich von Westen nach Osten bewegt«. Baku, 8. Juni. Heute früh 3 llhr wurde ein zehnsekundiges Erdbeben verspürt. Mehrere Häuser wurden beschädigt. Taufe im Hohrnrollerirhaufe. Berlin, 8. Juni. Heute mittag 1 Uhr fand im Palais des Prinzen Albrecht die Taufe der Tochter des Prinzen Friedrich Wilhelm und Ge mahlin, geb. Prinzessin von Ratibor, statt. Zugegen war das Kaiserpaar. die hier anwesenden Prinzen und Prinzessinnen des Königshauses und die herzog- lick-ratidorsche Familie. Oberhosprediger Dryander vollzog die heilige Handlung. An die Taufe schloß sich ein Frühstück an. Berlin, 8. Juni. (Großes Aufsehen) erregt in Rixdorf der Selbstmord des Echlossermeisters Karl Magnus. Als seine Gattin morgens auf stand. fand sie ihren Mann erhängt an der Speise kammertüre vor. Wie es heißt, sollen falsche Speku lationen den Mann in den Tod getrieben haben. Weida, 7. Juni. (Ertrunken.) Der Sohn des Restaurateurs Rüger und der Sohn des Arbeiters Weidhase gingen nach dem Vi'ckoistümpel baden. Ein Mann sah die Kleider der Knaben liegen, man suchte alsbald das Wasserloch ab und sand den Leichnam des Knaben Rüaer. Sein mit ihm er trunkener Kamerad Weidhase konnte erst heute ge borgen werden. * Erfurt, 8. Juni. (Zu der Verhaftung des Eattenmörders Sailer) wird berichtet: Heute erschien im Rathaus ein Mann mit durchnäßter Kleidung, der dem diensttuenden Beamten erklärte, er sei Jakob Sailer, der am zweiten Pfingstfeiertag leine Frau erschlagen. Der Mann wurde schleunigst in trockene Kleider gesteckt und vorläufig in der Gefangenzelle untergebracht. Sailer hatte sich nach Verübung seiner Tat ziellos umhergetrieben. Für gestern abend hatte er seine Tochter zu einer Unterredung bestellt. Da man glaubte, der Mörder würde sich zur vereinbarten Zett in der Nähe aufhalten, wurden Polizeiposten ausgestellt. Sailer kam jedoch nicht. Er irrte umher. Darauf machte er in der Gera einen Selbstmordversuch; das Wasser reichte ihm nur bis knapp an die Brust. Er gibt an, daß er vor Begehung der Bluttat gejagt habe, er wolle mit seiner Frau und sich ein Ende machen. Er habe auch den Vorsatz gehabt, nachdem er seine Frau erschlagen, sich zu erhängen. Der Strick lag auch schon bereit dazu, aber der Mörder brachte es nicht fertig, sein Leben anzutasten. Lichtenberg, 8. Juni. (Ein brutaler Gatte.) Heute morgen wurde in der Scharnweberstraße 11 die 20jährige Ehefrau des Schlossers Schilling mit Wunden an Armen und Rücken tot aufgefunden. Da der Verdacht vorliegt, daß der Tod durch Miß handlungen seitens des Ehemanns verursacht worden ist, wurde Schilling verhaftet. Tiflis, 8. Juni. (Der Terek) ist über seine Ufer getreten und hat große Verheerungen an- aerichtet. 2m Kaukasus herrscht ungewöhnlich kaltes Wetter mit Schneefällen. Lüttich, 8 Juni. (Zusammenstoß.) Auf Bahn hof Angleur stieß ein Lokalzug mit leeren Waggons zusammen. Der Zug entgleiste. 32 Personen wurden teils schwer verletzt. London, 8. Juni. (Togo und Nogi in Lon don.) Gestern sind die Vertreter Japans beim Krönungssest Prinz und Prinzessin Fuchima, Ad- miral Togo und General Nogi angelangt. Alle trugen europäische Ziviltleidung. Admiral Togos erster Besuch wird dem englischen Kriegsschiffe „Wor cester" gelten, auf dem er in den Jahren 1873 und 1874 gedient hat, wenig »ur Zufriedenheit seines Kapitäns, der seinen Bericht über den Abgang des späteren Helden von Tschusima in folgender ebenso kurzer al» bezeichnender Weise abgefaßt haben soll: .,!<säet togo—na so" (das heißt etwa: es ist nichts mit ihm los). Von General Nogi, dem Eroberer von Port Arthur, erzählen die englischen Blätter, daß er sich neuerdings zu einem wütenden Brief markensammler ausgebildet habe. O Dee Kampf der norwegische» Frauen »m das geistliche Amt. Bei der neulich erfolgten wesentlichen Erweiterung der Rechte der norwegischen Frauen zur Bekleidung öffentlicher Aemter und Stellungen wurden, wie uns geschrieben wird, doch einige Aus nahmen gemacht, insofern u. a. die diplomatischen, militärischen und die geistlichen Stellungen den Männern vorbehalten wurden. Auf Heer und Diplomatie scheinen nun die norwegischen Frauen vorläufig noch kein Gewicht zu legem dagegen setzen sie ihren Angriff auf das geistliche Amt mit Hartnäckigkeit fort. Der Kampf um die Frage, ob die norwegischen Frauen Geist- liche werden dürfen oder nicht, steht in voller Blüte. Auf der einen Seite erklärt die theo logische Fakultät der Universität Thrtstiania sich für die Zulaßung der Frauen, während das Mini Geistlichkeit selbst Kitz ««überwiegende >» Mehrheit der Forderung d«r Frauen entschieden widerspricht. Das M intfteriua» ist sogar soweit gegangen, daß es der amerikanische» Prüftgeri» Mr». Shaw die Er laubnis von der Kanzel Z» prediaea, di« ihr in verschiedenen anderes Länder» früher bereit» be willigt worden ist, in Rücksicht auf die grundsätzliche Bedeutung der Entscheidung »ersagt hat. Kunst und Dtllenschsft. * Kammersänger Echeidemantel wurde aus Anlaß seines Scheidens aus dem Verbände der König!. Hofoper zu Dresden zum Ehrenmitglied e der Köntgl. Hoftheater ernannt. * Die Hauptversammlung des Berei»» dearscher Chemiker wurde in Stettin eröffnet. Geheimrat Paul Ehrlich (Frankfurt a. M.) erhielt für seine Arbeiten über Saloersan die Liebig-Denkmünze des Vereins. Prof. Dr. Paul Friedländer (Darmstadt) ist der erste Träger de» Duisbergpretses; gleichzeitig wurde ihm auch die Bayer-Plakette für seine Arbeiten auf dem Gebiete der Farbenchemie verliehen. An den Kaiser wurden Huldigunastelegramme abgesaudt. Auch Professor Ehrlich wurde durch eine Depesche geehrt. * Das Eßener Stadttheater soll eine Art Inten- dantur erhalten. Der Leiter der Bühne wird von der Stadt mit festem Gehalt angestellt werden. Von der Theaterkommijfion ist deretts ein Vertrag aus gearbeitet worden, der mit dem Herbst 1912 Geltung erhält. Von einer öffentlichen Ausschreibung der Stelle soll Abstand genommen werden. * Ein graphisches Werk der Berliner National galerie. Die Direktion der Nattonalgalerie will aus ihrer reichen Sammlung von Zeichnungen eine Auswahl veröffentlichen. In 100 Blättern soll sich die Entwicklung der deutschen Kunst vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bts in unsere Tage dorstellen. Die 100 Blätter werden in Lieferungen ericheinen, von denen ,ede in sorgiältiger Zusammenstellung ein Bild der ganzen Jahrhundertenlwickluug geben soll. Das erste Blatt repräsentiert jedesmal den Ausgang der alten Kunst am Ende des 18. Jahrhunderts, es folgt der Klassizismus, bas Nazarenerlum, dre An sätze einer neuen intimen Kunst bei Meistern, wie Caspar David Friedrich; weiter stehen Krüger und Menzel den in Italien lebenden Künstlern, wie Böcklin, Feuerbach und Maries, gegenüber, und mit einem Werte aus der Kunst der Gegenwart schließt jedesmal die Reihe. * Deutsches Kunstgewerbe i» Belgien. Durch Ver mittlung des Kaiser!. Deutschen Konsuls in Lüttlch und der „Ständigen Ausstellungskommission für die deutsä)« Industrie" hat sich der Deutsche Werkbank» an der gegenwärtig in Lüttich stattfindenden .^Interna tionalen Ausstellung für Architektur und Kunst gewerbe" beteiligt, und zwar mit einer kleinen Sonderausstellung moderner deutscher Architektur: „Die Baukunst in Handel und Gewerbe". Dl« Ein richtung besorgte im Auftrage des Deutschen Werk bundes das „Deutsche Museum für Kunst im Handel und Gewerbe zu Hagen i. W.". Das belgische Aus- stellungskomitee hat sich über diese erstmalige Be schickung durch deutsche kunstgewerbliche Kreise be sonders erfreut ausgesprochen und will künftighin mit der Propaganda noch zeitiger beginnen, um unsere Künstler zu reger Beteiligung zu veranlaßen. * Eine archäologisihe Entdeckung ist in der Gegend von Ancona gemacht worden. Zn einem Grabe der gallischen Zeit hat man zahlreiche Gegenstände aus Gold und Silber gefunden, die nach der Ansicht der Profeßoren Ferrero und Dell'Oßo wahrscheinlich die Summen darstellen, die die Römer dem gallischen Führer ausbändigtcn, uin ihn nach der Plünderung Roms zum Abzug aus der Stadt zu bewegen. * Eine Bildergalerie i» Athen. Ein Grieche Torjalenios, der im Ausland« Reichtümer erworben hatte und vor kurzem in London gestorben ist, hat seinem Vaterlande mehrere Millionen für Werke dec Wohltätigkeit hinterlassen und 3W000 Franken für den Bau eines Kunstmuseums bestimmt. Las die Ge mälde und Zeichnungen der verschiedenen Schulen aus dem Besitz des Staates würdig aufnehmen soll. Die venezianische Schule ist daher am reichsten vertreten durch Tizian, Paolo Veronese, Tiepolo und Tinto- retto. Van Dyck und zwei IordaLns sind die Haupt vertreter der niederländischen Schule, und auch die französische Schule des 18. und 19. Jahrhunderts hat einige charakteristische Beispiele in der griechischen Bildergalerie. Eine ganz stattliche Zahl von Bildern stellt auch die moderne griechische Schule, in der Gyses, Lytras, Iakobides, Vodanakis, Roilos und Ralis die bekanntesten Namen sind. Einer der königlichen Prinzen. Nikolaus, ist zum Ehrenpräsidenten der griechischen Bildergalerie berufen worden. * Professor Emil Poulsen, der ehemals berühmte Schauspieler des Königlichen Theaters zu Kopen hagen. ist auf feinem Landsitz bei Helsingör im 69. Lebensjahr gestorben. Poulsen war ein Menschenalter hindurch einer der hervorragendsten und genialsten Vertreter der dänischen nationalen Schauspielkunst. Vor wenigen Jahren erlitt er einen schweren Schlaganfall, von dem er sich nicht wieder erholen konnte, und der feiner glänzenden Laufbahn ein Ende machte. * Das älteste Bildnis von Menschenhand nennt der berühmte Zoologe Professor Lankester eine Schnitzerei, die von einem uralten Bewohner Südfrankreichs herstammen muh. Sie befindet sich auf einem Zapfen eines Hirschgeweihs, das iin Jahre 1875 in einer Höhle bei dem Wallfahrtsort Lourdes gefunden worden war. Sie bat erst jetzt eine genaue Untersuchung durch jenen Gelehrten erfahren. Die eingeschnitzten Figuren stellen drei Edelhirsche und mehrere lachsähnliche Fische dar. Nach Professor Lankester ist es kein Zweifel, daß diese Schnitzerei be reits aus einer Zeit stammt, in der noch das Mammut und das Renntier in Mitteleuropa hausten, also eine arktische Tierwelt, die durch die große Vergletscherung der Eiszeit so weit nach Süden gedrängt worden war und erst später den Tieren Platz machte, die das heutige Europa besiedeln. Vielleicht wurde die Schnitzerei nach einer Vorlage angefertigt, die in einer gewöhnlichen Zeichnung bestand, und es ist ferner nicht unwahrscheinlich, daß der Urmenich dann das geschnitzte Bild wieder zu einer Verviel- fältigung auf Birkenrinde oder dergleichen benutzte, also eine Art von Druckverfahren ausübte. * Naturhistorische vibeldenkmäler. Im South-Ken- sington-Museum zu London wurde eine Sammlung aller Tiere, Pflanzen und Edelsteine eröffnet, die in der Bibel Erwähnung finden, Edelsteine, wie sie auf der Brustplatte des Hohenpriesters prangten, andere, die nach der Beschreibung Ezechiels den Schmuck des König» von Tyrus bildeten, endlich Steine, wie sie nach der Apokalypse am Fundamente des himmlischen Jerusalems verwendet werden. Dann findet man Tiere, die dem Leviathan, dem Einhorn u. a. ent- sprechen sollen, die Affen und Pfauen Salomos und dergleichen mehr. * M»fikchronik. Ali ne Sanden vom Leipziger Stadttheater gastierte mit sehr großem Erfolge als Carmen im Hostheater zu Braunschweig. 8r. Hochschulnachrichten. In Würzburg soll zu Be ginn des Wintersemesters 1911/1912 ein «eminar für Verstcherungswißenschast, verbunden mit einem volks wirtschaftlichen Seminar, eröffnet »»erden. — Der
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