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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.05.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110520015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911052001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911052001
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-05
- Tag 1911-05-20
-
Monat
1911-05
-
Jahr
1911
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Anhänger,u werben. Bemühungen, welche auch be reit» nicht ohne Erfolg geblieben fein sollen. Enver-Bei, der Militärattache in Berlin, der vorige Woche in Saloniki weilte, wo er, der ja vor drei Jahren da» Signal zur Freiheit»dewegung gab. viele Anhänger besitzt, hat dort »war allen seinen Einfluß aufgewendet, um der verderblichen Zersetzung de» Jungtürkentums in der Armee Einhalt zu tun. doch soll er wenig befriedigt wieder abgereist sein. Es lagerte deshalb gestern eine trübe Wolke über der Hochzeit, die Enver-Bei mit der Prinzessin Nadschi Sultane, einer Tochter des verstorbenen Prinzen Suleiman-Efendi. hielt. Der Kriegsminister Mahmud Schefket-Pascha. der sich schon wiederholt sehr unbefriedigt über den Tang der Ereignisse aus gesprochen hat, soll sich im vertrauten Kreise dahin geäußert haben, daß er gegebenen Falles zum Schutze der Konstitution die Diktatur proklamieren und dieselbe gegen jedermann ohne Ansehen der Person anwenden werde. Wir sagten schon früher einmal, daß in Mah mud Schefket-Pascha so etwas wie ein Napoleon Bonaparte stecke, und vielleicht ist die Zeit nicht fern, wo die Welt von ihm Ueberraschunacn erleben wird — Die Verhandlungen über eine Anleihe von 25 Millionen türk. Pfund, welche die Türkei mit Frankreich abfcbließen will, nehmen einen gmen Fortgang, so daß das baldige Zustandekommen der Anleihe erwartet wird. Bon der Türkei ist hierbei den Franzosen der Bau von 3500 km Eisenbahnen »»gesichert worden. Inzwischen sind hier auch die Vertreter einer finanzkräftigen englischen Gruppe eingetroffen, die der Regierung eine sehr günstige Offerte für den Bau von Eisenbahnen gemacht haben. Da, wie der Großmcsier kürzlich in der Kammer mitteilte, in der Türkei noch 10000 km Eisenbahnen gebaut werden sollen, dürften außer den Amerikanern, die sich schon früher Könzessionen gesichert haben, und den Franzosen auch die Eng länder ihren Anteil erhalten. rlus üen Reichstügskommllllonen. Die Budgetkommisfion des Reichstags setzte am Donnerstag die Beratung des Gesetzentwurfs, von der wir schon kurz berichte ten, betreffend die Tagegelder, Fuhr- und Um- zugskosten der Kolonialdeamten fort. Bom Zentrum wird vorgeschlagen, nur die staatlich ge machten Ausgaben zu vergüten, d. h. die Fahrkosten mit einem prozentualen Zuschlag. Don der Negierung wird zahlenmäßig daryclegt, daß die Bezüge der Beamten nach Btlligkeit be messen irren und die tatsächlichen Ausgaben nur unerheblich überschreiten. Der Vorsitzende der Kom mission hält die Vorlage einer Uebersicht über die wichtigsten Routen und die dafür zu zahlenden Ent schädigungen für wünschenswert. Der Schatzselretär stellt solche Tabellen in Aussicht. Der neue Antrag bringe in die Entschädigungsfrage eine gewisse Un gleichheit hinein, da die Opulenz in Betracht komme, mit der die Beförderungsmittel ausgestattet sind. Bon fortschrittlicher Seite wird die Ver tagung der Verhandlung empfohlen, dis die ge wünschten Unterlagen gegeben sind. Pfennig such je re i dürfe nicht getrieben werden. Der Zentrumsantrag wird von konservativer Sette be fürwortet. Kleine Unterschiede dürften keine Rolle spielen. Die komplizrerten Jnlandevorschristen seien sür Auslandsreisen nicht erforderlich. Das Ergebnis der Aussprache ist die grundsätzliche Zustimmung der Kommission zum Zentrumsantrage. Die Kom mission sieht den weiteren Vorschlägen der Regierung entgegen. * Die Rcichsversicherung-kommlsfion begann am Donnerstag die Beratung des Ein- sührungsgesetzes. Eine Reihe von Uebergangs- bestimmungen, insbesondere soweit die Versicherungs- behöiden in Betracht kommen, erhalten durch An nahme von Anträgen des Hauptbenchterstatters über die Reichsocrsicherungsordnung, Dr. Droescher lKons.s, zum Teil eine andere Fassung. Beim Artikel 9 wird bestimmt, daß auf Antrag beteiligter Kranken kassen das Versicherungsamt anordnen kann, daß zu einer Beschlußfassung über die Herstellung und Aenderung der äußeren und inneren Verfassung der Krankenkassen beiondere Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten in gleicher Zahl gewählt werden. Rach Artikel 12 tritt da« Oberversicherungsamt in Rechten und Pflichten an die Stelle de» Schiedsgerichts für Ardeiterverfiche- rung. Rach Artikel 13 hat die Versicherungsanstalt dem Oberversicherungsamte die Beamten, die sie dem Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung zur Verfügung gestellt hat, noch für fünf Jahre zu be lasten. Auf Anfrage von fortschrittlicher Seite, unter welchen Voraussetzungen, Normen und Garantien die Uebernahme der bislang bei den Schiedsgerichten beschäftigten Kommunalbeamten auf die Oberver- sicherungsämtcr erfolgen solle, erklärt der Vertreter des preußischen Finanzministers, daß die Verhand lungen hierüber ncch nicht abgeschlossen sind. Die Frist im Artikel 13 wird auf nationalliberalen An trag auf drei Jahre, 3l. Dezember 1914, bemessen. Artikel 16, der von der Verschmel-ung bestehender Krankenkassen zu einer handelt, erhält auf Antrag Droescher in der entscheidenden Bestimmung folgende Fassung: „Umfaßt der Mitgliedertreis einer gemeinsamen Ortstianteutaste bereits einen großen Teil der nach dem Krankenversicherungsgesetz Ortstassenoslichtigen des Bezirkes, so kann mit Genehmigung des Ober versicherungsamts diese Kaste zur allgemeinen Orts krankentaste ausgestaltet werden." Die Beratung der Kasienbeamtendienstordnung wird vorerst ausgeietzt. Artikel 33, wonach Ver- traasverhälrnisse, die bei Inkrafttreten der Reichs versicherungsordnung zwilchen Kasten und Aerzten bestehen, spätestens nach fünf Jahren enden, wird gestrichen. Rach 8 34 werden landesrechtliche Vor schriften, die den Dienstberechtiaten zur Sorge für Kur und Pflege des erkrankten Gesindes verpflichten, aufgehoben, soweit die Landesregierung sie nicht ausdrücklich aufrechterhält. Auf fortschrittlichen An trag bleibt die Bestimmung des 8 464 der Reichs- versicherunpsordnung dabei vorbehalten, wonach das Krankengeld auf den dem Dienstboten während der Krankheit weiterzuzahlcnden Lohn angerechnet werden kann. Freitag Weiterberatung. * Die Schiffahrtoabgabenkommission führte die erste Lesung der Vorlage zu Ende und wird am nächsten Mittwoch die zweite Lesung beginnen. Ein Antrag der Volkspartei, der eine Reichsbehörde sür die Feststellung des durch Schiffahrts abgaben gedeckten Anteils der Herstellungs- und Unter haltungskosten der Wasserstragen schaffen wollte, wurde abgeleynt. Die in einer der früheren Sitzungen von dem Ministerialdirektor Pe4ers gemachte Mit teilung, daß 18it6 Oesterreich beabsichtigt habe, auch Abgaben auf der zu kanalisierenden österreichischen Elbstrecke einzusühren, bezeichnete ein anderer Ver treter der verbündeten Regierungen als unmöglich. Der Zeitpunkt für da» Inkrafttreten des Gesetzes soll durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats festgesetzt werden. * Die Kurpfuscherkommisfion erledigte die mehrtägige Austprache über die -u 8 3 gestellte Frage, ob die Tierturpfuscherei zn das Kurvfujchergesetz miteinbezogen werden solle. Die Austastungen hierüber blieven nach wie vor geteilt. Neues ergab auch die heutige Aussprache nicht. Man einigte sich schließlich auf Vorschlag des Ministerialdirektors Dr.vonJoncquiöres dahin, die Frage umzukehren und sie so zu fassen: Sollen die Tiere von der durch das Gesetz zu treffenden Rege lung ausgeschlossen werden? Diese Frage wurde verneint. Durch diese Umkehrung soll eine Bindung der Kommisnonsmttglieder auf die bereits beschloße nen Linzelbestimmungen hinsichtlich der Ttcrbehand- lung vermieden werden. Am Dienstag, den 23. d. M., degrnnt die Beratung des wichtigen 8 6, der die so genannten Markenartikel nebst Vorbeugungs mitteln usw. betrifft. * Di« reicholändische Verfassungskommission hat den 8 24b des Verfassungsgesetzes von besten An nahme die Reichspartei ihre Zustimmung zu dem Gesetze abhängig machte, tn folgender Fassung angenommen: „Die amtlich« Dcschäftssprache der Behörden und öffentlichen Körperschaften sowie die Unterrichtssprache der Schulen des Landes ist deutsch. In Landesterlen mit überwiegend franzö- ilch sprechender Bevölkerung können auch fernerhin llusnahmen zugunsten der französischen Geschäfts« prache nach Maßgabe des Gesetze» betr. amtliche Ge- chäftssprach« vom 31. März 1872 zugelassen werden. Desgleichen kann der Statthalter den Gebrauch der französischen Sprache als Unterrichtssprache ent sprechend der bisherigen Uebung auf Grund de» ß 4 des Gesetzes betreffend das Unterrichtswesen vom 12. Februar 1873 auch fernerhin zulasten." Zn 8 2 auf den fortschrittlichen Antrag wird die Bestimmung gestrichen, daß auch für diejenigen, die ein Wohnhaus besitzen oder «in stehendes Gewerbe oder eine Land wirtschaft selbständig betreiben oder Rechtsanwälte sind, anstatt eines dreijährigen ein einjähriger Wohnsitz in Elsaß-Lothringen für die Wablbe- rechtigungausrerchcnd sein soll. Sonst wird am Wahlgesetz keine wesentliche Aenderung vorge- nommen; insbesondere bleibt also die Beseiti gung der P l u r a l st i m m e n bestehen. Nach der Geschäftsordnungsdebatt« beschließt die Kom mission auf Vorschlag des Vorsitzenden Prinz zu Schön aich-Carolath, in eine fünfte Le sung des Verfassungsgesetzes einzu treten. Der neue Negus llegelti. Noch immer ist die Frage, ob der alte Menelil ! bereits das Zeitliche gesegnet hat, ungelöst, wenig stens fehlt auch in den Meldungen von der er folgten Proklamierung Lidj Jeassus zum Kaiser jede authentische Aufklärung. Für das äthiopiscl;« Reich ist es natürlich wichtig, daß der Thron endgültig besetzt worden ist und damit alle Machenschaften der Kaiserin Taitu und ihres An hangs ein Eirde gesunden haben. Lidj Zeassu, ein Enkel Meneliks, war vor drei Jahren, als dieser von schwerer Krankheit heimgesucht wurde, gegen den Willen der Kaiserin Taitu zum Thronfolger aus gerufen worden, und im März 1910 wurde er, da Menelik völlig zusammengebrochen war, zum Herr scher ausgerusen unter der Vormundschaft des R a s Tassama, der kürzlich gestorben ist. Damals wurde auch die Kaiserin Taitu abgesetzt und allen Einflusses auf die Regierung beraubt. Der neue Negus ist europäisch erzogen, er hat neben andern Sprachen auch die deutsche er lernt und gilt als ein aufgeweckter junger Mann, s Er zählte zwar erst sechzehn Jahre, aber der Ein- I fluß seines Vaters, des mächtigen Ras Michael, steht ihm zur Seite. Für Abessinien beginnt Voraussicht lich eine sehr bedeutsame Epoche seiner Geschichte, denn notwendigerweise wird sich der Einfluß euro päischer Kultur immer mehr in diesem Lande fühl bar machen, dem mit seinen reichen Hilfsquellen all gemein eine große wirtschaftliche Zukunft prophezei! wird. Mit dieser zunehmenden Bedeutung dürfte aber auch di« Begier einzelner Staaten sich stärker regen, Abessinien wirtschaftlich und politisch zu be herrschen. Frankreich und England sind schon lange von diesem edlen Streben beseelt, nachdem Italien sich vor anderthalb Jahrzehnten die Finger verbrannt hate, als es das abessinische Reich f in die Tasche stecken zu können glaubte. Vielleicht glauben sie jetzt, bei dem jungen Negu» mehr er reichen zu können, und deshalb wird dieser auf seiner Hut sein mästen, damit es ihm nicht so geht, wie dem Khediven von Aegypten und dem Bei von Tunis oder dein Sultan von Marokko. Die deutsche Reichsregierung hatte erfreulicher weise noch zur rechten Zeit den Wert erkannt, den der abessinische Absatzmarkt einmal für den deut schen Export haben könnte, und sie schloß einen Freundschafte- und Handelsvertrag ab, der uns in dem äthiopischen Reiche all« Rechte sichert, die nur je ein anderer Staat dort erwerben kaun. Das liegt nicht nur in unserm, sondern auch im Interesse Abessiniens, das nun bei dem Feilschen ge wisse: Mächte um Sondervorteile einigermaßen ge schützt ist. Zn Addis Abeba weiß man die Uneigen nützigkeit Deutschland«, da« geaen di« Unabhängigkeit und Integrität Abessinien» nicht» im Schilde führt, wohl zu schätzen, und deshalL haben di« Hoffnungen, daß gerade dem deutschen Handel tn Abessinien ein dankbare» Feld blühen werde, immerhin einig« Be rechtigung. Während der unsicheren politischen Si tuation in Abessinien während der letzten paar Jahre war ein« gewisse Zurückhaltung, dort mit wirtschaft lichen Unternehmungen vorzugehen, geboten, nun sich aber mit der endgültigen Thronbesctzung und der Wahrung der Ruhe im Lande die Verhältnisse ge- ftstigt haben, steht der kräftigen Entfaltung deutschen Unternehmungsgeistes, der voraussichtlich auch unter dem neuen Herrscher gefördert werden wird, nichts mehr im Wege. Kriegs- unü Meüensjshre in Lisins. Die Freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz zu Leipzig hatte ihre Mit glieder gestern abend zu einem Vortragsabend nach cem Saale des Restaurants „Schloß Ritterstcin" ecn- berufen, zu dem Hauptmann Leonhard! vom 7. Feldarnllerie-Regimcnt Nr. 77 über „Kriegs- und Friedensjahre inThina" sprach. Der :(edner, der während der Kriegszeit in China weilte : nd bei der 4. leichten Feldhaubitzen-Datterie als Offizier die Expeditionen mitmachte, schilderte an der Hand ausgezeichneter Lichtbilder zunächst die Expe dition am Antsuling- und Tschan-tjchougling-Paß und streifte die deutsch-französische Expedition nach den Huolupässcn. Während seines Kommandos bei der Gejandtschaftswache in Peking und der Dienst leistung als Batterieführer in Tientsin hatte Herr Leonhardi Gelegenheit, das interessante nationale Leben in Tientsin und Peking kennen zu lernen, wo die Offizierskorps der ganzen Welt, die Gesandt schaften. Konsulate und die Kaufmannschaft ver sammelt waren. Als ausgezeichneter Beobachter schilderte er, durch zahlreiche Lichtbilder unterstützt, Land und Leut« in China, zeigte Eharaktertypen, die Stadt Peking mit dem Kaiserp^last, die Umgebung von Peking, namentlich auch den Sommerpalast der chinesischen Dynastie und den Sommeraufenthalt der deutschen Eesandtschaftswach« Tsedaitze. Seine Aus führungen faßt« der Redner dahin zusammen, daß, wenn auch der Thinese von vornherein ein unter legener Gegner gewesen sei, die deutsche Truppe Len Nachweis erbracht habe, daß der deutsche Soldat in außerordentlich schwieriger Lage seiner Aufgabe voll kommen gewachsen sei. Jedenfalls verdiene die Leistung der deutschen Expedition vollste An erkennung. Der Vortrag fand außerordentlich bei fällige Aufnahme. Unter Leitung des Kolonnen führers Herrn Trödler schloß sich eine Mitglieder versammlung der Freiwilligen Sanitätskolonne vom Noten Kreuz an. Letzte vepelchen unü Lernlprechmelüungen. Da« deutsche Kaiserpaar tu London. London, 19. Mai. (Eigene Draht Meldung.) Das Königspaar fuhr heut« nachmittag mit seinen hohen Gästen, dem Kaiserpaar und der Prinzessin Viktoria Luise sowie dem Prin zen von Wales und der Prinzessin Mary im offenen Wagen nach Kensington zu den Sce- und Landkriegsspielen in Olympia. Als die Ma jestäten in der Hofloge Platz nahmen, präsentierten die Soldaten. Die vereinigten Musikkorvs spielten die Nationalhymne und das Publikum brachte stür mische Hochrufe aus. die sich wiederholten, als der Kaiser die Ehrenwache besichtigte. London, 19. Mai. (Eig. Drahtmeldung.) Nach dem die Majestäten in den Duckingham-Palast zu- rückgekehrt waren, empfingen sie den Besuch Manuels von Portugal und der Königin-Witwe Amalie, die Realismus unü Trimalismus. Demnächst erscheint eine deutsche Ueberjetzung des französischen Lverces „Die Kunst als sozio logisches Phänomen" von Jean Marie Gu y a u. Die deutsche Uebersetzung hat der Dramaturg unseres Eladttheaters Paul Prina besorgt. Wir geben aus dem bedeutenden Werk, dessen Aushänge bogen uns vorliegen, im folgenden das Kapitel wieder, Las Len Unterschied zwischen Realismus und Trivcalismus behandelt. Goethe har ungefähr folgendes gesagt: „Der Dichter offenbart sich hauptsächlich durch Len Eindruck der Wirtlichkeit, wenn er an einem ganz gewöhnlichen und alltäglichen Vorwurf eine interessante Seile zu ertennen vermag." Ern richtig aufgefaßter Realismus ist gerade das Gegenteil von dem, was man „T r i v i a 1 i s m u s" nennen könnte: «r besteht Larin, daß man üen Darstellungen Les ge wöhnlichen Lebens die ganze Kraft, die der Deutlich keit ihrer Umrisse anhaftet, entlehnt, jedoch indem man sic gemeiner, ermüdender unü bisweilen ab stoßender Verbindungen entkleidet. Der wahre Realismus besteht also darin, das Reale vom Trivialen zutrennen; daher bildet er ein so schwieriges Gebiet der Kunst: es handelt sich um nichts Geringeres als darum, die Poesie von Dingen zu finden, die uns als die am wenigsten poetischen erscheinen, einfach weil die ästhetische Erregung durch die Gewohnheit abgebraucht ist. Es gibt Poesie auf der Straße, durch die ich täglich wandere und auf der ich sozusagen jeden Stein gezählt habe, aber es ist weit schwieriger, mich diese Poesie empfinden zu lassen, al» die einer italienischen ober spanischen Gasse oder al» die irgendeines stillen Winkels in einem exotischen Land«. Es handelt sich darum, verwelktenTindrückendieFrifche wiederzugeben, Neues im Alten, wie z. B. im täg lichen Leben, zu finden, aus dem Gewohnheitsmäßigen das Unvorhergesehene herauszulocken: das einzig wahre Mittel, dies zu erreichen, ist, in die Tiefe des Wirklichen zu tauchen, durch die Oberflächen, an denen unsere Blicke aus Gewohnheit haften bleiben, zu dringen, den aus dem wirren Gewebe aller unserer alltäglichen Verbindungen gebildeten Schleier, der uns hindert, die Dinge so wie sie sind zu sehen, zu heben oder zu zerreißen. Daher tftdterealistische Kunst viel schwieriger zu üben al» eine Kunst, die da» Interesse mit Hilfe de» Phantastischen zu wecken lucht. Diese letztere hat viel weniger zu tun, um schöpferisch zu wirken, denn die phantastischen Bilder können uns durch allerlei zufälliges Zu sammentreffen, wie da» im Traum zu geschehen pflegt, entzücken, während für denjenigen, der nicht da« Ge biet de» Wirklichen verläßt, di« Poesie und di« Schön heit kein glückliche» Zusammentreffen, sondern eine planmäßig verfolgte Entdeckung, eine geschickt« Organisation von bunt durcheinandergewürfelten Er- gebnissen der Erfahrung, etwa« dort, wohin all und jeder schon lana« vor-« sei« Blick« gerichtet hatte. neu Bemerktes sind. Das wirkliche und gewöhnliche l Leben ist der Aaronsfels, ein dürrer Felsen, der den I Blick ermüdet: es gibt da jedoch einen Punkt, wo man l durch Aufschlagen eine frische, kühle Quelle hervor sprudeln lassen kann, die den Augen und Gliedern wohltut und die Hoffnung eines ganzen Volkes sein kann: aber man muß diesen Punkt und nicht daneben treffen: man muß das Rauschen des lebendigen Wassers durch den harten und unergiebigen Stein hindurchfühlen. Es ist viel leichter, Naturalist in der Literatur zu sein als in der Malerei oder in der Skulptur, und ich will auch gleich sagen weshalb. Es ist, wie wir ge sehen haben, die Aufgabe des natura listischen Künstlers, aus gewöhnlichen und alltäglichen Dingen neue, jungfräuliche, poetische Er regungen zutage zu fördern, und aus diesem Grunse die Verbindungen gewöhnlicher und trivialer Ideen, die ein trivialer Gegenstand in uns wachruft, beiseite zu drängen. Nun sind aber die Mittel, über die der Schriftsteller verfügt, derart, daß er, genau genommen, nicht imstande ist, vor unseren Augen einen Gegen stand, irgendein beliebiges Ding ins Leben zu rufen: er kann nur beschreiben, und dann ist cs leicht, bei Beobachtung strenger Genauigkeit das. was wir ge wöhnlich nicht sehen, aus dem Schatten heraustreten zu lassen und dafür das, was wir zu sehen gewöhnt sind, auszulöschcn. Nehmen wir irgendein Beispiel: ein Romanschriftsteller läßt uns einer außerordentlich rührenden Szene beiwohnen, die sich auf der Straße vor einer Garküche oder vor einer kleinen Weinstube, genauer gesagt, auf dem Trittbrett eines dort haltenden Omnibusses abspielt. Wir wissen das alles, denn es ist ja gerade das zur Handlung gehörige Milieu: der Schriftsteller hat es uns genau ge schildert. ohne die Eans am Bratspieß auszulassen, und doch treten alle diese gewöhnlichen Dinge in die zweite Reih« zurück: das kommt daher, weil wir sie nur mit den geistigen Augen sehen, die mit dem Helden und der Heldin beschäftigt sind, und diese ganze triviale Inszenierung wird keine andere Wir kung haben, als uns di« Ueberzeugung zu vermitteln, daß wir im Nahmen von Dingen, die wir täglich sehen, einer packend wirklichen Szene beiwohnen. Ein realistischer Maler, der dieselbe Szene schildern will, stellt uns greifbare Wirklichkeit vor unsere leiblichen Augen: daraus folgt, daß wir sofort den Omnibus und die gebratene Dans sehen, und daß vielleicht das Rührend« oder Pathetische das Nachsehen hat: der Künftl«r hat nicht diese oder jene Seite der Wirklich keit zum Nachteil einer anderen betonen können, und wir fühlen uns von den gewöhnlichen Ideen verbindungen ergriffen, ohne un» davon befreien zu können. Der Maler muß also im Besitz de« Talentes sein, alles, was nicht unmittelbar zum Interesse der Szene gehört, in Schatten zu hüllen. Auf einem Ge- mälde kann man nicht gleichzeitig da, Meer und eine durch« Gras laufende Ameise anbringen: es muß aus gewählt werden. Diejenigen, die sich mit der Ameise beschäftigen, können ihre Gründe dafür haben: sie sollen dann aber ein Bild für sie allein machen und nicht da» Meer M kurz kommen lassen. Kunst unü rvillenlchslt. * Leipziger Bachfest. Die Erläuterungen des zum Fest erschienenen Programmbuches sinü von Dr. Alfred Heuß versaßt. Mit den nachstehenden treffendenWorten legt der Verfasser die Berechtigung Leipziger Bachfeste dar: Als man gerade vor drei Jahren das hiesige Bachdenlmal einweihte und bei diesem feierlichen Anlaß ein großes, dreitägiges Bachfest abhielt, da konnten nur me wenigsten wissen, daß dieses Fest das „Erste Leipziger Bachfest" sein werde. Und doch kann, nachdem dieses von so außerordentlichem Er folge bekleidet war, nichts gegebener sein, als die Einrichtung spezieller Leipziger Bachfeste. Gibt es doch keine Stadt, die mit der Kunst und dem Leben Johann Sebastian Dachs enger verknüpft wäre wie Leipzig, und heute ist man glücklicherweise auch so wert, einer derartigen Schicksalsfügung sich in vollem Ma? e bewußt zu sein. Heute gilt Bach in der ganzen Kulturmenschheit als einer der größten Meister aller Zeiten, teine Stadt hat — außer der Geburtsstadt Eisenach-mehr Grund auf ihn stolz zu sein, keine aber auch sich dieses Stolzes würdiger zu er weisen wie Leivzig. Und durch nichts kann dies ge eigneter geschehen als durch die Einrichtung von Bach festen, die weitesten Schichten der hiesigen Bevölkerung Gelegenheit geben, den einzig großen Meister in seinen Werken kennen zu lernen. So möge auch dieses zweite Leipziger Bachfest ein A-- sangsglied einer langen Kette von Bachfesten bilden, zur Ehre des Meisters und zum Ruhme der Stadr. * Die Erstaufführung des Stückes ^Trübes Wasser", eine Seminaristentragödie von Felix Otto, fand in Plauen bei dem ausverkauften Hause stürmischen Beifall. Die Buchausgabe dieser hoch aktuellen Neuheit ist in Leivzig als Publikation des „Allgemeinen deutschen Elternbundes für Schul reform in Leimig" erschienen. Im Gegensätze zu den bekannten Schülertragödien ist diese Arbeit weder langatmig noch übertreibend, sondern frei von allen sentimentalen und tendenziösen Schwächen der früheren Dramen. K. Willy Dirnberger, das Gründungsmitglied des Schlierieer Bauerntheaters, ist gestern in Mies bach (Oberbayern) nach langen Leiden gestorben. * 80. Geburtstag. Der K. K. Hofrat und Pro fessor des römischen Rechts an der Universität Graz, August Tewes, Edler von Achim, feiert am 22. Mat in erfreulicher Rüstigkeit seinen 80. Ge- burt»tag. In Achim bei Bremen geboren, wurde er 1863 nach Graz berufen, wo er noch jetzt wirkt. Be sondere Ehrungen wurden ihm beim Eintritt in fein IM. Lehrsemester »uteil. Der Kaiser von Oester reich verlieh ihm den Adel, indem er ihn nach seiner Vaterstadt „Edler von Achim" nannte. * veyerleiu» .Zapfenstreich" al» Oper. Da» vielgespielte Milttardrama „Zapfenstreich" von Franz Adam Beyerlein wird man, nach dem „Hamb. Fremdenbl.", in der kommenden Saison als Mustkdrama auf den Bühnen sehen. Der Dichter hat dem Komponisten Monleone di» Erlautni» gegeben, sein Drama „Zapfenstreich" als Opern libretto zu benutzen. Monleone, der bekanntlich der von Berga autorisierte erste Komponist der „Caval leria Rusticana" war, hat die „Zapfenslreich"-Parti- tur bereits soweit vollendet, daß die Uraufführung des Werkes im Herbst an der Königlichen Oper in Pest stattfinden kann. Die textlichen Abweichungen vom Original sind ziemlich beträchtlich, unter andern! fällt in der Oper die ganze Kriegsgerichtsszene weg. >>. Ein Freilichttheater in Vünauburg bei Boden bach. Am Fuße des böhmfichen Schneebergs, in dein von Tannen umschlossenen Vünauburg, wird am 1. Pfingsttag ein Freilichttheater, das erste in Deutsch böhmen, eröffnet werden. Es steht unter der Direk tion von Julius Watzke und der Schriftsteller Udo Radenius wird Spielleiter sein. An jedem Sonn- und Feiertage, wenn das Wetter es zuläßt, soll ge spielt werden. Dem Ensemble gehören, wie verlautet, erste Kräfte aus Dresden, Berlin, Bayreuth und Aachen an. Das Repertoire umfaßt folgende Werke: „Wallensteins Lager ', „Die Laune des Verliebten", „Die versunkene Glocke", „Eine florentinische Tra gödie" und „Des Meeres und der Liebe Wellen". * Wien, 19. Mat. (Anläßlich des fünfzig jährigen Jubiläums der Genossenschaft bildender Künstler Wiens) fand im Aoge- ordnetenhaus eine Festversammlung statt in An wesenheit der Erzherzöae Leopold Salvator und Rainer, mehrerer Minister, der Spitzen der Be hörden, der Delegierten von Akademien, Museen, Kunstinstituten sowie Kunstverbänden des In- und Auslandes. Der Statthalter überreichte die vom Kaiser verliehene Goldene Medaille, der Bürgermeister die von der Stadt verliehene Aus zeichnung. Zahlreiche Glückwunschadressen au» dem In- und Auslande sind eingegangen. * Ethnographische Forschungsreise. Der Gießener Ethnograph A. v. Schultz wird Ende Mai im Auftrage des Gießener Museums für Völkerkunde und mit Unterstützung der Wilhelm-Gail-Stistung eine zweite, auf ein Jahr veranschlagte Reise auf den Pamir antreten, die in erster Linie ethno graphische Zwecke verfolgt. 8t. Hochschulnachrichten. Der außerordentliche Professor der Geographie in Jena Dr. Leonhard Schultz hat den Ruf nach Kiel als Nachfolger des ordentlichen Professors O. Krümmel zum tommenden Wintersemester angenommen. — Zur Erinnerung an den im Vorjahr bei einer Luftballonsahrt ums Leben gekommenen Professor der Chemie an der Technischen Hochschule tn Breslau Dr. Richard Ab egg Haven seine Schüler und Mitarbeiter ein Porträtrelief gestiftet, das von Professor von Gosen in Breslau hergestellt worden ist und dem Chemischen Institut der Hochschule feierlichst übergeben werden soll. — Der außerordentliche Professor der Histologie an der Universität Wien Dr. Joseph Schaffer ist zum ordentlichen Professor der Histologie und Entwick lungsgeschichte in Graz ernannt worden.
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