Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.03.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-03-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140310020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914031002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914031002
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-03
- Tag 1914-03-10
-
Monat
1914-03
-
Jahr
1914
- Titel
- 02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.03.1914
- Autor
- No.
- [2] - 2
- Links
-
Downloads
- Einzelseite herunterladen (PDF)
- Ganzes Werk herunterladen (PDF)
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Sette 2. Nr. l26. Nvenü-Nusgavr. det doch den wichtigsten Teil des Prozesses, dem alles üdrige lediglich als seinem Zweck zu dienen dal, die Festsetzung der Strafe. Aber bei ihr staben die Geschworenen nicht mitzuwirken, wäh rend doch gerade hier das Volkse mpfin den znr Geltung kommen sollte. Das führt nun dazu, das; die Geschworenen versuchen, die ihnen durch das Gesetz versagte Mtwirkung sich auf einem Umwege zu versclmsfcn. Sic pflegen näm lich sich zunächst darüber schlüssig zu machen, welche Strafe der Angeklagte verdient habe, und beantworten dann die ihnen vorgelegten Fra gen nicht so, wie es den fcstgestcllten Tatsachen entsprechen würde, sondern so, das; dabei das gewünschte Ergebnis l)erauskommen soll. Ost genug müssen sie, wenn das Gericht darauf hin sein llrteil füllt, sich überzeugen, das; sic sich bei ihrer Berechnung geirrt haben. Gerade hier liegt die Ursache so vieler verhängnis voller Fehlsprüchc. Der Raum verbietet eine eingehendere Be handlung der vielen sonstigen schwerwiegenden Mängel der heutigen Schwurgerichte. *) Es soll deshalb nur noch darauf hingewiescu werden, das; es einen Gedankcnfehler bedeutet, sic mit dem Gesichtspunkte zu verteidigen, das; ihnen in einigen Staaten politische und Prcstprozesse überwiesen sind und daß hierin'eine Freiheits fördernde Einrichtung zu finden sei. Ist man der Ansicht, das; bei diesen Verfehlungen dem BolkSeinpfinden mehr Geltung verschafft werden müsse, als es vor Bcrufsrichtern geschehe, so ist doch unter allen Umständen nicht einzuschen, weshalb dies nicht ebensogut, wie bei Schwur- gcricbten, auch bei Schössengerichtcn ausführbar seilt sollte. Diese sind nicht allein eine Schöp fung des deutschen VvltsgeisteS, sondern auch die einzige Form einer Mitwirkung der Laien, die es gestattet, die dringend erwünschte Ver bindung der Strafrechtspflege mit dem Volks geiste herznstellen, ohne den Zusammenhang mit dem Rechte als Wissenschaft aufzugebcn. Weder die Juristen, noch die Laien können die Aus gabe einer Fortbildung des Rechts für sich allein tosen, sondern das ist nur zu erreichen durch eilt einheitliches Zusammenwirken, bei dem die Vorzüge beider Gruppen zur Geltung kommen. *) Eine eingehende Behundlung des Themas dielet meine Schrift: „Die Beteiligung der Laien an der S t r a f r e ch t s p f l e g e", Dorträge der Selerstiflunq zu Dresden, Band I 1909. B. G. T e u b- n e r, Leipzig. politiletie Ueberlieltt Ein Gegenstück zum ,Zall Andern" ereignete sich am Sonntag in St. A v o l d. Die „Germania" berichtet darüber: Ein Arbeiter, der in der St. Avoldcr Brauerei Nachtnhicht hatte, kam in der Grütze gegen 8 Uhr in eine Wirtschaft am Markt, um sich bei der naßkalten Witterung durch ein Gläschen Kirschwasser zu stärken. Ein im Lokale an wesender Wachtmeister des 14. Ulanenregiments rief ihm laut zu: „Seht, da säuft der Wackes schon in aller Frühe Schnaps'." Um die Wirtin nicht in Verlegenheit zu bringen, steckte der Arbeiter zwar ruhig die Beschimpfung ein, ging aber sofort in die Wohnung des Regiments kommandeurs und beschwerte sich. Er habe, so fügte er bei, diesen Weg gewählt, damit nicht in St. Avold ein neuer „Fall Zabern" sich er eigne. Der Oberst lies; sofort den Wachtmeister zum Verhör rufen und diktierte ihm drei Wochen Arrest zu. Soweit der von der „Germania" berichtete Sach verhalt. Das Blatt bemerkt dann weiter dazu: „Die Strafe mag hart erscheinen, sie ist aber ein Beweis, das; der Oberst dem Arbeiter nachfühlen konnte, wie verletzend jene Beschimpfung nach all den Vorkomm nissen der letzten Monate auf den Arbeiter wirken inußie. Hätte in Zabern eine ebenso strenge Justiz gewaltet, wäre es sicherlich nicht zu den bekannten beklagenswerten Vorgängen gekommen." Der gemaßregelte Relchstagsabgeorönete. Vor einigen Wochen beschlos; der mecklenburgische Landtag, allen Lehrern am Seminar zu Lüb- thcen — wo die Lehrer ausgebildet werden, die die Anstelluiigsberechtigung nur für die Patronats- fchulcn dec mecklenburgischen Ritter erwerben — Leipziger Tageblatt. Dienstag, i0. Ktärz lS14. der Zweckverbanü GroK-öerlin. Die gegenwärtig stattfindenden, viel be sprochenen Verhandlungen des Zweckverbandes Groß-Berlin mit dem Fiskus in der Wald erhaltungsfrage usw. veranlassen uns, in der beistehenden Karte unseren Lesern das Gebiet des Zweckverbandes, der nahezu vier Millionen Einwohner zählt, vorzuführen. Der am 1. April 1912 ins Leben gerufene Zweckverband Eroß- Derlin umfaßt Berlin mit den angrenzenden Städten und Landgemeinden; den südlichen Teil nimmt der Kreis Teltow, den nördlichen der Kreis Niederbarnim ein. Eros;-Berlin hat einen Flächeninhalt, der nur um 34 gkm den des Regierungsbezirks Erfurt übertrifft, hat aber 73 mal so viel Einwohner. mit Ausnahme des fortschrittlichen Reichstagsabgeordneten Sivkovich eine persönliche pensionsfähigeZ ulage zu bewilligen. In der Begründung wurde hervorgestoben, das; „durch die lange Abwesenheit des Reichstagsabge ordneten Sivkovich der Betrieb des Unterrichts sehr leiden müsse. Es seien mit Rücksicht hierauf die Gehaltserhöhungen bisher adgelehnt, aber da die übrigen Lehrer mit Vertretungen sehr in An spruch genommen seien, halte man dafür, das; sie nicht länger unter dem Verbleiben des Reichstags abgeordneten Sivkovich in seinem Amt leiden dürften." Wie der „Vossischen Zeitung" aus Mecklenburg berichtet wird, hat die Regierung den Beschluß des Landtages nunmehr angenommen, so daß die zu gestandenen persönlichen Gehaltszulagen an die in Betracht kommenden Lehrer bereits zur Auszahlung kommen konnten. Der Oberlehrer Sivkovich wird also dafür bestraft, das; er gleichzeitig Reichstags abgeordneter ist. Es mag sein, das; dies Vorgehen, das ein bezeichnendes Licht auf die kleinliche Ge hässigkeit der mecklenbuigischen Ritter wirft, nicht direkt gegen den Buchstaben der Reichsverfassung verstösst. Mit dem Geist der Reichsverfassnng lässt es sich nicht vereinigen. Es ist klar, das; die Mass regelung des Oberlehrers eine Mastregelung des Reichstagsabgeordneten darstellt und darstellen soll. Deutsches Reich. * Lin Etatnotgesetz wird in den nächsten Tagen dem Reichstage zugehen, da eine Verabschiedung des Etats bis zum 1. April d. I nicht durchführbar ist. Durch das Notgesetz, das seit einigen Fahren eine ständige Einrichtung geworden ist, wird der Reichs kanzler ermächtigt, die notwendigen und dringenden Ausgaben in den Monaten April und Mai zu leisten. Durch das Notgesetz wird der Reichskanzler ferner ermächtigt, die Fortsetzung des Baues von bereits in Angriff genommenen Bauten nach näherer Bestimmung des Notgesetzes fortzusetzen —Da auch im preustischen Landtage der Etat bis zum 1. April nicht verabschiedet werden kann, so wird dem Etatgesetz der übliche Notparagraph eingefügt werden, der für die bereits vor Verabschiedung des Etats geleisteten Ausgaben Jdemnität erteilt. * Beantwortete Anfrage. Der nationalliberale Abg. Keinath hatte in einer kleinen Anfrage über Rechtsunsicherheiten auf dem Gebiete des Stellenvermittlergesetzes hingewie sen und darauf aufmerksam gemacht, daß der 8 3 Abs. 1 dieses Gesetzes in den verschiedenen Bundes staaten ungleichmäßig gehandhabt werde. Das Reichsamt des Innern hat auf diese Anfrage nunmehr schriftlich wie folgt geantwortet: Aus der Anfrage ist nicht ersichtlich, welche Ent scheidungen höchstgerichtlicher Instanzen zu 8 3 Abs. 1 des Stellenvermittlergesetzes vom 2. Juni 1910 gemeint sind. Soweit hier bekannt, liegen auf dem bezeichneten Rechtsgebiete von einander abweichende Entscheidungen vor über die Zulässigkeit einer gewerbsmäßigen Ver mietung von Wohn- und Schlafstellen durch Stellen vermittler. Das Königlich Preußische Kammer gericht hat die monatsweste Vermietung eines Zim mers durch Stellenvermittler an eine Person, die nicht als stellungssuchende in Frage kommt, für strafbar erklärt. Die in dem betreffenden Urteil vertretene Auffassung, daß das Verbot des 8 3 des Stellenvermittlergesetzes vom 2. Juni 1910 auf die Vermietung an Stellung suchende Personen nicht be schränkt sei, wird auch von den Oberlandesgerichten in Dresden und Hamburg geteilt. Das Oberlandes gericht in Hamburg will aber aus den im 8 3 des Stellenvermittlergesetzes gebrauchten Ausdrücken „Wohnstellen" und „Schlafstellen" folgern, daß das Verbot nur die vorübergehende Vermietung auf Stunden und Tage treffe, während das Oberlandes gericht Dresden diesen Worten die Auslegung gibt, daß sie im Gegensätze zu Wohnungen „räumlich beschränlte und bescheidenere einzelne oder doch Räumlichkeiten und Gelegenheiten mm Wohnen und Schlafen für einzelne Personen und gegen geringeres Entgelt" bedeuteten Sofern sich in der Rechtsprechung mit der Zeit eine einheitliche Auffassung nicht ergeben sollte, würde eine Regelung durch Gesetz erwogen werden müssen. * Äusgewiesen. Die Sozialdemokratin Bala- banoff aus Mailand, Mitglied des italienischen Parteivorstandes, wurde laut „Vorwärts", nachdem sie in zwei Frauenversammlungcn in Hanau ge sprochen hatte, aus Preußen als lästige Aus länderin ausgewiesen. Sie mußte unverzüglich das Staatsgebiet verlassen. * Die Duelttnterpellation des Zentrums. Nach Mitteilung der Berliner Morgenblätter wird die Interpellation des Zentrums wegen des Metzer Duells am kommenden Freitag verhandelt werden. Wie verlautet, wird der Kriegs mtni st er selbst die Interpellation beantworten. * Zu der neuen preußischen Hinterleaungsordnung, die am 1. April d. I. in Kraft tritt, sind die Aus- führunqsbestimmungen erlassen worden. Nach diesen Bestimmungen sind Hinterlegungen Angelegenheiten der Justizverwaltung: aus diesem Grunde ist Hinter legungsrichter der Präsident des Landgerichts. Der Landgericht-Präsident ist befugt, die Annahme zur Hinterlegung und die damit zusammenhängenden Geschäfte einem Gerichtsschreiber m übertragen, da» gegen nicht die Herausgabe von Hinterlegungen. Die Annahme und Herausgabe von Hinterlegungen sind schriftlich zu beantragen. Nach der Ausführungs bestimmung sind alle bei den Amtsgerichten in einst weiliger Verwahrung befindlichen Werte vom 1. April d. I ab als auf Grund der Hinterlequngsordnung hinterlegt anzusehen Für sämtliche Hinterlegungen gilt vom 1. April ab das neue Recht. Ausland. Oesterreich. * Ausgeschlossen. Aus Prag wird berichtet: Der tschechisch-nationalsoziale Reichsratsabgeordnete Dr. Sviha, der als Polizeiagent entlarvt wor den ist, wurde von der obersten nationalen Vertretung der Tschechen, dem Nationalrat, nach Prüfung des Beweismaterials für schuldig befunden und damit ausgeschlossen. Sviha hat sein Reichsrats- mandat niedergelegt und ist dann abgereist. Das Ziel der Reise ist unbekannt. Zrankreich. * Aus der französischen Kammer. Aus Paris wird telegraphisch berichtet: In der heutigen Kam- mer'itzung wird voraussichtlich das Budget des Ministeriums des Aeußern verhandelt werden Bei dieser Gelegenheit wird u. a. der konservative Dcpu tierte delaFerronays die Einstellung eines Kredits von 2ö Ml Franken für die Errichtung einer medizinischen Fakultät in Schanghai be antragen Der bonapartistiichc Deputierte E n zerand wird verlangen, daß 20000 Franken zur Ausbesserung des H a u i e s bewilligt werde,', in dem Napo leon l. aufder JnsclSt. He lena gestorben ist. Schließlich wird von einer Gruppe von Deputierten der Antrag gestellt werden, der zur Erhöhung der Bezüge der Diplomaten und Konsularagenten in das Budget eine Summe von 5,00 000 Franken einsetzen will — Wie in Kammer kreisen verlautet, wird sich der Ministerpräsi dent darauf beschränken, ein ganz allgemein gehal tenes Erpos« über verschiedene Fragen zu geben. England. * Die Homerule-Bill. Telegraphisch wird aus London, 10. März, berichtet: Vor starkbesetztem Hause beantragte am Montag Premierminister Asquith im Unterhause die zweite Le sung der Homerule-Bill. Er kam der Oppo sition sehr entgegen durch einen Vermittlungs vorschlag, wodurch Ulster 6 Jahre hindurch eine Ausnahmestellung gegeben werden soll. Der Führer der Unionisten Bonar Law lehnte dies aber ab und beantragte Auflösug des Parla ments oder eine Volksabstimmung, während die Nationalisten der Regierung zustimmten. Sir Cason erklärte, die Ausnahmestellung für Ulster be deute zwar einen Fortschritt, sei jedoch an Bedin gungen geknüpft, wohl um die Verhandlungen über die Frage des Entschlusses von Ulster unausführbar zu machen. Die Ulsterfrage müsse aber gleich ent schieden werden und nicht erst nach 6 Jahren. Dar auf vertagte sich das Haus Italien. * Der Generalstreik in Rom. Der gestrige Tag ist zu Ende gegangen, ohne daß cs anläßlich des Gene ra Ist rc'rks zu bemerkenswerten Zwischenfällen ge kommen wäre. Eine Kommission wurde vom Unterstaatssekretär des Innern empfangen, um ihm die Wünsche der Ausständigen mit Bezug auf 3villlüVLrslltlL08 Lpen: ttoattriiirLnNoiistlLl«)!. l'ol. 1 l 189. li 2209 ver gute Name. 18j Roman von Georg Engel. '912 dx 6relt,I«in k <2». e. m. 1>. N. veipri-r.» Das ward nun anders. Seitdem er dem jungen Millionär gegenüber gestanden, schien ein böses Erwachen, ecn sprunghaftes Erinnern über den Baron gekommen zu sein. Seine Augen wurden glänzender, seine Be wegungen rasch und unsicher. Er begann sich plötzlich viel außerhalb des Hauses zu bewegen und kam in der glücklichsten Stimmung zurück. Dann trug er eine Rose im Kuopfloch, plauderte unaufhörlich von Diamanten und Perlen, die in den Schaufenstern lägen, von einem statt lichen Reitpferd, das er besehen, auch von einem Geschäft, welches ihn voraussichtlich mehrere Abende fcrnhalten würde. Rahm ihm dann Marie den Ueberrock ab, suhr sie ihm besorgt über die Stirn, dann küßte er ihr galant beide Hände, warf im Vorbei gehen einen spähenden Blick in den kleinen Spie gel und streckte sich in behäbiger Erschöpfung auf dem Sofa aus. Auf Marie legte sich eine drückende Schwüle. Heute war ihr Geburtstag, für sie kein freu diger Tag. Ganz früh am Morgen hatte sie sich erhoben und saß jetzt mit einer Arbeit am Fen- stcr jenes Zimmers, in welchem sic vor einigen Tagen den Kapitän empfangen hatte. Der Baron hatte sich schon, während sic noch schlief, in aller Heimlichkeit fortgeschlicl)en und war bis jetzt noch nicht zurückgekehrt. WaS konnte das bedeuten? Die innere Un ruhe verließ ihn nicht mehr. Da klingelte es. Tas mußte er sein? Marie ließ ihre Arbeit in den Schoß sinken und blickte erwartungsvoll aus die Tür. Aber es war nur der Postbote, der mehrere Briefe brachte. Hastig überflog sic die Adressen. Ob ihr Vater an sie gedacht hatte? Enttäuscht ließ sie das Haupt sinken. Rur ein kurzer Gruß Herthas und eine Karte von Herrn Pilz, welcher als Wirt mit vornehmer Höflichkeit dieser Pflicht regelmäßig nachkam. Die iunge Frau schob die Gratulation ge- oankcnlos in das Kuvert zurück und stand eine ganze Zeit in sich versunken an dem großen Tisch. Durch ihr Herz stürmte eine heiße Sehn sucht nach ihrem Vater, für den sic verloren schien. Da schreckte sie zum zweite» Male ein leises Läuten auf, und an der Schwelle stand diesmal ihr Gatte, ein wenig vornüber geneigt, aber >vie immer in eleganter Haltung. Er hielt ihr mit verbindlichem Lächeln ein kleines, entzückendes Rosenbukett entgegen. Und jetzt lächelte auch ihr Mund, und aller Verdacht wich von ihr. „Hellmut, du hast daran gedacht?" Freudig reichte sie ihm die Hand. Der Baron beugte sich langsam zum Kusse daraus herab. „An eine so schöne Frau denkt man immer," antwortete er galant und schwenkte ein wenig den abgetragenen Zylinder. „Aber zu dieser Jahreszeit Rosen?" wars sie mit leisem Vorwurf ein, „du hast zu viel für mich getan, Hellmut." Sie dachte daran, daß sie sich diese Blumen werde ani Munde absparcn müssen. Der Standeshcrr ließ sich auf einen Stuhl nieder und rief augenzwinkernd: „Gar nicht — der Gärtner, weißt du, da drüben, berechnet mir AuSnabmepreife." Marie blickte empor: „Welchen Anlaß Hütte er?" forschte sie überrascht und ließ ihre dunk len Augen länger auf dem Sitzenden rulzen. Der Baron antwortete nicht; sichtlich betroffen starrte er seine Gattin an, und um seine Nasenflügel flog ein nervöses Zucken Hastig erhob er sich, zupfte vorsichtig seinen Mantel zurecht, damit das ehemals seidene Futter recht zur Geltung käme, und schwenkte unter nehmend den Zylinder. „Guten Morgen, mein Kind," verabschiedete er sich wichtig, „ein unaufschiebbarer Gang — in den nächsten Tagen wird das Geschäft reif, dann werde ich dir alles erzählen — du wirst staunen, he, he." Und plötzlich ergriff er noch einmal ihre Hand und drückte mit weltmännischer Leichtigkeit einen flüchtigen Kuß hinauf: „Für wen ge schieht alles?" flüsterte er dabei gerührt, „für dich, Kind, ich will wieder für dich sorgen, ich will " Das übrige verschluckte er und verschwand, mit der welken Hand zurückwinkend, hinter der weiß lackierten Tür. Marie blickte ihm noch lange nach, ihre Arme waren ihr schlaff heruntergesunken, dann schüt telte sic schwermütig den Kopf, und zog sich mit ihrer Arbeit wieder an das Fenster zurück. Eine Stunde floh vorüber, und die Hand der jungen Frau eilte unaufhörlich über das grobe Leinen, ohne daß sic einmal das Haupt ge hoben hätte. Da raschelte der vorbeistreifende Wind vernehmlich in dem Blättcrwcrt der Ge wächse, und Marie öffnete sorglich das Fenster, um die Töpfe fest gegeneinander zu stellen. Noch hielt sie den letzten in der Hand, da entfiel er ihr plötzlich, alles Blut drang ihr .zum Herzen, und sic warf sich wild über das Brett hinaus. Drüben auf der anderen Seite der Straße wanderte schon seit geraumer Zeit ein Mann in langem, grauem Ueberrock, mit hohem Filzhut auf dem großen Kopf und in der Hand einen derben Stock, und dieser Mann warf von Zeit zu Zeit spähende Blicke aus das Blumenfenster, um danu seine Wanderung von neuem zu be ginnen. Als er jedoch die Scheiben klirren hörte, stemmte er sich auf seinen Stock und sah ver stohlen unter seinen buschigen Augenbrauen her auf. Oben erschien eben der feine Kopf der Ba ronin hinter den Pflanzen, und gleich darauf tlaug halb vernehmlich ein leiser Aufschrei an sein Ohr. „Vater! Vater! O Gott." Der alte Werftbesitzer wandte sich hastig nach dem nächsten Schaufenster um und starrte auf die Puppen eines Svjelwarenbazars, als seien diese ein noch nie dagewesencs Wunder, aber er wurde zusehends unruhiger. Seine Tochter dagegen hielt sich nicht mehr. Halb besinnungslos stürzte sie die Treppen hin ab, eine allgewaltige Sehnsucht trieb sic vor wärts, und schon stand sie anfatmcnd in der Haustür. So lange hatte der alte Herr vor den: Schaufenster verharrt, jetzt bog er um die nahe Ecke und war im nächsten Augenblick verschwun den. Marie mußte sich eine Zeitlang an der blanken Türklinke fcstklammern, sic glaubte zu sinken. Hoffnungslos kehrte sie in ihre kahlen Räume zurück, warf sich über die Lehne des Sofas nnd fmg an, bitterlich zu schluchzen. So mochte sic wohl eine Stunde gelegen haben, da wurde einmal stark geklingelt, eine harte Stimme fragte draußen nach ihr, und alsbald hörte die Verlassene schwere Tritte heran nahen. ^incn Augenblick hob sic lauschend das Haupt, daun aber flog sic bebend auf und stand, keines Wortes mächtig, vor ihrem Vater. Der Alte mit dein kurzen, stoppligen Kinn bart nnd den harten, hellgrauen Augen warf einen scharfen Blick durch das dürftige Zimmer nnd scharrte mit seinem Stock auf dem Estrich, als warte er darauf, daß seine Tochter ihn an reden würde. Und ohne jeden Ueberaang flog die junge Frau auf ihn zu, warf sich unter Lachen und schluchzen an seine Brust. Auch in den Armen des Vaters begann es zu zucken, als wollte er sie fest in die knorrigen Arme schließen, das zarte Haupt streicheln, das sich kosend an seine Brust geschmiegt hatte, aber er bezwag sich und schob sre zurück. „Vater, du bist gekommen?" rief sie jauch zend. Der Alte stieß seinen Stock wieder zur Erde, was er immer tat, wenn er seine Gedanken auf einen Punkt lenken wollte, cmd räusperte sich stark. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder