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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.01.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-01-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140120010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914012001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914012001
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
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Jahr
1914
-
Monat
1914-01
- Tag 1914-01-20
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Monat
1914-01
-
Jahr
1914
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Japanische Erdbeben un» Vulkane. Japan gehört za den am meisten heimgesuchten, wenn der Ausdruck angewendet werden darf: klassischen Vulkanländern der Erde. In kurzen Zwischenräumen ist das „Land der ausgehenden sonne" immer wieder die Stätte von Vulkanaus brüchen und von damit eng zusammenhängenden Erdbebenkatastrophen. Noch in lebqaiter Erinnerung ist das furchtbare Erdbeben im Herbste des Jahres 1891, bei dem sich, gerade wie jetzt, die einzelnen Erdflöhe Hunderte von Malen hintereinander wiederholten und nur wenige Sekunden oder Minuten der Ruhe dazwischen eintraten. In den beiden am schwersten heimgesuchten Provinzen Omari und Mino wurden nicht weniger als 81 973 Häuser durch das Erdbeben zerstört, rund 3000 der nicht zusammen gebrochenen fielen den Flammen zum Opfer, eine halbe Million Menschen wurde mit einem Schlage obdachlos, und an die 8000 Menschen fanden den Tod, während fast 10000 verwundet wurden. Bei dem Erdbeben, das 37 Jahre vorher das Gebiet von Tokio heimfuchte, fanden gar über 100000 Menschen den Tod, darunrer die meisten durch die ausbrechenden Feuersbrünste. Der berühmteste Vulkan des Landes darf freilich zugleich sein harmlosester genannt werden. Es ist der den Javanern heilige, in ihrer Kunst so oft köstlich geschilderte Fusijama, der schon seit Menichengedenken sich ruhig verhält. Aber furcht bare, von Zeit zu Zeit wieder zur Tätigkeit er wachende Vulkane finden sich im Norden wie im Süden des Jnselreiches. und der schreckliche Bandaijan im Norden Japans tötete bei seinem furchtbaren Ausbruche im 2uli 1890 Hunderte von Menschen. Doch selbst dieser gefürchtete Vulkan verschwindet gegen die Riesenouikane des Südens, vor allem den Feuer könig Asosan, den größten Vulkan der Welt, der auch jetzt wieder feine vernichtende Tätigkeit ausgenommen hat und die südlichste der großen japaniichen Inseln, Kiuschiu. mit »einen Lavaströmen und seinem Aschen regen überschüttet. Viele, viele Male hat er die Umgebung, d»e zu Zeiten seiner Ruhe eine liebliche, blühende Landschaft ist, vernichtet; der erste be glaubigte Ausbruch wird von der Geschichte ins Jahr 796 verlegt, und der letzte (1908) ist noch keine sechs Jahre her. In der ganzen Zwischenzeit war der Riesenvulkan mit größeren oder kleineren Pausen tätig. Der Asosan mit seinem Hauptkrater von 25 km Durchmesser übertrifft sogar die Riesenvulkane von Hawai. Er erhebt sich auf einer Basis von 60 bis 70 Durchmesser und bildet auf dieser einen un geheuren flachen, sehr sanft ansteigenden Kegel, der sich 800 bis 1000 m über die Ebene erhebt. Nach innen fällt der Kraterrand steil ab. und der Krater boden liegt im Durchschnitt 500 w hoch. Auf diesem Kraterboden erheben »ich einzelne Zentralkegel: der höchste darunter erreicht etwa 1600 m Höhe. Schon in Kumamoto, also aus 40 »<"> Entfernung, von wo aus der Vulkan für die Reisenden erreichbar ist, sieht man im Nordosten die Rauchsäulen des Asosan. Nähert man sich ihm, so durchwandert man Ebenen, in denen Reis gebaut wird, und gelangt, wenn man Toshita, einen kleinen Badeort am Fuße des Vulkans, erreicht hat. in ein landschaktlich schönes, außerordentlich merkwürdiges Gebiet, eine Hochmoor region mit schönen Wiesen und Mooren, die nach der Beichreibung einer deutschen Japanreisenden eine entfernte Aehnlichkeit mit den oberbayerischen Vor bergen hat. Unter dem fruchtbaren, blumenbedeckten Boden befindet sich aber eine richtige Hexenküche: von Zeit zu Zeit entdeckt man, daß brodelnder, mißsarbiger Schlamin den Boden bedeckt, man sieht heiße Quellen sprudeln und Dampfsäulen aus dem üppigen Walde auffteigen, und die Äambusrohrleitungen, durch die die Japaner heißes Wasser in ihre Wohnungen leiten, sind ihre Heißwasserleitungen; denn der Vul kan steht in ihren Diensten und liefert ihnen heißes Wasser zum Baden und zum Kochen. Die letzte Strecke vom Rande des Plateaus bis zum Fuße des letzten Kegels ist eine wilde Gebirgs landschaft, ein Labyrinth von engen Tälern und steilen Kämmen im Liliputanermaßstabe Japans, ein Gebiet, das keinen Wald mehr enthält und geolo gisch besonders anziehend ist, weil es die merkwür digsten Eruptivgesteine aufweist, in dem die ältesten Formationen und ganz junge Gebilde durcheinander gehen. Der Kegel des Nakadake (des Mittel gipfels) ist ein Wallfahrtsderg, auf dem ein Tempel steht; er hat unter den Zentralkegeln den kompli» ziertesten Bau. Er hat im Osten einen alten, nur zur Hälfte erhaltenen Kraterrand; der Durchmesser dieses Kraters mag früher 10, bis 2 km betragen haben. Die Tätigkeit dieses Kraters beschränkte sich in der letzten Zeit auf das Ausweisen von Steinen, Bimssteinen, Asche und Wasserdampf, sowie auf die Bildung von Schwefel an den Fumarolen. Man kann, wenn der Vulkan nicht lehaft tätig ist, bis an den qualmenden Schlund gehen, und sieht dann aus der trichterförmigen Oeff- nung weißgraue Wolken emporsteigen und hört nur ein dumpfes Fauchen im Inneren des Berges. Die ausströmenden Gase sind beinahe geruchlos. Bei dem Hauptlrater dagegen kann man nicht soweit an den Rand gehen; die Wände sind überhängend und bestehen aus bröckligem Gestein Die vulkanischen Erscheinungen machen einen unheimlichen Eindruck: „Der große Krater hat etwas T'-iüüches, Hinterhäl tiges, und obwohl hier nur spärliche Dämpfe empor teigen, ahnt man, daß hier der eigentliche Höllen- chlund ist, nur trügerisch bedeckt von graugelbem, ähem Schlamin, in den: Glasblasen aufsteigen, kleine Sachen voll brodelnder Eiftbrühen, grell gelber und grünlicher, orange und zinnoberroter krinallinischer Niederschläge. Die Dünste, die hier aufsteigen, sind so atemberaubend und abscheulich, daß man sich schnell abwenden muß. wenn gerade ein solcher Brodem von unten heraufgeweht wird." VII. Philharmonisches Konzert. Ein Abend, an dem Beethoven allein das Wort führte, viel Schönes geboten ward und man starke Eindrücke mit hinwegnahm. Dies dank Herrn Professor Hans Minderst eins liebevoller Auslegung der einzelnen Werke und deren so lobens werten Wiedergabe durch das Orchester, wie in folge der künstlerischen Darbietungen der So listen, die auf Grund ihrer Leistungen sich den wohlverdienten und herzlichen Beifall ihrer Zu hörer in reichem Maße zu erwerben wußten. In der Kammersängerin Frau Anna Kämpfert einen sich hohe Gesangs- und treffliche Vor tragskunst in selten anzutreffender Weise. Wie rhythmisch bestimmt und charakteristisch erfaßt erklang doch „Tie Trommel gerührt", wie tief empfunden und fein nachgefühlt „Freudvoll und leidvoll"! Und welch köstliche Probe ihres Kön nens legte die Künstlerin mit der gesangstechnisch so ausgezeichnet gelungenen Wiedergabe der Kon zertarie ,,^b pei-kiäo!" ab. Scharf akzentuiert und mit Leidenschaft wurden deren dramatische Stellen vermittelt, in den Kantilenen aber kam der Schmelz ihrer großen, wohlklingenden Stimme zu wirkungsvollster Geltung. Beet hovens schönstes Klavierkonzert, das in Es-Dur, fand in .Herrn Otto Wernreich einen recht tüchtigen - Interpreten. Die einzelnen Sätze erfuhren eine ihrem Charakter allermeist ent sprechende, teils kraftvoll energische, rhythmisch straffe, teils von zarter Empfindung getrage Wiedergabe, tvennschon an manchen Stellen noch nicht alle Geistesschätze dieser Mnsik zutage ge fördert wurden. Die saubere Ausführung des technischen Teiles aber, sowie die große Sorgfalt, die auf den schattierungsreichen, auch im Forte noch angenehm klingenden Anschlag verwandt tvard, verdient rückhaltlose Anerkennung. Nicht minder aber auch die eingangs gespielte, schwung voll und großzügig dargebotene Egmont-Ouver- tttre und die Ausführung der Eroica-Tinfvnie, jenes instrumentalen FreskogcmäldeS eines Hel den, der um die höchsten Güter kämpft. Wie in fast allen Schöpfungen Beethovens wird auch * Frau Jenny Wind», die bekannte Heroine, die Gemahlin des Leipziger Oberregisseurs Adolf Winds, wird, einer Einladung der Spielleitung Folge leistend, in der Oedipus-Aufführung Dienstag, den 10. Februar, in der A l b e r t h a l l e zum ersten Male in der Rolle der Iocaste vor das Leipziger Publikum treten. Karten bei P. Papst, Neumarkt 24. * Karl Rößlers „Rösselsvrung". Uraufführung im Schauspielhaus in München. Bei einem Lust spiel sind gewöhnlich die beiden ersten Akte gut und der dritte schlecht. Rönler hat es mal anders ver sucht und den ersten Akt überraschend schlecht, die beiden anderen mit gar nicht schlechten Ueber- raschungen verfertigt und ausaeschmückt. Schon Heraklit meinte, daß das Schicksal einem Brettsteine setzenden Kinde gleiche, und Rößler stimmt mit Heraklit in dieser Meinung durchaus überein, zumal da sie ihm den schönen Titel „Rösselsprung" ein bringt. Die Königin in diesem Schachspiel ist natürlich sehr reich, sehr schön, Wrtwe, Baronin und so gut, daß sie eigentlich allen gut ist, die ihr einen Heiratsantrag machen. Und das sind drei: Ein Künstler, der eingebildet und unsympathisch ist und zur Strafe dafür nur im ersten Akt auftreten darf, ein fahriger reizender Lebemann und ein sympathischer, etwas ironischer Bankier (leine Angst: der Bankier bekommt sie). Dazwischen aber liegt die kleine sentimentale Sehnsucht der Baronin, irgend etwas zu erleben. Zu diesem Zwecke und unter dem Vorwande, einen verlumpten alten Ver wandten ihres ersten Mannes aufzufischen und zu retten, fährt sie von zwei Bewerbern verfolgt nach Monte Tarlo, findet zuerst den Verwandten, dann einen galanten Abenteurer, den sie zurückweist und endlich einen jungen Mann, der sich wegen Geldmangels er schießen möchte. Diesem leiht sie Geld und während einer Mondjcheinstunde am Meer ihre Lippen (wo- rauf sie mit dem alten Verwandten nach Hause fährt . Der alte Verwandte kann sich natürlich nicht in das bürgerliche Leben hineinfinden und reißt — vom Publikum aufs fröhlichste beklatscht — nach Monte aus. Der jungen Witwe wird die Sehnsucht nach dem „Mann vom Meere" dadurch zerstört, daß sich der Lebensgerettete als Kellner ent puppt, und so springt die Königin nach diesen ver wirrenden Schach- und D-Zügen dein sympathischen und etwas ironischen Bankier in die Arme. Man siebt, außer Heraklit hat noch manch anderer mitge- arbeitet, aber es ist alles so sauber, so liebens würdig und so bühnenwirksam gemacht, daß man Herrn Rößler und der Direktion des Schauspielhauses ohne Bedrückung zu dem Erfolg gratulieren kann. Frl. Woiwode war als Baronin fast noch liebens würdiger als das Stück und sicherlich galt ein Teil des Beifalles ihr. Kolter von Uollnnäer, * Aus der Theaterchronik. Tolstois Drama „Verlebende Leichnam" wurde im Halle, schen Stadttheater trotz vorzüglicher Darstellung, um die sich namentlich der Regisseur Walter Sieg und der Träger der Hauptrolle Rudolf Rieth verdient gemacht haben, abgelehnt. * Der Deutschen Künstler-Kolonie Billa Romana in Florenz ist wiederum eine reiche Zuwendung zuteil geworden. Professor W. Ed. Biermann rn Leipzig stiftete für den Lesesaal der Villa zur freien Benutzung für die dort wohnenden Künstler eine um»angreiche Kunst-Bibliothek, die 92 Bände umfaßt. Diese Bibliothek, schön gebunden, ist fachmännisch zusammengestellt und gibt in den Monographien, Nachschlagewerken und Kunstgeschichten einen fast lückenlo en Ueberblick über die Kunst von der Renaissancezeit bis zur Gegenwart. * Erstanfsiihrnng in Paris. Aus Paris wird uns geschrieben: „Der Tanz vor dem Spiegel", eine Charakterkomödie von Francois de Curel, hatte im Ambigu einen literarischen Erfolg. — Curel, der ehedem ein verehrungsvolles Publikum hatte, lebt seit Jahren zurückgezogen auf seinem Be sitztum bei Ävricourt und hat sich nur mit Mühe bewegen lasten, wieder einmal aus seinem Versteck hervorzukommen. Obendrein brachte er nur ein neuaufgearbeitetes, aber auch sehr vollendetes Stück, „l'Amour brode", das vor 20 Jahren in der TomSdie Fran?aise gegeben wurde. Zwei krankhaft edle Menschen reiben sich auf im Kampfe, einander bis auf den Grund der Seele kennen zu lernen. Nögine, ein reiches junges Mädchen, liebt Paul BrSan, der "einen Selbstmoro versuch beging, weil er ruiniert ist. Um Paul auf die Probe zu stellen, erklärt ihm Rügine, sie ver spüre die Folgen eines Fehltritts — Paul scheint auger sich vor Schmerz, aber will Rügtne heiraten, um sie vor der Welt zu retten. Eine Freundin, die mit ihm im Komplott ist, enthüllt ihm, daß ihn die Geliebte nie hruterging; diese, die um jeden Preis willen will, ob er ein Held des Edelmuts und kein Genußmensch ist» der sie um ihres Geldes willen heiraten möchte, bestärkt ihn erneut in seinem Verdacht, daß sie nicht rein sei. Allein nach der Hpchzeit spielt auch er seine Komödie der Prüfungen, heuchelt den Lebemann, der endlich seine Beute in Händen hat; vor ihren entsetzten Vorwürfen, ihrem Streuben, sich zu geben, faßt er einen Ent- schluß, der ihr den höchsten und unumstößlichen Be weis seines Heldenwerts liefern muß: er tötet sich. Jbsensche Gestalten, ohne Jdsenschen Geist; dafür gallischer Esprit, raffinierte Deduktionen, die das Unbegreifliche beinahe begreiflich machen. Mme. Siinone, Mme. Mögard und Claude Earrick spielten die drei sehr schwierigen Rollen (Wgine, Freundin, Paul) mit hervorragender Kunst. 0. Da»>w. * Hermann Thimig vom Meininger Hof theater wurde von Professor Reinhardt für das Deutsche Theater in Berlin mit fünfjährigem Kontrakt engagiert. Der junge Künstler ist der Sohn Hugo Thimigs, des provisorischen Burgtheater direktors. hier der Gedanke des Kampfes und Sieges zum Ausdruck gebracht, wenn auch noch nicht in so ergreifender und starker Weise »vie in der „Fünf ten". Herr Professor Winderstein war durch gehends mit Erfolg auf eine äußerst plastische, dynamisch fein ausgearbeitete, innerlich belebte Wiedergabe der einzelnen Sätze bedacht, unter ließ es nicht, klangliche Gegensätze scharf neben einanderzustellen und große, sehr wirksame Steigerungen anzubringen. 6urr llermano. Klavierabend von SLndor Bas. Allmählich emp fangen die Programme doch eine andere Färbung, und eS wächst der Mut, in erhöhtem Maße auch der Lebenden zu gedenken. So spielte Herr Sändor Vas z. B. die ausnehmend interessanten Variationen mit anschließendem Jnterludium und Finale von Dukas ganz vortrefflich und vermochte es auch, sich völlig auf den impressio nistischen Ton der Fis-Dur-Sonate Scriabines einzustellen. Mag man über , diese sehr eigen artige Komposition nach Belieben urteilen oder das Liebesduo von E. Granados mit Recht für ein seichtes Salonstück halten — auf alle Fälle beweist schon das Bestreben, etwas anderes als das Gute und Alte einmal zur Diskussion zu stellen, Mut und aufmunternde Anerkennung. Diese Sachen, wie besonders auch das stim mungsreiche D-Dur-Präludium Rachmaninoffs spielte Herr Bas mit feiner Technik und starker Gefühlsäußerung, die sich auch in der geschmack vollen Wiedergabe von Liszts dritter Soirü de Vienne offenbarte und einige Unebenheiten in der Behandlung des Details wohl gern über sehen ließ. Nicht so glücklich sckstcn mir der Pianist Beethoven gegenüber zu sein. In der As-Dur-Sonate, besonders im ersten Moderato und der Fuge, erklang vieles vorläufig noch bloß eben gespielt, weniger jedoch zu seelischem und geistigem Eigentum geworden. L^esentlich höher stand im Verhältnis hierzu die Reproduk tion der Händelschen E-Dur-Suite, darin zwar ein ziemlich unvermutetes Rubato in der Cou rante den Hörer aufschreckte, die bekannten Black- smith-Variationen aber sodann in erhöhtem Maße in Sandor Vas' Auslegung des lebhaften Beifalls wert waren. Lugen Lognit-. Vas slrrdencke Dorf. 8s Roman von Ewald Gerhard Seeliger. (Nachdruck verböte».) Rüstiger schritt Karl Peukert aus und kam bald beim alten Hopfensack vorüber. Hinein ging er nicht, zum großen Aerger des Wirts, der ihm aus dem Fenster nachsah. Allein Karl Peukert hatte viel zu ernste Gedanken, um das zu bemerken. Er dachte an die beiden Toten, die er besuchen wollte, und schritt gesenkten Hauptes fürbaß. Neun Jahre schon ruhten sie in der Erde, und er schritt noch immer aufrecht einher. Wo stand der Grenzstein seines Lebens? Er erinnerte sich seines Vaters als eines raschen, strengen, etwas rechthaberischen Man nes. Karl Peukerts Liebe hatte mehr seiner Mutter gegolten, einer stillen, besonnenen, weit über ihren Lcbenskreis gebildeten Frau. Der Großvater war eben deswegen mit der Heirat seines Sohnes nicht ganz einverstanden gewesen und hatte sich grollend zurückgezogen. Und wegen des Andenkens an seine Mutter sträubte sich in Karl Peukert etwas gegen die geplante Verbindung mit Paula Griebj'ch. Er wußte zu genau, wie die Frauen aussahen, die nach dem Herzen des Großvaters waren. Erst als er am Eingang des Friedhofs an gelangt war, hob er den, Kopf. Der stille Platz, den eine dichte, verwilderte Weißdornbecke um hegte, senkte sich nach hinten zum Ufer des Baches, wo starke Erlenbüsche standen. Zwi schen grünen, alten, verfallenen und frischen, erdfarbenen Gräbern schritt er zur Familien gruft der PeukertS, die mit einem schmiede eisernen Kettenraun umfriedet war. Er trat herzu, las die Inschriften, tat seinen Hut her unter und sprach em stilles Gebet. Erne tiefe Wehmut überkam ihn, stärker senkte er den Nacken wie unter einer schweren Last, so daß der Glanz der steigenden Morgensonne auf sei nem hellblonden Scheitel lag. Dann ging er. ohne die Augen zu erheben, langsam um die Ruhestätte seiner Toten, entfernte hier und da einen Grashalm, bog ein paar Rosenranken zu recht, setzte den Hut wieder auf und trat auf den Hauptweg zurück. In großen, frischgrünen Stufen stieg auf der andern Seite des Baches das weite Vor holz des Stadtwaldes zum Hochbestand der Eichen und Buchen hinan. " Mitten im Ausgang stockte plötzlich sein Fuß. Ein städtisch gekleidetes Mädchen trat ihm un befangen entgegen. Sie trug eine Ranke von Nosenknospen um ihren breitrandigen Sommer hut und schlug ihre samtschwarzen Augen bit tend zu ihm auf. Sie war wohl eiuen ganzen Kopf kleiner als er. Ihre schlanke, zierliche Ge stalt wurde von einem engen, duftig gelben Gewand umhüllt, ihre kleinen Füße staken in glänzenden hellbraunen Schuhen. In der Hand trug sie einen halboffenen, weißen Sonnen schirm. „Bitte, mein Herr," sagte sie ganz munter und lächelte dabei, „entschuldigen Sie meine Hilflosigkeit. Ich möchte zur Försterei und kann den Weg nicht finden. Sie sind gewiß hier in der Gegend bekannt. Der Oberförster Seipel ist mein Onkel, und ich hatte die Absicht, ihn mit meinem Besuch zu überraschen. Aber ich finde mich nicht zurecht. In der Geographie war ich immer etwa- schivach." „So, so!" erwiderte Karl Peukert, und sein Interesse an dem jungen Mädchen, das so frank und frei einen fremden Mann anzusprechen wagte, wuchs zusehends. „Also zum Oberförster wollen Sie?" „Sie kennen ihn?" fiel sie ihm beglückt ins Wort. „Wer wird den nicht kennen?" lächelte Karl Peukert und trat auf die Mitte des Fahrdammes, wohin sie ihm dicht an seiner Seite folgte, ohne dazu aufgesordert zu werden. „Nach der Beschreibung," fuhr sie fort, „die man mir in der Stadt gemacht hat, kann ich mich nicht zurechtfinden. Und gar zu tief in den Wald hinein möchte ich mich auch nicht wagen." Dabei schlug sie wieder ihre offenen Augen zu ihm auf. Karl Peukert wurde es tvarm ums Herz, an Paula Griebsch dachte er längst nicht mehr. „Ich werde Sie ein Stück auf den Weg bringen!" sagte er schlicht und setzte den Stock an. „O, das wäre ja reizend!" jubelte sie, und schon schritt sie wacker aus, um an seiner Seite zu bleiben. Für die Unterhaltung brauchte er nicht zu sorgen. Sie gab sich ganz ungekünstelt, wie sie war, fragte nach allein möglichen und lachte dazwischen wie ein glückliches Kind. „O, entschuldigen Sie!" rief sie plötzlich, als käme sie zur Besinnung, und schlug sich mit der flachen Hand ganz leicht auf den roten, blühenden Mund. „Am vielen Lachen erkennt ma» die Närrin. Aber dieser Wald ist so schön, um^Mscrdeswegs närrisch zu werden. Und mei- nen^Onkel soll ich Wiedersehen, diesen alten Bärbeiß, in den ich schon mit drei Jahren ver liebt ivar. Sie sollen einmal sehen, wie der sich freut, »venn er mich wiedersieht. Und erst die gute Tante!" „Das kann ich mir denken!" schmunzelte Karl Peukert in sich hinein und machte den schüch ternen Versuch, sich an deS Oberförsters Stelle zu versetzen. Er war gar nicht abgeneigt, die günstige Gelegenheit zu benützen und dem Förster einen Besuch zu machen. Aber er besann sich doch eines anderen und blieb stehen, als der hohe geweihgeschmückte Giebel des Forsthauses durch die Tannenwipfel grüßte. „O, nein. Sie müsfcn mit!" rief sie energisch. Da ging er denn mit ihr bis ans Tor und stieß es auf. Sie konnten nun den weiten Hof der Försterei übersehen. In der Mitte stand der Oberförster Seipel und klopfte mit der Hunde peitsche einem braunen, krummbeinigen Tackel den Staub sehr derb aus dem Fell. Das ging nicht ohne Heulen und Gewinsel ab. Wie ein Pfeil schoß die Nichte auf ihren Onkel zu, ent riß ihm die Peitsche und fuchtelte ihm damit ganz respcktwidrig vor dem struppigen grau melierten Schnurrbart herum. „Margarete!" schrie er, umfaßte sie mit sei nen mächtigen Armen und drückte sie an seine breite Brust. Karl Peukert trat langsam näher. „Bitte, stelle mich dem Herrn vor!" flüsterte sie dem Onkel zu. „Er war so freundlich, mich hierher zu bringen. Ich hätte mich sonst ver laufen." Kaum hatte der Oberförster Karl Peukert erkannt, brach er in ein lautes Gelächter aus. Als Nachbarn waren sie gute Bekannte. „Mädel!" rief er, indem er dem unerwar teten Gaste die Hand drückte. „Ausgerechnet den reichsten Bauern aus Gramkau gabelst du dir auf. Alle Achtung, du hast eine großartige Witterung. Und unverheiratet ist er auch." „Pfui!" rief sie empört und wurde rot. „Du hättest mit deiner ersten Taktlosigkeit wenigstens bis zum Frühstück warte« können." Dann nickte sie Karl Peukert dankend zu und verschtvand im Hause, wo sie vor» der Tante zärtlich begrüßt wurde. „Das ist mir eine!" lachte der Förster ver gnügt hinter ihr drei«. „Eine Schulmeistert« ist sie geworden. Hat der Mensch Worte? Wür den Sie Ihre Kni der z» der tu die Schule schicken?" „Warum nicht!" erwiderte Kari Peukert. „Wenn ich welche hätte." „Kommt alles noch!" tröstete ihn der Förster und packte ihn am Arm. „Und jedt gehen Sie mit hinein. Mein Waldmann steht schon vor der Berandatreppe. Rute aufrecht. Das Signal, daß der Tisch gedeckt wird. Len Weichquark wollte er allein auffressen, daher die Prügel." (Fortsetzung in der Abendausgabe.)
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