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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.05.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-05-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110506016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911050601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911050601
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-05
- Tag 1911-05-06
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Monat
1911-05
-
Jahr
1911
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wen aus ihrem Marsch vorwartsgelangcn konnte. Und jetzt ist «s der Vertreter Muley Hasids selbst, -El Morri, der in Paris zwei Depeschen erhält und zur Veröffentlichung bringt, wonach Brömond Ende April glücklich in Az ohne wesentliche Verluste an gelangt ist und di« Sultantruppen einen bedeutenden Sieg über die Rebellen errungen Haden? Die französische Regierung macht stets hohen An spruch darauf, datz man ihr nicht vorwirst, in Marokko etwas zu tun, was das Tageslicht scheut. Warum handelt sic jetzt so ganz nach den Wün schen der Kolonialpartei.' Warum stellt sie den Vormarsch auf Fez nicht ein, der doch nur aus „memchlnben Gründen" zur Rettung der Instruktoren und r<r Europäer befohlen worden sein sollte? Das llieheimnis, in das sie ihre Marokko Aktion einhüllt, wird so gut gehütet, datz selbst ein Telegramm des Speziall>erichlcrstalters des „Matin", der die „flie- aendc Kolonne" begleitet, wie das Blatt anmerkt, thm über London gesandt werben mutzre! „Teinps", „Echo de Paris" ujw. benützten die letzte Stunde, b.-oor El Mokri in Paris über das Wohl befinden der französischen Instruktoren ein für alle mal Austunst gab, um nochmals unter den heftigsten Verwürfen von der Regierung auch den Vormarsch der Truppen des lheixrals Touu-e von der algerischen Grenze aus nach Fez zu verlangen. Das „Paris-Journal" scheint offiziös darüber informiert zu sein, w i c w e i t di« „fliegende Kolonne" vorzurücken har. Es schreibt: „Wahr ist, datz. wenn die Umstände es > klauben, der französische Teil der Hilsskolonne nicht in Fez «inziehen wirb Diese Sorge bleibt dem marokkanischen Teil der Kolonne überlassen, b. h. den Gumicrs ber „Harka". Die so von der hilsskolonne losgelöste „Harka" wird der Hauptstadt entgegenziehen und dem Proviant und Munitionstransporl jeder Art als Eskorte dienen. Die französische Abteilung bleibt kaum einen Tagesmarsch zurück, um im Nvtsall der „Harla" Hilfe bringen und sie selbst bis nach Fez unterstützen zu können. Sobald das Ziel der Hilfs kolonne erreicht ist, b. h. die Verproviantierung von Fez und die vollständige Befreiung der Europäer, wird es nötig sein, Melines wieder unter die Auto rität Les Sultans zurückzusühren und aus dem Rück marsch über Bu-Rilso die Zaers zu bestrafen." Man stehl, Latz die Regierung, wenn sie auch di« Absicht zu haben scheint, nicht bis in die Mauern von Fez ihre Rothosen Vordringen zu lassen (ein win ziges Zugeständnis an Madrid und Berlin!), doch ein Programm durchführt, das zu drei Vierteln das Sultanat in französische Abhängigkeit bringt. Denn wenn auf der lgerisck-en Seite, um die Spanier nicht zur Besetzung von Tetuan und Larach zu veranlassen, aus die Besitzergreifung von Tasa ver zichtet, dafür aber die von Debdu vorgenommen wurde (auch ein hübscher Streich), hält man sich aus der Seite des Sckaujalandes für autorisiert, in Me- kincs, in eine der vier marokkanischen Hauptstädte, einzuriicken. Ä<er da glaubt, datz Frankreich nur pro visorisch in Debdu und Mckines verweilen wird, der soll sich die provisorische Besetzung des Schaujalandes und Udschdas anseben, um zu missen, was „proviso risch" als französisch marokkanischer Sprachbegriff oe- fagen will. Der „Eclair" schreibt: „Wir begreifen nicht gut, wi« wrr aus diesem Wespen ne st herauskommen werden, in das uns Spanien hineindrüüt, während uns Deutschland von ferne beobachtet. Wie vorteilhaft wäre es ge wesen, nicht diesen Prozetz «inzuleiten, der uns schon so teuer zu stehen kommt, und in dem kein Urteil ge fällt werden wird, oder nur ein sehr schlechtes. Wie viel besser wäre es gewesen, dem Schauspiel der marokkanischen Anarchie von weitem zuzusehen, da «s uns nicht genierte und niemand erlaubte, sich ein zumischen." Im „Petit Parisien" wird schon der marok kanische Muluyaflutz als die „natürliche Grenze der oranischen Einflutzzone" bezeichnet! Zum erstenmal gibt dies offiziöse Blatt einen Einblick in di« spa nische Stimmung: „Man mutz heute die üble Laune bemerken, die ein Teil der Madrider Presse hinsichtlich Frankreichs kundgibt. Die sofortige Be setzung Tetuans und Larachs durch spanische Truppen wird verlangt- aber in französischen diplomatischen Kreisen bemerkt man, datz diese üole Laune sehr unge rechtfertigt ist, weil wir der spanischen Regierung alle nötigen Versicherungen gegeben haben. Man setzt hinzu, datz eine militärische Intervention in den Re gionen, wo noch kein« Wirren stattfanden, eine bc- surchtenswerte Erregung und vielleicht den „Heiligen Krieg" im Gefolge haben könnte." Also nur dort, wo die Franzose» marschieren, sind keine „Wirren" und kein „Heiliger Krieg" zu befürch ten, sondern nur wo die Spanier kommen! OeuMes Reich. Leipzig, 6. Mai. * Aus dem 2. sächsischen Reichstagswahlkreise. Ueber die Grünte des Verzichts aus «ine Kandidatur des Abgeordneten Dr. Weber in Löbau Ebersbach unterrichtet folgende Erklärung, die in d«r General versammlung des 'Rationalliberalen Vereins für den 2. sächsischen Neichstagswahlkreis kürzlich in Ebers bach abgegeben wurde. Sie hat folgenden Wort laut: „Herr Dr. Weber hat von vornherein ausdrück lich erklärt und hält daran fest, datz er nur kandi diere, wenn er als alleiniger Kandidat der bürgerlichen Parteien aufgestellt wird, denn er hält bei einer Befehdung der bürgerlichen Parteien unter sich den Kamps gegen die Sozialdemokratie für wenig aussichtsvoll, er hat aber auch n a ch den bisherigen Vorkommnissen Anlatz zu der D e) ü r ch t u na, datz die Gegner den Wahl- lamps nicht sachlich autfassen, sondern in persön lich gehässiger Weise Folgen in Aus sicht stellen oder ziehen für das von ihm mit ver tretene B a n k i n st i t u t, besten Interessen ihm in erster Linie am Herzen liegen müssen. Da die Konservativen, trotzdem ihnen dieser Standpunkt des Herrn Dr. Weber bekannt war. vom Anfang an und schon seit Monaren eine eigene Kandidamr er richteten und festhrelten, wurde es Herrn Dr. Weber unmöglich gemacht, zu kandidieren. Eine Einigung mit der Freisinnigen Volkspartei wäre zu «rhoffen gewesen." Diese Kundgebung bestätigt unsere vor Monaten wiedergeyebene Nachricht, datz Dr. Weber agrari sch e n Einflüssen weichen mutz. * Der Landesverband der Feftbesoldeten für das Königreich Sachsen hält Sonntag, den 14. Mai, vor mittags 11 Uhr, ini Lchrervereinshaus zu Leipzig in der Kramerstratzc seine diesjährige Vertreter versammlung ab. Auf Ser Tagesordnung wird der weitere Ausbau der Organisation stehen-, außer dem werden Beschlüste gefasst werden über Las Ver hältnis des Landesverbandes zum Bunde der Fest besoldeten und die Siellungnahme zu den bevorstehen den Reichstagswahlen. Auch ie Vertreter noch nicht angeschlostener Vereine Festbesoldeter können an der Vcrtrctcrversammlung teilnehmen. * * Kaiser und Reichskanzler in Karlsruhe. Der Reichskanzler ist Freilag vormittag in Karlsruhe eingetrvffen. Auf dem Bahnsteig waren zur Be- ariitzung erschienen Gesandter Freiherr v. Jenisch, Gesandter v. Eisendecher und der Adjutant des Grotz- herzogs Major v. Braun. Der Reichskanzler nahm im Residenzschlosse Wohnung und wird den Kaiser am Sonnabend nach Stratzburg begleiten. — Der Kaiser hörte am Freitag vormittag den Vortrag des Reichskanzlers. Später folgten das Kaiserpaar und Prinzessin Viktoria Luise einer Einladung der Prinzessin Wilhelm zur Frühstückstasel. ' Ueber die Sommerreisepläne de» Kaiser» wird berichtet: Am 10., 12., 13. und 14. Juni besichtigt der Kaiser die Garde-Kaoallerie-Regimenter in Döberitz und am letzten Tage die gesamte Kaoalleriedivision. Im Juni will «r einige Jagdausflüge unternehm«» und von Präkelwitz aus Danzig besuchen. Am 19. und 20. Juni finden die Segelregatten auf der unteren Elbe statt: vom 21. bis 29. Juni ist der Kaiser zur Woche in Kiel, der sich die Regatten Kiel—Trave münde anschlictzen. Anfang Juli beginnt die N o r d l a ii d r e i s e, die bis Anfang August dauert. Voraussichtlich wird der Kaiser den am 1. August in Attengrabow endigenden grotzen Kavallericübungen der Gardelavalleriedivision und der Kaoatterieüloi- sion beiwohnen und dann seinen Aufenthalt auf Wilhclmshöhe nehmen, den er durch Abnahme einer Parade auf dem Mainzer Land zu unterbrechen pflegt. Am 20. August ist die Parade des 9. Korps bei Altona, am 29. August die Parade des 2. Korps bei Stettin und anschlietzcnd die Flotrenparade bei Swincmünde. Am I. September findet die Herbst parade des Gardekorps statt. Die Kaisermanöver dauern vom 11. Lis 14. September. Der Kaiser be absichtigt, auch der grotzen Fcstungsübung bei Thorn deizuwohncn, die am 18. September beginnt, fünf Tage Lauert und mit dem feldmätzigcn Bau einer Vollbahn verbunden ist. — Die Kaiserin wird zu Anfang Juli in Wilhelmshöhe eintreffen * Beisetzungsseierlichkeit in Bückeburg. Im Grotzen Saale des Rendenzschlosses, in dem die Leiche des Fürsten Georg in einem geschlossenen Sarge in mitten einer prächtigen Trauerdekoration aufgebahrt war. begann am Freitag um 11 Uhr die Trauerfeier, an der neben der Fürsteniamilie nur die zur Beisetzung erschienenen Fürstlichkeiten teilnahmen. Nach dem Eoorgesana „Christus, der ist mein Leben" hielt Hoiprediger Müller eine kurze Trauerrede und segnete hierauf die Leiche ein. 'Nach Beendigung der Feier wurde der Sarg von den Söhnen Les Ver storbenen zu dem sechsspännigen Leichen wagen getragen Unter Glockengeläuts und den« Trauersalut bewegte sich der Trauerzug Lurch die Stadt nach der Ltadtkirche, wo die Fürstinmutter und die übrigen Fürstendamen den Zug erwarteten. Der Fürst zu Schaumburg- Lippe führte die Mutter, Prinz Eitel Friedrich die Herzogin Max von Württemberg beim Eintritt in die Kirche. Der Sarg wurde vor dem Altar auf gestellt. Nach dem Gemeindegesang „Jesus »reine Zuversicht" hielt Landesiuverintendenr Thürnau die Leichenrede über das Wort: „Ich bin Las Licht der Welt." Hierauf segnete er die Leiche nochmals ein. Der Sarg wurde in die Sakristei getragen und dort vorläufig beigesetzt. Mit Gesang, Gebet und Segen schloss die kirchliche Feier. Nach der Bei- setzungsfeierllchkeit sand für die fürstlichen Gäste im Residenzschlosse ein Frühstück statt. * Reichstagswahlvorbereitungen. In Düssel dorf stellten die Nationalliberalen im Verein mir der Fortschrittlichen Volkspartei wieder den Justiz rat Kehren als Reichslagskandidaten aus. — Der Nationalliberale Verein für den Wahlkreis Ahr weiler-Mayen stellte den Oberlandesgerichtspräsi denten a. D. Hamm-Bonn als Neichstagskandt- daten aus. * Abgeordnetcnjubiläum des Führers der preu- tzischen Rationallidcralen. Sonntag, den 7. Mai, begeht der Führer der nationalliberalen Fraktion im preussischen Abgeordntenhause, Geh. Regierungsrat Professor Dr. Friedberg, sein 2ö jähriges Abgeordnetenjubiläum. Abg. Dr. Fried berg vertrat 1.886 bis 1903 den Halle-Saalekreie, seit 1903 ist er Vertreter des Kreises Düsseldorf 1. Die Fraktion begeht diesen Iubiläumstag ihres Führers durch ein Festmahl, das nachmittags 5 Uhr im Fest saal des Abgeordnetenhauses stattfindet. * Die „Berichtigung" der Trinksprüche, die in Rom am 26. April zwischen dem König von Italien und dem König von Schweden gewechselt wur den, sucht das Wolffsche Telearaphenburea« folgender matzen zu erklären: „Anacstchts der Erörterungen, die sich an unsere Wiedergaoe der am 26. April »n Rom gewechselten Trinkspruche geknüpft haben, stellen wir fest, datz uns die Trinksprüche von der „Agenzia Ste- fani" nicht im Wortlaut, sondern imAuszua über mittelt worden sind. Dieser in französischer Sprache adgefatzte Auszug gab das italienische „principi liberali" des Originals vielleicht infolge eines Tele graphierfehlers mit „principes libcrtös" wieder, was wörtlich mit „Grundsätze und Freiheiten" übersetzt worden ist. Auch im übrigen ist der Auszug un gekürzt und unverändert an die deutsch? Presse weitergegeben worden, abgesehen von der einen Stelle: „Cinguantenaire proclamation Rome kapi tale", die leider ungenau übersetzt worden ist. Das Motiv dieser ungenauen llebersetzuna waren chronologische Bedenken des Redakteurs, der der irrtümlichen Meinung war, Rom sei erst im Jahr« 1870 als Hauptstaot des Königreichs Italien prokla miert woroen, während die Proklamation tatsächlich schon in der Rede Cavours vom 17. März 1861 erfolgt ist. Der im italienischen Original folgende Satz: „Vota ardente usw." ist uns nicht übermittelt worden. * Wer war der Denunziant? Bis jetzt ist nicht bekannt, wer die letzte Anzeige gegen Pfarrer Jatho erstattet hat. In Köln heitzt es, es sei rin „Durchreisender" gewesen, der Jathos Predigt steno graphiert habe. Die angesehensten Kölner Ortho doxen erklären energisch, datz sie mit dieser Verfolgung n ichts zu tu n Haven. Zum mindesten sollte aber doch der Angeklagte ein Recht darauf haben, seine Ankläger zu kennen! Anonym bleibende Leute be- lierrichen jetzt überhaupt vielfach die protestantische Kirche. In Lex „Dortm. Ztg." denunzierte ein unge nannier Einsender den Pfarrer Liz. Götz, weil er das Apostolikum bei der Konfirmation nicht gebraucht habe. * Mischehe — ein Höllenpfnhl und Wortbruch göttliche Gnade. Die „Evangelische Kirchenzeitung für Oesterreich" teilt folgenden Brief mit, den der zuständige katholische Pfarrer an einen katholischen Spinnereiobermeister schrieb, als Lieser sich mit seiner evangelischen Braut von dem evangelisäzen Pfarrer von Fürstenfeld trauen lasten wollte: „Mein geliebter Herr! Bedenken Sie doch, was Sic vorhaben! Eins ungültige Ehe ein gehen vor Gott und vor der katholischen Kirche, eine Todsünde begehen und in derselben forl- lebcn und sich für die Hölle vorberei- t e n. Davor behüte Sie der liebe Gott! Wenn Sie etwas Sündhaftes versprochen haben oder s o. gar mit dem Eid* bekräftigt, bindet Sie das gar nicht im Gewissen und vor Gott, und hindert Sie nicht, datz Sie das Gott selbst bei der heiligen Taufe gemachte Versprechen der Treue halten. Bedenken Sie alles das und bitten Sie Gott um Gnade und Erleuchtung, wofür auch bitten wird und beten Sava (Littai), 28.3 1911. Josef Koblar, Pfarrer." Die evangelische Trauung eines Katholiken ist also ungültig, die Ehe eine Todsünde und ein Höl lenpfuhl, der gewissenlose Wortbruch aber göttliche Erleuchtung und Gnade! Was für eine Verwirrung der sittlichen Grundbegriffe spricht aus diesem römi schen Priesterurteil! Ruslanü. OeNerreich-Ilng.irrm. * Zum Tode des Handelsministers Hieronnmi. Aus Pest wird gemeldet: Der Präsident des Ab geordnetenhauses Berzeviczy widmete dem ver storbenen Handelsminister Hieronymi einen tief empfundenen Nachruf. Ministerpräsident Gras Khucn-Hedervary drückte seine Trauer aus über den Verlust, den besonders die Regierung durch das WiLüec ein neuer Shakespeare? Don Edwin Bormann. Im Jahre 1616 starb in feinem Heimatstädtchen Stratford der ehemalige Schauspieler William Shakspere,*) ohne datz sich auch nur eine einzige Stimme in ganz England erhob, die Len Tod eines grofzen Dichters beklagt hätte. Sieben Jahre später, 1623, erschien in London die erste Gesamtausgabe der 36 Dramen William Shakespeares,") 15 davon nie gedruckt, alle übrigen sorgfältig überarbeitet. Wiederum zweiundeinhalb Jahr später, im April 1626, starb Francis Bacon, Baron von Verulam, Viscounl St. Alban, der Mann, der dis 1621 als Lordkanzlcr von England an der Spitze der Re gierung gestanden hatte. 32 lateinische Trauer gedichte beklagten damals den Tod dieses vielseitigen Gelehrten und Politikers, aber sie beklagten nicht nur den Verlust eines grotzen Staatsmannes, Juristen, Naturforschers und Philosophen, sondern vor allem den eines grotzen Dichters, des grössten Dichters der Engländer, des Lieblings der tragischen Mus« Mclpomenc. Waren der Schauspieler Shakspere und der Dichter Shakespeare ein und dieselbe Persönlichkeit? — Warum hätte man dann den Toten des Jahres 1616 so unbeachtet gelassen? — Hinwiederum welchen Grund mochten die Freunde und Verehrer Francis Bacons Haden, ihn als grössten Dickster zu preisen, da doch nur einige wenige Verse mit seinem offenen Namen gedruckt worden waren? Wussten dies« ge lehrten und sprachkundigen Freunde etwas mehr von der literarischen Tätigkeit Francis Bacons, als sie mit klaren Worten ansfprechcn wollten? Die politischen Wirren, die theaterfcindliche Puri tanerherrschaft und der veränderte Zeitgeschmack drängten die dramatischen Meisterwerke, die einst mir vollem Recht ganz England, Hof und Volk, ent zückt und begeistert hatten, in den Hintergrund, bis man sich im Laufe Les 18. Jahrhunderts, erst in Eng- land, bald darauf auch in Deutschland wieder leb hafter damit zu beschäftigen begann. Zugleich aber wurden, und zwar gerade von den ernsthaftesten Forschern, bereits ums Jahr 1730 Zweifel an der Verfasserschaft des Schauspielers vernehmbar. Das Leben, der Eharakter und die Bildung des Schau spielers stimmten so wenig mit dem überein, was die Dichtungen Vorboten, datz man mindestens aus die Mitarbeitcrslbait einer tiefer angelegten und ge lehrteren Persönlichkeit schlietzen zu müssen glaubte. Goethe erkannte im Dichter des Hamlet und Lear einen Mann, dem durchaus etwas Höheres als die Bühne und die blotze Theaterwirkung als End zweck vorschwebte. Heinrich Hein« erklärte, die eng lischen Königsdramen müssten von einem Autor her rühren, der den grotzen Staatsaktionen persönlich ganz nahegestanden habe. Benjamin Dieraeli sder spätere Lord Beaconsfields bezweifelte im Jahre 1837 die Autorschaft des Schauspielers in nackten Worten. In England, Deutschland und Nordamerika Tbckipere — fo würbe der Name »wn den Lira». forder Behörden, )o auch vom Schauspieler selbst ftklchriebrn. Thakespear« ober Lhake-speare — so lautet ber Siainr ans saft allen triginaltstelblLttern beb i». «ab 17. Jahrhundert«. erhoben sich Stimmen, die das gleiche taten, bis 1856 Mr. William Henry Smith in London und Mitz Delia Bacon in Amerika, beide unabhängig von einander, auf eine ganz bestimmte Person als den Autor der Shakespeare-Dramen hinwiesen. Smith nannte Francis Bacon, Delia bezeichnete ebenfalls Francis Bacon, nahm jedoch an, datz noch einige andere Autoren beteiligt gewesen seien. Der amerikanische Rechtsanwalt Nal ha nie! Holmes fasste 1866 alles damals über die Theorie Ergründete in seinem Werke „The Autorship of Shakespeare" zusammen, die gelehrte Mrs. Poti in London veröffentlichte ein bis dahin vernachlässigtes wichtiges Manuskript Francis Bacons und schrieb eine Anzahl interessanter Büchlein. Andere eng lische und amerikanische Forscher arbeiteten mit mehr oder weniger Geschick auf dasselbe Ziel los. Der Erfolg liess denn auch nicht auf sich warten und machte sich, wie es kaum anders zu erwarten war, zunäcblt in den höchsten Gcistesschichten bemerk bar. Lord Palmerston, der Staatsmann John Bright. Gladstone, General Butler, Samuel Taylor Eoleridge. der Geschichtschreiber Henry Hallam, Charles Dickens, Lowell, Whitticr stellten in meist sehr drastischen Ausdrücken die Verfasserschaft des Schauspielers in Abrede. Friedrich Nietzsclze erklärte sich offen für die Autorschaft Bacons, und selbst Fürst Bismarck begann lebhafte Zweifel über den Schauspieler zu hegen. Karl Friedrich Graf Vitzthum v. Eckstädt sOheim des jetzigen sächsischen Premierministers'), «in vielseitig gebildeter Diplomnat und als Dichter, Geschichtschreiber und Literaturforsckzer (meist anonym und pseudonym) tätig, war der erste, der grötzere Kreise in Deutschland auf die Bacon-Theorie auf merksam machte. Es geschah dies hauptsächlich durch seine „Shakespeare und Shakspere" betitelte Schrift, die bei der I. G. Cottaschen Buchhandlung in Stutt gart 1888 herauskam. Von weit stärkerer Wirkung freilich auf die Deister war Edwin Bormanns 1894 erschienenes „Shake speare-Geheimnis". Neidlos erkannte der ehrwürdige Graf Vitzthum an, datz darin „der längst gesuchte Beweis für die Autorschaft Bacons endlich gefunden" sei. Hier, in diesem meinem Buch«, ver suchte ich, als der Erste, ganz« Shakespeare-Dramen mit der wissenschaftlichen Denkweise Francis Bacons in Parallele zu stellen. Schwere Einbutzc erlitt die jungerbliihendc Er kenntnis durch die Erpenmente einiger Amerikaner. Der eine davon sder sonst sehr viel Bcachtenswcries zutage gefördert hatte) verfiel auf das Suchen einer Geheimschrift, Las zu einem mathematischen Nonsens ausarzete: der andere zerschnitt mehrere Dutzende alter Drucke, klebte sie allesamt auf eine Riesendreh- vorrichtuna und suchte daraus einen Sinn zu ergrün den: «ine Dame wandte Bacons eigenes Zweilettern- Kryplogramm an, ging aber dabei so leichimüttg zu Werke, datz sich ihr die Fehler beim ersten Anlauf Nachweisen lassen. Alle drei Genannten waren und sind überzeugt von Francis Bacons Autorschaft, nur bringen sie alle drei allerhand andere seltsame Dinge zutage, die bedächtige Leser von der ganzen Sache abschrecken. (Bald soll Francis Bacon der Cohn der Elisabetb, der Bruder des Grasen von Essex sein, bald tritt diese und die andere ganz unglaubliche Tatsache als scheinbar wohlverbrieft hervor.) Eine noch andere Schattierung bietet die jüngste Vergangenheit und Gegenwart. Bis zum Jahre 1905 war die Gesamtheit der Interessenten in zwei Lager gespalten. Auf der einen Seite war das Feldgeschrei: „Hie Schauspieler Shakespeare!" Auf der anderen: „Hie Francis Bacon!" Innerhalb der jüngsten sechs Fahre aber ist man von einigen Seiten bcstreot, weder den einen noch den anderen gelten zn lassen, sondern bringt ganz neue Namen und Persönlichkeiten für zweiten Buche, bekennt der pseudonyme Peter Alvor in seinem „Shakespeare-Evangelium" behauptete, die Grafen von Southampton und von Nutland seien die gemeinsamen Verfasser der Dramen. Bald darauf folgte ihm Georg Bleibtrcu, lietz aber Southampton fallen und erhob Rutland allein auf den Schild. Ernsthaft sind diese Behauptungen überhaupt nicht zu nehmen, denn heute, in einem 1911 erschienenen zweiten Ruche, deeknnt der Pseudonyme Peter Alvor leibst, oag er völlig von seiner Ansicht abgckommen sei; nicht die Grafen von Southampton und von Rut land, sondern Anthony Bacon, der um zwei Jahre ältere Bruder Francis Bacons, soll nach der beutigen Anschauung Peler Alvars der heimliche Shakespeare- Dichter gewesen sein. Ob das Publikum diesmal die Sache ernsthafter nehmen soll, weitz ich nicht; denn zunächst möchte man weiter nichts tun, als die Frage aufwerfen: Vor sechs Jahren waren es jene beiden Grafen, jetzt soll es Anthony sein — wer wird in wiederum lechs Jahren von demselben Forscher als Autor genannt werden? So nahe es liegt, damit die Angelegenheit bewenden zu lassen, so gebietet es doch die viele Mühe, die sich der Verfasser gegeben hat, das neuerschienene Buch etwas näher anzu schauen. Sein Titel lautet: „Anthony Bacon Die Lösung des Shakespeare-Problems von Peter Alvor" (München und Leipzig, bei Georg Müller, Verlag.) Ernes hat das Buch mit den Verfechtern der Francis-Bacon-Theorie gemeinsam: auch Peter Alvor verwirft die Autorschaft des Schauspielers. De: Stratforder Naturbursche kann es durchaus nicht ge wesen sein, aber — so sagt Peter Alvor — unmög lich auch war es Francis Bacon. Sehr nett wird dann auseinandergesctzt, datz es ums Jahr 1600 durchaus kein Geheimnis gewesen sei. wer der Dichter der Dramen war, datz vielmehr alle literarisch Ge bildeten wussten, der Schauspieler konnte ?s nicht ge wesen sein, und Latz viele den wahren Dichter (nach Alvor Anthony Bacon, kannten oder vermutefen). Pcter Alvor geht sogar so weit, zu behaupten, man dürfe gar nicht von einem Shakespeare-Geheimnis reden, es sei nie ein solü'cs vorhanden gewesen. Nun, auch ich selbst habe, und zwar schon vor Jahren und an verschiedenen Stellen meiner Schriften, die Ucber- zeuguna ausgesvrachen, Latz nicht nur einige, son dern sehr viele um die wirkliche Autorschaft der Dra men Besckieid mutzten Aber es waren dies (wie ja auch Alvor sagt) nur die Höhergebildeten. Der grotzen Menge, besonders aber dem 19. Jahrhundert gegen über handelt es sich dennoch um ein Geheimnis, denn weder die Plebs von London ums Jahr 1600, noch die hellsten Köpfe der Zeit vor 1850 gaben sich Recbrn- schafr darüber, wer denn wohl der wirkliche Dichter sein könnte. Grotzen Dank mutz man dem Verfasser für das fleissige Zusammentragen alles dessen, was sich über Anthony Bacon sagen läßt, aussprechen. Man er fährt s?, wer der Mann ist, den er als Shakespeare- Dichter auf den Schild heben will, und man schliesst aus diesem und aus den mageren Andeutungen über den Zusammenhang Anthony Bacons mit den ein zelnen Theaterstücken (nur einige werden besprochen) etwas ganz anderes, als Herr Peter Alvor selbst schlietzen zu müssen glaubt — nämlich, datz Anthony Bacon nicht der Verfasser sein kann. Auf die Einzel heiten einzugehen, hätte wenig Zweck, denn es wird dem Verfasser ebenso schwer sein, seine Hypothese zu halten, wie es ihm schwer war, die Southampton- Rutland Theorie ernsthaft zu verfechten. Einen Grund nur wollen wir hier ins Feld führen, weshalb es geradezu unmöglich sein kann, datz Anthony der Shakespeare-Dichter ist. Anthony Bacon starb 1601. Wäre er der Verfasser der Shakespeare- Dramen, so mühten sie also allesamt vor diesem Zeit punkte enrstanden sein, und wären dann jahrelang, bzrv. fast ein Vierteljahrhundcrt lang, im Pulte liegen geblieben, ehe man an ihre Veröffentlichung ging. Welcher crnsthafte Shakespeare-Kenner aber, sei er nun Baconianer, sei er ein Anhänger der alten Schauspielertheorie, wird es zugeben können, datz alle die uns teuer» Meisterstücke vor 1601 geschrieben seien? „Hamlet" erschien 1603 zum erstenmal ge druckt, 1604 fast aufs Doppelte erweitert. War es der 1601 Verstorbene, der ihn erweiterte? „King Lear", „Macbeth'', „The Tempcst" („Der Sturm") sind auf keinen Fall vor 1601 geschrieben, „Heinrich der Achte" kann, wie aus mehreren Tatsachen hervor geht, erst nach 1621 die jetzige Gestalt erhalten haben. Peter Alvor scheint diesen so überaus wichtigen Punkt der Zeit der Entstehung der einzelnen Dramen ganz und gar übersehen zu haben. Am Schlüsse steht geschrieben: „Die Gelehrten mögen nun meine — leider ungeseilte Arbeit nach prüfen . . ." Klingt das nicht beinahe so wie: Ich habe eine neue Theorie aufgestellt, bewiesen habe ich sie nicht, geht nun ihr, ihr Gelehrten, daran, das, was ich behaupte, zu beweisen? Dabei nimmt der vertrauensselige Autor an, „datz in wenigen Jahren Anthony Bacon allgemein als Shakespeare" gelten wird. Ob sich nicht Peter Alvor darin eben so sehr täuschen wird, wie er sich mit seiner Grafenthcorir getäuscht hat? Gegenwärtig aber liegen, unserer Meinung nacb, die Dinge so: Alle die für den Schauspieler Shake speare elntretenden Heisssporne sind durch die Fülle der Tatsachen schwankend geworden, kein einziger ist mehr fest von der Autorschaft des Stratforders über zeugt. Eine grotze Anzahl von Gelehrten und lite rarisch gebildeten Laien tritt seit Jahren für Francis Bacons Autorschaft ein und hält daran fest. Selbst die phantastischen Geheimschrlftensucher jenseits des Ozeans halten Francis Bacon für den Dichter. Und Peter Alvor allein ist es. der nach einer dritten Per sönlichkeit ausspäht und dabei nicht nur eine, son dern nun schon ihrer drei neue Shakespeare ge funden hat. Noch könnte uns jemand den Vorwurf der Partei, lichkeit machen wollen. Aber wer in aller Welt wäre der Berufene, solch ein Buck, zu beurteilen? Ein Forscher der alten Schule würde es von seinem Stand punkte aus besprochen haben; mich, den Anhänger der Francis-Bacon Theorie, kann die Schrift Älvors keinen Augenblick von meiner Ansicht abweichen mackfen; und einen Anhänger der Anthony-Bacon- Theorie gibt es nutzer dem Verfasser selbst bis heute nicht.
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