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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.01.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191401254
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140125
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140125
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- ab Img 37 römische Zählung, fehlerhafte Bindung, Seiten vertauscht
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-01
- Tag 1914-01-25
-
Monat
1914-01
-
Jahr
1914
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Sonntags -Ausgabe für L«pz«s ua» Vorort, »ur» uns«, LrLaer vLAUAAPkklse. und Sp«Stt«r« rmal tügU» tu» Hou» gebracht: monatl!» I.rs m., »!«rt»IiahrU<«> r.7» m. Sri »er «,»chaft,n»u», unser« ZtUoleu un» flusgadrsteUrn obgeholt: monatlich IM., otertellührtlch Z M. vur» SlepoN. lnnerkald veurschlanü» un» Ser Seutschen Kolon!«, monatlich t.Z» 'N.. »ierteliahrlich 4.« M.. ouoschlie-Uch postdegeUgel». vaoLelpzlgerLagedlatt erscheint werktags rmal.Sonn-u-Zelertagotmal. In Leipzig, »en Nachbarorten un» »en Vrtrn mit eigenen LiUalea wir» Sie ftdeaSauogad« noch am ftben» »eo Erscheinen» in» Hau» gellrsert. Vrrltoer NeSaktioa: In Sen Zelten 17, Zernsprrch.flaschluß: Moabit Nr. 447. Nr. 44^ kmndelsSeiturrg Zrrrtsdlatt desRates und desPolizeiarrrtLS der Stadt Leipzig ««»aktton un» SeschStt-steUe: Johaanisgaff» Ur.«. » Zernsprech.flaschluS Nr.>4b»r, 14V43 ua» 14 «4. ISS. Jahrgang kür Inserat» au» Leipzig un» Umgebung »»« /»»zeigenpreisir. tspaltigepetttzellerz b,.. »>, Neklamezeil,, m., von au»w»rto 3» Pf., Neklomen 1.70 M., Zamlllea- u. kleine flnzelgea »I« petttzrll» nur2»pf.,Ius»rate von SehörSen >m amtlichenErtl Sie petitzrtl» S» Pf. Vrschüft»anz»ig«n mit plahoorschri»« im Preise erhöbt. Nadott nach Laris. Srilagrgedühr: Sesamtaüfl.SM.»a»Laus«n» ouoschl.postgebühr. ftnzeigea.flanokme: ^ohonnisgalse», bet sämtlichen Filialen »eo Leipzig« Logeblatt«» ua» allen flnnonrea-EepeSitioarn Se» Ja- un» fluoiaaSe». cheschäst»st»llr für Srrlln u.Sie Pr.Sron iendurg: virektionWalterZliegel, Serlla w. >», MargarrthenstroAe »> Zernsprech-flnschluA: Lüyow «7>. 1914 Sonntag, üen 2S. Ionusr. Das willigste. * Der Kaiser nahm am Sonnabend im Langen Stall zu Potsdam in Gegenwart eines großen militärischen Gefolges Rekrutenbesich- tigungen der Garde vor. (S. Dtsch. Reich.) * Als Nachfolger des zurückgetretenen Staats ministers Grafen von Vasscwitz-Levetzow ist der Staatsrat Dr. Langfeld zum mecklenburgi schen Staatsminister ernannt worden. * InParis fand am Sonnabend das feierliche Leichenbegängnis des Generals Picquart auf Staatskosten statt. (S- Ausl.) * Wie aus Petersburg verlautet, hat Ruß land die Entsendung des geschützten Kreuzers „Oleg" nach DaIona beschlossen. * Für Pretoria sind die Preßzensur un*> andere Beschränkungen auf gehoben werden. * In ganz Rußland und im Süden Frankreichs herrscht furchtbare Polarkälte. (S. Nachr. o. Tage.) Umschau. Leipzig, 24. Januar. Bor einigen Wochen, als der Iamrner- rnf „Zabcrn!" am lautesten durch die La'-de ging, schrieben wir an dieser Stelle, es ,ei trotz aller bösen Ereignisse und Zwischenfälle durchaus nicht einzusehen, weshalb Herr von Veth mann an dem Stande der Dinge und an sich selbst verzweifeln müsse' er brauche ja nur von neuem vor den Reichstag hinzutrcten und das klärende Wort zu sprechen, das er am 3. Dezember nicht recht finden konnte, brauche nur dafür zu sorgen, das; man im Lande an seinen guten Willen, R-e ch t und Unrecht ab- zuwägen, glaube. Und wie gerne hat man ihm geglaubt' Man war so zermürbt: man hatte den Hader s o satt. Tas ist nun für uns das Erfreuliche an dem gestrigen Tage: der oberste Sachwalter des Reichstages hat sich nicht wie Harras der kühne Springer auf die Fels kuppe zutreiben lassen, von wo es nur einen Sprung auf Leben und Tod gab. Schon die Tatsache, daß der Kaiser mittlerweile die Nach prüfung der Dienstvorschriften für den Waffen gebrauch des Militärs anordnete, bedeutet, wie der Kanzler ausdrücklich bestätigte, ein Zuge ständnis im Sinne derer, die sich nicht über alles, was in Zabern geschehen ist, wie über die selbstverständlichste Sache von der Welt Hin wegsetzen konnten. Wäre es nach den Scharf machern gegangen, so wäre die Berechtigung eines Zweifels überhaupt nicht zugegeben wor den. Was den Freispruch angeht, so hat sich der Reichskanzler weislich darauf beschränkt, fest zustellen, daß Oberst v. Reuter durch die Dienstvorschrift gedeckt war. Er hat anderseits die Verfehlungen der Zivilbehörden zugegeben, aber er hat auch auf das allerschärfste die nach dieser Seite hin gerichtete Verallgemeinerung, als sei ganz Elsaß-Lothringen Feindesland und von einer hochverräterischen Bevölkerung be wohnt, abgewiesen. Wer hat denn aber diese Hetze betrieben? Das war doch nicht die radikale Presse, die Herr v. Bethmann an anderer Stelle tadelte, sondern waren die „Kreuzztg.", die „Deutsche Tagesztg.", die „Post" und besonders die „Nheinisctz-Wcstf. Ztg.". Das war auch Volkshctze! Was das letztgenannte Blatt in seiner Verranntheit zu leisten imstande ist, da für lieferte es erst heute wieder einen Beweis, indem es die Belästigung des Kronprinzen durch einen Irrsinnigen unter der fetten llcberschrift bringt: „Ein Wackes Hinterm Kronprinzen." Aus den angefügten kritischen Bemerkungen fühlt man ordentlich den Schmerz über die so fortige polizeiliche Feststellung heraus, wonach es sich um einen jener Vorfälle handelt, wie sie hochstehende Persönlichkeiten oft erleben — ein regelrechter Wackes-Anschlag, das hätte offen bar dem Blatte am besten in den Streifen ge paßt. Das übertrifft noch Herrn v. Oldcn- burg-Januschau, der nach seiner Thorncr Rede kein besseres Rezept für die Elsaß-Lothrin ger weiß, als „ihnen die Hosen stramm zu ziehen!" Genug. Nicht was „Politiker" von diesem Schlage für der Weisheit letzten Schluß anseben, geht uns an, sondern was der Reichs kanzler will, und er will für die Reichslande eine feste und gerechte Regierung. Gut, mag man nun den Ton mehr auf das eine oder andere Wort legen, mag man die Andeu tung eines baldigen Regierungswechsels heraus hören: jedenfalls ist keine Rede davon, daß Elsaß-Lothringen der Wackes wegen wie ein wil des Land behandelt, wie ehemals die „böhmi schen Wälder" in Verruf erklärt werden soll. Der Reichstag hat sich heute mit allen Stim- nRen gegen die der Konservativen für den An- trvg der Nationalliberalen entschieden, dA den Reichskanzler auffordert, das Ergebnis derH angekündigten Nachprüfung der Dienstvor schriften baldigst bekanntzugeben. Daß der Rechten selbst dieses maßvolle Begehren noch zu viel war, erklärt sich zur Genüge aus ihrer ganzen Haltung. Unter keinen Umständen, das ist ihr augenblicklicher politischer Glaubens satz, darf dem Reichstag irgendwie ein Zu geständnis gemacht, ein Entgegenkommen gezeigt werden. Nicht im kleinsten Punkte soll er Recht behalten. Aber so stolz sich diese Gcbcrde -aus nimmt: die Sieger waren sie bei dieser Ab rechnung so wenig wie die Sozialdemokratie. Nieder mit der Demokratie! Das ist nun einmal das Schlagwort, womit die konser vative Presse jede gerechte Erwägung von Schuld und Verhängnis abzutun, ja jede Regung der Vernunft zu ersticken suchte. Es ist fast sö, als sei für sie nicht mehr der Sozialismus der „in nere Feind" — aller Groll und Haß richten sich gegen die bürgerlich-nationalen „Demokraten". Vergebens fragt man sich, wie die eigentlich so plötzlich hochgekommen sind, daß sie zur Ge fahr werden tonnten? Sind cs wicdcrerstandcne alte „Hambacher" mit den verbotenen Bärten, großen Hüten und schwarz-rot-goldenen Schnü ren?! An solchen Spuk konnte man fast glauben, wenn man den vom Preußenbund veranstalteten Preußenta^ auf sich wirken ließ. Verklun gen und vergessen ist die Zeit, da mit Fug von den „moralischen Eroberungen" Preußens ge sprochen wurde. Wenn irgend etwas über dieses trübe Zeitbild zu trösten vermochte, so war es der vollkommene Mißerfolg dieser Großtat des partik"l''ristischcn Junkertums. Seine Kund gebung ist ja förmlich erstickt an der eigenen ^orheit, an dem Wust von politischem Unver ständnis. Die Veranstalter tonnten höchstens im Stadium der ersten augenblicklichen Begeiste rung etwa glauben, sie hätten der staunenden Welt einen förmlichen Vulkanausbruch beschert; aber abges^-en davon, daß an der Spree für solche Naturwunder kein Boden ist — die Illu sion war v.n gar zu knapper Dauern Denn als der graue Montag auf den erhebenden Sonntag folgte, sahen sie mit Schrecken, was man an gerichtet hatte, und mußten sich eilig dran k^beu, Irrtümer und NUßverständnisse aufzu klären, Entschuldigungen abzufassen. Da kam Frhr. v. Pech mann und wehrte sich, daß er von dem Vorsitzenden, Herrn Syndikus Rocke, im Handumdrehen aus einem Bayern zu einem im Borussentum ausgehenden Preußen umge stempelt worden war; da mußte ein anderer Redner, Generalleutnant a. D. v. Kracht, an den Kriegsminister schreiben, daß er mit seiner Erzählung von den bei Orleans verzagenden Bayern nichts gegen deren rühmliche Tapferkeit und nichts von der überlegenen „Courage" der Preußen gesagt haben wollte, worauf man sich na türlich srug, weshalb er denn überhaupt die ganze Geschichte vorbrachte, und was der merkwürdigen Berichtigungen mehr waren. Es hatte einge schlagen, und war es nur ein kalter Schlag — die bayrischen Kriegervereine gingen hoch, Telegraph und Telephon arbeiteten zwischen Nkünchen und Berlin, und wenn auch durch die glaubwürdige Versicherung des Herrn v. Kracht, s'.ch nichts Schlimmes gedacht zu haben (er verfiel sogar auf eine merkwürdige Unterscheidung zwischen dem Begriff „Courage" und der deutschen „Ku rasch"), der erste Bayernzorn beschwichtigt wurde, so wird doch der in Berlin angeschlagene Ton noch lange nachhallen. Das haben eben die Herren in ihrem Preußeneifer nicht bedacht, wohl auch nicht bedenken wollen, daß aus dem Walde herausschallt, was hineingerufen wird. Fängt der preußische Partikularismus an zu schreien — nun, der bayrische hat auch eine gute Lunge. Fühlt sich der preußische Junker verärgert durch die auch im Innern wachsende Macht des Rei ches, nun in Bayern, Württemberg, Baden gibt es Patrioten, die sich gleichfalls be schwert fühlen, nur mit dem Unterschied, daß sie weniger unter dem Druck des Reiches als unter dem preußischen Zugwind zu leiden glau ben. Kurzum: wenn erst emmal oie eifersüchtige Aufrcchnerei losgcht, das gegenseitige AuSmessen und Bekritteln, dann werden wir aus dem Aerger nicht herauskommen. Ueber einen Umstand kommen wir nicht so leicht weg: das Auftreten des junkerlichen Preußentums ist doch zugestan denermaßen zum guten Teil auf die letzte Steuer gesetzgebung oes Reiches, die Vermögenszuwachs steuer, zurückzuführen. Das war der „Ucber- griff", den ja leider auch, und zwar zu allererst die sächsische Negierung zum Ausgang einer poli tischen Gegenwehr gemacht hat; einer Gegen wehr, die aus Sorge um tue Landesfinanzen unternommen, wirken mußte wie eine Auf forderung an die schlummernden partikula- ristischen Kräfte, sich geltend zu machen. Wir haben damals vorauSgesagt, daß diese Wirkung eintreten würde, auch wenn man in Dresden zunächst nichts wollte, als gegen eine Fortsetzung der Reichsfinanzpolitik auf dem Wege der direkten Besteuerung Verwahrung ein legen. In Preußen ist dieser Gedanke, dem Reiche auf die Hände zu schlagen, wie der Preußentag zeigt, mit Wohlgefallen aufgegriffen und entsprechend „ausgebaut" worden. Mit einer Gewissensverhärtung ohnegleichen wird die Tatsache übergangen, daß jene Steuerbescherung doch auf das allerengste verbunden war mit der Wchrvorlaae, und da können wir uns nicht helfen: in diesem Hinterherlaufen, in dieser Nachträglichkeit, in diesem zornigen Getue wegen des leidigen Bezahlens einer nationalen Rech nung steckt das eigentlich Widerwärtige. Hier hätte der Reichskanzler, der gestern vortreffliche, warme Worte über den Reichsgedankcn sprach, seinen Widersachern einmal gründlich die Wahr heit sagen sollen, ihnen, den Vorbildern aller preußischen Tugenden! Er hätte auch sagen kön nen, daß es die bayrische Negierung war, die unmittelbar nach der Beschlußfassung über die Steuergesctzc diesem, ja diesem Reichstag durch die „Bayr. Staatsztg." die rückhaltlose Anerkennung für seine „iiationale Tat" aussprcchcn ließ. Mancherlei hat der Preußen bund nach seiner Tagung „berichtigen" müssen. Nicht berichtigt wurde das dem Reichstag gel tende Schmähwort von der „gemischten Gesell schaft", der „Rotte". Aber auch eine andere Berichtigung blieb aus: Es wurde gemeldet, der Kaiser und König habe auf die Be grüßung des Preußenbundes nicht geantwortet, und bis jetzt ist dem nicht widersprochen wor den. Dagegen ist heute zu dem Uebcrfluß an nachträglichen Aktenstücken ein anderes gekom men : die Erklärung der konservativen Partei. Sie will als Partei mit dem Preu ßentag nichts zu tun gehabt haben. Herr von Heydebrand hat zwar den Prcußentag im Namen der Partei begrüßt, hat sich zu seiner Sache feierlich bekannt, hat ihm den allerbesten Erfolg gewünscht, wie dies auch Herr Rösicke im Auftrag des Bundes der Landwirte getan hat, aber, aber ... An dem Mißerfolg deS Preußenbundes, an den Mißverständnissen will sie keinen Anteil haben. Und war doch Fleisch von ihrem Fleisch, Blut von ihrem Blut und Geist von ihrem Geiste. Und waren doch mit ihre Besten und Getreuesten, wozu wir nun auch Herrn Nocke zählen dürfen, da er tvohl kaum noch auf sein Stückchen nationalliberaler Vergangenheit pochen wird. — Ob wir bald wie der einen Preußentag erleben werden? Herr Delbrück und -ie Sozialpolitik. o Gegen das sozialpolitische Programm, das dieser Tage Staatssekretär Delbrück im Reichstage vorgc- tragen hat, melden sich allerhand Einwände. Man ist nicht gleich so grob wie die Sozialdemokraten, dre ihn kurzerhand — auch dort liebt man die harte Ge dankenarbeit nicht sehr und freut sich, so man ein längst geprägtes Schlagwort zur gefälligen Benutzung bereit findet — einen „Untcrnehmertnecht" schalten. Aber man gibt dem Staatssekretär doch zu verstehen, daß er insgeheim dem Leipziger Kartell der schaffen den Stände sich ergeben hätte, und wieder andere meinen: er hätte nur schöne Redensarten produziert; versuchte man zuzupackcn, so griffe man ins Leere. Wir haben die Rede gehört und wir haben sie nun auch im Stenogramm gelesen, und wir finden: man tut Herrn Delbrück unrecht; man hat ihn mißverstan den. Daran ist ja kein Zweifel, daß die Zeiten des Grafen Pio s adowskp vorüber sind. Aber das liegt doch nicht nur an dem Unterschied in Wesen und Tem perament des damaligen Staatssekretärs und des von heute. Liegt zu sehr wesentlichen Teilen viel mehr an den Zeiten selber. Zu deutsch also: an uns und unserer Art sich zu diesen Problemen zu stellen. Ein Minister, der etwa in der Weise des Grafen Posadowsky. in tief aus dem Innern quellen den Sätzen, den auf des Lebens Sonnenseite Pilgern den wie ein Bußprediger den Spiegel vorzuhalten versuchte, wäre heute schlechthin unmöglich. Er würde kein Echo finden und niemand würde ihm folgen. Es ist nun einmal nicht zu verkennen, daß wir alle — auch ihre wärmsten und ehrlichsten Freunde — der Sozialpolitik ein wenig müde wur den. Die bürgerliche Gesellschaft hat, die Dinge ganz allgemein gesehen, den Wunsch, von der Arbeit, die es unter dem Einfluß anderer Impulse in den Vor jahren für die arbeitenden Schichten vollbracht hatte, bei der Sorge für die eigene sich zu erholen. Wobei es denn auch nicht an Leuten fehlt, die der Meinung sind, daß anderen Eruvpen die Lebensnot nicht min der hart auf den Nägeln brennt, als dem Hand arbeiter. Derlei kritische Zeitläufte zwingen einen Staats mann, der nicht jede Wirkungsmöolichkeit von vorn- herein sich absmnekden will, zu Rücksicht und Maß halten. Rückt man die Delbrückschen Ausführungen erst einmal in diese Zusammenhänge, dann wird man zugcben müßen, daß der Staatssekretär die abfällige Kritik kaum verdiente. Gew-ß im ein'-elnen scheint auch uns, daß Herr Delbrück sich vergriffen hat. So lange das Verkehrsgewcrbe so gut wie ungeschützt ist, solang« für die in den Gastwirtschaften und Hotel betrieben Tätigen Arbeitszeit und Ruhepausen kaum ernstlich geregelt wurden, kann man natürlich nicht sagen, daß „die gesetzgeberische Arbeit auf diesem Ge biet nahezu erschöpft" sei. Aber das geht, wie ge sagt, nur auf Einzelheiten. Höher qilt uns. daß der Minister das Gerede des Herrn Ludwig Bernhardt, seiner Schüler und seiner Nährväter von den ver hängnisvollen Folgen der deutschen Sozialpolitik ab wies und sich dabei auf die verdienstliche Schrift des Präsidneten Kaufmann vom Reichsnersicherungs- amt berief, in der bekanntlich der sich fürchterlich er. dreistende Neueste unter den Berliner nationalöko- nomischen Ordinarien gründlich abgeführt ward. Im übrigen hat Herr Delbrück in den Schlußsätzen man ches hübsche Wort über Wert und Bedeutung sozialer Reformen für die Wohlfahrt der Nation getagt. Hat auch nachdrücklich betont, rdaß es auf diesem Felde nie einen Stillstand geben wird, weil schließlich immer neue Probleme auftauchen werden. Und nun sollten wir uns allgemach darüber klar zu werden versuchen, warnm wir denn überhaupt Sozialpolitik treiben. Man pflegt von einem uto» pischen Sozialismus zu reden, indem man die Es- sell.chaftsdichtungen der Owen. Saint Simon, Fourier. Louis Blanc, Proudhon der sogenannten Wissenschaft-^ lichkeit der Marx und Engels und ihrer Kommen tatoren und Popularisatoren gegenübsrstellt. Ganz ähnlich, scheint uns. könnte man von einer utovisäei,' Lozialreform sprechen; nur ist hier die Epoche der Utopisten noch nicht völlig abgeschlossen. Was dio ersten Pfadfinder und Wcgbahner auf diesem spröden und undanlbaren Gebiete trieb, war die Sehnsucht! nach dem sozialen Frieden. Den glaubten sie zu versichtlich über dieie friedlose Welt herausführen zu' können, wenn die Menschen nur ein wenig verstän diger würden und ihre Rezepte befolgten. Und so empfahlen sie nacheinander „Wirtschaftliche Vereine" und Kooperationsgcnossenschaften, Gewerrvereine und Einigungsämter, gewerbliche Sonüergerichte und staatliche Zw-angsversicherung. Das alles haben wir zum größeren Teil mit mehr oder weniger Geschick verwirklicht. Aber den sozialen Frieden haben sie uns nicht bcschieden. Der schwebt noch immer in jenen fernen, fernen Höhen, wo als Zielpunkte ihres Mühens und strebens, verheißungsvoll winkend und doch stets von neuem zurückweichend, dieser darbenden, hastenden Menschheit die Ideal« hangen. Und wird dort hangen bleiben. Es gibt keine Naturgesetze in der Volkswirt chaft; es gibt auch in der Welt des Willens und dem vom jeweiligen Recht geleiteten und begrenzten sozialen Organismus leine Institu tionen. die mit der mathematischen Logik unabänder licher Naturgesetze zu wirken vermöchten. Was Ar- beitekschutz und Versicherungsgesctzgebung uns nicht gebracht haben, werden auch die Organisationen, die hüben und drüben sich ja nun zu immer gewaltigeren Maßen zusammenballen, nicht bescheren. Und die Tarifgemeinschaften, so sehr sie sich vielfach bewährt haben und künftig noch bewähren werden, ebenso wenig. In allen menschlichen Institutionen stecken nun einmal die Keime zu Mißbrauch und Mißlirgen, und immer noch hat die Praxis, die es mit leiden schaftlichen und nicht durchweg von den edelsten Motiven bewegten Menschen zu tun hat, Kompli- kationen offenbart, an die der fr^ume Eifer der Theoretiker nicht dachte. Damit also werden wir uns abzufinden haben: für chiliastische Hoffnungen Kat diese bresthafte Erde keinen Raum. Aber noch hat auch kein Mensch an das Verschwinden der Krankheiten geglaubt, und trotz dem hören unsere Mediziner nicht auf. zu forschen, und die Sanitätspolizei erweitert mit allem Fug von Jahr zu Jahr den Bereich ihrer Tätigkeit. Nicht viel anders steht es mit der Politik der sozialen Reformen. Der soziale Friede ist eine Utopie, und wer von der Sozialreform ein Aufhören der Sozialdemokratie er wartet, ist ein kümmerlicher, engherziger Kärrner., Sozialpolitik will um ihrer selber willen (richtiger: um der Volksgesundheit willen, der leiblichen sowohl als auch der seelischen) getrieben, sein. So gesehen, ist es einfach ein Interesse der Allgemeinheit, daß die Millionen, die über keinen! anderen Besitz verfügen als über die Kraft ihrer Hände, nicht auf Gedeih und Verderb der llcbermacht überantwortet werden, die, wie Menschenart einmal ist, die Verführung zu Eigensucht und Profitgier leicht in sich schließt. Nur über die Methoden der Sozialreform könnte, nun die Epoche der Utopie im Verdämmern ist, vielleicht die Diskussion von neuem eröffnet wer den. Wir dehnen unsere staatliche Zwanasverfiche- rung immer weiter aus: von der Handarbeiterschrit greift sie nun schon auf die Mittelschichten über. Wie weit können wir in solchem Beginnen wohl fort fahren. ohne zugleich die Grundlagen uwerer wirt schaftlichen Ordnung, die (so haben wir doch gelernt) auf der Selbstverantwortlichkeit des selbst wirtschaf tenden Individuums beruht, mit an-utasten? Und dann, bedeutsamer, zwingender, dringlicher als alle Versicherung: der Arbeiterschutz! Den haben wir bisher zu verwirklichen gesucht, indem wir in mühseliger und ermüdender Kleinarbeit, ost ohne rechten Zusammenhang mit der Praxis (soll heißen: mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern), noch öfter spät, wenn das Leben die Dinge schon selbsttätig zu rechtgerückt batte, ein Gesetzchcn an das andere und Novelle zu Novelle fügten. Führte es am Ende nicht eher ans Ziel, wenn wir zunächst, studentisch ge sprochen, für gute und gleiche Waffen sorgten und der Arbeiterschaft den Boden ebneten, von dem aus sie dann auf dem Weg freier Vereinbarung mit den Unternehmern sich auseinandersetzen könnte? Immerhin: Gesetze allein tun s nicht. Auch in Sozialpolitik und so'ialer Reform bleibt das beste im freien Verkehr von Mensch m Mensch zu leisten. Eine Verwaltung, die grundsätzlich und tatsächlich jedem Staatsbürger ohne Unterschied des Standes und der Parteiung mit derselben Unvoreingenommenheit; nahte, und eine Gesellschaft, die es ebenso machte, könnten Wunder wirken. Wir sollten alle zusammen versuchen, gerechter zu werden. Was wir- -er Wehrbeitrag in Sachsen einbringen l Wenn mir diese Frage aufwerfen, so läßt sich die allgemeine Antwort dahin geben, daß es unmöglich ist, die Höhe des Wehrbeitrags in Lachsen annähernd zn beziffern. Es gibt nämlich kein einziges Steuersystem in Deutsch land, das einer Berechnung des Wehrbcitrages zugrunde gelegt werden kann. Am allerwenigsten veim Einkommen. Zwar ist für die Ver anlagung des Wehrbcitrages vom Einkommen ein einfacher und feststehender Tarif gegeben. Mer dadurch, daß .von dem festgcstellten Ein kommen 5 Prozent des abgabepflichtigen Ver mögens in Abzug gebracht werden, tritt gegen über der Einschätzung zur S t a a t S einkommen steuer eine vollständige Verschiebung ein, so daß diese Einschätzung keinen auch nur einigermaßen
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