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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.02.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-02-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140216015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914021601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914021601
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-02
- Tag 1914-02-16
-
Monat
1914-02
-
Jahr
1914
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Nr. 84. Vas wichtigste. * Ernst Haeckel in Jena vollendet am heutigen Montage sein 8V. Lebensjahr. * Am Sonntag fand in Essen ein Parteitag d«S Zentrums statt, an dem sich 3000 Zentrums anhänger beteiligten. (S. Letzte Dep.) * Der griechische Ministerpräsident Beni- elos erstattete im Ministerratc Bericht Her seine Reise. (S. Letzte Dep.) * Der Verband Mitteldeutscher Ball spiel vereine hielt in Halberstadt seinen Februar-Verbands tag ab. (S. Sp. u. Sp ) * In dem Herausforderungskamps Kra- mcr-Friol auf der Pariser Winter-Radrenn bahn siegte der Amerikaner. (S. Sp. n. Sp.) » Sorempkkas Wiedererstehen. L Witte, dem Kater der russischen Oktober- Verfassung, ging es bekanntlich ähnlich wie MoseS, der die Kinder Israel bis an die Grenze des Gelobten Landes fuhren durfte, aber ster ben mußte, ehe sie überschritten wurde. Die Duma war Wittes Werk; aber am Tage vor der Eröffnung der ersten Tagung erhielt er sein« Entlassung. Die außerrussische Welt aber mußte sich die ihr bis dahin unbekannten Namen Goremykin und Stolypin ein prägen. Jener wurde Ministerpräsident, der zweite erhielt das Innere. Das war im Mai. Im Juli trat Goremykin unmittelbar zu sammen mit der Auflösung der ersten Duma zurück und Stolypin an seine Stelle, neben der er das Innere erhielt. Bei dieser Zeitfolge der Ereignisse wäre man versucht, Goremykin für den Liberaleren der bei den anzusehen, der eben gegangen wäre, weil Montag, üen IS. Februar. er den Bruch nicht wollte, sondern Verständi gungsversuche mit der „kadettischen" Mehrheit befürwortete. Aber die Russen halten ihn für den Reaktionäreren. Dann mußte man sich die Sache etwa so erklären, daß er schon da mals zu jener verfassungswidrigen Abände rung des Wahlrechtes schreiten wollte, welche Stolypin erst nach der zweiten Auflösung vollzog, und seinem Nachfolger es überließ, solche letzten Versuche mit seiner Verantwort lichkeit vor dem Zaren zu decken. 7V- Jahre sind seit jenen aufgeregten Juli tagen verstrichen, in denen der letzte Wellen schlag der russischen Revolution verzitterte, und Goremykins Name wurde kaum noch genannt. Nun hat man ihn seiner Vergessenheit entrissen, den Mann wieder an die Spitze des Reiches gestellt, dem die beiden Monate seines ersten Wirkens keine Gelegenheit zur Erbringung eines vollgültigen Befähigungsnachweises für sein schwieriges Amt gegeben haben. Ob es ganz richtig ist, seine Wiederberufung für einen „Ruck nach rechts" zu halten, läßt sich aus seinem ersten Auftreten deswegen nicht mit' Sicherheit schließen, weil man für den Beweggrund sei nes damaligen Scheidens auf eine bloße Ver mutung angewiesen ist. Und außerdem: allzuviel bleibt für einen ilkuck nach rechts nicht mehr zu tun übrig. Sto lypin schien es ja ganz gern zu sehen, wenn man ihn für einen „Liberalen" nahm; es taten ihm nur nicht viele den Gefallen. Und je wei ter seine Ministerschaft in die Jahre kam, desto tvenrger. Erkaufte er doch das Recht, das Wort „Liberalismus" in den Mund nehmen zu dür fen, mit stetig sich steigerndcitz Zugeständnissen an den Rückschritt! Daß im Jahre 1906 blutige Strenge gegenüber der Revolution not tat, mag zugegeben werden. Aber der alte Machta- velli lehrt, daß ein verständiger Tyrann gut tue, die Härte der Unterdrückung allmählich wie der zu mildern, nachdem die Aufsässigen be griffen hätten, daß mit ihm nicht zu spaßen ist. Als Stolypin nach fünf Jahren fernes Waltens durch Mord fiel, waren der Opfer seiner Stand gerichte noch nicht weniger geworden, obwohl die Zahl der revolutionären Verbrechen zurück gegangen war. Das erklärt sich so, daß sein ausgebildeteres „Spitzel"-Wesen bereits den Ge danken statt der Tat zu verfolgen begonnen hatte. Und obwohl die dritte Duma, durch die Wahlrechtsänderung von richtigen Umstürz lern beinahe rein gesiebt, ungefähr ebenso zahm war, wie die erste ungebärdig, wurde die Be- schneidung ihrer Befugnisse fortgesetzt, statt des Vertrauens immer schroffer die Unterwerfung von ihr gefordert. Kokowzow, Stolypins Nachfolger, sprach anscheinend aufrichtiger, wenn er freisinnige Neigungen für sich in Anspruch nahm. Auf den häufigen Auslandsreisen, zu denen ihn seine gleichzeitige Weiterverwaltung des Finanz ministeriums neben dem Präsidium veran laßte, liebte er es, nicht bloß in blasser All gemeinheit „moderne" Ansck-auungen zu beken nen, sondern sie auch in Einzelheiten zu ent wickeln. Das braucht nicht alles Anpassung an französisches oder englisck)es Enrpsinden zum Nutzen seiner finanziellen Wünsche gewesen zu sein. Auch sein Verhalten in Rußland machte vielfach den Eindruck, als weiche er widerstre bend den Wünschen der Rückschrittsleute, nicht, wie Stolypin, mit der die Ueberzcugungsverge- waltigung leicht nehmenden Bedenkenlosigkeit des Strebers und Klebers. Aber auch er wich, wich bcinal>e regelmäßig! Und dock): der Ablaß für seine liberalen Gedankensünden wurde ihm von den Gegnern standhaft vertveigert! Auch Stolypin nahmen ja diese Leute trotz des Ga lopptempos seiner Rückwärtsbetvegung erst nach seinem Tode für vollwertig, schon um mit der nachgeborenen Beweihräucherung den Lebenden zu ärgern. Und schließlich hat die schleichende Anfein dung ihn mürbe gemacht. Von seiner Amts müdigkeit hatte er seit langem gesprochen. Sein Rücktrittsgesuch war keine Spiegelfechterei, wie sie Stolypin liebte, um fester in den Sattel zu rücken. Ein ehrliches Wollen mag ihm eine unbestochene Geschichtsschreibung seiner Taten 1914. auch ohne Falschheit ins Zeugnis schreiben. Aber die Kraft des Entschlusses, dafür einzutreten, war doch gering. Vor einigen Monaten wurde von den sorgfältigen Beobachtern seines Trei bens registriert, daß er erst nach dem befrie digenden Ausgange des Be i l i s - P r o ze s se S vom Auslände heimtehrte! Sozusagen im Hanptamtc zeichnete er ja als Fi nan zm i n i st c r. In dieser Eiaenscksaft hat ihm das Ausland den Spitznamen des „Pump ministers" angehängt. Er reiste förmlich wie ein Handlungsbeflissener auf Anleihen. Und mit großem Erfolge, wie Witte, sein Meister. Und nun hat der doch vielleicht dem Jünger den letzten Nagel in den Sarg geschlagen. Als der Exministerpräsidcnt jüngst im RerchSrate scho nüngslos den Stab über die gegenwärtige Fi- nanzlvirtschaft brach, ahnten auch die letzten Zweifler, daß des Angegriffenen Stündlein ge schlagen habe. „SchnapS-BudgetS" taufte der Fachmann von vordem die Etats des Nach folgers. Er spielte den sittlich Entrüsteten, daß Rußlands glänzende Bilanzen auf die gestei gerte Propaganda für den Umsatz des staatlichen Branntwein - Monopols - Verwaltung gegrün det feien. Und Witte hatte ihn doch selber in dieses Mysterium des allergelvissenlosesten Merkanti lismus eingeweiht, der den Staatskörper mit dem der Volksgesundheit oder Volkswirtschaft und der sittlick^geistigen Wohlfahrt entzogenen Blute mästet, den Reickstum der Väter mit der Verelendung der Söhne erkauft. Die Anleihe wirtschaft, die treibhausartige Jndustriealisie- rung des Landes mit ausländischem Kapitale erscheinen volkswirtschaftlich im wesentlichen von demselben Geiste angehaucht. Die Auülandspolitik des Ministe riums Kokowzow ging unter der Firma des Mi nisters Ssasonow, der aus Stolypins Zeit l-erübergenommen war und vermutlich auch von dem Rücktritte des Vorgesetzten nicht unmittel bar berührt wird. (?) Src hat ja den Frieden, waS Rußland anlangt, erhalten. Aber sie hat auch wiederholt arg mit dem Feuer des Kric- ges gespielt, und an jenem Verdienste hatten Ernst Haeckel. Zu seinem 80. Geburtstag (16. Februar). Don N. Francs. Wenn Emerson seine „Repräsentanten des Men schengeschlechts" heute schreiben würde, hätte sich seine Liste da geändert? Er nennt Plato als die Ver körperung der Philosophie, Swedenborg als den M^tiVvr, Montaigne als den Skeptiker, Na poleon als den Mann der Tat, Shakespeare als den Dichter und E oe 1 h e als die Inkarnation des Schriftstellers. Man merkt, daß die Verteilung der Titel menschlicher Größe im Jahre 4850 vorgenom men wurde, denn zwei Repräsentanten des modernen Menschen fehlen, gerade die, die den neuen zwei Ge schlechtern seit 1850 die vornehmlichste Richtung aller Arbeit und des Denkens wiesen: der Naturforscher und der Techniker. Ich weiß nicht, ob Emerson einen anderen als Edison zur Verkörperung des technischen Ingeniums gewählt HÄte, sicher aber ist es mir, daß er, als der rassenechte Angelsachse, sich als „den Naturforscher" keinen anderen als Charles Darwin hätte vor stellen können. > Aber er hätte nicht recht getan damit, denn dem Briten fehlte, bei zahllosen Verdiensten um die Kenntnis der Natur, gerade das eine, was den Typus, das Repräsentative, das Verhängnis der Größe ausmacht: nämlich der Dämon, der das Herz erfüllende Rausch, der den '» von ihm Besessenen hinaufreißt zu Taten, die er nicht erklügelt, überlegt, nicht verantwortet, sondern die er ausführt vor den Augen einer Welt, auf deren Staunen» Kritik und Dorwurf er nichts zu sagen hat, als: Ich Hab s getan, denn ich kann nicht anders! Diese dämonische Kraft des Schaffens aber hat in höchstem Maße Ernst Haeckel. Die großen Naturforscher der Vergangenheit waren gescheit«, vor allem scharfsinnige Köpfe, die in Redlichkeit auf ihre Weise die Natur des Schleiers zu berauben suchten. Linn« ist die Verkörperung des Ordnungssinne», Tusier da» Ideal des Scharfsinns, Darwin der unermüdliche Experimentator, Robert Mayer das Genie der Gewissenhaftigkeit, Haeckel aber ist ein neuer Typ: Er ist der erste, der sich der Welt, dem Phänomen „Natur^ entgogenstellt mit dem glühenden Gefühl de» modernen Menschen: Ich erfaße dich, um dich zu beherrschen! An sich ist dieser Achtzigjährige die Bescheidenheit und Einfachheit selbst. Ms ich ihm zum erstenmal gegenüberstand, bestimmte nichts so sehr den Eindruck wie der Gefichtsausdruck voll Heiterkeit und Frische, die gütigen, naiven, sonnigen, diese ewig jung blickerben Augen. E» war der Eindruck eines guten und harmlosen Menschen. Und der äußere Lebensgang ist nichts andere» al» der jeder anderen deutschen Gelehrten. Er erblickt am IS. Februar 1834 in Potsdam da» Licht, soll Arzt »erden, praktiziert auch al» ein solcher in Berlin, hat aber mehr Interesse für Pflanzen- sammeln und beginnt noch einmal al» Fünfund- zwanttgjähriger « studieren. Und bei einem Auf enthalt am den Kanarischen Inseln ist e» di« Schön heit der Natur, die ihn packt und nicht mehr losläßt. Schönheit, wie sie sich in bunten Farben und phantastischen Formen von Meerestieren äußert. Er beginnt zu zeichnen, zu mikroskopieren, zu beschreiben An 4000 neue Tierformen hat er so in Wort und Bild festgehalte« und dafür den Lohn erhalten, de« das 10. Jahrhundert für fleißige Gelehrte bereit hielt. Er machte Karriere. Nur «in Jahr war er Privatdozent in Jena; seit 1862 ist er dort Professor und hat Jena nie mehr verlaßen, außer zu Reisen, die ihn überallhin mit Ausnahme von Amerika und Australien führten. So vergingen die achtzig Jahre nach außen hin. In seinem Innern waren es achtzig Kampfjahve voll leidenschaftlicher Bewegung. Als er sich die wissen schaftliche Bildung seiner Zeit ungeeignet hatte, war gerade die erste Welle des Maschinenzcitalters über Deutschland hereingebrochen. Die chemische In dustrie war groß geworden, weil die chemische Wissenschaft es gelernt hatte, nicht nur den Bau der Stoffe zu erkennen, sondern auch die Bildung neuer zu berechnen. Eine überschwengliche Hoffnung war erwacht, als man zum erstenmal eine vom Leben er zeugte, eine organische Verbindung künstlich nach machen konnte. Aian dachte nichts anderes, als daß man nun das Geheimnis des Lebens selbst entdeckt habe. Es bestand aus Chemie. Auch die Biologie hatte sich in England zum erstenmal durch Versuche und nicht durch philosophische Spekulationen der Frage genähert: Wie entstand die unbeschreibliche Zweckmäßigkeit und Schönheit des Lebens? Und ihre Antwort war einem von Dkaschinen und Chemie erfüllten Zeitalter angemessen. Darwin und Wallace sagten gleichzeitig: das Sinnvolle der lebendigen Organismen beruhe auf einem, im letzten Grund berechenbaren Spiel physikalischer Gesetze. In die Welt dieser Begriffe trat Haeckel, und da ergriff von ihm der Dämon der Naturforschung Be sitz. Es muß ein ungeheures Aufjauchzen in ihm ge wesen sein, als es ihm aufging: Ich habe es gelöst, ich habe das Welträtsel erraten! Die Welt ist eine Maschine! Das ist der Kern der Haeckelschen Welt anschauung, mag er auch Seelen in Zellen und Atome legen und allem unbelebten Stoff des Welt alls Empfindung zuschreiben. Vor seinem geistigen Auge erscheint das All als Einheit, ruhend in Ewigkeiten, aber tätig im Zeitlichen durch eine Entwicklung, deren Gesetz mäßigkeiten er in seinen drei Hauptwetten, in der „Generellen Morphologie der Organismen" (1866), in der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" (1868) und in den „Welträtseln" (1899) erforscht und gemein verständlich daygestellt hat. Sein Monismus ist vor allem die Einheit von Materie und Geist in dem Sinne, daß alles, was da lebt und sinnvoll tätiaist, doch nur im letzten Grunde den Gesetzen der Ma schinen folgt. Dieser Gedanke ist nicht neu. Seit Demokrit ist er immer wieder von den Wellen der Geistesgeschichte an die Oberfläche getrieben ward, aber Haeckel hat ihm eine neue Prägung ge geben in seinem Monismus. Wa» vor dem Welträtselbuch di« große Menge der Gebildeten als sein Eigenstes prie«: den Ge danken der Entwicklungslehre, er hat ihn von La- marck und Darwin übernommen. Aber er hat ihn umgeschmolzen, in seinen Konsequenzen au», gedacht; er bat die Entwicklung al» kosmische Ide« erfaßt, die Linie der Entwicklung nach rückwärts ver. länaert und das Leben bi» zum roten, bi» zum weizen Stein, bis zum Urnebel zurückführen wollen; er hat die Entwicklungsttnie vo«eschoben bis zum Menschen und zuerst den Nietzscheschen Gedanken ge- prägt, daß auch der Mensch nur eine Durchgangsstufe neuer Entwicklungen sei. Wa» die gelehrte Welt von seinen theoretischen Leistungen al» die höchste prie», nämlich da» biogenetische Grund« gesetz, wonach jede individuelle Entwicklung in letzter Hinsicht die Wiederholung der Weltentwick- lüng sei. das hat er von dem deutsch-brasilianischen Naturforscher Fritz Müller übernommen; aber er hat zahllose Beweise dazu gefunden und mit einem reichen Wissen unld großer Kühnheit den Gedanken in universelle Höhen gehoben. Diese Kühnheit Haeckels ist es, die ihn in Fehden verwickelte, seitdem er am Naturforschertag von 1863 als erster Deutscher für Darwins Gedanken eintrat, bis heute, da die Leitgedanken seines Lebens von der Zeit analysiert, gewogen, in Gold und un edles Metall geschieden wurden. Diese Kühnheit aber verlieh ihm sein Dämon. Und an diesem Punkte erhebt sich die Wertung des Forschers Haeckel wieder zu den Höhen, wo der Repräsentant des Menschengeschlechts wohnt. Gr konnte nicht anders, denn er war erfüllt und dadurch hoch über die Re gionen des Alltags hinausgetragen durch das Ver trauen des Siegers. Er verkörpett die neue Mensch heit mit ihrem Glauben, sie sei durch Naturwissen die Herrin der Erde geworden. Daher rührt sein Ueber- schwang, seine Unbedenklichkeit, über Lücken und Widersprüche hinwegzuschreiten. Was tut es. wenn dies und jenes nicht stimmt! Alles „nicht" ist doch nur ein „noch nicht". So haben alle gedacht, die, ge trieben von einer großen Idee, oorwärtsstürmten. Und Haeckels große Idee war der Glauben an die Göttlichkeit des Menschengeistes. Denn für göttlich mußte er ihn hatten, weil er ihn für allwissend hielt. Er glaubte daran, daß der Mensch di« Natur im tiefsten Wesen und Grund erkennen könne. Dieser Glauben ist es, dar ihn uns menschlich nahebringt. Das Lesen seiner Bücher macht so herzenswarm. Dieser Autor glaubt an das, was er sagt, und dadurch reißt er mit. Hier ist die Quelle der großen Wirkung Haeckels auf die Gebildeten und Halbgebildeten. Auch die Ungläubigen glauben so gern. Denn es ist ein zu unerträglicher Gedanke, den der „Alleszermalmer" geprägt hat: daß wir nichts von der wahren Natur wissen können. . . . Haeckels inbrünstiger Glaube an di- ' keit der Natur, an den Besitz der Wahrheit, versetzt ihn in einen Rausch, wie er den Künstler besällt. der da glaubt, jetzt habe sich ihm die Schönheit geoffen- bart. Und solche Begeisterte sind immer ein er hebender und mitreißender Anblick. Hundert tausende sind dieser Wirkung erlegen. Wir alle sehnen uns danach, was Haeckel erreicht hat, darum lesen wir aus seinen Worten aller Menschen Be dürfnis heraus, aus seinem Jauchen di« Erfüllung unserer Not. Wer sich aber einem Ideal so hingeben kann, der ist auch ein echter und voller Mensch. Und so blicken zum Srbluft di-se bellen und gütigen A' ^en an seinem 80. Geburtstag uns noch in einem tieferen Sinn an. Hier ist ein prachtvoller Tqo. hier ist Rasse, hier ist ein Mensch, dem wir gern die Hand drücken würden, und mag auch sein Glauben nicht der unser« fein, wir empfinden es als Hochgenuß, daß unter uns Deutschen ein solcher Mann lebt. Kunst «ad Wissenschaft. * B-Hwijche» «trttchquattett. (5. Abend.) Die Böhmen beschlossen ihre diesjährige Konzertreihe mit einem Abend voll Schönheit. So viel wohl tuenden und großen Klangentwickelt das Quar tett nur in feinen besten Stunden, obgleich man es immer nach der Seite der Schönheit hin zu den ersten Bereinigungen zählen muß. So war gleich die Ausführung des D-Dur-Quarfetts von Cefar Franck in lauter Schönheit getaucht. Der Komponist gibt ja in diesem umfangreichen Werke viel Gelegenheit, lange Melodien zu spinnen, besonders im Larghetto. Die Böhmen gaben vieles als reine Stimmnnasmusik, so besonders «im ersten Satz. Auf diese Weise kommt allerdings die Länge der Musik etwas deutlicher zum Be wußtsein, als wenn man, wie das Rebner-Quar- tctt, die Musik Francks mehr aus persönlichem Leben heraus darstellt, also mit Akzenten nnd Energie im Rhythmus, besonders auch im Piano nicht spart. Nach der Seite hin erzielte der letzte Satz eine stärkere Wirkung. Die Mittel stimmen werden bei stärkerem Herauüarbciten, also bei mehr Plastik, das Interesse an der Musik bedeutend heben. Alle langen Werke müssen durch stärkere Farbengebung dem Inter esse des Zuhörers erhalten werden. Das liegt gewiß in der Absicht des Komponisten. — An zweiter Stelle hörte man das nun eigentlich oft gcnug'gespiclte Klaiverquintett (Op. 44- von R. Schumann, dessen Klavierstrmme Earl Friedberg in seiner bekannten rhythmisch be stimmten und empfindungskrüstigen Art spielte. Das Zusammenspiel war wie aus einem Guß, und die Darstellung in allen Teilen zugvoll sowie musikalisch hervorragend. Als Seltenheit in einem Kammcrmusikabend unserer Tage gab es ein Klarinettenquintctt, das in A-Dur von Mo zart. Professor Oskar Schubert spielte hier die Klarinette. Die ganze Leistung war in keiner Beziehung zu übertreffen. Schon die vollständige Tonschönheit, dann aber vor allem der durchaus empfindungsvolle Ausdruck nach jeder Seite hin überzeugte von einer außerordentlicl-en Künstler- sckaft. Nicht ein Ton kam ohne Ausdruck, die Mozartsche Kantilene kam in ihrem ganzen wert vollen Inhalt zur Geltung. Augenscheinlich ging hier auch eine Wirkung auf das Quartett über, denn nach der Seite des Ausdrucks hin ergab sich gerade auch bei ihm in dem Quintett die be deutendste Leistung des Abends. So schloß der Abend in größter Harmonie. Der überaus starke Beifall ließ deutlich das lebhafte Verlangen und die Freude auf ein Wiedersehen im nächsten Win- ter laut werden. ärtur Loklsgel. * UnioersttSt»nachricht«n. Di« medizinische Fakul tät der Universität Leipzig hat dem Assistenten am hygienischen Institut Dr. med. Arthur Seitz am 13. Februar d. I. die vvni» lvgoncki erteilt, nachdem er seine Probevorlesung über das Thema „Ueber die neueren Methoden der Abwasser beseitigung" gehalten hat. Dr. Seitz war bereits Privatdozent an der Universität Bonn und siedelte von dort zu Beginn dieses Semesters mit dem Ordi narius für Hygiene Geh. Medizinalrat Professor Dr. Kruse an die hiesige Universität über. * Franzi»!« Ellmenreich hat ihre künstlerische Tätigkeit am Deutschen Schauspielhaus« zu Hamburg aufgcgeben, um al» Nach- folAerin von Nuscha Butze in den Verband des Königlichen Schauspielhaus«» zu Ber- l i n einzutreten. Schon im März wird Frau Ellmen reich ihr« Tätigkeit an der neuen Wirkungsstätte auf nehmen, und zwar zunächst im Rahmen eines Ehren gastspiel s, das ihr Gelegenheit geben soll, sich dem Berliner Publikum in einigen ihrer Individuali tät besonders zusagenden Rolle zu zeigen. Frau Ellmenreich war schon in jüngeren Jahren einmal Mitglied des Königl. Schauspielhauses und wird im Berliner Publikum viele Freunde und Bekannte finden.
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