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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.05.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-05-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110509013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911050901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911050901
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-05
- Tag 1911-05-09
-
Monat
1911-05
-
Jahr
1911
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Bezugs-Prei- An^eiqen-Prei- Ntt Leiviia ««» Burtt »>rch >»Ir« Träger und Spedtt««« 2««l tialich tir» Sau, gebracht: WPt. »»««tÜ, 2.7« Mt. vierieljLLrl. Bet ««lern Fillale« «. >»- na-meftrlle« abae-«lt: 7» Vs. LS Ml. «teettlfihrk. V«»ch »tt P«K: innerhalb Deutschland» nnd der deutschen Kolonien vterteljahrl. >.« Bit., monatl. 1^0 Ml. a»»j-l. Postdestellaeld. ferner i, Belgien, DLneoarl, de» Donaustaoten. Stallen. Luremdura. »tederland«, Ve» weaen, Österreich - Ungarn, R»tzl««H, SimoeoeR. Sidwei- m. Eoa«ieu. Ja allr» übrigen Staaten nur direkt durch di« VeschLft.stell« de» Blatte, «rhLUlich Da» Leipziger Dagedlatt «rlcheint 2 »al tialich. Sann- ». Feiertag» nur »er,«»». Udttntt*tt«t»->anad»« L»»a««t»,»I1, I, bei tullerr« Iriger». Alltalen. Spediteure« und In»a-«eftell«n, sowie VoftSintern ««d Bttesttäger«. Gt»,«l»»rk»,r»»,»t» NW. Morgen-Ausgabe. MiWgerTWMaü gti.-7i»Hi Hanbelszeitung. «el-rMl^uK Amtsblatt -es Nates und des Vokizeiamtes der Ltadk Leipzig. IBr Snseratt «u» Lerptt, »nd Umgebung di» lspalitgePetttzetle LPf-dle-leklom». »etl« l Mr.: von au»wart» AI Pt.. Reklamen 1^0 Ml. Inserat« von Behörden im amt- liche« Teil die Pettt»eile 50 Pt. Selchäfrsanjeigen mit Platzvorschnsten u. ,n der Abendausgabe lm Preise erhöh« Rabatt nach laus. Beilagegebühr Gesamt, auslag« 5 All o lausend erkl. Postgebühr. Tetlbeilage Höher. Feftettetlt« Auftrage rönnen nrcbt zurück, gezogen werden Für da» Erscheinen a» bestimmten lagen und Platzen wird kein« Garantie übernommen. Anzeigen. Annahme. I,da«»i»,«sse N, bei sämtlichen Jiliolen u. allen Annoncen- Ezpedttionen de» In» und Aurlandea Druck ,,» v«rl«g »«, Leipziger !«,»- blatte» S Volz. Inhaber: Pa»l Aürftr». Aedattton und Geschäst»st«ll«: Iohannisgass« 8. Haupt-Fili«Ie Dresden: Seestrah« 4. I tTelephon 4621) Nr. 128. Die vorliegende Ausgabe umsaßt 18 Seiten. vss süchtigste. * Der Kaiser nahm am Montag nachmit tag vor dem Kaiserpalast die Huldigung der Studenten der Universität Strassburg ent gegen. (E. d. bes. Art.) * Der Reichstag förderte am Montag die Bc ratung der Reichsversicherungsordnung bis 8 213. lS- Reichstagsber.) * In der „Nordd Allg. Ztg" wird das Gerücht non der Entsendung dreier deutscher Kreuzer nach Marokko sehr scharf demen tiert. (C d. bes. Art.) * Aus Anlaß der Niederwerfung des Auf stand es in Ponape verlieh der Kaiser mehrere Ordensauszeichnnngen. iS. Dschts. R s * Wie gerüchtweise verlautet, wurden in Pene zue la neue revolutionäre Pläne auf gedeckt. Nulle« «ul Deutkchlsnüs hohen Schulen. In Berlin hat sich vor ein paar Tagen ein russischer Student erschossen, weil er nicht immatrikuliert worden ist. Es muh ein nervöser, übersensibler junger Mensch gewesen sein, denn der Grund war eigentlich lein zwingender. Er war schon an drei anderen deutschen Hochschulen immatrikuliert gewesen und hätte, zumal das Semester kaum begonnen, anstandslos an eine von diesen Stätten zurück kehren können; schließlich quillt der Born der Wissenschaft in deutschen Landen ja nicht bloß in Berlin, und auch in Wien kann man zu Füßen sehr ansehnlicher deutscher Ge lehrten sitzen. Also wenn man will: die Tragödie einer schwächlichen Jünglingsseele, die nicht die erste und leider nicht die letzte jein wird. Aber der melancholische Handel hat für uns Deutsche und insbesondere für die Preußen unter uns doch noch eine andere, sozusagen öffentliche und politische Seite, und darüber wird doch noch ausführlicher zu reden sein. Der junge Mann ist vom Rektor und llniver- sitätsrichter nicht immatrikuliert worden, weil die Polizei ihn als politisch verdächtig bezeichnet hatte, lind in diesen Perdachl scheint er geraten zu sein, weil er einem inquirieren- den Schutzmann oder Wachtmeister aus den freundschaftlichen Rat: er möge sich doch dem von der russischen Botschaft patronisierten russischen Verein anschließen. zur Antwort ge geben hat. ein solcher Verein sei nicht nach seinem Geschmack; er suche nach einem Zirkel freiheitlicher russischer Studenten. So soll sich der Vorgang nach der polizei-offiziösen Dar stellung zugetragen haben, und schon diese Ver sion, die ihr gewiß nicht feindlich ist. bezeugt die rechtschaffen oberflächliche Art. wie die Ber liner politische Polizei derlei Fragen zu be handeln pflegt. Sie beweist auch eine schier beschämende Abhängigkeit unserer Universitäts behörden von der Polizei. Wir denken über die Immatrikulation russischer Studenten an Deutschlands hohen Schulen an sich ungeheuer skeptisch. Wir hätten nicht einmal etwas dagegen, wenn sie rundweg und grundsätzlich ihnen verweigert würde. Denn diese Elemente gehöreneigent- lich nicht zu uns. Eie haben, da die russischen Gymnasien und gar noch die Realschulen auch nicht entfernt dem Kursus unserer Dollanstalten entsprechen, keineswegs die Vorbildung, die wir non unseren angehenden Musensöhnen ver langen. Eie haben, weil sie zu großen Teilen sich aus durchaus anderen Schichten rekrutieren. andere gesellschaftliche Ge wöhnungen als wir, und werden so viel fach von unseren deutschen Studenten mit Recht als ein« höchst unerfreuliche Belästigung empfunden. Sie kommen vielfach auch gar nicht zu uns, um zu lernen und. wie es sich für sie in solcher Position ziemt, bescheiden aufzuneh men, sondern um vom ersten Augenblick an zu kritisieren. Wer diese Leute überhaupt richtig kennen gelernt hat — mit ihrem unleidlichen Hochmut, der sie über die alten Formen unserer Gesittung nur mitleidsvoll die Lippen kräuseln läßt, mit ihrer Krittelsucht und unausstehlichen Besserwisserei —. wird sich Vlenstsy, üen S. Mal ISN. schwer verursacht ühlen, schützend über sie die Hände zu breiten. Wenn man also die russischen Studenten prinzipiell von unseren Hochschulen ausschlösse, wäre kaum Ernsthaftes dagegen einzuwenden. Um so weniger, als ja auch Rußland in diesen Stücken keine Gegen seitigkeit kennt und in echter slawischer Ueber- heblichkeit zu seinen Dressuranstalten nur zu läßt, wer sich ein russisches sogenanntes Maturum ersaß. Wenn wir aber zu solcher Rigorosität uns nicht entschließen können, dann würde es uns wohl anstehen, die Dinge anders anzu fassen als bisher. Die jetzige Praxis er niedrigt Männer von begründetem Weltruf zu Gehilfen der doch sehr reformbedürftigen poli tischen Polizei. Aber es muß doch noch andere Mittel für die llniversitätsbehörden geben, sich über den Grad der politischen Zuverlässigkeit russischer Adepten zu unterrichten als „das Zeugnis des Schutzmanns L oder B", oder, was noch schlimmer ist, das Avis irgendeiner russischen Polizeistelle. Die Merkmale der politisch Verdächtigen sind in Rußland ja nicht schwer zu erwerben. Als vor langen Jahren diese Frage einmal im preußischen Abgeordneten bause behandelt wurde. meinte der Sprecher der Linken: in Rußland würden dazu wohl schon freisinnige und national liberale Anschauungen ausreichen. Das ist vielleicht noch nicht einmal genug gesagt. In Rußland sperrt man bereits Schulbuben von 14 bis 15 Jahren, bei denen sich nur ein törichtes Buch fand, in die Gefängnisse ein. Auch gibt es dort für derlei Vergehen kein geordnetes gerichtliches Verfahren; das besorgt der „ad ministrative "Weg" kurz, geräuschlos, nachdrück lich, Anklage, Verurteilung und Strafvollstreckung gleich in einem. Darum sollten unsere Univer sitäten, wenn sie überhaupt dem slawischen Nach wuchs ihre Tore öffnen, sich jeden Fall eines politisch verdächtigen Russen doch nur genau ansehen. Und wenn ihre eigenen Organe dazu nicht ausreichen, sollten sie wenigstens durch freundschaftliche Vorstellungen dahin zu wirken suchen, daß die politische Polizei für dergleichen Inquisitionen einigermaßen geschulte Kräfte verwendet. Ksilertsge in Strstztmrg. Kaiser Wilhelm nahm am Montagvormittag in Straßburg den Vorbeimarsch der Truppen der Garnison ab, der von Generalleutnant Freiherrn von der Goltz kommandiert wurde. Hierbei führte der Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha das zweite rheinische Husarenregiment Nr. 8 vor. Nach be endigtem Vorbeimarsch hielt der Kaiser eine Kritik ab und nahm sodann militärische Meldungen ent gegen. An Ordensauszeichnungen wurden u. a. verliehen: dein kommandierenden General von Fabeck der Rote Adlerorden erster Klasse mit Eichen laub, Generalmajor von Borries der Stern zum Kronenorden zweiter Klasse und den Generalmajoren von Böckmann, Dernen und Auler der Rote Adler orden zweiter Klasse mit Eichenlaub. Inzwischen war von der Universität her die gesamte Studentenschaft der Universität angerückt, die von dem Rektor geführt wurde. Voran zogen die Chargierten in vollem Wichs mit Fahnen und blanken Schlägern. Dahinter in impo- lantem Zuge über zweitausend Studenten. Der Rettor meldete dem Kaiser, daß die Studenten bereit ständen, ihrem Kaiser die Huldigung darzubringen. Der Vorsitzende des Studentenausschusses trat hieraus vor, während die Chargierten einen Halbkreis um ihn bildeten, und dankte dem Kaiser für die gnädige Erlaubnis. Er sagte, daß die Stu denten mit aller Begeisterung, deren die akademische Jugend fähig sei, dem großen Führer des deutschen Volkes entgegeniubelten und an diesem Ehrentage das heilige Gelöbnis ablegten, daß, wenn sie dereinst an den heiligen Aufgaben des Vaterlandes mit wirken dürften, sie stets treu zu Kaiser und Reich halten würden. Redner schloß mit einem dreifachen Hoch auf den Kaiser, worauf die Nationalhymne gesungen wurde. Kaiser Wilhelm erwiderte darauf folgendes: „Ich spreche Ihnen meinen Dank aus für die Huldigung, die Sie mir soeben dargebracht haben, und ich erwarte von Ihnen, daß. wenn Sie einst ins Leben hinaustreten werden, Sie gelernt haben werden aus dem, was in unserem Vaterlande vor geht, daß die Partei nicht die Hauptsache ist, sondern einzig und allein das Gedeihen unseres Vaterlandes und unseres Volkes. Wenn Sie deren Interessen voranstellen, so hoffe ich, daß stets Ihr Leitstern und Ziel das Wohl des Vaterlandes sein wird." Die Studenten zogen hieraus truppweise, sich vor dem Kaiser verneigend, vorüber, der noch den Rektor ins Gespräch zog und sich dann zum Früh stück bei dem kommandierenden General von Fadeck begab. Mit dieser Etudentenhuldiqung hat der unan genehme Zwischenfall bei der Enthüllung des Denk mals Kaiser Wilhelms l., über den wir gestern abend berichtet hatten, seine Erledigung gefunden. „vorläufig nicht." Aus Berlin wird uns geschrieben: Werden aus dem Vorgehen der Franzosen in Marokko politische Weiterungen entstehen? Diese Frage haben sich wohl alle am politischen Leben teilnehmende Deutsche in den letzten Wochen gestellt. Heute kann man die Frage dahin beant warten: „Vorläufig nicht." In dieser Antwort liegt zweierlei: die Ablehnung eines sofortigen Ein greifens und die Voraussicht, daß in der Zukunft sich die Dinge nicht ganz einfach gestalten werden. Es ist gut, wenn das deutsche Volk sich auf beides einstellt. Die verschiedenen Kundgebungen, die in den letzten Wochen von Berlin aus ergangen sind, hatten sicherlich nicht nur den Zweck, das Aus land, sondern in erster Linie auch den, das Inland über die Pläne der Regierung zu unterrichten. Man hat bisher weder dem Reichskanzler v. Bethmann Hollweg noch dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts v. Kiderlen-Wöchter Vielrednerei in den An gelegenheiten der auswärtigen Politik nachgesagt. In der Frage der Vergütung für Schädigungen deutscher Farmer im Burenkriege hat die „Nordd. Allg. Ztg." vor einigen Wochen eine Erklärung erlassen, die eine sehr lebhafte Abneigung dagegen verriet, viel Worte zu machen. Aehnlich war es bei der Schädigung eines bei Oporto ansässigen deutschen Reichsangehörigen. In der Marokkofrage dagegen sind mehrfach Kundgebungen ergangen, die nicht ohne Grund auf maßgebliche Kreise zurückgeführt worden sind. Es verlohnt sich, immer von neuem die klaren Linien der deutschen Politik hervorzustellen. Das Hauptsächliche ist das folgende: Die bündigen Ver sicherungen der französischen Regierung, daß sic nicht beabsichtige, die Integrität Marokkos und die Souveränität des Sultans anzutasten, werden loyal angenommen. Ein unabhängiger marokkanischer Herrscher ist nach deutscher, unbestreitbarer Auf fassung ein wesentlicher Bestandteil sowohl des Vertrages von Algeciras wie des deutsch - französischen Februarabkommens. Frank reich ist ebenso wie Spanien die Ausübung der Polizeigewalt nur in marokkanischen Häfen übertragen worden. Dieses Mandat er lischt zu Beginn des Jahres 1912. Ob es sich empfiehlt, das Mandat zu erneuern, ist eine offene Frage- Unter den gegenwärtigen Verhältnissen steht Deutsch land einer neuen Marokkokonferenz nicht freundlich gegenüber. Wer an den Bestimmungen der ersten Konferenz rütteln will, kann nicht er warten, daß das Deutsche Reich gläubig auf die Er gebnisse einer neuen Konferenz vertraut. Indem so die Grundzüge der deutschen Auffassung offen hervorgestellt werden, handelt Deutschland loyal gegen das französische Volk; es treibt ein offenes und ehrliches Spiel, und von der anderen Seite kann nicht späterhin der Vorwurf erhoben werden, man sei absichtlich im dunkeln über die deutsche Auf fassung gelassen worden. * Wie wir bereits in unserer gestrigen Abend nummer mitteilten, ist das Gerücht von einer Ent sendung deutscher Kreuzer nach Marokko falsch. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt dazu mit Recht folgende scharfe Sätze: „Eine der vielen, neu entstandenen Nachrichtenagenturen hat eine Meldung verbreitet, daß die deutsche Regierung beschlossen habe, drei Kreuzer nach den marokkanischen Gewässern zu ent senden. Wir haben es hier mit einem gefährlichen Unfug zu tun. Jeder einigermaßen politisch denkende Mensch muß sich nämlich selber sagen, welche Verantwortung er auf sich nimmt, wenn er in einer so ernsten Frage, wie es die marokka nische ist, frei erfundene Sensationsnach richten lanciert. „Grüen geksllig?" (Pariser Brief s T- Paris, 5. Mai. Wir sind in der Republik! Nicht in der Schweiz oder den Vereinigten Staaten, wo nur den franzö sischen Kognakflaschen das Tragen von drei Sternen erlaubt ist. Sondern in Frankreich, dem Lande der Großen Revolution, deren „Menschenrechte", Gleich heit und Brüderlichkeit, mit allen Privi legien, Lilien, Adelspatenten und Dekorationen auf räumten. Die verschiedenen Empires und „Restau rationen" haben zu einer dritten Republik geführt, die es mit der Religion von 1789 nicht allzu st r e n g nimmt. Bor ein paar Jahren noch be trachtete man die ganze Ordenssrage mit pari serischem Skeptizismus. Ein sozialistischer Antrag, die Ehrenlegion und alle ..nderen Auszeichnungen aufzuheben, war einmal von .' er, Kammer angenom men worden. Wohl weil sich der'Senat nie mit dem Gesetz gegen die Eitelkeit befaßen wollte, stellte ein Witzbold der äußersten Linken den neuen Antrag, jedem Franzosen bei der Geburt sämtliche roten, blauen und grünen Ordensdändchen in die Wiege zu legen. Damit wäre den Gleichheits- und Brüderlich keitsprinzipien der Großen Revolution Genüge getan und zugleich bei der Seltenbeit der französischen Ge burten ein der Wieder bevölkerung nützlicher Gerech- tigkeitsakt vollzogen. Ging auch dieses kluge Projekt nicht in Erfüllung, so „dekorierten" doch di« republika nischen Regierungen stets ausgiebiger; die Zahl der „Palmen" wurde sogar verdoppelt. In dieser löst lichen Zeit würde niemand Ordensdekrete gefälscht oder Geld dafür verlangt haben Die Ware schien zu billig, und Falschmünzer ahmen keine Kupserstücke nach 105. Jahrgang. Dann aber kam eine „Reaktion". Der ehe malige Sozialist Briand verbot strengstens das Tragen aller nicht gesetzlich autorisierten Dekora tionen; er verordnete eine komplizierte Prozedur selbst für jede „Palmen"-Kandidatur. Für Auslän der mußte der diplomatische Apparat in Bewegung gesetzt werden. Da sahen denn Ordensschachcrer und Ordensfälscher die Tage guter Geschäfte wicderkehren Und so haben wir in der Republik jetzt dreierlei Dekorations-Affären zu gleicher Zeit! Zunächst die Affäre des Monsieur Pierre Ges lot, Bureaudiencrs im Ackcrbauministerium, der am Sonnabend vor der Pariser Strafkammer abgeurteikt wurde. Dieser Peter galt in weitesten Kreisen für eine einflußreiche Persönlichkeit, die allerdings ihren Einfluß auch hoch einzuschätzen wußte. Naturgemäß konnte Keslot bas Kabinett des Ministers betreten, wann es ihm beliebte. Nicht nur, um den Papielkorb auszuleercn, sondern auch um für sich eine kleine Ge fälligkeit zu erbitten. Demokratische Minister können stolzen Lakaien in seidenen Kniehosen selten etwas abschlagen. Leider brauchte der Bureaudiener für seine galanten Abenteuer sehr viel Geld, und so be anügte er sich bald nicht mehr dainii, den landwirt schaftlichen Verdienstorden für 300—600 Franken und Patente zur Eröffnung von Tabakbureaus für einige Tausender verleihen zu lassen. Unter Mithilfe von Kumpanen, die die Rolle von Finanzinspektoren spie len mußten, entlockte er seinen Bittstellern be deutende Anzahlungen, worauf die Be trugsklage erfolgte. Wie zahlreich die Kund schäft Eeslots war, sagte der ils Kronzeuge geladene Gourlot, Exkutscher des Expräsidenten Loubet, aus: „Die Regierung bin ich!" hat Geslot, laut Gourlot, einmal ausgerufen. Trotz seiner hohen Konnexionen wandert Geslot auf acht Monate in irgendeine Bastille der Republik. Die beiden andern Affären befinden sich noch im Zustand der gerichtlichen Untersuchung. Wir kommen aus dem Vaudeville in die Operette, von der Hintertreppe in den Regierungspalast einer Phantasie-Republik mit wunderbar uniformierten Präsidenten, Ministern, Senatoren und General konsuln. Die Reihe der Figuranten vermehrt sich non Tag zu Tag wie die Zahl der Ueberrajchungen. Ein Zufall hat jetzt entdecken lassen, Laß auf den meisten offiziellen Landkarten seit Jahren ein Staat verzeichnet ist, der gar nicht existiert! Noch vor wenigen Wockfen war in der Pariser Akademie der Wissenschaften die Rede von Tounani, einem Freistaat, der zwischen Brasilien und Cayenne liegen sollte. Als man letzt hin den Advokaten Valensi und seinen Helfers helfer Clementi verhaftete, die in Paris, Lille und vis nach Hamburg und Bremen einen schwunghaften Handel mit echten und falschen französischen, tune fischen, maroickanischen und Phantasie-Orden be trieben, erfuhr man auch, daß sie im Namen der Republik Lounani Titel und Dekorationen verliehen hatten. In Lille verkaufte noch jüngst ein gewisser Evrard seine „Charge" von Counani an den Agenten Bimont, der bereits den Titel eines Admirals der counanischen Flotte erworben halte, was noch schlimmer ist als der Schweizer Admiral aus Offen bachs „Vie Parisienne", da Counani nicht etistiert! Zwar hatte der „Matin" sofort den Präsidenten der Republik Counani interviewen können, der in London lebt, einen gewißen Gustave Brözet, der mit den Großkordons seiner Orden überladen ist und dem Spezialkorrespondenten versicherte, sein Freistaat Counani habe mehr als 300 000 Einwohner, 33 Sena toren und 53 Deputierte, ein Heer von 2500 Soldaten und auch ein Heer von Diplomaten. Präsident Brözet hatte dem „Matin" auch eine Nummer seines „Bulletin Officiel" geschenkt, in der u. a. verzeichnet waren die Namen des Dr. Charles Casorctty, Marquis de Casoret, bevollmächtigten Geschäfts trägers bei der französischen Republik, des Legations sekretärs F. de la Rougefoße. des Attaches de Labre- toigne, des militärischen Attaches Obersten Barons H. de Gaugler und des Kanzlers L.-C. Cousin. Der Marquis de Casoret, ein lsieschäftsmann ohne diplo mansche Prätentionen, empfing ebenfalls einen Ver treter des „Matin" und behauptete, eine Reihe interessanter Rechtspapiere über den Staat Counani, einen Teil des 1900 nicht durch Schiedsspruch Brasilien zuerkannten und von Guayana bestrittenen Gebiets, zu besitzen. Jean Ealmot, ein Delegierter der Kolonie Guyana, schreibt aber dem „Matin", daß, so unglaublich das scheine, und obschon die Sociötö de Göographie auf ihren Karlen überall Counani »er merk«, dieser Freistaat nirgendsexi stiere, und Laß Gustave Brözet früher französischer Gendarm in Cayenne gewesen sei! Jean Galmot hatte so viel von den Herrlichkeiten Counanis gehört, daß er vor einigen Monaten in Cayenne ein Dampfsrchen bestieg, um eine Reise nach der Wunderrepublik anzutreten. Der Kapitän, der seit zwanzig Jahren an der Küste kreuzte, wußte aber nichts von dem Reiche des Präsi dsnten Brözet und setzte lsialmot mit einigen Gold grädern in Mapa, dem einzigen bewohnten Erdenfleck zwischen Guayana und der Mündung des Amazonen stroms, aus; die Bewohner der dreißig Hütten von Mapa rieten Ealmot ernstlich ab, sich in die übel duftenden und fiebergcfährlichen Sümpfe des Innern vorzuwauen, wo er in einem Gebiet von 40 000 Quadratkilometer kaum 300 Menschen, aber weder eine Hauptstadt Counani noch einen Senat, eine De putierlenkammer, ein Heer oder ein steinernes Haus finden werde! Sie kannten die Entstehung ber ganzen Schwindelrepudlik. Im Jahre 1891 hatte ein Witzbold, als viel von dem „Carsewene-rush" die Rede war, sich im Tafö Thagnas zu Cayenne al» Präsident der „Amazonen-Republik" ausrufen laßen. Brözet, der Kellner in dem Cafö war, bevor man ihn als Gendarm verwandte, hatte den Ulk nicht ver geßen, den man damals mit dem „Präsidenten" ge trieben hatte; eine glorreiche Idee stieg in ihm auf, und 1902 fand er endlich in der Pariser Rue Peletier „Finanziers", die dem martialisch austretenden Gen darmen a. D. zu einem Kapital von zwei Millionen
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