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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.03.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-03-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140314011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914031401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914031401
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-03
- Tag 1914-03-14
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Monat
1914-03
-
Jahr
1914
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Sonnavenü. l4. MSr; l914. Leipziger Tageblatt. Nr. l32. Morgen-Nusgave. Sette 7. SN Kunst unct wissensekgst SSWSSA persönliches von Paul Ehrlich. Zu seinem 80. Geburtstag«, 14. März. Di« durchdringend-klugen und zugleich gütigen blauen Augen, die unter Pckul Ehrlichs hoher gefurch. stirn aus dem lveißbärtigen Gesicht über schroarz- ^elairderten Brillen heroorleuchten, verraten jedem, ,<r rem Fvantfurter Lhemocherapeuten gegenüder- :ritt, ohne ihn zu kennen, daß er einen groben Forscher .uw Gelehrten vor sich hat, wenn er Gesichter zu lesen ersteht. Und dieser Eindruck wird bestätigt, sobald iian Paul Ehrlich sprechen hört und sieht. Wenn er die Probleme behandelt, die ihn gerade :>e!ä)äftig«n, spricht er mit einer förmlichen Begeiste rung von seinen geliebten Chemikalien; die jugend- che Beweglichkeit des Geistes, die ihn trotz seiner u Fahre auszeichnet, findet auch ihren körperlichen tusüruck, denn Ehrlich spricht auch mit Mienen und l'-cbärden; er wählt dabei originelle Vergleiche und Kilver, die mit einem Schlage verdeutlichen, was er meint; er liebt es, seine Ausführungen durch Zeich nungen zu illustrieren, immer hat er Bleistifte und Buntstifte bei der Hand, und jede Fläche, die noch un- deschrieben ist, ist ihm zum Zeichnen recht: Papier, ine Tapete, eine Türfüllung oder eine Süsfelsohle: ,ursächlich soll er einmal in der Eisenbahn auf der Ztiefelsohle eines ihm gegenübersitzenden Herren eine Zeichnung entworfen haben! Der höchste Lebensgenuß, den Ehrlich kennt, ist die Arbeit. Mit unermüdlicher Ausdauer arbeitet er -eben Tag, und es vergeht kein Sonn- oder Festtag, an dem er nicht in seinem Laboratorium erjcheinr, und je mehr er arbeitet, desto frischer wird er. Selbst im Hause schüttelt er die Gedanken an seine Unter suchungen nicht ab: im Gegenteil, er geht im Zimmer uus und ab und hält, wenn er niemanden zu wissen- ichaftlichen Gesprächen findet, lange Selbs^espräche, u denen er scharf« Gefechte mit seinen Gegnern aus- > impft und neue Arbeitspläne bespricht. Sein Arbeitsgebiet ist durch die öffentlichen Er örterungen, die sich besonders in den letzten vier Jah ren außerordentlich viel mit Ehrlichs Erfolgen be lästigt haben, wohl allgemein bekannt. Zu der Lltemo-Therapi«, als deren eigentlicher Begründer er manschen ist, ist er auf dem Umwege über die Medl- ;iii gekommen: Ehrlich hat nur Medizin studiert, ist .xrgegen als Chemiker Autodidakt. Schon in ziemlich näher Zeit hatte er eine ganz merkwürdige Vorliebe ur die Farbstoffe: „Die Auffindung neuer Arzneien ^cht über die Farbstoffe", so soll er einmal gesagt iben. Von dieser Vorliebe wissen auch die Pro- essoren, die Ehrlichs Arbeiten geleitet haben, etn 'lod zu singen. Ehrlich verschüttete bei den Labora- loriumsarbeiten nämlich flüssige und feste Farbstoffe ii reichem Mähe überall, und ein bedeutender Physio loge soll einem befreundeten Gelehrten über den jun gen Ehrlich einmal gesagt haben: „Die Spuren des Fleißes von Herrn Ehrlich sind unverwüstlich." Die Hauptarbeit Ehrlichs in den letzten Jahren besteht Sarin, unermüdlich neue, meistens auf Farbstoff« auf gebaute chemotherapeutisch verwendbare Chemikalien >u ersinnen, und im Laufe der Jahr« hat er viele lausende neue Stoffe aufgebaut und auf ihre Wir- nniq untersucht. In seinem Hause kann Ehrlich sich nicht ganz so leben, wie er wohl möchte. Ganz anders aber ist es i seinem Laboratorium: hier ordnet er an, und di« lolg« ist, dah die Chemikalien in buntester Unord nung durcheinanderstehen, so dah sich in dem heillosen Wirrwarr kein anderer zurechtfindet, als Ehrlich Abst. Einmal hat jemand ihm durch Ordnen der Chemikalien eine große Freude zu machen gedacht, aber das Ergebnis war, dah sich Ehrlich tagelang unter seinen Chemikalien nicht mehr zurechtfinden konnte. Aehnlich soll es in seiner Bibliothek aussehen, und andere Züge, die hiermit gut übereinstimmen, werden von seiner echten Gelehrtenzerstroutheit erzählt: So soll er in jüngeren Tagen allerhand Leinwandstücke und dergleichen mit herumg«tragen haben, um damit Platten zu reinigen. Heute, wo Ehrlich auf der Höhe sein«, Ruhme» steht, dürft« etn Urteil besonders interessieren, das einer seiner Lehrer über ihn als Schüler abgegeben hat. Der Breslauer Professor Tardy macht nämlich in den bei Julius Springer in Berlin er scheinenden „Naturwissenschaften", deren nächstes Heft zu einer wohlgelungenen Paul-Ehrlich-Nummer aus gestaltet ist, Mitteilungen über Ehrlichs Schülerzeit. Er schildert den jungen Ehrlich als Schüler, der an Fleiß, Aufmerksamkeit und Wissen die meisten über ragte, aber sich durchaus nicht vordrängt«. „Ich wäre ganz mit ihm zufrieden gewesen, wenn ich nicht neben dem griechischen Unterricht auch den deutschen gehabt hätte. In diesem versagte er. Er schrieb Aufsätze, die wirklich nicht erquicklich zu lesen waren." Weiter hin heißt es, „Ehrlich schien ein Lernkopf zu sein, bei durchschnittlichem Verstand und größter Gewissen haftigkeit wohl befähigt aufzunehmen, aber nichts zu schaffen". — Er ist viel mehr gewesen, wie Professor Tardy nun hinzufügt. Leipzig, 14. März. Gastspiel Kammersänger Wilhelm Herold von der Kopenhagener Kgl. Oper. Gestern gab es einen der seltenen Theaterabende, die man nicht wieder ver gißt. Er war groß durch die hinreißende schauspiele rische Darstellung des Gastes. Gerade hierdurch wurde es fühlbar, wie in der Oper selbst gesanglich Voll endetes ohne Darstellungskraft ein« Halbheit bleibt. Herold lebt rn jeder Geiste. Sein Spiel ist von einer Natürlichkeit, die wir in der Oper sonst leider fast gar nicht kennen. Erst war er als Turiddu in der „Cavalleria rusticana" ein leichtherzig tän delnder Jüngling und entfaltete «in äußerst tempera mentvolles, von südlicher Glut durchlebtes Spiel. Als er dann gefordert wird, erwacht in ihm die Tragik. Innig ergreifend war er in der Szene, da er von der Mutter Abschied nimmt. Hier sprach ein Spiel, das aus der Tiefe schöpft. Es war vovauszusehen, daß Herold im „Bajazzo" s«in Höchstes geben würde. Er stimmte die Rolle auf einen völlig anderen Grundton und bewährte «in« hohe Tharakterkunst. Die ausbrechcnde Leic-enschast wußte er in einem an Entwicklung reichen Spiel immer wieder zu zügeln, bis zuletzt die treibende Glut in der Tat sich befreit. Za, es wurde an diesem Abend recht eindringlich be wußt, daß die Wirkung einer Oper eine ungleich andere ist, wenn Klang und Spiel sich zu einer Ein heit verschmelzen. Auch gesanglich war Herold gut disponiert und leistete Treffliches. Er sang in ita lienischer Sprache. Alles wirkt« zusammen zu einem wunderbar harmonischen Eindruck. Das Publikum spendete dem Gast begeisterten Beifäll. I'. 3. Liederabend von Ella Pfeifer. „Nur keine Rüh rung, keine Aufregung!" So oder ähnlich mochte Fräulein Ella Pfeifer denken, als sic gestern eine Anzahl Lieder, zumeist zeitgenössischer Kom ponisten, zum Vortrag brachte. Sang sie doch, um nur eins anzuführen, Weingartners „Liebes feier" mit fast metronomischer Gleichmäßigkeit und im Ausdruck nicht viel anders als Goethes „Wanderers Nachtlied" in Merkels Vertonung. Wer aber derartig starke Gegensätze des Ge fühls nicht zu erfassen und wiederzugeben ver mag, wie soll der imstande sein, feinere Unter schiede des Gemütslebens zu wirkungsvoller Dar stellung zu bringen? Aber ganz abgesehen von dieser ermüdenden Gleichförmigkeit der Vor ¬ tragsweise, blieb auch in gesangstechnischer Hin sicht noch viel zu wünschen übrig. Gewiß be sitzt Fräulein Pfeifer eine nicht sonderlich große und kraftvolle, wohl aber fein timbrierte Mt- stimme, der zurzeit eine schönere Tiefe denn Höhe zu Gebote steht. Doch ist diese Stimme noch nicht genügend ausgeglichen. Neben wohl klingenden, resonanzvollen Tönen stehen solche von flachem, gaumigem Klang. Di« etwas zu unruhige Tongebung war wohl zum guten Teil auf Befangenheit zurückzuführen. Nicht aber die wenig korrekte Atmungsweise. Die Sängerin versteht noch nicht mit ihrem Atem hauszuhalten. Entweder war sie gezwungen, einzelne Worte kurz abzureißen oder, wie dies ziemlich häufig geschah, an falscher Stelle zu atmen. Am besten glückten ihr noch die durch ansprechende melo dische Linienführung ausgezeichneten Gesänge Paul Merkels, dabei vom Komponisten am Flü gel vorteilhaft unterstützt. Beim Vortrag der übrigen Lieder aber wartete man immer darauf, daß Herr Max Ludwig die Sängerin durch die Begleitungen mit fortreißen würde. Jedoch vergebens. Ein Abend ohne Anregung, ohne inneren Gewinn. 6. S. Klavierabend von Kurt Schubert. Wer von einem Klavierabend stärkere Anregungen und musikalisch höher stehende Ergebnisse erwartet, kam auch diesmal nicht auf seine Rechnung. Ein junger Mann, der gewiß technisch allerhand Gutes gelernt hat, so flüchtig« Pianopassagen, leichten, delikaten Anschlag, leichte Fingertechnik, kräftige Ackordwürse und dergleichen, auch musi kalisch an intimen, nicht zu tief gehenden Stel len mitunter Mittelstimmen musikalisch ge schmackvoll heraushebt, aber doch im ganzen noch lange nicht fertig ist. So stört die Unrein heit in Kortestellen akkordlicher Art, so das vielfach nicht gleichzeitig« Anschlägen in beiden Händen, ferner der trockene Vortrag ganzer Strecken. In inhaltlich leichten Stücken wie den beiden neuen von Siegfried Choianus („Däm merstunde" und „Reigen"), sowie „Aeolus" von Gernsheim zeigte er sich von der besten Seite. Aber dieses salonmäßig leicht hingeworfene Spiel dehnte sich leider auch aus gewichtigere Dinge aus wie Beethovens A-Dur-Sonate (Op. 101) und Chopins Konzertallegro, wo alles Größere ins Kleinere gewendet wurde. Es wird also noch eine umfassende Arbeit nötig sein, ehe der Pianist in einem eigenen Klavierabende stärker interessieren kann. ^.. Loki. * Charles Rann Kennedys „Sin Diener de» Hauses". Im Albert-Theater fand unter der Leitung Direktor Röbbelings die Erstaufführung von Kennedys „Ein Diener des Hauses" statt. Das Drama ist Ten denzstück und übt Kritik an den kirchlichen Zuständen Englands, aber neben diesem Negativen fehlt das Positive, das große, schöpferische religiöie Erlebnis. Und wo der Dichter die seelischen Kämpfe dieser Menschen und das Ringen nach religiöser Verinner lichung zu gestalten sucht, da versagt ihm die dichterisch« Kraft, und er verfällt in leeres Wort gerede. dem alle Macht der Ueberzeugung fehlt. Am unangenehmsten aber wirkt das theatralrsche Pathos, mit dem das Ganze aufgebauicht ist. und wodurch es sich den Anschein zu geben sucht, das religiöse Leben in der Tiefe zu erfassen, während man doch immer auf der Oberfläche bleibt. — Die Regie und die schauspielerischen Leistungen waren sehr gut. und wenn auch trotzdem die Aufführung nur geteilien Beifall fand, so muß man doch Direktor Röbbeling danken, uns in Dresden einmal ein Werk vorgeführt zu haben, das im heutigen Amerika Erfolg hatte. vr. k. ^rllor. * „Seite 108". das breiartige Lustspiel der Herren Halm und Saudek, hatte bei der Erstaufführung im Frankfurter Schauspielhaus einen freundlichen Erfolg. * Au» der Gelehrten««». Dr RichardLöwen- herz. Kustos am Chemischen Museum der Tech nischen Hochschule in Berlin-Charlotten burg, hat sich weben an der Technischen Hochschule als Prtvatdozent für Chemie habilitiert, und zwar für das Fach der Warenkunde im Anschluß an die Sammlungen des Chemischen Museums der Technischen Hochschule. * Wie Professor Ehrlich das Saloarsan sand. Pro- fessor Paul Ehrlichs Präparat, das Salvarjan, oder wie es früher hieß, „Ehrlich-Hara 606" ist nicht etwa eine spontane, in einem blitzartig erhellten Augen blicke gefundene Entdeckung, sondern es stellt die Summe eines Lebenswerkes dar, dessen reiche Erfah rungen Jahr für Jahr weiter ausgebaut wurden, um schließlich zur Krönung der ganzen Lebensarbeit des berühmten Gelehrten, zum Saloarsan, zu führen. Mit diesem Heilmittel wurde der Menschheit, was heule ernstlich nicht mehr bestr.tlen werben kann, durch Ehr lich ein Dienst erwie.en, der ihn in die erste Reibe der menschlichen Wohltäter erhebt. Mau darf also beim Saloarsan nicht von einer „Erfindung" oder „Entdeckung" reden, denn dies Präparat steht erst am End« einer mühsamen jahrelangen Gedankenarbeit und experimentellen Entwicklung, die höchste Bewun derung erheischl, Ehrlich knüpfte an Erfahrungen Kochs und Neißcrs an. Der letztere hatte bereits den Versuch gemacht, ein Ärsenrkpräparat, das „Atoxyl", gegen den von SchauLinn entdeckten Syphi liserreger, die Spirochaeta pallida, zu verwenden. So gut der Gedanke an sich war, so wurde sein Erfolg doch wesentlich getrübt durch eine Reihe schwerer Krankheitserscheinungen, die sich unzweifelhaft als Wirkungen der Aroxyleinspritzungcn äußerten. Dies war der Punkt, an dem Ehrlichs Arbeit einsetzte. Er stellte zunächst seine Per uche an den Tripanosomeu, den Erregern der Schlafkrankheit, an und fand, daß das Atoxyl zu ihrer Vernichtung nicht hinreichend wirksam sei. Auf Grund seiner früheren physiologischen Forschungen bezüglich der Wirkungen und Eigentüm lichkeiten der Anilinfarbstoffe kam Ehrlich auf di« Idee, verschiedene Anilinfarbstoffe, deren vernichtende Wirkung auf Tripanosome man bereits kannte, mit dem Atoxyl zu kombinieren. Als solchen Anilinfarb stoff hielt er das Parafuchsin für am meisten geeignet, und nun beauftragte er seinen Alsistenten, den Japa ner Dr. Hata, ein Präparat herzustell«n, das ein Pro dukt der Einwirkung von Parafuchsin auf Atoxyl sein sollte. Dies so erhaltene Präparat war bas welt berühmte „606". mit dem man zunächst an Tripano somen die glänzendsten Erfolge zeitigte, da dies« unter der Wirkung des Präparats ebenso sicher wie schnell vernichtet wurden. Der nächste Schritt weiter war natürlich der Versuch, das Präparat im Kampfe gegen andere Mikroorganismen zu verwenden. Es kamen zunächst die Spirillen des Rückfallfiebers an die Reih«, auch hier mit dem gleichen guten Erfolg. Nun führte Geh. Ehrlich seinen Hauptschlag. Er ging mit dem Ehrlich-Hata 606 dem Syphiliserreger zuleibe, und der lioer alles Erwarten glänzende Erfolg war mit einem Schlage da. JnnerKrlb 24 Stunden konnte mit dem neuen Mittel die Spirochaeta pallida abgetötet werden. Mit der Darstellung des Präparats war aber die Arbeit des Chemikers noch nicht getan. Es kam noch darauf an, das Mittel in eine solche Form zu bringen, di« es gestattet, es ohne gefährdende Fol gen dem menschlichen Organismus einzuverleioen. Hier Kat der bekannte Berliner Arzt Professor Wechselmann vorbildlich gewirkt. Nennt man in diesen Tagen allerorten den Namen des großen Ge lehrten mit Verehrung und Bewunderung, so soll hier nicht seiner Mitarbeiter vergeßen werden, die an Ehrlichs Arbeit einen Anteil haben. Ehrlich selbst hat stets mit Dankbarkeit des Dr. Hata und des Dr. Bertheim gedacht, di« ihm di« wertvollste Unter stützung leisteten. Der gute Name. 24s Roman von Georg Engel. Casixrix-llt I9!.i dy t-rstklsiu c-o. ^i. in. 9. ls. Der Baron zuckte zusammen, als habe ihn >is Kind auf einer bösen Tat ertappt, und ' lieb ungewiß vor der Kleinen stehen. „Ist der Herr im Schlosse, Miking?" fragte r schließlich zaghaft. „Ja, hüt Nacht is hei in en lüttes Schipp nikamen," erzählte die Kleine, und nahm das brat aus dem Atunde, „hei süht wie'n Matros ut." „Das ist er," murmelte der Vater, und iah scheu an den schwärzlichen Mauern des Schlosses empor, „das ist er leider." Eine Zeitlang blieb er so stehen und über legte, dann aber fuhr ein schlaues Lächeln über ieine ängstlichen Züge, als habe er endlich den ilücklichen Ausweg gefunden. Im nächsten Augenblick eilte er an die Sei- nfront des alten Baues und verschwand hinter iner sehr kleinen, niedrigen Tür. Eine morsche, halb verfallene Wendeltreppe führte von hier is auf den Aussichtsturm, aber von dort zweigte sich ein schmaler Gang bis auf die Boden räume ab, auf die der Späher gelangen wollte. 7enn hier, kalkulierte er, mußten Lossaus alte misten im Staub vergraben sein: und hier wollte er, wenn es nötig werden sollte — einbrechen, wie eine Schlange hin und her kriechen und mit den Nägeln scharren und kratzen, nur finden wollte er — finden. Keuchend wankte er die gewundenen Treppen mpor, die morschen Stufen ächzten und split- irrien, ein Schwindel befiel ihn, halb im Tau mel kroch er die engen Kreise weiter 10. Stunde auf Stunde verrann, um die Sonne wgen sich lange gelbe Schleier und flat- i neu wie zerrissen und zerfasert auf die Erde i erab. Dann jagte ein ausfahrender Wind alles zusammen, und der feine Landregen begann von neuem herunterzurieseln. Der Kapitän saß inzwischen in einem der altertümlichen, viereckigen Zimmer des Schlosses und sah eifrig die Pächterrechnungen und Pläne nach, die ihm sein junger Verwalter zur Be gutachtung vorgelegt hatte. Endlich zündete er eine neue .Havanna an und schlug leicht auf den Tisch. „Ein teurer Scherz, die Uebernahme dieses Familiengutes," konstatierte er sinnend, „die Wirtschaft ist fürchterlich herunter, das wird Schweiß und Schwielen kosten. Zuvörderst muß ich in dem Walde etwas aufraumen lassen, so ungern ich es auch tue, aber ich brauche billiges Holz für die Werft, damit die Kanonenboote gebaut werden können. Gott Mammon hat mich nicht geritten, als ich der Regierung diesen Spottpreis stellte," setzte er halb ärgerlich hinzu. Ein dumpfes Krachen und Poltern unter brach ihn. Es war, als ob unter dem Dach des Schlosses etwas zusammengebrochen wäre. „Was war das?" fragte Holstein. „Der Wind," beruhigte der'Verwalter. „Er wird eine Bodenluke zugeworfen haben." „Es klang aber fast wie ein Schuß," meinte der Kapitän, und wollte sich wieder in das weiche Sosa zurückfallen lassen, da rollte ein scharfer, zischender Laut vom Meere herüber. „Diesmal war es ein Schuß," erklärte der Verwalter bestimmt, und trat an das Fenster, um über das Meer zu sehen. Ein kleiner Dampfer hatte in mäßiger Ent fernung geankert und hißte einen roten Wimpel auf. „Es ist der Weltiner Vergnügungsdampfer," septe der Verwalter seine Erklärung bereit willigst fort, „und er fordert jetzt ein Boot, weil wahrscheinlich ein paar Passagiere auf den Felsen dort oben hinauf wollen." „Bei dem Regen?" fragte der Kapitän und zuckte die Achseln, „dazu kommen sie durch eine kalte Abreibung billiger. Es sind übrigens auch Frauenzimmer dabei," murmelte er, ans Fenster tretend. „Sie werden bei Sonnenschein abgefahren sein," meinte der Verwalter, „aber auf Boote werden sie heute lange warten müssen; bei dem schlechten Wetter sitzen die Schiffer alle im Krug." Der Kapitän hatte unterdes ein Fernrohr hervorgezogen und das Schift flüchtig gemustert. Plötzlich entfuhr ihm ein kurzer Ruf. „Teufel, sie ist es — ein rabiates Weib — wahrhaftig — aber ihren Wunsch soll sie erfüllt sehen; die schaff ich 'rüber." „Der Herr Baron wollen selbst?" — „Natürlich, ein anderer wäre dafür zu schade." Rasch schloß er einen Schrank auf und klei dete sich hastig in eine grobe Wachsjoppe und dito Kappe. Er sah ganz wie ein gewöhnlicher Matrose aus, als er sich jetzt kurz vor dem Rokokospiegel musterte. Vom Schiffe dröhnten zwei kurze Schüsse herüber. „Ich komme ja schon," rief der Kapitän und uef im nächsten Moment durch Wind und Wetter dem Strande zu. In wenigen Sekunden sah ihn der Ver walter schon den ersten besten Kahn ins Wasser schieben, und dann flog die Nußschale, von kur zen, kräftigen Schlägen befördert, pfeilschnell über die stille, nur vom Regen rauschende Fläche. Vom Dampfer wurde eine schmale Schiffs treppe heruntergelassen, und als das Boot an seiner Breitseite lag, hob ein Matrose zuerst zwei Damen herunter, die der Kapitän schweigend in Empfang nahm. Mit inneren! Lächeln bemerkte er dabei, daß seine Tracht und die tief in die Stirn gezogene Wachskappe ihn sowohl für die Tochter des Land- ratS — denn sie war eS —, als auch für ihre Gesellschaftsdame unerkennbar machte. Hinter den Damen sprang noch Graf Burghaus in den Kahn und hob seine Gattin, eine jugendliche, kaum dreißigjährige Dame, deren blühendes Ge sicht mit ihrem silberweißen Haar merkwürdig kontrastierte, geschickt in die Nußschale. Die Herrschaften wollten einen Besuch bei einer ihnen befreundeten Adelsfamilie auf der Insel machen und duckten sich jetzt, so gut es gehen wollte, unter ihre Schirme, während der junge Schiffer die Ruder mit langen Schlügen in die Flut tauchte. »Ich glaube, ich werde seekrank," klagte die Gesellschaftsdame, und bekam, so oft das Boot schwankte, eine spitze Nase. „Warten Sie nur, bis wir in Holsteinshagen sind," tröstete sie der Oberst gutmütig, „ent weder treiben wir dort ein Gefährt auf, oder ich weiß zur Not einen Krug." Die Obristin lugte ein wenig unter ihrem Schirm hervor, und versuchte ganz vorschrifts widrig auch ihren Gatten vor der Nässe zu schützen. „Kennst du denn nicht den Guts besitzer?" fragte sie zusammenschauernd. „Den jetzigen nicht, mein Kind," antwortete der Oberst und blickte aus den nahenden Strand „Früher gehörte das Gut den Holsteins." „Ach, dieser heruntergekommenen Familie?" warf die Dame gleichgültig hin. Die Ruder schlugen krachend gegen das Boot, und die Hausdame schrie entsetzt auf. „Beruhigen Sie sich doch, gnädiges Fräu lein," meinte der Offizier verwundert. „Der Schisser setzt nur etwas stärker ein." Einen Augenblick blieb alles still, wieder hörte man nur das Knarren der Ruder und den her niederplätschernden Regen. Sylvia spielte nach- lässig an dem Griff ihres Schirmes und äußerte halblaut: „Nun, den jungen Baron von Holstein, oder, wie sie ihn auf der Werft nennen, den Kapitän, müssen Sie doch von dieser Heruntergekommen- heit ausnehmen. Seine Unternehmungen und sein Kampf gegen alle Vorurteile spielen ja fast ins Großartige." „Aber Sylphe, dieser Mensch," meinte die Hausdame entsetzt, und über ihre weiße, spitze Nase flog eine flüchtige Röte. (Fortsetzung in der Abendausgabe.) t Ssxlsknsi-'S Slttsi-qusUs »UKMVIckmoS v«!*topfttns, Lvsiottv VchNlLUUNS, Kott, SIulonclkßML, «Io. 6-toSä/»/.
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