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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.01.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191401254
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140125
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140125
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- ab Img 37 römische Zählung, fehlerhafte Bindung, Seiten vertauscht
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-01
- Tag 1914-01-25
-
Monat
1914-01
-
Jahr
1914
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zuverlässigen Anhalt für die Berechnung des Wehrbeitragcs bietet. Etwas anders steht eS nrit der Berechnung des Wehrbeitrages vom Vermögen. Hier bietet die sächsische Ergänzungssteuer, die das Kapitalvernwgcn, das Anlage- und Betriebs kapital sowie etwaige Kohlenbergbaurechte trisft, eine verhältnismäßig brauchbare Unterlage. Da bei ist allerdings der Umstand zu beachten, daß sich beim Mehrbetrag die bcitragsfreie Ver mögensgrenze erhöht bei einem Einkommen bis zu 2000 Mark auf 50000 Mark und bet einem Einkommen von über 2000 Mark bis 4000 Mark auf 30 000 Mark. Wir tv-vllen das außer aä>t lassen und haben versucht, auf Grund der Ein schätzung von 1912 für die ergänzungssteuerslich- tigen Vernrögen von 12000 Mark ab eine un gefähre Uebersicht darüber zu gewinnen, wie yoch der Wehrbeitrag für die s e "Vermögen sich beziffern würde. Das Ergebnis ist folgendes: Vermög««»- Bkitrags- klaffen pflichtige 12— 30 000 74 047 30- 50 000 „ 24 471 50-100 000 .. 20539 100—200 000 10350 200- 500000 „ 6122 1 Million 1772 1— 2 Millionen 645 2— 5 Millionen 230 5-10 Millionen 34 über 10 Millionen 4 Weflrbcitraa Ergänzungssteuer- pflichtiges Vermögen 1423 185 000^ 2135 000.6 963 143 000 „ 1440325 000 1450 102000 1874 070 000 1213 690 000 „ 876 230 000 „ 698 290000 „ 230 419 100 „ 63 820000 1 444 000 „ 2978 000 „ 4 657 000 „ 8 877'M 6980 000 .. 7 063 000 „ 7316 000 ,, 2773 000 „ 864 000 „ Zusammen: 45 087 000.6 Allgemein überraschen ivird die Höhe dieser Ziffer. Und doch gibt sie noch lange nicht den wirklichen Ertrag, zunächst haben wir uns , beschränkt auf die physischen Personen und haben die nichtphysischen Personen (Gesell schaften usw.) weggelassen. Aber da deren Ver mögen sich zu dem der physischen Personen wie 1 zu 40 verhält, so wird dadurch eine besonders ins Gewicht fallende Erhöhung nicht hecbcigc- führt. Anders steht es mit dem Vermögen an Grundbesitz. Dieses ist in der Aufstellung nicht enthalten, da cs der Ergünzungsstenec nicht unterworfen ist. Wohl aber wird es zum Wehrbeitrag herangezogcn. Da das schul denfreie Vermögen an Grundbesitz in Sachsen auf etwa 3 Mlliarden Mark zu veranschlagen ist, so muß man die Summe von 45 Millionen Mark um mindestens den dritten Teil, also 15 Millionen Mark, erhöhen. Rechnet man dazu uoch die nichtphysischcn Personen, so gelangt mau zu dem Ergebnis, daß der Wchrbertrag vom Vermögen in Sachsen über 60 Millionen bringen wird. Wir haben schon gesagt, daß der hohe Er trag allgemeines Erstaunen Hervorrufen wird. Trotzdem ist sein Ergebnis ein sehr einfaches Rechencxcmpel. Schon in der unterstcn blasse ist der Wehrbeitrag dreimal lv hoch als die Ergänzungssteuer. Bei 12000 Mk. Vermö gen wird nämlich eine Ergänzungssteuer von 6 Mark, aber ein Wehrbeitrag von 18 Mark ent richtet. Und so geht das ansteigend weiter, bis in Len höchsten Steuerklassen der Wehrbeitrag 28 mal so groß als die Ergänzungssteuer ist. Wenn der Wehrbeitrag gegenüber der Ergün- zungssteucr den zehnfachen Ertrag bringt, so ist das also nur ganz natürlich. Und dabei ist völlig außer Betracht gelassen worden alles das, was der sog. G e n c r a l pa r d o n noch an Ver - mögen ans Tageslicht fördern wird. Es dürfte die Leser nun interessieren, wenn wir ihnen etwas über die höchsten Wehr beiträge mitteilen. Das kann allerdings nur geschehen, soweit Anlage- und Betriebskapital wie Kapitalvermögen in Betracht kommen. Für diese zahlt der H ö ch st b c st e u c r t c bei einem Vermögen von 26 661000 Mark einen Wehr beitrag von 377 000 Mark, während er zur Er- gänzungsstcucr nur mit 13330 Mark heran gezogen" wird. Dann würden Wehrbciträgc von 168900 Mark, 163100 Mark und 156 650 Mark folgen. Weitere Wehrbciträgc von über 100000 Mark gebe cS noch 8, aber die hier angegebenen Beiträge dürften sich nach .Hinzutritt des Ver mögens an Grundstücken sämtlich noch er höhe n. Hinsichtlich des Wchrbeitrages vom Ein kommen haben wir schon gesagt, daß er sich in keiner Weise auch nur annähernd beziffern läßt, weil vom festgestellten Einkommen 5 Proz. des abgabepflichtigen Vermögens abgezogen wer den. So toird ein Rentner, der 250000 Mark besitzt und zu 4 Prozent angelegt, also ein Einkommen von 10000 Mark hat, für daS letztere überhaupt keinen Wehrbeitrag entrichten, denn der Abzug (12 500 Mark) ist höher als sein Einkommen. Würde dieser im Gesetz vor gesehene Abzug nicht bestehen, so würde der Wehrbeitrag vom Einkommen in Sachsen von den physischen Personen rund 22 Millionen be tragen. In Wirklichkeit dürfte er aber nicht viel mehr als die Hälfte ergeben. So kämen wir schon auf annähernd 75 Mil lionen Mark Wehrbeitrag aus Sachsen. Aber es ist wahrscheinlich, daß auch diese Summe nicht reichen wird. Es gibt sogar Schätzungen, die auf 100 Millionen gehen. Dä sich der Wehr beitrag auf drei Jahre verteilt, so würde daS für das Land eine jährliche Belastung von über 33 Millionen bringen. Wir halten das für zu hoch gegriffen. Immerhin: Unmög lich ist nichts. politische Ueberljchl Lanütagsnachrlchtea. (Eigener Drahtbericht unserer Dresdner Redaktion.) p. Dresden, 24. Januar. Im Landtag ist heute abend das 11. Verzeich- n i s der bei der Beschwerde- uns Petitionsdeputation der Zweiten Kammer eingegangenen Petitionen ausgegeben worden. Aus Leipzig befinden sich darin folgende Petitionen: Der Rat und die Stadtverordneten zu Leipzig haben eine Petition etngereicht betr. Verlegung der Tierärztlichen Hoch schule nach Leipzig. Die Petition ist an die Finanzdeputation .4. abgegeben worden. An dieselbe Deputation ist abgegeben worden eine Petition des Berbandes unterer Justizbureaubeamten im Königreich Sachsen mit dem Sitz in Leipzig. Sie petitionieren um Einreihung der Zustizschrerber in eine höhere Besoldungsgruppe und Anrechnung von Wartezeit. Der Eemeinderat zu Paunsdorf und der Gemeinnützige Verein zu Paunsdorf bitten um Gewährung des Wohnungsgeldzuschusses an die in Paunsdorf wohnenden Eisenbahnbeamten nach Orts klasse 2. Beide Petitionen sind von der Deputation zur eigenen Vorbereitung zurückbehalten worden, und endlich der Verein zur Erhaltung des „Lohengrin- hauses" ist Graupa mit dem Sitz in Leipzig hat eine Anschlußpetition eingereicht an die Petition des Ee- meinderats zu Nroßgraupa und Genossen wegen Her stellung einer Straßenbahn von Pillnitz über Graupa, Copitz nach Pirna aus Staatsmitteln. Diese Peti tion ist an die Finanzdeputation v abgegeben worden. ver Kronprinz un- -ie presse. Zum ersten Male werden die Vertreter der Presse in Berlin auf ihrer glänzendsten Fest lichkeit, dem Prcsseball, den Erben des Kaiser- thrvns als ihren vornehmsten Gast unter sich begrüßen dürfen. War schon von jeher das Ball fest der Berliner Journalisten einer der Glanz punkte des gesellschaftlichen Lebens der Reichs hauptstadt, zu dem die Spitzen der künstlerischen, wissenschaftlichen, diplomatischen Welt und der Regierung zu ersck-einen nie verfehlten, so er hält in diesem Jahre der Presseball entschieden eine eigene Note noch durch die Zusage des deutschen Kronprinzen. Ist es schon ein eigenes Bild, den Thronfolger mit aller Ungezwungen heit sich unter den Vertretern der Presse, die sich mit ihm und seiner Persönlichkeit oft und nicht immer in zustimmender Weise beruflich zu be fassen haben, bewegen zu sehen, so zeugt die Annahme der Einladung ebensosehr von einer schönen Vorurteilslosigkeit wie von dem In teresse, daß der Kronprinz der Institution der Presse als solcher entgegenbringt. Da der Thron folger Gelegenheit nehmen wird, sich am Abend des Festes mit den Vertretern der verschiedensten Richtungen zu unterhalten, darf man sich aus dieser intimeren Fühlungnahme des Kronprinzen mit der Presse entschieden nur Ersprießliches versprechen. ES darf weiterhin auch nicht wundcrnehmen, daß der Thronfolger an allem, was mit den Zeitungen, ihren Betrieben und mit dem Problem der öffentlichen Meinung im Zusammenhang steht, den regsten Anteil nimmt. Wie wir aus bester Quelle versichern können, l>at der Kronprinz erst kürzlich den Wnnsch ge äußert, einmal einen der bekannten Berliner Zeitungs-Großbetriebe in allen seinen Teilen kennen zu lernen und wird demnächst einer der bekannten Berliner Zeitungsfirmen einen Besuch abstatten. Nach der Absicht des Thronfolgers soll dieser Besuch ihn vor allem in den redak tionellen Betrieb einer Zeitung cinführen, da neben wünscht er aber Einblick zu gewinnen in den Betrieb der Riesendruckereien, der Expedi tion usw. Diese erfreuliche Art des Thrönfvl- acrs, fich mit den modernen Problemen des staatlichen Lebens auseinanderzusctzen, die ihn die Bedeutung und den Einfluß der öffentlichen Meinung gebührend einzuschätzen lehrt, wird sicherlich in weiten Kreisen des Volkes nur mit Shmpathie begrüßt werden können. Der natlonalttberale Antrag zur Aaberner Sache. Der gestern im Reichstag mit allen Stimmen gegen die Konservativen angenommene Antrag der Nationalliberalen wird in einem Teil der Presse un richtig bewertet. Sinn und Zweck sind aber klar aus gesprochen: Der Reichstag ersucht den Reichskanzler. Las Ergebnis der angekündtpten Nachprüfung der Dienstvorschriften über den Waffengebrauch dem Reichstage baldigst mitzuteilen. Hiernach soll also dieses Ergebnis abgewartet werden, und man nimmt an, daß es in etwa zwei Wochen vorlieaen wird. Ein Verzicht auf eine Aenderung der Dienstvor schriften gilt für ausgeschlossen. Die Fraktion ver sprach sich unter diesen Umständen von einer Kom- m'.ssionsberatung der verschiedenen Anträge keinen großen praktischen Wert. Die Begründung zu der Stellungnahme seiner Fraktion durch den Äbg Baisermann ist in dtm Wolfschen Bericht sehr ungenau wiedergegeben. Er führte folgendes aus: Nachdem der Reichskanzler im allgemeinen be- friedigende Erklärungen abgegeben hat und die Nachprüfung der Dienstvorschriften zugesichert ist, haben wir das Vertrauen, daß das Ergebnis baldigst dem Reichstag bekanntaegeden wird. Von einer Kommissionsberatung der Anträge versprechen wir uns unter diesen Umständen keinen großen praktischen Wert. Was die Rechtslage an geht, so hat der Reichskanzler anerkannt, daß ein Einschreiten des Militärs nur auf Requisition erfolgen darf. Ausnahmefälle sind immer denkbar; es kann vorkommen, daß die ZioilbehLrde gar nicht in der Lage ist, das Militär aufzufordern. Auch der freisinnige Geietzentwurf sieht übrigens solche Ausnahmefälle vor. — Redner bittet die Anträge der Nationalliberalen und des Zentrums möglichst einmütig anzunehmen. Ein halbamtliches Urteil über -ie letzte Aabern-ebatte. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" vom 24. Januar schreibt: In der gestrigen Jnterpcllationsdebatte sind die durch die Zaberner Vorgänge aufgeworfenen Rechtsfragen in den Mittelpunkt gerückt und von den verschiedensten Seiten im wesent lichen kühl und nüchtern erörtert worden. Der Abg. v. Liszt bewegte sich fast bis zum Schluß seiner Begründung der fortschrittlichen Interpellation auf dem Gebiet juristischer De duktionen, und der Reichskanzler folgte ihm in seiner Antwort sofort und eingehend auf dieses Gebiet. Er entwickelte übersichtlich die Lage, wie sie sich aus Verfassung, Gesetz und allgemeinen Nechtsgrundsätzen ergibt. Ver as s u n g s m ä ß i g es Recht ist der Grund- atz, daß das Militär regelmäßig erst auf Er- uchen der Zivilbehörde einschreitet. Daß es von diesem Grundsatz Ausnahmen gibt, ist an erkannt. Außer den allgemein geregelten Fällen der Selbsthilfe und Selbstverteidigung, des Kriegs- und Belagerungszustandes kommt das selbständige Eingreifen des Militärs zur Siche rung seiner staatshoheitlichen Funktionen in Betracht, und fveiter, wenn die Zivilbehörde überwältigt oder aus anderen Gründen außer stande gesetzt ist, die Requisition zu veranlassen. Insoweit besteht kein Zweifel und ist auch die Rechtsgültigkeit der in den Dienstvorschriften verwerteten Kabinettsorder von 1820 nicht an zufechten. Strittig dagegen ist die Frage, ob es mit Verfassung, Gesetz und allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Einklang ist, wenn die Dienstvorschrift von 1899 mit den Worten der Kabincttsorder von 1820 bestimmt, daß das Militär auch ohne Requisition ein schreiten darf, wenn die Zivilbehörde mit der Aufforderung um militärischen Beistand zu lange zögert, indem ihre Kraft nicht mehr zureicht, die Ruhe herzustellen. Hier sind Zweifel und Mißverständnisse möglich, und deshalb ist eine Prüfung angeordnet worden, ob die Dienstanweisung von 1899 bei der Verwertung der Kabinettsorder für das re quisitionslose Einschreiten des Militärs die maßgebenden Rechtsgrundsätze klar und zweifels frei widergibt. Dies ist der Kern der recht lichen Ausführungen des Reichskanzlers. Es ist demnach nicht verständlich, daß in einem Teil der Presse klare Darlegungen grundsätzlicher Art vermißt werden. Zum Teil scheint dies darin seine Erklärung zu finden, daß einige Parlamentsberichte die Kanzlerrede irrtümlich mit dem Satz beginnen lassen, er werde seinem Vorredner, dem Be gründer der fortschrittlichen Interpellation, in seinen juristisckien Ausführungen nicht folgen. Daß die juristischen Betrachtungen bei den bürgerlichen Parteien, auch solchen, die an dem Mißbilligungsvotum vom Dezember teil genommen haben, als zutreffend anerkannt worden sind, ergibt sich sowohl aus den Aeuße- rungen des Abgeordneten Fehrenbach wie denen das Abgeordneten Bassermann. Von der Sozialdemokratie war nichts an deres als Brandreden zu erwarten. Der Unterschied zu den Dezemberdebatten trat aber in der Haltung klar zutage, die von den bürgerlick-en Parteien gegenüber dieser Rede eingenommen wurde. Sie zogen zwischen sich und der Sozialdemokratie einen deutlichen Strich. Im „Vorwärts" erhielten sie dafür heute morgen eine höhnische Quittung, die wohl keinen Zweifel darüber läßt, daß die Sozialdemokratie ihren Ansturm gegen die Armee diesmal selber als ge scheitert erkennt. Deutsche» Reich. * Zur Verständigung zwischen den liberalen Par teien in Sachsen. Gewisse Zeitungen, die es nicht verschmerzen können, daß ihre Sehnsucht nach einem konservativ-nationalliberalen Kartell für die nächsten Landtagswahlen unberücksichtigt bleibt, letzen jetzt alle Mittel in Bewegung, um wenigstens recht kräftig Verwirrung zu stiften. So wird geflissentlich die Behauptung aufgestellt, daß mit der parteioffiziellen Absage der „Sächs. Natl. Korr." an die Konservativen die nationalliberale Land tags fr aktion wohl kaum einverstanden sei. Soviel wir unterrichtet find, hat die Fraktion zu dieser Angelegenheit überhaupt noch nicht Stellung nehmen können, da sie erst am kommenden Mittwoch wieder zusammentritt. Das Eine kann aber schon jetzt gesagt werden: Es spricht nicht das ge ringste Anzeichen dafür, daß die national- lib rale Landtagsfraktion einen von der Stellung des nationalliberalen Landesvereins abweichen« den Standpunkt einnehmen wird. Daß der Natio nalliberale Landesverein mit Nachdruck für ein gemeinschaftliches Vorgehen der beiden liberalen Parteien eintritt, darüber haben ja die jüngsten Auslassungen der „Sächs. Natl. Korr." keinen Zweifel gelassen. * Aus dem 21. Neichstayswahlkreis Annaber g— Eibenstock wird uns geschrieben: Da auch hier die Geschäfte der Sozialdemokratie schlecht gehen, so legt sie sich wieder einmal aufs Verleumden ihrer Gegner. Der jetzt über 1000 Mitglieder zählende Flotten- verein ist ihr schon längst ein Dorn im Auge Jetzt sind eine größere Anzahl von Vortrags- und Lichtbilderabcnden von diesem Verein veranstaltet wie soll eine moderne Irren-1 anstatt beschaffen sein! Von Dr. Georg Lomer, Oberarzt der Landesirrcnanstalt Strclitz. Eine ausreichend organisierte Zrrcnpflege gibt cs bei uns erst seit gut vier Jahrzehnten, d. h. seit dem Zeitpunkte, wo die kommunalen Körperschaften dieses wichtige Gebiet in üie Hand nahmen. Diese vier Jahrzehnte sind eine Periode ernsten Ringens und Mühens gewesen, eine Periooe des Versuchens und Tastens auf mancherlei Nculano, die noch keineswegs ihren Abschluß gefunden hat. Immerhin liegen be reits heute eine Reihe wesentlicher Grundzüge fest, haben fich gewiße Gruppen von Erfahrungen kristalli siert, auf die — als auf festen Besitz unserer Erkennt nis — die künftige Praxis wird zurückgreifen müßen: Wie soll eine moderne Irrenanstalt beschaffen sein? Zunächst die Lage. Mit bemerkenswerter Kon sequenz hat man lange Zeit den Fehler begangen, die Anstalten in die Einsamkeit zu legen. Dieliach waren dabei nebensächliche Gründe, die eigentlich nicht zur Sache gehörten, maßaebend. Man wollte kleine Städte wirtschaftlich heben, nahm den billigsten Grund und Boden, berücksichtigte das entgegenkommendste Angebot strebsamer Stavtvätcr. Die meisten unserer Staatsanstaltcn liegen darum noch heute abseits der Heerstraßen, der guten Bahnlinien. Za, oft noch ein gutes Stück von den Ortsä>aften entfernt, die den wirtschaftlichen Nutzen haben. Das hat mehrfache Nachteile gezeitigt. Die Ansicht, daß geisteskranke Menschen um so besser ausgehoben seien, ie weiter sie bewohnten Stätten entrückt sind, hat sich — wenigstens in den meisten Fällen — als hartherziges Vorurteil erwiesen. Ze schwieriger der Kranke erreichbar ist, um so schneller erlischt nach irrenärztlicher Erfahrung das — oft schon an sich recht schwache — Zntereßc der Angehörigen an seinem Wohl und Wehe. Die Be suche hören auf. Der Briefverkehr schläft ein. Schließ lich ist der Isolierte ebenso gründlich vergeßen, als sei er schon wirklich gestorben. Auch die wirtschaftliche Versorgung solcher An stalten ist erschwert. Nicht zuletzt aber kommen Rück sichten auf da» Anstaltspersonal in Frage. Man rechn«: auf eine Anstalt von nur 200 Betten kommen etwa 40 Köpfe Pflegepersonal, dazu Küche und Waschküche, sowie oft noch Landwirtschaft und Werk- stättrnbetrieo. Alle» in allem sicher 50 bi» 55 Seelen, wozu am Ende noch die Aerzte und Derwaltungs- bcamten kommen. Alle dies Leute, also normale ge sunde Menschen, find in der Einsamkeit Tag für Tag auf den mehr oder weniger nahen Umgang.mil geistig Defekten angewiesen. Dieser Umgang aber muß auf die Dauer abfärbcn. sofern nicht Gegcngqwichte durch anderweitigen Verkehr. Lurch städtische Anregungen usw. geschaffen sind. Wie groß diese Gefahr, weiß ich aus eigener jahrelanger Beobachtung. Zch zweifle nicht, daß durch das dauernde Anftaltsdebcn — beim Fehlen normaler Umgangsreize — ein fruchtbarer Boden für Wuirdcrlichkeiten und nervöse Züge mannigfacher Art geschaffen wird. Dvß die meisten Psychiater selbst dies oestreiten, ändert nichts an der Sache. Selbsterkenntnis ist hier eine doppelt schwere Kunst. Will man diesen nicht unbeträchtlichen Mißständen begegnen, so sind bei Anstaltsneubauten mittlere Srädte mehr als bisher zu berück sichtigen. Manche Behörden, wie z. B. die Provinz Hannover, sind da bereits mit gutem Beispiel voran gegangen, indem sie ihre Anstalton an schöne und reizvolle Mittelstädte angliedcrten, wie Lüneburg, Hildesheim, Osnabrück, die nicht nur den Kranken das Gefühl der Lebensgemeinschaft mit der Welt be laßen, sondern auch den Gesunden, die sie pflegen und betreuen, die nötigen Gegengewichte bieten. Sodann ein Wort über die Größe der Anstal ten. Lange schwankte die Wage der psychiatrischen öffentlichen Meinung zwischen den kleineren Anstalts organismen, die 500 Betten nicht überschreiten, und den Riesenanstalten von 1500 und 2000 Betten. Gibt es doch einig« Wasserköpfe, die über das dritte Tausend hinausgewachsen sind, wie z. B. die Wiener Anstalt „am Steinhof" oder die Bodelschwinah chcn Gründungen in Bethel-Bielefeld. Man schrieb diesen Koloßalanstalten vor allem eine größere wirtschaftliche Rentabilität zu und wollte nicht einsehen, daß die Nachteile weit schwerer wiegßen: Unübersichtlichkeit, die Notwendigkeit weitgehender Dezentralisierung, verschwenderische Wirtschaft im einzelnen. Heute weiß man also, daß es mit Ler wirtschaftlichen Ren- tabilitär nichts ist Und chuch die besseren, wissen schaftlichen Hilfsmittel, dck reicheren Laboratorien und Bibliotheken der grafen Anstalten haben viel fach nicht die Erwartungen 'erfüllt. Weit mchr wert volle Arbeiten gingen au» den kleineren Anstalten und Universitätskliniken hervor. Der Arzt einer Rieseuanstalt hat entschiedlen« Neigung, zum Berwal- tungschematiker zu weroeiy. der den Kopf mit Derwal- tungskleinkram voll hat und der akademischen Muse wenig grün ist. Das Höchstmaß, nach dem künftig eine Anstalt bemeßen sein sollte, sind etwa 1000 Betten. Da mit bleiben alle Vorteile auf das bestmögliche ge wahrt. 1000 Betten sind das praktisch erprobte Optimum. An die Spitze einer Irrenanstalt gehört selbst verständlich ein ärztlich gebildeter Direktor, also ein psychiatrischer Fachmann. Ueberall, wo es anders ist, wo etwa — wie in Bethel — die Anstaltslcitung in geistlichen Händen liegt, oder wo — wie z. B. in England — das Laienelement in der Anstaltsverwal tung allzuviel Sitz und Stimme hat, hat die Durch führung rein ärztlicher Grundsätze gelitten. Man darf nicht vergeßen, daß die Geisteskranken früher — die Zeit liegt erst Jahrzehnte zurück —, in Gemein schaft mit Zuchthäuslern untergebracht wurden, ja, daß die letzteren vielfach, der Billigkeit wegen, zu Wärtern der armen Irren gemacht wurden. Damals war die Aufficht über die Zrren in der Hand der Laien. Erst den Aerzten war es vorbehalten, hier eine Besserung im Sinne der Humanität zu schaffen. Soll man ihr Wirken jetzt wieder einschränken? Und warum? Das alte theologische Vorurteil, daß die geistige Erkrankung die Folge einer Verschuldung, einer Versündigung des Betreffenden sei, hat früher genug Unheil gestiftet. Wirksame Hilfe ist von diesem Stanl-punkte aus nicht zu erwarten. Was wir brauchen, was wir gerade in der Jrrenpflege be sonders dringend brauchen, das ist die Vorurteils losigkeit des Wissenschaftlers, welche einfach nach gesetzmäßiger Ursache und Wirkung urteilt und hier nach ihre Maßregeln trifft. Also keinen Rückfall in die Tage der abgewirtschafteten Laien-Psychiatrie! Ein« Irrenanstalt unseres Zeitalters ist ein Krankenhaus wie jedes andere. Nur mit gewißen, unumgänglichen Sicherheitsvorrichtungen, welche die besondere Art ihrer Insassen erfordert. Da sind Aufnahmestationen für ruhige und unruhige Kranke, da sind Abteilungen für „Halbruhige", da sind Siechenhäuscr, welche die Allcrgebrechlichsten bergen. Zn manchen Anstalten auch eine Sonderstation für Kriminelle. Ueberall Licht, Luft und grüne Gärten um die sauberen Pavillons. Ueberall freies Atmen und behaglicher Frieden. Zn Werkstätten arbeiten sie unter sachverständiger Leitung als Schuster, Schneider, Tischler, Maler, ja Weber und Tapezierer. Zn der Landwirtschaft schassen sie ihr redliches Tage werk, viele Anstalten besitzen richtige ausgedehnte Gutshöfe, oft von vielen hundert Morgen. Bon Zeit zu Zeit gibt es gesellige Veranstaltungen. Kaisers Geburtstag, Erntefest, Weihnachten wird in großem Rahmen gefeiert. Tanz und Maskenball fehlt nicht. Zch habe es erlebt daß die Kaisers- Geburtstagsfestrede in einer großen Anstalt des Ostens regelmäßig von einem Kranken gehalten wurde. Sie fand regsten Beifall. Aber Zwangsjacke und Eummizelle?! höre ich fragen. Was geschieht mit den Leuten, wenn sie toben und ungeberdig werden? — Mit Verlaub: nichts derlei. Zwangsjacken existieren heute nur noch in psychiatrischen Raritätenkabinetten, Gummi zellen habe ich selber in elfjähriger Anstaltspraxie noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Ge wiß wir haben parkettierte Jsolierräume, welche ge legentlich einmal einen gar zu gefährlichen Kranken aufnehmen. Zm übrigen kommen wir mit Bett behandlung, Dauerbädern, feuchten Packungen und Bcruhigungsmitteln völlig aus. Und damit stehen wir bei dem Thema: Behandlung der Geistes krankheiten. Daß die Arbeitsbehandlung in unseren Anstalten eine große Rolle spielt, wurde bereits angedeutet. Regelmäßige Beschäftigung, die dem Kranken zusagt, ist ein gar nicht zu entbehrender Heilfaktor. Daneben gibt es eine ganze Reihe einzelner Heil verfahren bet Leiden wie Epilepsie, Paralyse, Melan cholie. Von einer eigentlichen speziellen Therapie geistiger Krankheiten, das muß ehrlich gesagt sein, ynd wir aber heute noch recht weit entfernt. Freilich, Ansätze sind vorhanden. So scheint es, als ob von der jungen serologischen Wissenschaft ein wirklicher Aufschwung der praktischen Jrrenheiltunde in näherer oder fernerer Zeit erwartet werden darf. Was uns fehlt, das sind aber besondere Spe zialinstitute, die ausschließlich Forschung», zwecken in dieser Richtung dienen sollen. Die großen Anstalten sind mit Verwaltungstätigkeit, die Kliniken mit Gutachter- und Lehrtätigkeit derart überlastet, daß sie sich nur beschränkt dem Forschungsideal widmen können. Hier müßte der Staat durch groß-, zügige Neuschaffungen in ähnlicher Weise eipspringev/ wie er durch Bildung der Kaiser-Wilhelms-Eesel/- schaft bereits anderen Forschungsfachern gedient h-/t. Ein Institut für psychiatrische Therapie, dem «ine mäßig große Anstalt anzugliedern rvOre, wird zur Notwendigkeit.
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