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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.06.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110623014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911062301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911062301
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-06
- Tag 1911-06-23
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Monat
1911-06
-
Jahr
1911
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politische Umschau. Nochmals üie Gelanütlchalt keim Vatikan unü üie Borromöusenzgklika. Wie kürzlich schon mitgeteilt, sind in der Petitions kommission des preußischen Abgeordnetenhauses die Frage der Aushebung der preußischen Ge sandtschaft beim Vatikan und die Borromäus- enzyklika noch einmal Gegenstand einer Aussprache gewesen, und zwar anläßlich zweier Petitionen. Der antiultramontane Reichsverband in Berlin petitionierte um Aushebung der diplomatischen Ver- tretung Preußens beim päpstlichen Stuhl. In der Begründung wurde ausgejührt, daß die Gesandtschaft gänzlich überflüssig sei, da zahlreiche andere Staaten, rn denen die Katholiken nach Millionen zählen, keine diplomatische Vertretung beim Papst besaßen. Die Regierung ließ in der Kommission erklären, daß im gegenwärtigen Augenblick tein Anlaß vorliege, dem Gedanken der Aushebung der Gesandschast bei der Kurie näherzutreten. Daraus beschloß die Kommission, den Uebergang zur Tagesordnung zu beantragen. Jetzt haben die Abgg. Dr. Friedberg sRatl.s und Fischbeck (Vp.), unterstützt von ihren Fraktionen, beantragt, die Petition der Regierung zur Er wägung zu überweisen. Bei der Petition des Lehrers Rothe und Genossen in Ostheim (Kr. Hanau) betreffend Protest gegen die Borromäus- enzyllika hatte die Kommission ebenfalls Ueber gang zur Tagesordnung beschlossen: die gleichen An tragsteller Huben fetzt den Antrag eingebracht, die Petition der Regierung als Material zu über weisen. Grenzgarnllonen. Nach einer Kabinettsordcr sollen, wie man hört, in Zutunft Leutnanrs, Oberleutnants und Hauptleute der Erenzgarnisonen, die sich in geordneter pekuniärer Lage befinden und die sich durch gediegene Charaktereigenschaften auszeich- nen, soweit angängig, nach gewissen Zeitperioden, in größereStanüorte versetzt werden. Diese Aus sicht wird gewiß die Dienstfreudigkeit derjenigen Offi ziere heben, die Las militärische Schicksal in Orte wie Mörchingen, Dieuze, Bitsch, Neubreijach, Lyck, Ostrowo verschlagen hat. Es wird dadurch auch ein Wunsch zahlreicher Armeefreunde wenigstens teilweise erfüllt, die dahingehende Vorschläge seit Jahren ge macht haben, und die einen derartigen Garnison- a u s t a u s ch im Interesse der Armee und deren Offi- zierersatz für geboten hielten. Die weitestgehenden der Vorschläge regten den periodischen Austausch ganzer Regimenter an. Eine derartige Massnahme würde selbstverständlich die durckfgreisendstc sein. Je des Regiment vermag auch, unbeschadet der Güte sei nes Offiziers- und Unteroffiziersersatzes, eine kurz be messene Anzahl von Jahren in einem öden Neste zu verbringen. Die Durchführung einer derartigen Maß nahme scheitert aber an der Kostspieligkeit, auch loäre es, selbst wenn der Austausch nur inner halb des Erenzarmeekorps stattfände, eine bedenkliche, einschneidende Maßnahme, die auf Mobilmachung und Grenzschutz nachteilig einwirken könnte. Am härtesten werden die Kadetten und deren Angehörige betroffen, die bei der Einstellung in die Armee start in die erwünschte Garnison in ein derartiges Grenz nest gesteckt werden, während doch die Fahnenjunker ihre Standorte und Regimenter selbst wählen dürfen, selbst eine mehrjährige Vorpatentierung kann die Härte nicht mildern, die darin liegt, daß ein Offizier aus angenehmen Verhältnissen heraus, von einem schönen Standort fort wider seinen Willen an die Grenze versetzt wird. Offiziere selbst, die nur noch eine kurze Hauptmannszeit vor sich haben, bisher während ihrer Laufbahn durch Kommandos und gute Garnisonen ausgezeichnet wurden, denen womöglich auch ihre Rückkehr in eine andere Dienststelle oder Für in den Generalstab in Aussicht steht, klagen über das öde, kaum zu ertragende Leben in derartigen Garni sonen, in denen keinerlei geistige Anregung, kein ge sellschaftlicher Verkehr in gleichgestellten Zivilkreisen möglich ist. Vom Morgen bis zum Abend, im Dienst und außer Dienst, im Kasino, beim Spaziergang, in Restaurationen sind sie in der Unterhaltung auf ein und dieselbe Persönlichkeit angewiesen. Die durch die Kabinettsorder erweckte Hoffnung, bei einigem Glück in absehbarer Zeit sich in bezug auf den Standort ver bessern zu können, wird dem jungen Offizier die Kraft geben, sich auf dem sittlichen und geistigen Stand zu erhalten, den die Offizierkorps einnehmcn. Mögen nun Gunst und Ungunst der Vorgesetzten, die Finanzlage des Staates auf diese Wohltat nicht wieder einschränkend einwirken. Zu berücksichtigen bleibt, daß außer dem Offizier besten Familie unter dem Aufenthalt in einer derartigen Garnison leidet, und daß die Erziehung der Kinder der minderwerti gen Schulen wegen erschwert wird. Auch in dieser Beziehung sollte der Staat eingreifen und Opfer brin gen. Zu wünschen bleibt aber immer noch, daß die Maßnahme, Earnisonaustausch, auf alle Offizierederniederen Grade in den Grenz garnisonen nach und nach ausgedehnt werden könnte, so daß, wenn die Versuche der nächsten Jahre günstig ausfallen, den Offizieren, die von dem nicht beneidenswerten Los betroffen wurden, in Mörchin gen oder Dieuze zu stehen, die Aussicht eröffnet wer den könnte, bei der Beförderung zum Oberleutnant oder zum Hauptmann die Garnison wechseln zu dürfen. Deutsches Reich. Leipzig, 23. Juni. * Ter Bundesrat nahm die Vorlage betreffend Erweiterung der Grundsätze des Systems zur Be zeichnung von Fahrwasser und Untiefen in den deutschen Kllstengewästern an. ferner die Vorlage betreffend Aenderung der Schaumweinsteuer-Aus- sühiungsbestimmungen, die Vorlage betreffend Ver- leaung der Zollgrenze bei Geestemünde und einen Antrag der Ausschüsse betreffend die Ausführungs bestimmungen zum Reichsstempelgesetz. * Kiderlen und Cambon. Am Mittwochvormtttag machte Herr v. Kiderlen-Wächter mit dem französischen Botschafter Cambon in Kissingen einen ein stündigen Spaziergang und ge leitete ihn dann zum Bahnhofe, von wo sich Cambon mit dem fahrplanmäßigen Zuge direkt nach Paris begab. Staatssekretär v. Kiderlen-Wächter hat seine Kissinger Kur beendet und ist am Donnerstag nach Berlin zuriickqekehrt. * Der Jahresabschluß der Reichshauptkasse hat für das Rechnungsjahr 1910 einen lleberschuß von 117,7 Millionen Mark ergeben. Hauptbestand teile des Ueberichustes sind: ein Mehr an Zoll- und Steuereinnahmen von 57ch und an Einnahmen aus dem Bankwesen von 3.6 Millionen Mark, ein Mehr- überichuß der Reichspost von 1K7 und der Reichs eisenbahnen von 11,8 Millionen Mark, eine Minder einnahme bei der Reichsschuld von 9K beim Heer von 4,7 und bei der Marine von 1,6 Millionen Mark. Dazu treten erhöhte Aus^zeichungsbeträge mit 3,9 Millionen Mark. Ungün,tiger als der Voran schlag stellt sich nur der Abschluß der Reichsdruckerei mit einem Minderllbe«ochuß von 1,5 Millionen Mark. Der befriedigende Jahresüberschutz ermöglicht es, den grohen Fehlbetrag von 1909 schneller zu tilgen, als das Finanzgesetz vom 15. Juli 1909 voraussetzte. Noch verdle'.bt die zweite Aufgabe, die Belastung des außerordentlichen Etats tatsächlich in die Grenzen zurückzuführen, die bereits vor einiger Zeit grund sätzlich gezogen worden sind. Bei Festhalten an den bisher beobachteten strengen Haushaltsregeln und bei fortdauernder Auswärtsbewegung unserer Ein nahmen kann dieses Ziel binnen kurzem erreicht werden. * Die Hauptverhandlung gegen Pfarrer Jatho vor dem SpruchkoUegium findet am Freitag vor mittag im Dienstgebäude des evangelischen Over kirchenrats in Berlin statt. Das vpruchtollegium jetzt sich zusammen aus dem Präsidenten l>. Voigts, deaz Oberhofprediger I). Dryander, dem Wirklichen Oberkonsistorialrat Koch, den Professoren Loofs-Halle und Hausleiter-Greisswald, ferner aus den vom König ernannten Mitgliedern Rittergutsbesitzer Graf Hohental, Superintendent Wetzel und dem Ge heimen Justizrat Professor Dr. Kahl. An Stelle des Generaliuperrntendenten der Nhernprovinz nimmt der älteste Theologe des dortigen Konsistoriums Geheimrat Mettgenberg an den Verhandlungen teil, ferner drei Verlierer der rheinischen Provtnziatjunode. Als Verteidiger Jathos fungieren Professor Baum- garren-kiel und Pfarrer Traub-Dortmund. Einer Anzahl besonders beteiligter Persönlichkeiten ist vom Präsidenten der Zutritt gestattet worden, während die Presse, eimchlietzlich der Vertreter theologischer Fachorgane, nicht zugelajsen wird. * Ein deutscher Ballon von russischen Soldaten beschossen. Wieder ist ein deutscher Ballon beim Passieren der russischen Grenze von russischen Grenz soldaten beschossen worden. Nach dem Bericht der Insassen sind sie mit einem förmlichen Kugelregen überschüttet worden, glücklicherweise ohne verletzt zu werden. Es handelt sich um den Ballon „Berlin", der am vergangenen Dienstag vob Schmargendorf bei Berlin aus auf gestiegen war. Am Mittwochmorgen näherte sich ..Berlin" dem russischen Erenzort Lubicz. Als der Ballon in etwa 800 Meter Höhe die Grenze passierte, ertönten mehrere Gewehrschüsse und einige Kugeln flogen über den Köpfen der beiden Luftschiffer hin weg. In wenigen Minuten folgte Salve auf Salve. Es wurden etwa 60 Schüsse gegen den Ballon abgegeben, so datz die beiden Insassen hinter den Sandsücken Deckung suchten. Die untere Luft strömung war den Luftschiffern ungünstig, daher suchten sie eine größere Höhe auf. Hier fanden sie eine nach Westen führende Windströmung, die es ihnen gestattete, in Ostpreußen zu landen. * Zu wenig Anzeigen! In München wurden dieser Tage etwa 30 Schutzleute zum Kommando gerufen, wo ihnen Vorhalt gemacht wurde, datz sie zu wenig Anzeigen von ortspolizeilichen Ueber- tretungen brächten. Dieses Antreiben zur Forcierung von Anzeigen macht unter der Schutzmannschaft mit Recht böies Blut. 2m bayrischen Landtage wurde wiederholt vom Regierungstische aus erklärt, datz die Anzeigenmacherei nicht gewünscht werde und datz die Zahl der eingelieferten Anzeigen aut die Be förderung nicht einwirke. — Theorie und Praxis! * Aus dem Reiche des Herrn o. Orterer. Vom Münchener Luitpoldgymnasium, dessen Rektor der in Bayern allmächtige Kammerpräsident v. Orterer ist, kommen immer mehr erbauliche Dinge ans Tageslicht. Der Vater eines ehemaligen Primaners dieser Anstalt, ein Herr v. Stettner, er zählt folgendes: Als mein Sohn, der das Gymnasium ohne Strafe absolvierte, in der Oberklasse lPrima) war, kam eines abends 8.15 Uhr der Pedell und fragte mich persönlich, ob mein Sohn zu Hause sei. Auf meine Bejahung erklärte mir der Pedell, datz er im Auftrage des Rektors auch meinen Sohn persönlich sehen müsse, wogegen ich mich anfangs sträubte. Auf wiederholtes Verlangen erklärte ich, dies heute ausnahmsweise tun zu wollen. Der Vater mutz sich also vor den Augen seines Sohnes die Blamage gefallen lassen, Lag die Schule feinem Worte nicht glaubt. So stärken ultramon tane Pädagogen die elterliche Autorität! Ruslsnü. Oesterreich-Ungarn. * Khuen-Hederoary über die österreichischen Reichs ratswahlen. Aus Pest wird gemeldet: Die Zeitung „Pesti Hirlap" veröffentlicht ein Interview mit Khuen-Hedervary, der zu dem Ergebnis der österreichischen Wahlen erklärt, datz sie Bienerths Stellung nicht erschüttert, höchstens er schwert hätten. Die Hauptsache sei, datz durch das Ergebnis der Wahlen die unbedingte Durchführung der Wehrreform im österreichischen Reichsrat ge sichert werde. Sodann teilte der Ministerpräses mit, datz Las ungarische Abgeordnetenhaus nach Erledi gung des Budgets, die Anfang Juli zu erwarten lei, sofort mit der Beratung der Wehrreform beginnen werde. Der Poolvertrag komme im Gegensatz zu der ursprünglichen Absicht nicht vor der Wehrreform zur Verhandlung. Dies habe aber auch den Vorteil, datz sich inzwischen aus der Praxis ergeben werde, daß die Bedenken, die sich an den Poolvertrag geknüpft haben, sich als unbegründet Herausstellen. Seit Abschluß des Vertrages habe die Auswanderungszahl abgenom men. Außerdem erhalte Ungarn von der Gesellschaft eine Statistik über die Rückwanderung, was bisher nicht der Fall gewesen sei. Frankreich. * Nach der Urteilsfällung im Prozeß Duez be» schiessen die Geschworenen unter Hinweis auf die in diesem Prozeß zutage getretenen Tatsachen an den Justizminister eine Resolution zu richten, in der sie ihr Bedauern darüber aussprechen, daß die Interessen der Armen und Bedürftigen ohne jede wirksame Ueber- wachung den gerichtlichen Liquidatoren preisgegeben seien, und daß die Kommissare ebenfalls ohne jede wirk- same Kontrolle Unregelmäßigkeiten und Fälschungen, ja häufig sogar Veruntreuungen begehen könnten. Schließlich drückten die Geschworenen in der Reso lution den Wunsch aus, daß in kürzester Frist ent schiedene Maßnahmen getroffen werden möchten, um die gerichtlichen Liquidatoren, Kommissare und ähn lichen Beamten einer strengen Ueberwachung durch den Staat zu unterwerfen. Portugal. Aufsehenerregende Verhaftung. Nach einer Mel- düng des Blattes „Danguarda" ist Fregattenkapitän Pereira Mello, der frühere Kandidat für den Posten, des Marineministers, verhaftet worden. Die Verhaftung steht in Zusammenhang mit den Kundgebungen, die am 7. April von den Arbeitern des Marinearsenals vor dem Marineministerium ver. anstaltet worden waren. * Ein Ausnahmegesetz. Die Lissaboner Zeitung „Capital" teilt mit, daß Hauptmann Alvaro Castro in der Nationalversammlung den Entwurf einer Aus nahmegesetzesvorlage einbringen wird zur Bestrafung militärischer und bürgerlicher Verschwörer. Für diejenigen, die mit der Waffe in der Hand ergriffen werden, schlägt er die Todesstrafe durch Erschießen vor in Anbetracht ter Milde , welche die Republik ihren Gegnern zuteil werden ließ. Niederlande. * Die Erste Kammer nahm ohne Abstimmung den Gesetzentwurf für den Anichlutz an die Berner Konvention an. Der Anschluß findet ein halbes Jahr nach der Vorlegung des Gesetzes über die Autorenrechte statt, das demnächst dem Staats rat überwiesen werden soll. Rußland. * Die Beziehungen zu Japan. Es verlautet, der Ministerrat habe sich mit den Streitigkeiten beschäftigt, die zwischen Rußland und Japan seit denk Friedensschlüsse von Portsmouth bestehen. Da Japan sich bereit erklärt hat, einen großen Teil der russischen Anspruch.' zu e r f ü l l e n, hat der Minister rat beschlossen, auch seinerseits den japanischen Forde rungen stattzugeben. Die Streitigkeiten gellen daher für grundsätzlich behoben. * Die Lieferungsskandale. Von den 66 Angeklagten im Moskauer Inten danturprozeß haben nur 19 das Geständnis abgelegt, Geschenke von Liesercnten empfangen zu haben, aber auch sie be streiten sonstige Mißbräuche oder Erpressungen. Be zeichnend ist, daß die meisten Geständigen keineBe - rufsintendanten, sondern Frontoffi ziere sind, die nur vorübergehend der Intendantur oeigcgeden waren. * Die Spannung zwischen Rußland und China. In der Nähe von Charbin haben, wie die „Dtsch. Tages- ztg." meldet, Tschungusen drei russische Kaufleuteentführt. Die Chinesen suchen den Beginn der Verhandlungen über die Erneuerung des Kuldsch «Vertrages durch militärische Maß nahmen und Demonstrationen einzuleiten, indem sie Truppenmassen in der Mandschurei an die Grenzen vorschieben. Das nach wie vor gespannte Verhältnis zwischen Rußland und China beunruhigt die euro päische Diplomatie in Peking. Türkei. * Die Amnestie ein Mißerfolg? Die bald nach An kündigung der Amnestie gerüchtweise ausgetauchten Zweifel an ihrem Erfolge werden, wie die „Voss. Ztq." meldet, von dem radikalen „Senin" bestätigt. Das Blatt fügt hinzu, daß die Schuld hieran allein Montenegro treffe, da dort den flüchtigen Malissoren der Inhalt der türkischen Proklamation verfälscht mitgetcilt werde und Montenegro über dies an die Türkei Bedingungen für d^ Durch führung der Amnestie stelle, zu denen es keinerweise berechtigt sei. Der pessimistische Grundton des Artikels des „Senin" findet sich auch in den Betrachtungen anderer Blätter über die Lags in Albanien, wobei vorwiegend die Vermutung mitspricht, daß in Cetin^- fremde Drahtzieher am Werke seien, um den friedlichen Abschluß der albanesischen Wirren zu ver hindern. * Kriegerische Vorbereitungen? Aus Uesküb wird gemeldet, daß ein dort erscheinendes Blatt meldet, datz der türkische Kriegsministcr 114 Bataillone auf vollständigen Kriegsfuß zu bringen beab sichtige. Schefket Torgut Pascha hat an die Militär kommandanten der Wijalets Jannina, Widolin, Kos sowa und Slutari die Weisung gerichtet, alle Vorkeh rungen zu treffen, um die vollständige Ausrüstung der ihnen unterstellten Truppen für den Kriegsfall so fort durchzufllhren. * Ein« englisch-türkisch« Ordensgeschichte. Der Thronfolger Jussuf Jssedin hat nach dem „B. T." dem Ministerrat die Frage vorgelegt, ob er das ihm vom König von England verliehene Groß kreuz des Viktoriaordens annehmcn solle. In einer sofort abgehaltenen außerordentlichen Sitzung wurde mit ganz geringer Majorität beschlos sen, dem Thronfolger die Annahme zu empfehlen, da Rifaat jetzt jeglichen Komplikationen aus dem Wege zu gehen wünscht. Wie verlautet, herrscht Verstim mung darüber, daß der Thronfolger nicht den Hosen bandorden erhalten hat. * Die Türkei und Brasilien. Der brasilianische Minister des Auswärtigen hat durch Vermittlung des amerikanischen Botschafters in Rio de Janeiro der türkischen Regierung mitteilen lassen, daß er bereit sei, mit der Türkei in diplomatische Be ziehungen durch Schaffung gegenseitiger diplo matischer Missionen zu treten. Die Pforte antwortete in entgegenkommendem Sinne mit dem Vorbehalt, die Frage der Kammer zur Schaffung der nötigen Kre dite vorzulegen. Vereinigte Staaten. * Der Senat beschloß, die Gesetzvorlage bezüglich Revision des Zolltarifs für Wolle an die Finanzkommission zu überweisen mit der In struktion, Bericht darüber nicht später als bis zum 10. Juli zu erstatten. Dies ist zuriickzuführen auf das Zusammengehen der republikanischen Insurgenten und der Demokraten. pretzstimmen. Die Stellung des Liberalismus zur Sozialdemo kratie wird in erfrischend klarer Weise von der „Berliner Börsenzeitung" erörtert: „Der Feind unseres Bürgertums ist die Sozialdemokratie, und die geschmeidige der noch viel gefährlichere als die plump drohende. Aber was müssen wir mit Staunen und Befremden sehen? Immer mehr werden die Grenzen verwischt, immer schwerer machen wir es selbst den einfachen Wählern, in der Abgabe des roten Zettels noch etwas Falsches, etwas Verderbliches, etwas Staatsfeind liches zu sehen. Es muß offen ausgesprochen werden: Der Freisinn in sehr wenig idealer Konkurrenz mit der Demokratie leistet die verhängnisvolle Arbeit. Auch jetzt bei dem Ansturm oer „Genossen", das Reichstagswahlrecht aus Preußen zu übertragen, gehen an ihrer Seite in gleichem Schritt unü Tritt die Freisinnigen. In einem Initiativantrag stellen sie die gleiche Forderung erneut vor dem preußischen Landtage, bei der sie gar nicht einmal mit Ueber- zeugung sind. Wer soll da zum Schluß in der großen Mass« den Unterschied noch wahrnehmcn? Und immer unzweideutiger tritt der Wunsch nach der großen Front zutage: Alles gegen die Konservativen! Was die Konservativen gesündigt haben — und es ist ein großes Schuldkonto —. darüber wollen wir kräftig und energisch mit ihnen bei den Wahlen abrechnen, aber die Konservativen schwächen zu gunsten der Sozialdemokratie — das ist barer Unsinn! Das ist eine Versündigung an der klaren politischen Vernunft unseres Volkes, an unserer Staatsauffassung und an unserer Gesell schaftsordnung." Aehnlich äußert sich die „M a g d e b u r g i s ch e Zeitung": „Auch die Predigt „entschlossener Rücksichtslosig keit" kann uns nicht weiter imponieren. Die ent schlossene Rücksichtslosigkeit, die hier gepredigt wird: um den Kampf gegen rechts durchführen zu können, jedeHilfe von links biszum extremsten Extrem anzunehmen. ist nur eine klangvollere Auflage des alten Wortes: den Teufel mit Beelzebu bzu vertreiben. In einer solchen Kampfstellung ist freilich kein Platz für die nationalliberale Partei. Das muß mit aller Entschiedenheit und Klarheit ausgesprochen werden." lieber Wohnungsnot und Freizügigkeit schreibt Richard Nord Hausen im „Tag": „Weil wir nicht den Mut haben, der großen nationalen und sozialen Frage unserer Zeit wirklich auf den Leib zu rücken, begnügen wir uns mit Aus schnitten. fassen hier ein Zipfelchen, da eins an. und merken in all unserer Geschäftigkeit nicht, daß wir dabei um keines Zentimeters Breite vorwärts kommen. Daß sich Kongresse ernster Männer unü Frauen mit der körperlichen Entartung, der Notwendigkeit besserer Jugendpflege, dem Mutterschutz, der Landflucht, der Bodenreform und der Wohnungsnot befassen, verdient hohes Lob. Nur sollten sie. damit so viel verdienstvolles und ehrliches Mühen nicht ganz verloren sei, doch einmal klipp und klar die gemeinsame Wurzel alles Uebels bloßlegen: den schrankenlosen Industrialis mus, unter dem wir seufzen und der uns völkisch das Mark aus den Knochen saugt. Ich weiß wohl, man nennt den Namen des Tigers nicht gern. Unsere heutige Kultur, oder was wir dafür halten, ist in- dustrialistisch, und kein Gebildeter will in den Ruf der Kulturfrindschaft geraten. Lieber steckt er den Kopf in den Sand und läßt fünf gerade sein. Drängt ihn das soziale Eewff en schon durchaus zur Be tätigung, so begnügt er sich damit, an einem Symptom der Krankheit herumzudoktern und kon- gressiercnd als Spezialarzt aufzutreten. Schade, datz die an sich dankenswerte Arbeit nur neue Ver wirrung schafft, praktische Ergebnisse aber nie zeitigen kann . . . Aus geordnet-patriarchalischen Verhältnissen, die jedem Fleißigen das allmähliche Äufsteigen, den Erwerb eines Stückchens eigener Scholle ermöglichen, zieht die Masse in die lockende Freiheit der Großstadt. Jetzt erst ist sie dem Prole tariat verfallen, denn jetzt erst beginnt für sic die Hoffnungslosigkeit: alle Aussicht, selb ständig zu werden, ja ein eigenes Dach überm Kopfe zu haben, ist nun verschwunden. Und der Jammer der Hinterhauswohnungen ohne Luft und Sonne hebt an. Den weitaus größten Teil des Mehrlohnes, den die Stadt bezahlt, verschlingt die Wohnung, diese Wohnung, der wir das Rasen der Schwindsucht, die Mehruntüchtigkcit immer breiterer Schichten ver danken. Welch ein furchtbarer Kreislauf, welch ein sinnloses Wüten gegen das eigene Fleisch und Blut! Doppelt rührend ist dabei die Liebe des von der Natur abgesperrten Proletariats zu ihr, die sich in den Laubenkolonien, in den krampfhaften Versuchen offenbart, vom wucherisch überteuerten Boden in der Nähe der Hauptstadt wenigstens ein paar Ouadrat- meter zu ergattern. Wenn der dritte deutsche Woh nungskongreß Zusammentritt, sollte er sich getrost mit dem Problem der Freizügigkeit befassen. Sollte er ganz einfach einmal seine Sorgen zu Ende Lenken: welche Wohnungsnot wird in Deutschland an dem Tage bestehen, wo der letzte Bauer ab gewandert ist und das letzte Dorf verödet liegt. Wer den Mut der Konsequenz hat, der wird die be stehenden volksverderbenden Gesetze und Einrich tungen nicht als Scheu vor der „Kultur" für Tabu erklären." Der Republik Portugal widmet Professor Schiemann in seinem Wochenrückblick auf die auswärtige Politik in der „Kreuzzeitung" folgende Worte: „Heute, am 19., proklamiert die inzwischen zu sammengetretene portugiesische Konstituante dir Republik als gesetzliche Staatsform Portugals und spricht die Verbannung des Hauses Koburg- Braganza aus. Es ist kein Zweifel, daß es eine ge walttätige Minorität ist, die der Nation ihre mon archische Verfassung geraubt hat, und daß die Ent scheidung nicht als endgültig betrachtet wird, die jetzt gefallen ist. Alle Nachrichten, die aus Spanien und Portugal einlaufrn, sind darin einig, daß eine monarchische Gegenrevolution sich vorbereitet, die im Süden wie im Norden bereits begonnen hat und. wie cs scheint, von Spanien nicht ungern gesehen wird. Aber nicht darauf kommt es an. sondern auf eine kraftvolle, opferfreudige Führung der über rumpelten Nation durch ihr natür liches Oberhaupt, den König Manuel. Wenn er nicht seine Person einsetzt, um seinem Geschlecht die Krone und seinem Volke die Segnungen einer mon archischen Staatsordnung zu erhalten, ist seine Sache verloren. Natürlich hängt auch viel an der Haltung Englands, dessen säkularer Einfluß auf Portugal stets stärker gewesen ist als jeder andere. Aber es fragt sich, ob die kühl rechnenden englischen Staats männer es nicht im Interesse der englischen Politik vorteilhafter finden, mit einer von Parteiungen zerrissenen schwachen portugiesischen Republik als mit einer Monarchie zu rechnen, die, wenn der jetzt 21jährige König ein Mann ae- worden ist, doch noch eine Zukunft haben könnte. Für Spanien ist das republikanische Portugal min destens eine Verlegenheit, möglicherweise eine Gefahr, da es sich nun zwischen rwei radikal-sozia listischen Republiken cinaezwängt findet, die. wie die Erfahrung der letzten Jabre gezeiat hat, den spa nischen Republikanern und Anarchisten eine stets sichere Zuflucht bieten." Gerlcktslssl. Reichsgericht. rz. Leipzig, 21. Juni. Wegen versuchten schweren Raubes ist am 28. Februar vom Schwurgericht Beuthen der Ar beiter Max Po lecze k verurteilt worden. Er hat in einer Nacht auf einem öffentlichen Platze versucht, einem Kaufmanns sein Portemonnaie mit etwa 3 ,/z Inhalt gewaltsam weamnehmen. — Die Revision des Angeklagten wurde vom Reichsgericht als un begründet verworfen. Kgl. Schöffengericht. : Leipzig, 22. Juni. Die gestohlene Wäscheausstattung. Die achtzehn- jährige Verkäuferin H. bekam in ihrer Stellung in einem hiesigen Geschäfte zwar nur einen Monats gehalt von 47 ./?, aber da sie bei ihren Eltern wohnte, beköstigt wurde, die Kleidung bekam und von ihrem Gehalte gar nichts abzugeben brauchte, so kann man nicht sagen, daß das iunge Mädchen in einer Not lage gehandelt hätte, als es vor Jahresfrist begann, sich fortgesetzt Wäschegegenstände vom Lager zu holen.
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