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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.02.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-02-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140217017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914021701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914021701
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-02
- Tag 1914-02-17
-
Monat
1914-02
-
Jahr
1914
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veutschee tteicvsiag. Sitzungsbericht. Berlin, 16. Februar. Am Bundesratstische Dr. Lisco. Präsident Dr. Kaempf eröffnet die Sitzung um 2 Uhr 17 Min. Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung de- Etats für die Reichsjustizverrvaltung, Titel „Gehalt des Staatssekretärs". Abg. Dr. Toha-Nordhausen (So-.): Zur Auswahl derSchöffen und Geschworenen wird eiu Verfahren eiWeschlagen, welches es ausschlietzt, daß Industrie» und ländliche Arbeiter, Prioatbeamte usw. zu diesen Posten herangezogen werden. Wir ver langen für die Zusammensetzung auch der Laien- koüvgien das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht. Die Beratung des Iugendgerichtsgesetzes hat sich in einer schlechthin un begreiflichen Weise verzögert. Nachdem die Kommis sion die beiden Lesungen erledigt hat, beschäftigt sich der Bundesrat seit Monaten mit dieser Vorlage oder vielmehr er beschäftigt sich nicht mit ihr. Ebenso steht es mit unserer Strafprozessordnung, welche das schlechteste Stück der Prozessgesetzgebung aus den 70er Jahren ist. Wir müssen uns immer nur mit Flickwerk begnügen. Die Haftung des Tier halters ist reformiert, das heitzt zugunsten der Agrarier, denen die Regierung zu parieren und zu apportieren hat. (Präsident Dr. Kaewpf rügt den letzteren Ausdruck als unzu lässig.) Das neue Strafgesetzbuch soll 1917 zur Beratung kommen, also erst im neuen Reichstag. Es wird uns das Verbot des Streikrechts bringen, und das Koalitionsrecht soll auf Wunsch des Echarf- machertums erdrosselt werden. Dieser Versuch soll und kann nicht gelingen. Die organisierten Arbeiter werden sich mit allen Mitteln dagegen wehren (Bravo! bei den Soz.), sonst müßten sie die Hunds fotts sein, als welche sic von gewissen Scharfmachern angesehen werden. Redner polemisiert des weiteren gegen den Grafen Westarp, der sich einer allmählichen Fortentwicklung der Strafgesetzgebung entgegen gestellt habe, und wird wiederholt vom Prä sidenten gerügt. Redner fährt fort: Der religiöse Eid mutz durch eine andere Formel ersetzt oder ergänzt werden. Diese Frage wird durch di« Kirchenaustrittsbewegung besonders akut. Wie notwendig eine allmähliche Fortentwicklung ist, be weist, datz das pfändungsfreie Existenzminimum von 1800 den Verhältnissen bei weitem nicht mehr ent spricht. Ein Familienvater kann damit seine Fa milie nicht unterhalten. Aber nicht nur Mängel der Gesetzentwicklung, sondern auch Mängel bei der A n- wendung der Gesetze fordern unsere Kritik heraus; besonders das Strafmass, das von den Rich tern angewendet wird, je nachdem es sich bei den Uebeltätern um organisierte Arbeiter oder um die besser situierten Klassen handelt. Bei wirtschaftlichen Kämpfen werden die Streikenden viel zu scharf abgeurteilt, während die Arbeitswilligen häufig straflos ausgehen. Bei Straftaten mit einem politischen oder sozialpolitischen Hintergrund zeigt sich die Unfähigkeit der Richter, unparteiisch zu bleiben. Besonders verwerflich sind die Korruptions erscheinungen im Polizei so itzelwesen. Ein« Reformierung der Polizeieinrichtungen ist not wendig. Diese Korruptton tritt nicht vereinzelt auf; sie ist-eine Folgeerscheinung. Herr Dr. v. Jagow sollte sich nicht als Herkules feiern lassen, bevor er nicht den Augiasstall gesäubert hat. Von den arbei tenden Klassen können Sie nach den Leistungen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung ein übermäßiges Vertrauen gegenüber der Gesetzgebung nicht erwarten. Eine Besserung dieser Zustände ist nur möglich bei einer grundlegenden Aenderung unserer öffentlichen, politischen und wirtschaftlichen Zustände. Erst dann kann von einer wahren Gerechtigkeit die Rede sein. Präsident Dr. Kaempf: Sie haben gesagt, wenn der Reichstag aufgelöst wird, dann werden die ver bündeten Regierungen schon irgendeinen Wahlschwindel finden, natürlich außerhalb dieses Hauses. Dies ist eine Beleidigung und ich rufe Sie zur Ordnung. Abg. Dr. Belzer (Ztr.): Die Vorgänge beim Krupprozetz liegen auf militärischem Gebiete und werden deshalb später zur Sprache kommen. Der Prozeß hat aber gezeigt, datz unsere Rechtspflege auch vor grossen, angesehenen Firmen nicht zurückschreckt. Di« Rechtsprechung lässt aber hinsichtlich der Dauer viel zu wünschen übrig. Wie steht es mit der Neuregelung der Ver hältnisse der Rechtsanwaltsangestellten? Der Verband hat eine Reihe von Aenderungen auf gestellt und der Anwaltstag wird sich demnächst mit diesen Dingen zu beschäftigen haben. Wie steht es mit dem bereits in Aussicht gestellten Gesetzentwurf über den Zwangsvergleich ausserhalb des Konkurses, der auch in diesem Jahre wieder in einer Resolutton gefordert wird. T^n Forderungen auf Vorkaufsrecht der Gemeinden bei Zwangsverkäufen und auf Beschleunigung und Ver einheitlichung der Rechtspflege in gewissen Fällen, wie es der nattonalliberale Antrag verlangt, können wir nicht zustimmen. Es mutz darauf gesehen werden, dass nicht die Prozcsskosten des kleinen Mannes ver mehrt werden, und so das Prozessieren unmöglich ge macht wird. Obgleich der Verein der Deutschen Journalisten zugesagt hat, dass über Sensations prozesse nicht mehr so berichtet werden sollte wie bisher, so hat sich eine erhebliche Besserung dieser Verhältnisse leider noch nicht gezeigt. Der persön liche Schutz gegenüber P r e tz a n g r i f f c n muss im weitesten Masse gesichert werden. Ich freu« mich über das Urteil gegen den Verleumder des Berliner Generalintendanten. Ein« Prozeßbericht- erstattung über eine Verhandlung vor Gericht, wie sie im Falle Hedwig Müller eintrat, wird im Volke nicht verstanden. Die Behandlung dieser schönen Sünderin, die eine raffiniert ausgedachte Tat im Dämmerzustand begangen haben soll, untergräbt das Vertrauen zur Rechtsprechung. Eine Vorlage zur Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild mutz uns möglichst noch in dieser Session zu gehen. Die Fragen nach Vorstrafen müssen möglichst eingeschränkt werden. Das ist von grosser Bedeutung für Leute die nunmehr «in einwandfreies Leben führen Die Behandlung der Geisteskranken im allgemeinen und besonders in der Rechtssprechung muss reformiert werden Eine gesetzliche Irren fürsorge ist nötig. Es gibt kaum noch einen schweren Verbrecher, der nicht als geisteskrank für unzurechnungsfähig erklärt wird. Diese Art Rechtsprechung ist höchst bedenklich. (Sehr richtig! auf allen Seiten.) Anderseits bedürfen wir strengerer Schutzmatzregeln gegen unberechtigte Unterbringung von nichtgeistes kranken Personen in Irrenanstalten, und gesetzliche Massnahmen gegen die Bestellung interessierter Per sonen zu Vormündern dieser Internierten. Tat sächlich. gemeingefährliche Geisteskranke sollte man aber nicht nach einer g«wissen Zeit aus der Anstalt entlassen und sie wieder auf die Menschheit loslassen, sondern sollte sie, wie es im Falle de« Lehrers Wagner geschehen ist, lebenslänglich in einer Irrenanstalt unterbringen. Abg. Schiffer-Magdeburg (Natt.): Die Sozial demokratie leitet ihre Throne von der Klassenjustiz aus Zeitungsnachrichten her. Wir erkennen ohne weiteres an, datz Mißgriffe vorkommen, aber nirgends sind sie so selten wie bei uns. Auch in den Massen, die hinter der Sozialdemokratie stehen, ist das Vertrauen zur Rechtsprechung noch keineswegs erschüttert. Nach meinen Erfahrungen ist das S t r e- ben der Richter nach Unparteilichkeit so groß, daß sie vielfach in den entgegengesetzten Fehler verfallen, und einen Arbeiter gegenüber dem Arbeitgeber bevorzugen. (Sehr rich. ttg! rechts.) Die Richtveretdiguna der Zeugen im Krupp-Prozeß erfolgte zwar in richtiger Ausführung der Gesetze, sie stellt aber doch ein« sinnlose Barbarei dar, die keineswegs dem Zweck der Wahrheitsfindung diente, die aber einen völlig unberechtigten Makel auf die Persönlichkeiten warf. In der Frage der Beleidigung mutzte ein größerer Schutz der Ehre ge schaffen werden. Wer bei Verteidigung seiner Ehre wirklich formell über die Grenze des Zulässigen geht, da er sich in begreiflicher Aufregung befindet, der sollte nicht noch obendrein verurteilt werden können. Gegen böswillige Schuldner müßten di« Gläubiger besser geschützt werden. Wir verlangen, datz in gewissen Fällen die Rechtspflege beschleu nigt und vereinheitlicht wird. Wenn in einem gerichtlichen auf Reichsrecht beruhenden Ver fahren ein erhebliches öffentliches oder privates In teresse einer schleunigen Herbeiführung der endgül tigen Entscheidung besteht, kann im Einverständnis sämtlicher Protestbeteiligten beantragt werden, die Entscheidung derjenigen Stelle zu überweisen, die bei Erschöpfung aller zulässigen Rechtsmittel als letzte Instanz in Bettacht kommen würde. Ferner, wenn in höchstinstanzlichen Entscheidungen von Gerichten des Reichs oder der Bundesstaaten Verschiedenheiten in der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm zutage treten, kann der Bundesrat die streitige Rechts frage einem gemischten Gerichtshof, der (ich aus Mit gliedern des Reichsgerichts und der Gerichte, von denen die widersprechenden Entscheidungen ergangen sind zu sammensetzt, zur Entscheidung vorlegen. Diese Ent- scheiduitg hat, falls nicht der gemischte Gerichtshof das Eingreifen der Gesetzgebung für geboten erachtet, ver bindliche Kraft. Die Berichterstattung bei Sensationsprozessen mutz eine würdige sein. Es scheint aber, als ob auch im Gerichtssaale Bonmots geprägt werden, um nack auhen hin Eindruck zu machet. Hier wäre doch, besonders wenn ein Ange klagter um sein Leben kämpft, grötzer« Zurückhaltung nötig. Der Richter muß immer von dem Grundsatz ausgehen: Erst kommt der Mensch und dann der Jurfft. (Beifall bei den Natt.) Lbg. Dr. v. Laszewski (Pole): Dem polnischen Angeklagten gegenüber wird nicht mit der gleichen Objektivität geurteilt wie bei den übrigen Mit bürgern. Darauf wird die Woiterberatung auf Dienstag 1 Uhr pünktlich vertagt, vorher Anfragen und Ab stimmungen -um Reichsamt des Innern Schluss 7 Uhr. . gegeben hat. Nach einer schneidigen Abwehr der konservativen Einwände und Zwischenruf« durch Dr. Zöphel be antragt Abg. Fleißner di« Vertagung der Ver handlung, und als dies abgelehnt worden war, be zweifelt er mit Erfolg die Beschlußfähigkeit des Hause«. Es ist «üso mit einer zweiten Auflage der Aussprache zu rechnen. SScvsiscvei' Lanittag. Zweite Kammer. Stimmirngsbilü. r«. Dresden, 16. Februar. Die Zweite Kammer beschäftigte sich heute mit Fragen der Reichspolitik. Die Veranlassung bot das Etattapttel über die Vertretung Sach sens im Bundesrat. Der nattonalliberale Abg. Dr. Zöphel brachte die verschiedenen Anzeichen für das Erstarken derpartikularistischen Ten denzen zur Sprache. Er wies hin auf die Reden des Preußentages, des preußischen Abgeordneten v. Kar- dorff und des Herrenhausmitgliedes Grafen Porck von Wartenburg. Dr. Zöphel betonte, daß letzterer als Legitimation für seinen Vorstoß geradezu die Haltung der sächsischen Regierung in der Frage der Reichsfinanzreform angeführt habe. Er bedauerte, datz die sächsische Regierung ihm durch ihren Appell an die Öffentlichkeit die Möglichkeit zu dieser Be rufung geboten habe. In großzügigen Ausführungen wies er auf die Schädlichkeit des partikularisttschen Strebens hin. Nicht allein für ' die Reichs oerfassung und das Reich, sondern auch für die Selbständigkeit der Bundesstaaten. Ist das Reich abhängig von den Bundesstaaten; dann konnte es gewollt oder ungewollt unter den Einfluß seines kräftigsten Steuerzahlers, und das ist eben Preußen. Diese Rechnung ist doch wohl ein fach genug. Mit einem warmen Bekenntnis zum Reichsgedanken und zur Reichsoersassung schloß Dr. Zöpyel; zu der Reichsoerfassung, die ihm ideal er- scheint, und die er nicht zu einem Bilanzposten ab geschwächt sehen möchte, den man gelegentlich auch wegeskomptieren könne. Sofort erhob sich der Diinister des Innern, um hervorzuheben, datz von einem Appell der säch sischen Regierung an die Öffentlichkeit keine Rede sein könne, eine Behauptung, di« freilich dicht darauf der Abg. Hettner mit einem Hinweis auf die Thronrede widerlegte. Abg. Hettner operierte überaus glücklich mit einer Anzahl Bismarckischer Zitate über die Wirkung des Partikularismus. Mit Recht hob er hervor, dass der Charakter des Parti kularismus sich geändert habe. Früher war er dynastisch, jetzt aber gebärdet er sich parlamentarisch, ietzt spielt man die Enzelparlamente gezzen den Reichstag aus. Als Hettner darauf hinwres, daß bei Ablehnung der Reichsvermögenszuwachssteuer auch das Zustandekommen der Wehrvorlagc gefährdet gewesen sei, dass mithin die Regierung mit ihrer Haltung eine verantwortungsvolle Sache gewagt habe, kam bezeichnenderweise von den Bänken der Konservativen der Zwischenruf: „Das ist uns schnuppe." Vorher hatte der Sozialdemokrat Fleissner in der bekannten Weise über lückenlosen Zolltarif, Chauvinismus und die Zaberner Vorfälle ge sprochen. Er mußte sich vom Abg. Opitz sagen lassen, dass er damit Dinge zur Sprache gebracht habe, die gar nicht zur Sache gehören. Allerdings verfiel Abg. Opitz in den gleichen Fehler, in dem er seinerseits fast nur gegen Fleissner polemisierte und sodann das sogenannt» Misstrauensvotum in den Kreis seiner Betrachtungen zog. Dankenswert war, dass der Fortschrittler Koch die Konservativen, die viel mit dem Schlagwort vom llni- tarismus arbeiten. daran erinnerte, datz sich Preussen auch aus einem Staaten bunde zu einem Einheitsstaat entwickelt habe, und dass der viel verschmähte „demokratische Reichstag" die gewaltigste Hceresvorlage bewilligt habe, die cs je gegeben hat. Sitzungsbericht. kl. öffentliche Sitzung. k. Dresden, 16. Februar. Präsident Dr. Vogel eröffnet die Sitzung um !,k Uhr. Das Haus ist schwach besetzt. Die Tri bünen sind spärlich besucht, füllen sich aber im Laufe der Sitzung. Am Regierunastische die Minister Graf Vitz thum von Eckstädt, Dr. Beck, o. Seydewrtz und Kommissare. Einige Rechenschaftssachen werden glatt ohne Debatte erledigt. Dann berichtet Abg. Koch (Fortschr. Vpt.) über Kapitel 106 des Etats Vertretung Sachsen» in» Bundesrat und beantragt namens der Finanzdeputation da» Kapitel nach der Vorlage zu bewilligen. Dr. Zoephel (Natl.): Das Kapital gibt Anlass, über Vorgänge aus der letzten Zeit zu sprechen, die mit dem Schicksal des Reichs und der Bundesstaaten aufs engste verknüpft sind. Auf sie ist man aufmerk sam geworden durch dieVerhandlungen des Preußenbundes, denen man freilich ein ent scheidendes Gewicht nicht beimessen möchte. Daneben aber beobachten wir schwer bedenkliche Erscheinungen, die für unsere Politik die Schicksalsfrage bedeuten. Ich denke an den Vorstoss des Grafen Porck o. Wartenburg im preußischen Herren hause. Der Vorstoß hat seine Legitimation ge wissermaßen genommen aus der Haltung der sächsischen Regierung zur Frage der laufenden Deckung der Wehrvorlage. Ich nehme Bezug auf seine Ausführungen, in denen er jagte, dass es leider nicht die preußische, sondern die sächsische Regierung gewesen sei, die die Interessen der Bundesstaaten entschieden gewahrt habe. Die sächsische Regierung hat den bedauerlichen Appell an die Oeffentlichkeit gerichtet. Das widerspricht der bisherigen Gepflogenheit, Meinungsverschieden heiten aus dem Bundesrate an die Oeffentlichkeit zu bringen. Selbst in kleineren Verhältnissen des bürgerlichen Lebens liebt man diese Gepflogenheit nicht. Ein Abweichen von der bisherigen Praxis ist eine Sünde wider den heiligen Geist der Sache selbst. Das Deutsche Reich soll ein einiger Bund sein, der dargestellt wird durch die Bundesstaaten. Es kann nicht wünschenswert sein, wenn der Bundes rat der Oeffentlichkeit gegenüber als in sich uneinig erscheint. Wenn der Oeffentlichkeit gegenüber diese Meinung genährt wird, so liegt di« Gefahr vor, datz die sprengenden Tendenzen im Reiche neue Kräfte gewinnen. Dann wagt sich der Partikularismus nur auf« neue hervor. Der Ent schluss der sächsischen Regierung, den Appell an die Oeffentlichkeit zu richten, war darum in keiner glück lichen Stunde geboren. Die partikularrsti- schen Bestrebungen find bei uns hochgefähr lich Wir sind ein Bundesstaat und kein Einheitsstaat. Wir haben nicht die einheitliche Grundlage, wie mancher unserer Nach barstaaten. Daraus entspringt die doppelte Sorge, dass solche Tendenzen nicht gezüchtet und angeregt werden dürfen. Damit wird die eigentliche Unter lage unserer Reichsverfassung gefährdet. Graf Porck behauptete, Preußen könne nur dann unitari- stisch sein, wenn der Militarismus zur Hege monie Preußens führe. Preußen könne sich nur im Reichsstnne betätigen, wenn es an Macht zunehme. Das ist ein ernstes Bekenntnis zum Parti kularismus. Hier steht picht der Reichsgedanke über dem einzelstaatlichen Gedanken, sondern der p res - tzische Sondergedanke über dem Reichs gedanken. Schärfer kann man die Gegensätze nicht hervorhoben. Wir müssen das aufs höchste be klagen. Die preußische Politik hat in den letzten Jahren einen uns unerfreulich erscheinenden Einfluß auf die Reichspolitik gewonnen. Die Verwal tung des Reiches unterliegt völ lig dem preußischen Einflüsse. Graf Porck macht den Antrag Bassermann-Erzberger verantwort lich für das vermeintliche Unglück der direkten Reichs steuer. Eine Entschuldigung für die sächsische Regie rung liegt in der Sorge, als ob unsere sonderstaat lichen Aufgaben durch diese Steuer beengt werden könnten. Exzellenz Mehnert habe sich in der sächsischen Ersten Kammer ebenfalls in diesem Sinne ausgesprochen. Man müsse auch die Wirkung nach außen berücksichtigen. Wenn der Partikularismus auf Kosten des Reichs gedankens gestärkt werde, so schwäche das unser Aussehen nach außen. Redner geht dann auf die Verhandlungen des Deutschen Landwirt schaftsrats «in, wo angeregt wordon ssi, es sei wünschenswert, daß der Reichstag auf das Recht auf Artikel 11 der Reichsverfassung verzichte. Es sei nicht wünschenswert, daß der Reichstag auf sein Recht zur Mitwirkung an Len neuen Handels verträgen verzichte. Hier zeig« sich der Herz schlag des preußischen Partikularismus. Die Tendenz gehe dahin, den lückenlosen Zoll tarif zu erreichen und die Landwirtschaft auf Kosten der Industrie zu bevorzugen. Darum müsse der Reichstag beim Abschluß der Handelsverträge mitwirken, und man müsse es ablehnen, ihn diskre ditieren zu lassen, als sei er mit einer demokratischen Mehrheit „verhaftet". Die Nationalliberalen seien monarchisch bis auf die Knochen. Sie sähen den Monarchismus als die Grund lage des Deutschen Reiches an und nicht als einen Po st en in derBilanz, den man ge legentlich auch wirtschaftlich diskontiere. Es sei zu verstehen, wenn die Regierung Sorge gehabt habe, aber es sei zu bedauern, daß sie mit dieser Sorge in die Oeffentlichkeit gegangen sei. In eine Umwand lung der Reichsverfassung ttinne man nicht ein willigen. Das würde einen unheilvollen Gegensatz zwischen Nord und Süd schaffen und den Bestand des Reiches gefährden. Das Reich aber müsse uns doch bleiben. (Beifall.) Minister Graf Vitzthum von Eckstädt: Er wisse nicht, was dem Vorredner vorgeschwebt habe, als er bemerkt habe, daß die Regierung sich mit dem Appell an die Oeffentlichkeit gewendet babe. Ihm sei nichts davon be kannt. Die Regierung habe ihre Stellung zu den neuen Steuern wiederholt hier im Landtage dargelegt, so daß die Oeffentlichkeit vollkommen darüber orientiert sei. In Abrede stelle sic die Behauptung, dass sie einen Appell an die Ocffent- lrchkeit gerichtet habe oder gegen den Bundesrat in der Oeffentlichkeit aufgetretcn sei. Er stimme Dr. Zöphel zu, daß es unerwünscht sei, die Gegensätze, die innerhalb des Bundesrats beständen, in der Ocffent- lichkeit breit getreten zu haben. Darum brauche die Regierung aber nicht zu schweigen, sic habe vielmehr nach Artikel 0 der Reichsvcrfassung das Recht, ihre Meinung zu äußern. Vielfach sei sogar hier der Negierung der Vorwurf gemacht worden, sie trete zu wenig an die Oeffentlichkeit heran. Die Re gierung verfolge also keineswegs partiku lar i st i s ch e Tendenzcn, sondern sei stets bestrebt, den Ausbau des Reiches zu fördern aus der Grund lage der Reich: Verfassung. Es sei Reckt und Pflicht der Regierung, die Grenze aufrechtzuerhal ten, die zwischen der Reichspolitik und der L a n d e s Politik festgestellt sei. Der Re)chsgedanke habe so feste Wurzeln im Volke geschlagen, daß er durch die Betonung der Eigenart eines Stammes nicht geschädigt, sondern nur gefördert werden könne. Abg. Fleißner (Soz.) wendet sich scharf gegen die hohen Zölle, die das Leben teurer machten, und den Minderbemittelten die schwersten Lasten auferlegen. Die Handelsverträge müßten dahin geändert werden, daß di« hohen Korn zölle beseitigt würden. Der Rü>ner ersucht weiter di« Regierung, für die Umbildung der Militärftras- gerichtsordnung einzutreten. Am besten wäre es, man schaffte die Militärgerichtsbarkeit ganz ab. Dazu sei aber keine Aussicht. Wir lobten rm Reiche unter Zuständen, die uns zum Spott des ganzen Auslandes machten. (Präsident Dr. Vogel rügt d«n Ausdruck.) Der Redner erörtert alsdann in längeren Ausführungen den Fall Z a b e r n. Minister Graf Vitzthum von Eckstädt: Durch die einseitige Darstellung babe der Vorredner die Mili tärverhältnisse in Mißkredit zu bringen versucht. Er selbst glaube, daß wohl kein einziger nationalgesinn ter Mann in Deutschland ist, der sich nicht über die Freisprechungen gefreut habe. (Ironisches Lachen links.) Das deutsche Volk werde sich durch solche Reden nicht die Freude an seinen mili tärischen Einrichtungen verderben lassen. Abg. Hettner (Natl ): Der vom Minister in Ab rede gestellte Appell. sei in feierlichster Weis« ergangen in der Thronrede. (Redner verliest die betreffende Stelle.) Das sei eine direkte Stellungnahme gegen die übrigen Re gierungen. Er lasse dahingestellt, ob die Regierung ein Recht zu solchen Erklärungen habe, sonst habe sie stets große Zurückhaltung geübt. Hon dieser sei bedauerlicherweise abge gangen bei der Erörterung einer großen nationalen Frage. Der Reichskanzler habe kürzlich erklärt, es sei nur möglich gewesen, die Wehrvorlage durchzu bringen, indem sich die Regierungen den Wünschen des Reichstages anvaßten. Bedauerlich sei, daß sich hier die sächsische Regierung in Gegensatz zu den anderen Regierungen ge stellt habe. Hoffentlich werde das ein einzelner Fall sein. Der Redner unterstreicht dann weiter die Aus führungen seines Parteifreundes Dr. Zöphel. Finanzminister o. Seydewitz wendet sich noch mals dagegen, daß eine Flucht der sächsischen Regierung in dieOeffent- tichkeit stattgefunden habe. Es sei leine solche Flucht erfolgt, sondern Sachsen habe lediglich im Bundesrate seinen Standpunkt gewahrt. Die erste offizielle Kundgebung sei in der Thronrede er folgt. Außerdem habe er selbst in der Zweiten Kammer den Standpunkt zu der sächsischen Steuerfrage dargelegt. (Sehr richtig!) Sachsen habe im Bundesrat gegen die Reichsver mögenszuwachssteuer gestimmt; aber es habe damit keineswegs eine antinationale Haltung an den Tag gelegt. Mit Ausnahme der Reichsoermögenszu wachssteuer habe Sachsen allen Deckungsvorichlägen der Reichsregierung zugestimmt. An der Vermögens- zuwachsstcuer hätte die Militärvorlage keineswegs mehr scheitern können, viel mehr sei sie durch die bürgerlichen Parteien gesichert gewesen. Er müsse es nochmals zurückweisen, daß die sächsische Regierung in dieser nationalen Frage ver sagt habe. Wenn die Regierung gegen die Rcichs- vermögenszuwachssteuer gestimmt habe, so sei das keineswegs aus Partikularismus geschehen. An Reichstreue lasse sich Sachsen von keinem Staate übertreffen, und es könne mit Ge nugtuung zurückblicken auf das, was es bis jetzt für das Reich geleistet habe. Gegen die Reichsver- mögenszuwachssteuer habe Sachsen stimmen müssen, weil es in ihr nur einen Anfang ^u einer Reichs einkommensteuer erblickt habe. Nur wenn alle direkten Steuern den Einzelstaaten blieben, könnten die Kulturaufgaben genügend gelöst werden. Wer der sächsischen Regierung den Vorwurf des Partitu- larismus mache, der verkenne vollständig di« Sachlage. Abg. Opitz (Kons.): Das Recht, die Fragen der allgemeinen Reichspolitik zu besprechen, stehc dem Landtag sicher zu. Doch sei eine gewisse Zurück haltung geboten. Der Abg. Fleißner habe ver gessen, zu erwähnen, datz wir unter Caprivi zwar die billigsten Getroidepreise, aber auch die größte Aus wanderung gehabt hätten. Wenn Zustände, wie sic jetzt im Reichslrnde herrschten, nicht weiter geduldet werden könnten, so sollte sich jeder Deutsche freuen. Dr. Zöphel gegenüber müsse betont werden, daß die Regierung im Rechte gewesen sei, als sie er klärte, die Eingriffe des Reichs in die Rechte der Einzslstaaten machten diesen die Erfüllung ihrer Kulturaufgaben unmöglich. Nicht alle Reden, die auf dem Preußentag gehalten worden wären, seien zu billigen, aber di« Tagung sei auch eine machtvolle Kundgebung gewesen gegen die Stouerpläne des Reichs. Abg. Koch-Dresden: Die Entwicklung des Ein heitsstaates sei nicht zu bedauern, da die Wünsche des Volkes bei einer Zentralregierung eher auf Gewähr rechnen könnten als bei partikularifttsch angehauchten Ein-elrogierungen. Den jetzigen Reichstag solle man nicht schelten. Er habe diegrößteWehr- vorlage bewilligt Wenn Opfer nötig wären, dann würde das Reich auch vor weiteren direkten Steuern nicht Haltmachen. Gegen den lückenlosen Zolltarif werde seine Fraktion sich wenden und dem Minister des Innern sei zu entgegnen, daß man ein guter deutscher Mann sein könne und sich doch über die Freisprechungen in Zabcrn nicht freuen könne. Nach einer kurzen Erwiderung des Abg. Dr. Zöphel auf die Ausführungen des Abg. Opitz be- antragt Abg. Fleißner Vertagung. Abg. Spieß (Kons.) widerspricht der Vertagung. Der Bertagungsantrag wird abgelehnt. Darauf bezweifelt Abg. Fleißner die Be schlußfähigkeit des Hauses. Die Auszählung ergibt, daß nur 08 Abgeordnete im Haus« sind. Infolgedessen wird die Beratung abgebrochen. Nächste Sitzung: Dienstag mittag 2 Uhr. Tages ordnung Etatkapitcl, Eisenbahnsachen und Petitionen. Liv soltvuos Lnßodot! macht die bekannte Firma 1VlH.es L tste., Aachen. Dieselbe versendet kostenlos und ohne Kaufzwang an Jedermann die aus über >000 Neuheiten bestehende Musterkollektion von Herren- und Damenstoffen. 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