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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.01.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140112021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914011202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914011202
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-01
- Tag 1914-01-12
-
Monat
1914-01
-
Jahr
1914
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Leipziger Tageblatt. Settr 2. Nr. 20. Kveno»«usgave. war, wurde mit stürmischem Beifall empfangen. Lr begann seine Red« über ReichspoUtik »nd Reichstag mit einer Würdigung des „Säkularjahrs" ISIS. In dies Iabr der Erhebung und der Opferwilligkeil habe freilich am Schlüsse ein g r eller M ißton dtneinLeklungen. Ein an sich ganz unbedeutender Vorfall, die nicht zu schwer wiegenden Verfehlungen eine» jungen Offiziers wuchsen zu einer großen Affäre au?. Es sei betrübend, das? man sie nicht im Keime erstickte, und bedauerlich sei auch, daß diese Vorfälle noch immer durch Schüren von radikaler Seite wie von rechts verschlimmert würden. Wir müssen mit Zabern fertig werden. Die Hauptausmerksamkeit müsse man jetzt darauf richten, wie solche Fälle in der Zukunft zu v e r- meiden und wie die Folgen zu heilen leien. Elsah-Lothringen sei uns allen ans Herz gewachsen ein Sorgenkind. Schöpfer und Förderer der Verfassung, die Elsatz-Lothringen erhielt, sei der Kaiser. Weil der Kaiser diese Verfassung wollte, habe der Reichskanzler seinen ganzen Ein fluß dafür eingesetzt. „Unserer Verantwortung wohl bewußt, haben wir Rationalliberalen bei der Schaf fung der Verfassung mitgewirtt. aber abgerungen haben wir sie der Negierung nicht; die Initiative lag bei der Negierung." Die Frage lägt sich auf werfen. ob wir Deutsche in der Verwaltung wider- strebender Gebiete eine glückliche Hand haben. In Polen wie im Elsas? wechselten zu viel mit den regierenden Männern zugleich die Staats maximen. Bald Peitsche, bald Zuckerbrot — das taugt nicht. Ein strammer, ehrlicher Kurs sollte innegehalten werden. In Elsas; habe die Ne gierung zu viel Langmut gezeigt gegenüber den nationalistischen Umtrieben von seiten der Politiker Wetterlö, Preis? und Konsorten, der Hetzblätter und auch eines gewissen Teils der Geist lichkeit. Bassermann kam dann auf die I n t e r p e l l a t i o n im Reichstag zu sprechen. Die nationalliberale Partei habe mit Recht mißbilligt, das? man es c.n der nötigen Energie habe fchlmr lassen, den Konflikt im Keime zu ersticken; sie hab: strenge Beobachtung der Gesetze und des Rechts verlangt. Ein Miß trauensvotum gegen die ganze N.gerung des Reichskanzlers sei in jener Kritik nicht ent halten. Was solle das Kesseltreiben gegen die Nationalliberalen aus dem konservativen Lager, das doch soeben im preußischen Herrenhaus viel aggressiver dem Kanzler gegeniibergetreten sei? Zn den Reichslanden sei wohl ein strammes Regi ment am Platze, aber — gepaart mit Staats- klughett! vor allem aber einheitliches Zusammen- wirken der Zivil- und Militärbehörden. Das er gangene Urteil zu kritisieren, erscheine unzulässig, zumal das Verfahren nach nicht abgeschlossen ist; es könne noch Berufung an die höhere Instanz stattfinden. Gegenüber gewissen Verdächtigungen betonte Redner, das? man auch in Sllddeutichland volles Verständnis habe für Preußens Verdienste, für Preußens Wesen, Energie und Ordnungsliebe. Ohne Preußen kein Reich, kein 1813, kein 1870! Aber die preußischen Junker vergessen Eines: wir leben in einer modernen Zeit, an die Stelle der demütigen Untertanen ist ein selbstbewußtes Bürger- tum getreten, das Berücksichtigung seiner berech tigten Anliegen heischt. Die Armeefreundlichkeit der nationnlliberalen Par tei könne niemand bestreiten. Daß die Partei ein parlamentarisches Regiment erstrebe, sei ein lächerlicher Vorwurf. Was wir wollen, das ist eine starke Regierung und einen starken Reichstag." Was den gegenwärtigen Reichs kanzler anbetrifft. so habe die nationalliberale Par tei die Richtlinien seiner auswärtigen Pol'tik ge billigt, und erkenne auch seine mancherlei Verdienste in der inneren Politik willig a». Bethmann Hollweg sei eine absolut lautere Per sönlichkeit, die das Beste für Deutschland will. „Was wir an ihm tadeln, ist ein Mangel an Energie in einigen wichtigen politischen Fragen lZabern, Welfensrage u. a s." Bassermann beleuchtete dann noch kurz die aus wärtige Politik, streifte die Baltanprobleme, gab seiner Freude Ausdruck über das Verhältnis zwischen Oesterreich und Italien, das noch nie so gut gewesen sei wie gegenwärtig, kam auf Rußlands und Frankreichs Machthunger zu sprechen und be grüßte die Besserung in Deutschlands Verhältnis zu England. Zum Schluß führte er aus: Der natio nale Geist «ei in der Partei stärker geworden. Das zweite Element der Partei ist der liberale Grundgedanke, den wir nie vergessen dürfen! Denken wir an Bennigsen! Die neue Zeit ver langt Licht und Luft, sie duldet keine un gerechte Bevorzugung; sie heischt Aufrechterhaltung der Gesetze und Ordnung! „Wir sind eine Partei der positiven Arbeit. Was wir wollen? Gin« nationale Politik im guten Sinn«, unfern Anteil an der Welt verteilung, in der inneren Politik ruhige Fortent wickelung, frei von Radikalismus, aber auch frei von Reaktion"" Basiermann, Rede, frei und voll Temperament vorgetragen, wurde oftmals durch lebhafte Beifalls kundgebungen unterbrochen; am Schlüsse wurde dem Redner besonders stürmisch gehuldigt. Der Vorsitzende dankte Basiermann noch in herzlichen Worten und versicherte, Basiermann dürfe das Ver trauen haben, daß die schwäbischen Parteifreunde immer hinter ihm stehen. Hieraus schloß Vorsitzender Abg. List die Versammlung. Deutsches Reich. * Nachklang zum Reuter-Prozeß. Von der „Straß burger Neuen Zeitung" wird dem Korrespondenten des „Berl. Tagebl." wegen der Telegramme des Ge richtsvorsitzenden. des Generals Pelet Narbonne, an v. I a g o w und v. Oldenburg mirgeteilt, daß am Sonnabend vormittag 10,4ö Uhr auf dem Straß burger Postamt zwei Telegramme aufgegeben wurden mit folgendem Wortlaut: Freigesprochen. Besten Gruß Pelet. Die Telegramme wur den an die Adressen Zagow Berlin, und Oldenburg Januschau (Westpreußen) gesandt. Da nun der Vor- sitzende des Militärgerichts von Pelet Narbonne heißt und die Telegramme von einem Offiziers burschen aufgegeben wurden, so kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Gerichtsvorsitzende und der Absender der Telegramme identisch sind. Außer dem wurden die Telegramme zu einer Zeit auf gegeben, wo die ersten Preßvertreter trotz Benutzung von Automobilen noch nicht auf dem Telegraphenamt angelangt waren. Sie müssen also bereits vor der öffentlichen Verkündigung des Urteils niedergeichrieben worden sein. * Der türkische Botschafter in Berlin in den Ruhe stand versetzt. Da der türkische Botschafter in Ber lin M a h m u d Mukhtar - Pas ch a sich geweigert hat, seinen Posten als Inspekteur der dritten Armee inspektion anzutreten, ist er in den Ruhestand versetzt worden. Mahmud Mukhtar-Pascha ist seit April v. Z. auf dem Berliner Posten gewesen. * Bei der Reichstagsetsatzwahl in Rosenberg- Loebau ist eine polnische 2 ti m m e n z e r s p l i t t e - rung nicht ausgeschlossen, weil d«er polnische Kan didat Naszkowski den Uebergang eines polnischen Gutes in deutsche Hand mitverschuldet haben soll. * Die kirchliche Bewegung rn Berlin. Ain Sonn tag waren die Gotteshäuser Gros? Ber lins überfüllt. Der Kampf gegen die Kirche halte den K « mpf für die Kirche ausgelöst. Um den Gemeindemitgliedern innerhalb des gewohnten gottcÄiienstlichen Rahmens die Not der Kirche dar- znlegen, war ein allgemeiner Kirchen sonntag veranstaltet. Die ebenfalls am gestrigen Tage einberufenen sechzehn Kirchenaustrnts-Ver- sammlungen unterschieden sich dadurch von den bis herigen, daß die liberale Geistlichkeit zur Teilnahme an der Diskussion eingeladen und zum Teil dieser Einladung gefolgt war. Ausland. Zrankrelch. * Aus der suche nach Delcassös Nachfolger. Das „Echo de Paris" glaubt bestätigen zu können, daß der Direktor der politischen Angelegenheiten im Ministerium des Aeußern, Palüoloque, zum Nachfolger Delcassts für den Petersburger Bot schafterposten ausersehen sei. Türkei. * Die Ernennung Liman von Sanders zum Generalinspekteur der Armee. Aus Konstanti nopel. 12. Januar, meldet das Wiener Korr.-Bur.: In Pfortekreisen sieht man die Enthebung des Ge nerals Liman von Sanders vom Kom mando de» 1. Korps in Konstantinopel und seine Ernennung zum Generalinspekteur der Armee und der Militärschulen heute als endgültig an. Die Aenderung in den General Liman zugedachten Funktionen ist, wie offiziös er klärt wird, nicht die Folge irgendeines Schrittes seitens Rußland», sondern ist ausfchließlich der Anregung des Kriegsminister, Enver Pascha zuzuschretben, der in einer Besprechung mit General Liman diesem seine Absicht mitteilte, ihm da, Generalinspektorat über die Arme« anzuvertrauen und die Last des Kommandos über das 1. Korps abzunehmen. General Liman antwor tete, er sei zur Reorganisation der ottomanischen Armee, gleichgültig in welcher Eigenschaft, bereit. Zn Pfortekreiien wird übrigen« geglaubt, daß die Aenderung geeignet sei, Rußland zufriedenzustellen. - Ein Zirkular der Türkei an ihre auswärtigen Vertreter. Wie verlautet, hat die Pforte an ihre Vertreter im Ausland« ein Zirkular gerichtet, in dem sie an die Vorbehalte erinnert, als sie das Schicksal der Inseln den Großmächten anvertraute, und hervorhebt, daß die Zuweisung von Thios und Mytilenean Griechenland die ostanatolischen Reformen beeinflussen und die Ruhe auf dem anato- lischen Kontinent und den Handel Smyrnas schädigen könne. Di« Pforte lehne die Verantwortung für die bösen Folgen ab, falls die Mächte Ent scheidungen treffen, sie dem Interesse der Türkei zu widerliefen. Albanien. V Um den albanischen Thron. Vor dem Kriegs, geeicht in Nalona begannen die Verhandlungen gegen Bekir Aka sowie sechs türkische Offi. ziere und fünf Band enführer, die in der vergangenen Woche auf dem Dampfer „Meran" mit 200 Mann in Valona eingetroffen waren, um hier die staatsfeindliche Bewegung fortzusetzen, deren Ziel die Erhebung eines mohammedanischen Dürsten auf den albanischen Thron ist. Auch einige Zivilpersonen, die kompromittiert sind, werden vor das Kriegs, gericht gestellt werden. Den Vorsitz führt Eendar- meriekommandant Oberst Weer. Äußer Offizieren gehören dem Gericht auch drei Zivilpersonen an. Die Verhandlungen sollen in fünf bis sechs Tagen beendet sein. Vertrauensmännerversammlung des Leipziger Verbandes. Gestern waren wiederum in Leipzig aus allen Gegenden Deutschlands die Vertrauensmänner des Leipziger Verbandes versammelt. Nur Süd deutschland war schwach vertreten. Auf der Tagesordnung stand der Bericht des Vorstandes über die Ereignisse, die sich seit der letzten Ver sammlung vom 28. Dezember 1913, in der das im Reichsaint des Innern vereinbarte Abkom men genehmigt worden war, abgespielt haben. Den Bericht erstattete der Vorsitzende Dr. Hart mann: Nachdem alle für das Abkommen in F.age kommenden Stellen ihre Zustimmung ausge sprochen hatten und sofort vom Leipziger Ver band die Telegramme abgcgaugen waren, in denen der Vertragsabschluß sreigegeben wurde, kam in Leipzig die Nachricht an, daß mehrere Krankenkasseuverbände den H 11 des Abionrmcns, der von der Entfernung der zugezogenen kassen ärztlichen Nothclfer handelt, nicht als verpflich tend ansehen wollten. Sofort wurde Staats sekretär Tr. Delbrück hiervon in Kenntnis gesetzt, unter Hinweis auf die Gefahr des da durch drohenden Wiederauflebens des Streites. Der Staatssekretär aber will jetzt mit aller Entschiedenheit friedliche Zustände herbei führen. Deshalb unternahm er noch am Sil vesterabend die mehrfach besprochene Reise nach Leipzig. Auf dem Bahnhof fand dann die lange Besprechung mit Dr. Hartmann, Dr. Dippe und dem Vorsitzenden des Ortskassen verbandes Fräßdorf statt. Dann folgte in Berlin die Besprechung mit einer Anzahl von Kassen vorständen, die von auswärts Nothelfer heran gezogen hatten, wobei zum Schluß Ministerial direktor Dr. Caspar die bündige Erklärung ab gab, daß die abgefundenen Nothelfer keinen An spruch darauf haben, an dem Ort, an dem ihre Verträge gelöst werden sollen, in die Kassenarzt liste eingetragen zu werden. Ueberaus schwierig und unerquicklich gestalte ten sich die nachfolgenden Verhandlungen ztoi- schen den Negierungsvcrtretern, Kassenvorständen und Nerzten in Stettin und Breslau, zu denen Dr. Hartmann zugezogen war. Die un Montag, l2. Januar 19l4. möglichsten Dorwürse wurden den Aerzten ent» gegengeschleudert, bis man in BreSlau sich nicht nur mit Worten begnügte, sondern gegenständ« ltch wurde. Während man aber in Stettin nach 11*/, stündiger Verhandlung schließlich zu einer Einigung gelangt war, ist man nach zehnstündi ger rn BreSlau noch weit davon entfernt. Keine Aussicht zu einer solchen ist bisher in Braun schweig vorhanden, und in Elbing gar hat mau es u. a. mit dem Widerstand eines Groß industriellen zu tun, dem keine Geldsumme zu groß ist, um seinen Willen durchzusetzen. An viele» Orten wollen auch die Kassen die 5 Pfg. Honorarerhöhung für die Abfindung der Not helfer nicht bezahlen. Unbedingt müssen die Aerzte darauf bestehen, daß überall das Abkommen zur Durchführung gelangt, und sie würden es tief bedauern, wenn ein wichtiger Grund für seine Ungültigkeit ge schaffen würde. Obgleich mit dieser Möglichkeit zu rechnen, ist, wollen sie alles tun, um sich auf eine restlose Durchführung einzurichtcu. Dazu gehört aber auch die Bereitstellung der Abfin dungssumme für die nicht zur kassenärzt lichen Tätigkeit zuzulasscuden Nothelfer. Wie viele Millionen hierzu nötig siud, läßt sich noch nicht übersehen, da nicht die ganze bisher^ bekannte Zahl von Nothelferärzten in Betracht kommt. Die Hälfte der Abfindungssummen ist von den Krankenkassen auszubriugen, sie kommt zudem nur jährlich mit je 5 Pf. pro Versicher ten ein. Der Leipziger Verband rechnet aber damit, daß manche mit einem Male abgefnnden werden, auch will er, soweit nur die Persönlich keiten einigermaßen dazu geeignet sclzeinen, als kollegialer Verein versuchen, sie wieder in die Höhe zu bringen. Deshalb bedarf er in kürzerer Zeit größerer Betrüge als des Doppelten der von den Kassen eingehenden Summen. Hier für will er nicht nur einen Teil des für den Krieg bereitgestellten Geldes verwenden, son dern auch von allen Kassenärzten je 10 Pfg. pro Versicherten jährlich er heben. Er will versuchen, die Kassen zu ver anlassen, diese 10 Pfg. ihren Aerzten abzuziehen und sie zugleich mit den 5 Pfg. an eine vom. Reichsamt des Innern zu bestimmende Stelle abzuführen. Diese Vorschläge wurden von der Versamm lung genehmigt. Es folgte dann eine sehr eingehende AuS- spvacl;« über die praktische Durchführung deS Abkommens. Einstimmig wurde folgender bedeutungs voller Beschluß gefaßt: Nachdem die deutsche Aerzteschaft unver züglich und restlos dem Abkommen vom 23. Dezember 1913 gefolgt ist, haben die am 11. Januar 1914 in Leipzig versammelten Vertrauensmänner nebst Vorstand, Aufsichts rat und Beirat des Leidiger Verbands mit großem Befremden davon Kenntnis nehmen müssen, daß bisher die Beendigung des Kriegs zustandes durch alsbaldige Entbindung der ärztlicl;en Nothelfer von rhren Kassenarztver trägen gemäß 8 11 des Abkommens in meh reren Orten, z. B. in Braunschweig, Breslau und Elbing noch nicht erfolgt ist. Sie er achten die Durchführung des K 11 als eine unbedingte Voraussetzüng für den Fortbestand des Abkommens und sind der Ansicht, daß, wenn sie nicht schleunigst erfolgt, die Gültig keit aller bisher auf Grund des Abkommens abgeschlossenen Verträge in Zweifel gestellt ist und ein wichtiger Grund zu ihrer als baldigen Auflösung vorliegt. Die Vertrauens- männerversammluna würbe es aufs tiefste be dauern, wenn die Aerzte dadurch zur Wieder- aufnahnre des Kampfes gezivungeu würden. LpvrinlitLt: kvliiiliv. — Tel. 11189. L,r» ,Mrr DSM Bekehrung." 48s Roman von Arthur Babillotte. Nachdruck vkiboten. Hierauf schrumpfte er wieder zu dem kleinen Säufer zusammen, der er während der letzten Monate gewesen war; aufweincnd warf er sich über den Tisch. „Vater!" bis ins Innerste erschüttert warf sich Germaine über ihn. Sie streichelte seine kahlen Scbläfen, sie schmiegte ihr Gesicht an seine stopplige Wange und suchte nach den zärtlichsten Worten, deren sic fähig war. Canaille, der Hund, verkroch sich winselnd hinter den Ofen. „Vater!" Er regte sich nicht. Und als Pieard das Mädchen sanft am Aem ergriff, um sie emporzuzieheu, sahen sie beide, daß Eucharistc Grandidier verschieden lvar. Germaine brach zusammen und mußte von Picard und Madame Pipinctte in ihr Zimmcr- chen getragen werden. Die Haushältern? hatte sich davon gemacht. Wem cs Vergnügen bereitet', der konnte sie im Keller vor einem vollen Faß kauern und in vollen Zügen Vergessenheit schlür fen sehen. Unterdessen schrien drüben die Gäste und Touristen nach dem Wirt; niemand war da, der sich ihrer angenommen hätte. „Ich hasse solche dramatische Szenen!" rief der Rechtsanwalt vor sich hin und eilte hinüber, um den aufmerksamen Wirt zu spielen. nunter. Fahr so schnell, als du kannst. Aber gib acht, daß dem Roß nix geschieht. . ." „Ihr brauchet deine Angst zu haben, Mon sieur Picard," sagte der Alte. „Solange ich die Philine in den Händen hab, darf ihr niemand etwas antun." t So fuhr er talabwärts. Germaine lag in Weinkrämpfen; ihr Ge sicht »var verzerrt, sie hatte schreckliche Visionen, die sie halb zu Tode peinigten. Einmal sah sie Emile Caler, den kleinen Schreiber: aber der war jetzt riesengroß und plumpfüßlg wie ein häßliches Urweltungeheuer. Er zeigte breite quadratische Zähne und hielt den Mund aufgcrissen wie einen gähnenden Ab grund. Dann schrie er: „Verraten hast du mich, Hexe!" Mit einem wilden Schrei warf sich Ger maine auf die andere Seite. Da kam ihre Mutier auf sie zu, sie war ganz zusammengeschrumpft, uud mitten in ihre Stirn war, wie ein Medail lon, das Bild ihres Vaters eintätowiert. „Den da, den da," sagte die Matter mit einer Stimme, wie sie Germaine nie an ihr gehört hatte, „den da hast du zum Lumpen gemacht, du!" Sie stellte ihre spitzen Zeigefinger gegen das Bild auf ihrer Stirn, und plötzlich fuhr er durch die Stirnwand, wie durch einen Brei tief in ihr Gehirn . . . „Germaine," sagte Andr6 Picard leise immer toiedcr. Alle seine Angst, sein Helsenwollen und seine Ungeschicklichkeit lagen in diesem einen Wort. Er rechnete aus: in einer halben Stunde war Franyois Arbogast in Markirch, zurück ging eine kleine Stunde verloren, — der Weg war steil, — um 3'/, Uhr konnte also der Arzt zur Stelle sein. Aber cs wurde drei Viertel auf vier, es wurde zehn, acht, vier Minuten vor vier Uhr, — FranyoiS Arbogast Ivar noch nicht zurück. Pi card fluchte in sich hinein, und lies ivie ein gefangener Tiger in dem kleinen - Zimmer der Kranken auf und ab. Die Wut faßte ihn, er mußte sich mit Riesenkraft zusammenreißen, um nicht in das Schlafzimmer Grandidicrs hinüber- zueilcu und dem Toten, den sie dort aufgebahrt hatten, seine Verwünschungen in das häßliche Gesicht zu schreien . . . Der da drüben ivar ja Das erste Nachmittagsauto der Beyer-Pi- cardschen Gesellschaft fuhr um 4 Uhr von der Höhe ab. Um die zweite Mittagsstunde aber ver schlimmerte sich der Zustand Germaines so, daß Picard erschrocken nach St. DiS um den Arzt telephonierte. Der Arzt war über Land. Da versuchte Picard eS mit Markirch. „Kann kommen," lautete der Bescheid, „wenn mir ein Wagen zur Verfügung gestellt wird." „Schnell, Francois," trieb Picard den alten Knecht an, „spann Philine an den Break und fahr schuld, daß es jetzt so um Germaine stand . . . Der hatte ja all dieses Elend und diesen Jammer über sein Kind gebracht! Der Fettbauch und Säufer.... Er hörte einen Wagen anrollen. Mit einem mächtigen Sprung stand er am Fenster, — es war nur ein Fuhrwerk, das nicht anhielt. Wieder nahm er seine ruhelosen Wande rungen auf, drei Schritte hin, drei Schritte her. Eine kleine Kuckucksuhr schlug aufdring lich vier. Xom äs Visa! rief der Mann. Jetzt mußte er hinüber und das Auto ankurbeln. . . Es waren Touristen da, die nach Markirch ge bracht sein wollten. . . Und er mußte den Chauffeur vertreten, der nach Wisembach zum Begräbnis irgendeiner schwachsinnigen Groß mutter gegangen war . . . Uom äs visu! Uom äs visu! Germaine schien in einen ruhigen Schlaf gesunken zu sein. Sie warf sich nicht mehr umher, und auch ihre Hände irrten nicht mehr wie ein gehetztes Edelwild über das blanwciß karierte Federbett. Picard konnte ein wenig aufatmen, visu soit Ions! — Gott sei gelobt! sagte er vor sich hin. Dann strich er einmal mit seinen großen rauhen Händen dem Mädchen über die blassen Wangen und schloß hierauf ganz sachte die Tür hinter sich. Der Rechtsanwalt erwartete ihn bereits. „Na, endlich kommt er! Die Herrschaften da drin murren schon wie kleine hungrige Wölfe." Picard riß seinen Mantel vom Nagel uud ließ die Maschine aus dem Schuppen. „Ein stetgen!" sagte er mürrisch. Der Rechtsanwalt kam neben ihn auf die Thauffeurbank zu sitzen. „Gehet dann und wann zu Gernraine nüber, Pipinette," rief Picard noch zurück, dann sauste der Wagen um die erste Straßenbiegung. „Wissen Sie, Picard," schrie der Rechts anwalt, — er mußte schreien, mn das Zischen und Knattern des schweren Wagens zu über tönen, — „Sie können mich eigentlich gleich bis Schlettstadt bringen mit Ihrer Karre . . . Das heißt, »venn sich in Markirch keine Passa- giere auf den Kamm finden . . " „Nein," sagte Picard, „ich hab heut keine Zeit. Sie wissen doch, Beyer, daß droben ein Toter liegt. Und ein Krankes . . .!" Der Rechtsanwalt zog die Brauen hoch und pfiff durch die Zähne. Dann tat seine Nase einen halb ärgerlichen, halb belustigenden Luft sprung, und der Mund ließ die Frage hören: „Sagen Sie, Picard, Sie Mischung aus Rück sichtslosigkeit und Backfischaefühlchen, warum haben S?e eigentlich nicht geheiratet? Hm?" „Das kann ich Euch beim besten Willen net sagen," gab Picard zur Antwort. Zu gleicher Zeit blitzte hinter seiner Stirn ein Fragen und Staunen ... Er sah sich wieder vor dem großen c runden Tisch in der Wirtschaft „äu eoloü lsvsnt" stehen und auf das Besitztum bieten. „Ich biet achtzigtausend Franken!" rief er und dachte dabei im Hintergruild seiner Seele: Man will doch seinen Kindern einmal einen anständigen Batzen hinterlassen. . . „dlom äs visu!"!" Zorn brach aus ihn? her vor. „Da. rennt mau den ganzen Tag und die halbe Nacht herum, hetzt und schindet sich ab, für das bissel Geld, man tritt seine Er innerungen mit den Füßen, man schließt Frie den mit den Autos, wo man doch bis in den Erzgrundboden haßt und verachtet. . . Alles nur . . . und alles nur. . . Für was denn das alles, Beyer?" „Um wciterzukommen, Picard," sagte der Rechtsanwalt ernst. „Nicht nur finanziell, son dern so gewissermaßen, ich will mal sagen: see lisch, obwohl der Begriff Seele meiner Ueber- zeuguna nach eine alte Schwarte ist . . . Wissen Sie, Picard, so, um mehr Kultur in sich rein- zukriegen, tut man das alles. Man muß opfern können, das Liebste sogar, was man hat, man muß sich selber bis zum äußersten wehtun können, — dann, mein lieber Picard, das können Sie nur glauben: dann wird'S was!" „Und wenn ich tot bin, — »vein bleibt etwas von dem, was ich geschafft hab, unter Müh und Schmerzen geschafft hab, heh, Beyer?" „Da müssen Sie eben heiraten, bester Pi card, und möglichst viele Hemdenmätze in die Welt setzen," lachte der Rechtsanivalt, dem es plötzlich grotesk vorkam, in einem dahinsauseuden Automobil solche ernste Gespräche zu führen. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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