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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.01.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140107028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914010702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914010702
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-01
- Tag 1914-01-07
-
Monat
1914-01
-
Jahr
1914
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Seite 2. Nr. N. Nveno«nusgave. Ueber -te Sewertung -es El-e» -er konfePonslosea schreibt ein nationolliberaler rechtskundiger Reichs- tagsabgeordneter einer Berliner Korrespondenz auf deren Anfrage folgendes: „Das Schöffengericht Berlin-Tempelhof hat es kürzlich abgelehnt, einen Angeklagten auf den Lid zweier Zeugen zu verurteilen, weil beide Zeugen aus der Landeskirche ausgetreten seien und sich konfessionslos bezeichneten. Dieses Verfahren mutz unbedingt zum Widerspruch heraussordern, weil es die Achtung vor den Gesetzen und den staat lichen Einrichtungen untergräbt. Das Gesetz fordert, daß ein Zeuge nach seiner Aussage oder vor der Aus sage vereidigt wird, gleichviel welcher Konfession er angebört oder ob er konfessionslos ist. Er mutz zu Gott schwören, auch wenn er erklärt, an Gott nicht zu glauben. Wenn das Gesetz diesen Eid fordert, eine falsche eidliche Aussage mit Zuchthaus bestraft, ist das Gericht ohne weiteres verpflichtet, einem ge leisteten Eide Glauben zu sihenken. Ist ein Zeuge nicht einwandfrei, so kann seine Vereidigung unter bleiben. Es ist aber unmöglich, zurzeit, wo wir den religiösen Eid besitzen, einen Unterschied über den Wert von Eiden kirchlich Ge sinnter und Konfessionsloser zu machen, sozusagen also eine Klassifizierung von Eiden vorzu nehmen. Da die Austritte aus der Landeskirche sich mehren, so werden die Gerichte in Zuiunst ost konfessionslose Zeugen einen Eid schwören lassen müssen. Es kann ange nommen werden, dcrß es sich nicht jeder dieser Zeugen gefallen lassen wird, sich al» einen unglaubwürdigen Zeugen nur wegen seiner Religionslosigkeit von G - richts wegen aus brandmarken zu lassen. Es sei darauf hinaewleien, das; im Heere auch der Soldat, der sich konfessionslos nennt, den Fahneneid schwören muß. Auch der konfessionslose sozialdemokra- tilcke Landtagsabgeordnete Adolf Hosimann hat e im preußischen Al^eordnetenhause dem Könige den Treu eid leisten miigen, obwohl seine konfe-sionslose und sozialdemokratische Gesinnung niemand unbekannt war. Das Gesetz verlangt, daß ein konfeisionslo'er Soldat, der den Fahneneid bricht und ein konfessions loser Zeug« bei Meineid mit der vollen Schärfe des Gesetzes beitrast weiden. Es gibt also nur einen Weg: Zeder Eid gilt gleich viel, oder man schafft den religiösen Eid ab. wenn man Gewisscnsbedenken hegt und ersetzt ihn durch einen allgemeinen Eid. Eine verschiedene Bewertung von Zcugeneiden ist gesetzlich aber unzulässig und muß die Rechtsprechung auf das schwerste schädigen. Auf reli giöse Fragen soll in diesem Zusammenhänge nicht ein gegangen werden, da nur diej u r i st i f ch e Seite hier in Frag« kommen kann. Es soll durch diese juristische Stellungnahme der Kirchenaustrittsbewogung kern Vorschub geleistet werden. Bei Beratung des Justiz etats wird sich im Reichstage und auch im preußischen Landtage Gelegenheit finden, den Fall zur Sprache zu bringen und die Stellungen der Regierung zu die ser Frage zu erfahren." Gesunöbeter un- Strafrechtsreform. Der traurige Fall der Hofschauspielerin Nuscha Butze, dre nach der öffentlichen An- aabe ihres Arztes von den Gesundbetern zu Tode gebetet tvorden ist, veranlaßt den Berliner Landgerichtsrat Dr. Ernst Sontag, in den neuesten „Grenzboten" auf die gefährliche Zu nahme des Gesundbeterunfugs nnd auf die Tat sache hinzuwersen, daß weder der Vorcntwurf zum neuen deutschen Strafgesetzbuch noch der Gegenentwurf das Gesundbeten, Wahrsagen ufw. unter Strafe stellen. Haben aber die Urheber beider Entwürfe geglaubt, auch gegen die Ge sundbeterei und dergleichen mit dem Betrugs paragraphen anskommen zu können, so weist Sontag nach, daß diese Auffassung aus juristi schen Gründen sich meistens als irrtümlich Her ausstellen wird. Denn der Betrugsparagraph setzt voraus, daß der Gesundbeter usw. sich be fahlen ließ, falsche Tatsachen vorspiegelte, bzw. den Besucher arglistig täuschte, und von der Unrichtigkeit oder Unwirksamkeit seines bezahl ten Tuns überzeugt war —, wenn der von ihm erlangte Vermögensvorteil ein rechtswidriger sein soll. Zweckmäßigerweise enthalten daher die Strafgesetze mehrerer Kultnrstaaten (z. B. schweizerischer Kantone, Italiens, Ungarns, Englands, Spaniens^ Bestimmungen gegen Wahrsagerei, Traumdeuterei und ähnlichen Miß brauch des Aberglaubens. Würde das neue Leipziger Tageblatt. deutsche Strafrecht diesem Beispiel folgen, dann würde es damit zugleich an den Entwurf des Allgemeinen preußischen LandrechtcS antnüpfen, auS dem, wie Sontag in Erinnerung bringt, ähnliche Strafbestimmungen nur durch den Ein fluß der frömmelnden Rosenkreuzer im Inter esse eines Wöllner und BischosfSiverder entfernt worden sind. Der Hoffnung SontagS, daß der Reichstag die erörterte Lücke im neuen deutschen Strafrecht seinerseits ausfüllcn werde, kann man sich nur anschließen. Sontag schlägt für diesen Zweck folgende Bestimmung vor: „Wer um Vor teile oder Gewinnes willen wahrsagt, gesund betet oder die Leichtgläubigkeit des Publikums aus ähnliche Weise mißbraucht, wird mit Ge fängnis bis zu einem Jahre oder mit Geld strafe bis zu 3000 Mark bestraft." Deutsches Reich. * Der Generalpardon für das Wehrbeitragsgesetz wegen früherer Steuerhinterziehung bezieht sich nicht nur an' solche Steuerpflichtige, die Wehrbeitrag leisten müßen, sondern, wie das Reichsschatzamt be- tannl macht, auch auf solche Steuerpflichtige, die unter das Wehrbeitragsgesetz nichts fallen. Die Wohltaten des EeneralparVons kommen somit auch den Steuerpflichtigen" zugute, die weniger als 5000 Einkommen ver steuern und im Gegensatz zu früheren Steuer erklärungen ihr Einkommen jetzt richtig angoben. * Die Feie, de« k». Geburtstage« König Ludwias lll. von Bayern wurde am Dienstag abend ^8 Uhr durch eine große militärische Serenade und einen Zapfenstreich der Ver einigten Musikkorps der Münchner Garnisonen auf dem Max-Josephs Platz vor der Residenz ein geleitet. Der König, die Königin, der Kronprinz und die übrigen Mitglieder der königlichen Familie börren die Musikvorträge vom offenen Fenster der Residenz aus an. In ein auf den König ausgebrachtes Hoch stimmte die Menge lebhaft ein. — Ferner empfing der König in den Reichen Zimmern der Residenz eine große Anzahl militärischer Abordnungen, die Glück wünsche überbrachten. * Die nächste Sitzung der Kommission zur Prüfung der Rllstungslieserunqen beginnt am Donnerstag, den 8 d. M., um Uhr im Reichstag«. Es ist be absichtigt, zunächst die Sitzungen bis zum 10. Januar abzuhalten. Zur Vorlage gelangte u. a. di« weiter« Ausgestaltung des Arbeitsprogramms und die Aus wahl der Sachverständigen, die vom geschäftsführen den Ausschuß vorbereitet wurde. Auch ist eine Er örterung der Fragen, die auf Anregungen aus der Mitte der Kommission gewünscht werden, vorgesehen. * Zu Ehren der Mitteleuropäischen Wirtschafts konferenz fand am Dienstag abend ein Bankett statt, wobei der Präsident Weckerle den ersten Trinkspruch auf Kaiser Franz Joseph, Kaiser Wilhelm und König Albert von Belgien ausbracht«. Dies« Herrscher, führte Redner u. a. aus, seien persönliche Vertreter der Friedensidee. Das Bündnis Oester reichs und Deutschlands sei um so beständiger, als es auch ein Dolksbund sei. Diese Herrscher seien leuch tende Sterne der Arbeit in ihrem Zeitalter. Ihre weise Fürsorge und unermüdliche Tätigkeit diene nicht nur als Beispiel, sondern erwecke auch Er kühle der Dankbarkeit und begeisterten Hingabe. Finanzminister Teleszk«) führte aus, im verflossenen Jahre habe außer der Friedensliebe der Herrscher auch die Solidarität des Wirtschaftslebens Europas den Frieden gesichert. Herzog Ernst Günther zu Schleswig Holstein toastete auf die ungarische Re gierung. Dann folgten weitere beifällig ausgenom men« Trinksprüche. An dem Bankett nahmen 200 Personen teil. * Theaterverbot für katholische Geistliche. Der Generalvikar des Erzbistums Köln erläßt im ...Kirchlichen Anzeiger für die Erzdiözese Köln" ein Theaterverbot für katholische Geistlühe. * Arbeiterbesuche aus England. Zn Berlin besteht der Plan, Besuche britischer Angestellter und Arbeiter in Berlin zu veranstalten. Zu dem ersten dieser Be suche sind bisher die Tage vom 18. bis 22. Mai in Aussicht genommen. Ein Gegenbesuch deutscher An gestellter und Arbeiter soll im nächsten Jahre statt finden. * Versammlungen Arbeitsloser. In Solingen zog nach Schluß einer von etwa 1200 Arbeitern be suchten Arbeitslosenoersammlung die Menge johlend nach dem Marktplatz, um vor dem Rathaus« zu demonstrieren. Die Polizei sperrte die Zugänge zum Nathause. In Düsseldorf zog nach einer Arbeitsloienoersammlung ebenfalls ein Teil der Arbeitslosen nach dem Rathause mit Ruien nach Arbeit und Brot. Die Polizei drängte die De monstranten in die Nebenstrab"n. Ausland. Frankreich. * Ersparnisse im französischen vudget. Finanz minister Taillaux richtete an den Obmann des Budgetausschusscs Tochery ein Schreiben, in dem er ihm mitteilt, daß es ihm dank der Mithilfe der übrigen Minister gelungen sei, für das Budget des Jahres 1014 Ersparungen im Betrage von fünfzig Millionen zu erzielen, ohne die ein- I zelnen Dtenstzweige im geringsten zu schädigen oder sich der Gefahr eines Nachtragskredits auszusetzen. Das Ministenum habe den festen Willen, auf diesem Wege zu beharren. — Der „Radical", das Blatt Caillaux', schreibt, daß diese 50 Millionen für Frankreich ein um so schätzenswerteres Neujahrs geschenk bildeten, als es sich bei diesen Er sparungen um die schwierige Aufgabe handle, den bereits dem Parlament vorgelegten Budgetentwurf abzuändern. * Aenderungen im französischen Strafprozeßver- sahren. Der Pariser Deputierte Berry hat unter Hinweis auf die Wahrspüch« der Eeschwore - nen in der letzten Zeit, die teils durch skandalöse Freisprüche, teils durch unbegreifliche Strenge Aergernis und Aufsehen erregten, einen Zusatzartikel 267 des Strasprozeßoerfahrens beantragt, wonach der Präsident des Schwurgerichts die Geschworenen in ihren Beratungssaal begleiten und ihnen auf ihr Verlangen seine Ansicht über das Strafmaß mit teilen soll. * Militärisch« Eisenbahntransporte in Frankreich. Gestern nachmitag wurden auf Anordnung Pes Kriegs ministers, der die Leistungsfähigkeit der Ostbahnen prüfen wollte, 12 000 M i l i t ä r u r l a u b e r von Paris in zwölf Sonderzügen in ihre Garnison an der Ostgrenze befördert. — Mehrere Blätter be merken, daß dieses Experiment nichts beweise, da ja bei einer Mobilisierung auch Pferde, Kriegsmaterial usw. zu befördern seien. Eaglan-. * Di« Umwandlung des staatlichen Telephon, dienftes in ein städtisches Unternehme« ist einer Meldung der „Voss. Ztg." zufolge von der Stadtver waltung der Stadt Hüll beschlossen worden. Die Stadt hat dem Fiskus das staatliche Telephonnetz für den Preis von 3 860 000 abgekauft. Als Grund für diesen ersten Versuch in England, den Telephon dienst in die Hände der städtischen Verwaltung zu legen, wird vom Hüller Magistrat angegeben, daß die Stadt einen besseren und gleichzeitig billigeren Telephondienst gewährleisten könne. * Der neue llnterstaatssekretär im Kriegvamt. Aus London wird amtlich gemeldet: Der bis herige Hilfssekretär im Kriegsamt, Sir Reginald Brade, ist an Stelle von Sir Edward Ward zum Unterstaatssekretär im Kriegsamt ernannt worden. — Der „Daily Telegraph" hatte gestern früh Len Rücktritt des Unterstaatsjekretärs Ward gemeldet. Italien. * Deutsche Pilger beim Papst. Aus Rom meldet der Telegraph: Der Papst empfing am Dienstag 150 junge Leute des Vereins katholischer Handwerker Deutschlands die von dem Pfarrer Hurth geführt und von Msyr. de Waal und dem Pfarrer Henzler vom römischen Komitee des Vereins begleitet wurden. Nachdem der Papst den Saal, in dem die jungen Leute sich versammelt batten, betreten hatte, bot er ihnen die Hand zum Kusse, während sie eine religiöse Hymne sangen. Dar auf setzte sich der Papst unter sie. Pfarrer Henzler versicherte ihn namens der jungen Leute ihrer Er gebenheit und bat um den apostolischen Segen für den Verein und für die Fahne des Verbandes der deut schen katholischen Handwerker Noms, der die Feier seines 50iährigen Bestehens beging. Der Papst dankte in seiner Antwort und wünschte dem Verbände alles Gute. Er dankte vor allem den jungen Leuten, daß sie nach Nom gekommen waren, um ihren Glauben darzutun und ihre Anhänglichkeit dem Heiligen Stuhle gegenüber zu bezeigen. Der Papst segnete die An wesenden, ihre Familien und den gesamten Verband sowie schließlich auch die Fahne. Nachdem Pfarrer Mittwoch, 7. Januar l914 Henzler di« Wort« des Papstes auf deutsch zusammen gefaßt hatte, erteilte der Papst seinen Segen und ver ließ dann den Saal unter Zurufen. Die Anwesenden sowie der Ausschuß de« Verbandes und das römische Komitee statteten hierauf dem Kardinalstaatssekretär Merrn del Val einen Besuch ab. Türkei. * Der Dreibund und die Jnselfrage. Wie das „B. T." au» Wien erfährt, wird die Antwort der Dreibundmächte auf den Vorschlag Sir Greys bezüglich der Aegyptischen Inseln wahrscheinlich im Sinne des englischen Vorschlag« lauten. Die Dreibundmächte werden es mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Umstünde für empfehlens wert halten, daß die von Griechenland be setzten Inseln, mit Ausnahme von 2m- bros und Tenedos, Griechenland zu« gesprochen werden sollen. Wie der „Temps" aus Berlin meldet, soll der Gedanke, di« Inseln Chios undMitllenean Griechenland abzutreten, in Wien aus keinen Widerstand stoßen, und dasselbe sei aus R o m zu melden. Da gegen ist die Frage der Rückgabe des Dodekannes an die Türkei noch immer dunkel und unentschieden. Havas berichtet aus Rom, daß der Dreibund, Len englischen Vorschlag zu der Frage jener Inseln die von Griechenland besetzt sind, annimmt und daß die Frage der von Italien besetzten Inseln aus geschieden werden soll. * Militärische Veränderungen im Eeneralstabe. Aus Konstantinopel wird telegraphisch gemeldet: Der Chef des Generalstabes sowie etwa 200 andere Generale, Obersten und Oberstleutnants sind pen sioniert worden., Der Stellvertreter des Chefs des Ee, eralstabes Zia ist zum Kommandanten des X. Korps ernannt morden. Im General'tab sind wichtige Veränderungen eingetreten. Südafrika. * Bor dem Generalstreik. Wie uns ein Kabel gramm aus Pretoria meldet, beschloß nach einer langen erfolglosen Konferenz zwischen Vertretern der Eisenbahnarbeiter und dem Eisenbahnminister der Exekutivausschuß der Eisenbahner, wenn nicht die Regierung die entlassenen Leute wieder einstellen würde, am Donnerstag den Streik zu erklären. örasitten. * Aus dem Staatshaushalte. Das Regierungs blatt veröffentlicht ein Gesetz, nach dem die Aus gaben für das Rechnungsjahr 1914 mit 435 773 Contos in Papiergeld und 95 469 Contos in Gold, die Einnahmen mit 130219 Contos in Gold und 367 511 Contos in Papiergeld festgesetzt werden. Nachrichten vom Tage. Der Untergang -er „Oklahoma." lKabelgramm). New York, 7. Januar. Kapitän Aspinall vom Dampfer „Gregory" berichtet, er habe, nachdem das Rettungsboot der „Oklahoma" gesichtet worden war, sein Schiff an die Leeseite des Rettungsbootes gebracht in der Hoffnung, die riesigen Wellen möchten das Boot auf das Deck des „Gregory" werfen und so die Insassen retten. Er schätze die Geschwindigkeit des Windes auf 70 Meilen in der Stunde, Als das Rettungsboot nahe kam, bemerkte man daß sich sechs Mann an ihm fest hielten. Sie waren aber durch das wiederholte Kentern des Bootes so erschöpft, daß sie nicht mehr in das Boot klettern konnten. Der dritte Maat sowie der erste und der zweite Offizier des „Gregory" sprangen in die See, schwammen an das Boot und sicherten es mit Seilen, die ihnen zugeworfen wurden. Zwei Stunden dauerte es, bis sie die Schiffbrüchigen gerettet hatten. Wiederholt wurden sie von dek Wellen gegen das Schiff geworfen. „Mri pttsrvo Mehrung." 39s Roman von Arthur Babillotte. Nachdruck verboten. --Ja," sagte er, ,Mermaine haben Sie auch gekannt, nicht tvahr. Die Tochter von Herrn Grandidier . . „Das arme Mädchen," sagte Gabridlc. Das Glöckchen n»ar plötzlich mit einem schwarzcn Tuch verhängt. „Jetzt ist sie in Paris. Es ist eine trau rige Geschichte. Daß sie in Coloroy la Grande bei einer netten Familie »vcrr, wissen Sie viel leicht. Dann wurde sie krank, Lungenentzün dung, und mußte einige Wochen liegen. Als sie wieder aufstehen und zu den Kindern zurucr sollte, hielt sie es nicht mehr auS . . . Sie schrieb mir einmal um jene Zeit, daß sie es um jeden Preis durchsetzen müsse, nach Paris zu kommen . . . Immer träumte sie von Paris." „Das arme Kind," sagte Gabriöle noch ein mal. „Ja. Und nun hat sie eS auch durchgefetzt. Seit zwei Monaten ist sie dort . . . Sic wissen doch, daß sie Emile Calcr, den kranken Schrei ber von Notar Beranger, liebte?" Ja, das wußte sie. „Sie glaubt ihn innner noch am Leben," sagte Picard, und dämpfte seine Stimme, als hätte er da etwas verraten, dessen er sich sckjämen mußte. Gabriele erstaunte. Er erzählte ihr alles. Da ergriff sie auf offener Straße seine Hände. „Das haben Sie getan, Herr Picard?" „Sie war doch so empfindlich, auch noch nach der Krankheit, und so schwach, und es hätte ihr gewiß gesck)adet," sagte Picard. „W.nn sie wie- der ganz gesund ist, muß sie cS ja wohl er fahren . . . UebrigenS" — er sprang ab —, „es ist erstaunlich, welche Energie sie aufbrin- ae» kann, wenn ft« «twaßf «rrchietzen will. Denken Sie, sie wäre zu bewegen, zu ihrem Vater zurückzukchren?" Er erzählte die väterlichen Taten Gran didiers. „Ja," schloß er, „nun hat alles nicht geholfen. Ich schrieb ihr immer wieder im Namen Calcrs, sie möchte doch wiederkommen, dann könnten sie sich doch hier und da einmal sehen, und zu Hanse sei cs doch immer besser, als in der kalten Fremde . . . selbst, wenn man ich mit dem Vater nicht verstände . . . Sie chrcibt zurück, es täte ihr so bitter weh, daß ie diesen Bitten kein Gehör schenken könne, o gerne täte sie's ja, ihm und sich selbst zu- iebe . . . Aber die Kluft zwischen ihrem Vater und ihr sei zu groß ... Es käme nur Streit und Unlust daraus, wenn sie wieder zusammen wären. — Da ist nun nichts zu machen . . ." Sie tvaren über diesen Gesprächen vor die Stadt gelangt, das ganze Tal lag vor ihnen; nun schritten sie im tiefen Schnee dahin, wäh rend die Einsamkeit langsam ihre Kreise um sie zog. „Gaston kommt gegen sieben Uhr zurück," sagte Gabriele plötzlich; das Schweigen lastete auf ihr mit einem unerklärlichen, beängstigen den Druck. Ueber der Nasenwurzel des Mannes grub sich eine steile Falte ein. „Ja, jetzt sind Sie die Gattin eines Fabrikbesitzers," sagte er, und wußte selbst nicht, wie er zu diesen Wor ten kam. Die junge Frau zuckte zusammen. Es klang da etwas um sie her, in der starren, gleichsam wie ein Duft über aller Landschaft liegenden Luft, etwas Mahnendes, Klagendes, etwas, das tiefstes Weh bereitete . . . „Denken Sie, daß man glücklich ist, wenn man viel Geld besitzt, Herr Picard?" „Nein," entgegnete er fast schroff. „Die Hauptsache ist doch wohl, daß man seine Pflicht tut," fuhr sie nachdenklich fort. „Aber wir Frauen haben ja keine Pflichten, solange keine Kinder da sind, zumal wenn wir un- eine Köchin und ein paar Mädchen halten können..Sie seufzte. ,Ha, so ist daS Leben, Herr Picard. Sehen Sie," — sie wurde leb haft — „als ich siebzehn Jahre alt war, schien den ganzen Tag die Sonne, jahraus jahrein. Ich wollte einmal einen hübschen, liebenswür digen, reichen Mann haben, wie alle jungen Mädchen ... Da kam Gaston. Mein Vater und er sind Geschäftsfreunde. Sehen Sie, da hatte ich ja den hübschen, liebenswürdigen, reichen Mann, den ich mir immer wünschte . . . Lieber Herr Picard" — abermals blieb sic stehen und ergriff seine beiden Hände —, „warum sollen wir nicht offen und ehrlich zu einander sein . . . Können Sie glauben, daß Sie eine lange Zeit dieser liebenswürdige, be gehrte Mann für mich waren?" Sie blickte ihm fest und ruhig in das Gesicht, ihre Augen leuch teten rein und klar. Xom äs Visa! dachte der Mann. Das Blut rauschte in einem breiten Strom vor seinen Augen hin, nur einen Augenblick, dann rüttelte eine starke Hand an seinem Innern. Tölpel! Tölpel! schrie eine höhnische Stimme. Bis jetzt bist du an allem, was sich dir entgcgenbot, vor beigegangen, jedesmal hast du den richtigen Augenblick verpaßt! Greis zu, greif doch zu! Wie's alle andern halten, kannst du's doch auch, du starker Mann ... Er wußte nicht, wie es geschah: mit krampfenden Händen riß er Gabriöle Perier in seine Arme und fuhr mit seinem stachligen Bart über ihr Gesicht. Sie wehrte ihm nicht. Regungslos lag sie an seiner Brust, mit geschlossenen Augen ließ sie alles über sich ergehen; und als sie endlich seine glühenden Lippen aus den ihren fühlte, er- rviderte sie den Kuß. Um sie her schwiegen die steilen Bergwände, ein langsamer Flockenfall wob Schleier um die beiden Menschen, die hier in plötzlich erwachtem Lebenshunger, aufschreiend in vlödlich erkannter Einsamkeit, zum ersten Male den Tc.umel einer grenzenlosen Leiden schaft genossen. Die Nacht blickte mit ernsten Augen über den Rand des Talkessels, als sie schweigend den Wea zur Stadt antraten. Die Nachschauer einer grenzenlosen Seligkeit zitterte» i» ihnen. Nur einmal klang ein Wort; Gabriöle ließ es gleichsam mit lässiger Hand in den Schnee fallen: „Warum kamst du nicht, als ich noch frei ioar, Andrö?" Dann gingen sie wieder schweigend, ganz erfüllt von dem Inhalt der vergangenen Stunde. Von der Stadt her kamen die Klänge der Abendglocken geschritten, feierlich wie fromme Pilger, die zu einem Gnadenbild »vallfahrten gehen. Der Himmel steckte seine schönsten Sterne auf; ein düsterer Nachtvogel flatterte vorbei. Der Schnee knackte, es war, als lägen Hunderte von Unglücklichen unter ihm begraben, deren Stöhnen bei jedem Menschenschritt, der über sie hinging, durch den Schnee in die stille Luft drang. Dre Stadt schickte ihnen kleine, freund liche Lichter entgegen, erst zwei, dann drei, vier, sieben, zwölf und endlich eine ganze Menge, ein lockendes Gewimmel, bei dessen Anblick jeder, der Weg und Steg verloren hatte, einen fröh lichen Seufzer tat. Menschenleer bog sich die Straße dem an dern Eiche der Stadt entgegen. Alles Leben zwischen diesen kleinen alten Häusern schien erstorben zu sein; nur die Lichter hinter den weißen Gardinen erinnerten an das kleine Menschenwesen, das sich hier umtrieb. Schon von weitem vernahmen sie das Jauchzen und Jodeln der späten Schlittler, die den Mond schein gründlich ausnützten, um sich in sausen der Talfahrt Frische und für die Nacht eine» gesegneten Schlaf zu holen. „Hier müssen wir uns trennen," flüsterte Gabriöle. Im Schatten eines Hauses drückten sie sich zum letzten Male die Hände, zum letzten Male preßte er die junge Frau an sich. Dann schritt er hoch aufgerichtet, ein keckes Pfeisen auf den Lippen, davon. Ha! heute war man ein Kerl gewesen, heute war man erwacht aus dem Wust der ewigen Arbeit und der kindischen Scheu, die einen bis dahin gehindert hatte, zu tun wie die andern, alle Früchte zu brechw, die reif am LebenSbaume hingen ... (Fortsetzuna i» der Morgenausgabe.)
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