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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.05.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191105282
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110528
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110528
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-05
- Tag 1911-05-28
-
Monat
1911-05
-
Jahr
1911
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boten zugegen. Der Partrikampf geht noch eine Zeit lang weiter. Mit Molkenduhr (Eoz) schliesst . die allgemein« Aussprache und die Sitzung. Die ge samt« Einzelberatung behält man sich für Montag ' vor. Ausgeschlossen ist es noch nicht, dass dann in zwei Sitzungen das ganze anstehend« Geletzgebungs- material -eivaltigt wird. Der fchweüilche Ssnüelsvertrsg in üer Kommission. Die Freitagsitzung der 23. Kommission, die über den schwedischen Handelsvertrag und über ein Abko in m e » mit Japan zu beraten hat, liegann erst nach 10'4 llhr und musste schon kurz nach N Uhr geschlossen werden, da das Plenum begann. Zu einer erschöpfenden Aussprache über di« schwierige Materi« bot diese kurze Spanne Zeit keinen hin reichenden Naum. Ein fortschrittlicher Ab geordneter eröffnete die Diskussion, indem er hervor hob, dass die Solinger und Remscheider Stahlwaren- Industrir gegen bas Vordrängcn der Konkurrenz artikel der schwedischen Znduitric nicht genügend ge schützt worden sei. Ibm wurde seilens eines siegle rungsvcrtrcters geantwortet, dass Schweden an der Ausfuhr seiner Artikel ein grosses Interesse habe. Der fortschrittliche Redner sprach sich dahin aus, dass seine Fraktion für das Handelsabkommen stimmen werde. Ihm gegenüber legt« ein n a t i o n a l libe raler Abgeordneter dar, dass vrrschiedene I n- d u st r i c z w c i g c v o l l st a n d > g j ch n tz l o s ge lassen worden seien und ans diesem Grund« seine Fraktion wegen der Annahme oder Ablehnung des Handelsvertrages verschiedener Meinung sei. Wie sein« Fraktion sich schliesslich stellen werde, hange wesentlich von den Erklärungen ab, die die Vertreter der Negierung hinsichtlich weiterer wünsche der de- nachteiltgten Industrien abgeben würden. Er erkannte an, dass die Stellung unserer Vertreter Schweden gegenüber sehr schwierig gewesen sei; jedoch hätten erster« sich diese Stellung noch unnötig erschwert, in dem sie bei der Anhörung der verschiedenen Inter essenten und bei deren Heranziehung zu den Verhandlungen mit Schweden nicht immer glücklich gewesen seien. Äusser den aus gesprochenen Freund« >i des Handelsabkommens hätten diejenigen mehr zu Wort kommen müssen, die dadurch schwer geschädigt würden. Di« schwedisciw Negierung uitd die schwedische Industrie seien im Begriff, zu einem Hochschutzzollsystcm überzugeyen, das bereits im Plenum des Reichstages als unzeit gemäss bezeichnet worden sei. Zudem seien in Schwe den noch n a t i o n a l i st i s ch e B e st r e b u n ge n zu spüren, die dahin zielten, die Einfuhr aus dem Ausland z u r ü ck zu d r ä n ge n und in erster Linie Deutschland zu treffen. Der schwedische Reichs- rag habe das Bcdcnklick)e dieser Bestrebungen bereits erwogen und eine ganze Anzahl von Süssen des auto nomen Zolltarifes gegen die Regicrungsvorschläge wesentlich herabgesetzt. Zlknn eine weiter« Herab setzung nicht erfolgt sei, so sei dies geschehen, um Deutschland gegenüber Hairdelsobjekt« in der Hand zu haben. ÜÜenn unter diesen Umständen den deut schen Vertretern bei einer grösseren Anzahl von Posi tionen Zugeständnisse gemacht worden seien, so sei dies eigentlich selbstverständlich und deshalb nicht als ein grosser Erfolg zu verzeichnen. Im Plenum sei von dem Abg. Speck auf den Unterschied zwischen Handels- und Zahlungsbilanz hingewiesen worden und es sei wohl unbestreitbar, dass die Zahlungsbilanz schon jetzt sich zu unseren Ungunstcn gestalte, während die Handelsbilanz noch aktiv sei. Deutschland habe verschiedene Zweige seiner Produktion schutzlos ge lassen, Schweden dagegen keinen einzigen seiner Er werbszweige. Der Redner befürchte von dem Han delsvertrag ungünstige Wirkungen. Seitens der Z c n t r u m s p a r t e i sprachen verschiedene Abge ordnete, die ihre Bedenken über die schleckst« Behand lung der Pflastersteinindustrie bekundeten. Ein fort schrittlicher Redner machte auf die schädlichen Wirkungen aufmerksam, die eine Zollherobsetzung, welche von der Negierung mit Stolz als Erfolg ver- rtichnet worden ist, für die Randstein und Bordstein. Industrie haben werde. Von konservativer Äite wurde die Preiselbeersrage angeschnitten. Man beabsichtigt, zugunsten der geschädigten Industrien ein« R r sio l u t t o n zu entwerfen und dem Reichs tage zur Beschlussfassung vorzulegen. * Abends wurden die Erörterungen der Kommission fortgesetzt. Ein Redner der Reich spartet be mängelt, dass in den Wirtschaftlichen Ausschuß zu erst Notable und dann erst Sachverstän dige berufen würden. Die Beerenlesescheine hatten das Gute, dass den wenig Arbeitsfähigen diese Arbeit vorbehalten und die Konkurrenz der voll Arbeits fähigen zurückgehallen werden könnte. Die grosse Mehrheit seiner Freunde würde für den Vertrag stimmen. Auf eine Beschwerde des Zentrums ver weist ein Vertreter der preussischen Eisen- bahnver waltung darauf, dass bereits 130« der Tarif für die Steinindujtric um 10 .tt bei 100 Kilo meter Entfernung, um 22 .«t bei 200 Kilometer pro Waggon herabgesetzt worden sei. 1904 sei der Roh- stofftaris auch für Lieferungen zum Privatwegcbau ausgedehnt und der Verwendungsnachweis fallen gelassen worden. Auch den jetzigen Wünschen werde man nach eingehender Prüfung entgegenzukommen suchen. Auf weitere Behauptungen stellt ein Regle rn n g s v e r t r e t e r fest, dass ein Kaiserlicher Lega tionsrat in Stockholm nicht als schwedischer Stein interessent in Frage komme. Ein Mitglied derFort- schrittlichen Volkspartei bezeichnet den Be trag von 3 .si für die Beerenlesescheine als zu hoch und stellt eine dementsprechende Resolution. Gegen über ferneren Aensserungen bemerkt Staatssekretär Dr. Delbrück, dass es sich bei diesem Vertrag nicht allein uin die Steinindustrie und um die Preisel beeren handle. Es kämen eine ganze Reihe von Fra gen in Betracht, die die gesamte deutsche Industrie berührten. Diese müssten bei den Verhandlungen auch beachtet werden. Das möge man bedenken. Ein nationalliberaler Abgeordneter teilt mit, d-ass weite Kreise der Erportindustrie, insbesondere der Textilindustrie, für die Annahme des Übertrages cintreten. Dennach solle man die Verab schiedung des Vertrages bis zum Herbst ver tagen. Ded widerspricht der Staatssekretär. Die deutsche Industrie habe ein dringendes Interesse daran, zu wissen, was werde; sonst könne sie nicht kal kulieren. Verschiedene Redner schliessen sich dem Staatssekretär an. Dieser kommt auf die Forderun gen der Hartsteinindustriellen zurück, die von weitest gehender Tragweite wären und wohl kaum erfüllt werden könnten. Jedenfalls müssten auch die Ver waltungen der süddeutschen Eisenbahnen gehört wer den. Konzessionen würden dadurch nicht ausge schlossen. Die Resolutionen betreffend die Beerenlesescheine und eine Resolution auf Herabsetzung der Eisenbahn tarife für die Hartstkivindustri« werden angenom men. Der Handelsvertrag wird dann mit elf gegen fünf Stimmen angenommen. Dagegen sind drei Zentrumsmitglieder, ein National liberaler und das Mitglied der Wirischastlick^n Vereinigung. Es folgt die Vorlage betr. den Vertrag mit Iavan. Sie ermächtigt den Bundesrat, den für den 10. Juli 1911 gekündigten Handelsvertrag zu erneuern und den neuen Vertrag in Kraft zu setzen. Stimmt der Reichstag dem neuen Vertrage bis zum 31. Dezember 1912 nicht zu. so tritt er wieder äusser Wirksamkeit. Nach kurzer Debatte siimmt die Kommülion diesi'r Vorlage zu. Die kusgsbe kleiner Aktien. Die Negierung hat den am 6. Mai 1910 abgelehn ten Entwurf über die Ausgabe kleiner Aktien in den Kvnjulargerichtsbezrrk«« und im Schutzgebiet Kiautschou wieder eingebracht. Die ausserordentliche Bedeutung der Materie für unsere oslastatischen Handelsinteressen legt der nationallide- ral« Abg. Dr. Görcke, der die Verhältnisse an Ort und Stelle kennen lernte, in der Donnerslagsnum mer der „Magdeb. Zig." überzeugend dar. Er nennt dort die Annahme der Vorlage direkt eine Leben s- frage für den deutschen Handel im fernen Osten. Und zroar mit vollem Recht, wie die nachfolgend« Stelle seiner Ausführungen zeigt: „. . . Der chinesische Handelsgano ist sehr konserva tiv und verlässt deshalb schwer die alten eingefahre- nen Geleise. Zu einer seiner Geschästsnormen gehört aber die Scheu, sich in G e s e l l s ch a f t s Unter nehmungen mit grossen Summen festz u- legen. Und diese Vorliebe für kleine G e - j cha f t s a n t e i l e ist durch oie englisch« Sitte der Ausgabe von E i u p f u n d - S h a r e s, die seit Iahr- zehnren in Ehiua bekannt ist, obendrein noch befestigt worden. Demgegenüber find wir Deuljchen mit unse rer Taufendmark Aktie stark im Nachteil, zumal alle anderen Formen von Handelsgesellschaften, die unser Gesetz samt noch kennt, der chinesischen Anschauungen lvegen für Oftajien überhaupt nicht in Frage kommen. Deshalb sind alle zur Genüge angestetlten Versuck)«, auf dem eben angegebenen Wege feste Handelsverbin dungen zu schassen, gescheitert. Denn dir Leiter der neugegründelen Gesellschaften mussten sehr bald ein sehen, das; sie, um nicht Schiffbruch zu erleiden, der Strömung zu folgen genötigt waren, das heisst, sie mussten die Gründung von der Basis der deutschen Aktie loslöscn und sie der englischen Farm zu führen. Dazu mussten si« aber unter englischen Schutz treten, jo dass sich das traurige Bild ergibt, dass deutsche Gesellschaften mit deutschem Kapital statt in den Listen der deutschen Konsu late im englischen Handelsregister zu Hongkong eingetragen sind. Dass sie damit natürlich auch starken englischen Einflüssen verfielen, braucht des Näheren wohl nicht aufgezeigt zu werden. Augenblicklich besteht nun der beklagenswerte Zu stand, dass sich in ganz Ostasien nicht mehr Zne ein zig; deutsche Aktiengesellschaft befindet, ja dass sogar di« Brauerei in Tsingtau unter eng lischer Flagge steht. Die deutsch-asiatische Bank, die scheinbar doch eine Ausnahme bildet, ist kein ostasiatisches, sondern ein Berliner Unternehmen, rechnet in diesem Falle also nicht mit. Dass neben den direkten Beeinflussungen der Gcstllschaften von englischer Seite für uns auch andere Nachteile aus diesen Tlerhältnissen entstehen, wird jedem klar fern. Zum mindesten, dass es einen h ö ch st unvorteil haften Eindruck auf die Chinesen und jchiesslich auch auf andere Leute machen muss, wenn sie sehen, dass eine deutsche Gesellschaft nach der an deren reumütig in die Arme Englands sinkt. Das kann unmöglich so weiter gehen. Dass im vorigen Jahr« das Plenum des Reichstages — übri gens mit einer geringen Mehrheit — den Gesetz entwurf abIchnte, hat in den deutschen Krei sen Ostasiens von Mandschurin an bis Singapore hin ohne Ausnahme geradezu Verblüffung erregt, und zwar ohne Unterschied bei Beamten, Kaufleuten und den sonst noch dort lebenden Deutschen. Denn für sie war die Notwendigkeit der Aenderung der Srückgrösse unserer Aktien für Ostasien etwas so Selbstverständliches, so Handgreifliches, dass man sich jemand, der dies nicht einsähe, gar nicht vorstcllen konnte. Dann nach Ueberwindnng des ersten Stau nens erfolgte der letzte, bis dahin mit Mühe auf- gehalteni Abmarsch ins englische Lager mit dem Er gebnis, das oben geschildert ist." Die Beratung des Entwurfs ist nun am Mittwoch non der Tagesordnung wieder abgesetzt worden. Hof fentlich findet sich vor der Vertagung trotzdem noch Zeit, die Vorlage zu verabschieden, deren weittra gende Bedeutung nach dem Vorstehenden ja klar zu- tage liegt. Deutsther vltmsrkentrig. Der Gesamtausschutz des Deutschen Oftmarkenver- eins trat am Sonnabend mittag in Losen unter Beteiligung von saft 200 Mitgliedern des Havptvor- stande« des Gesamtausschusse» und der Ortsgruppen zu seinen diesjährigen Verhandlungen zusammen, in deren Mittelpunkt mit Rücksicht auf di« bekannten politischen Vorgänge der neuesten Zeit die Enteiguungvsrage steht. Rittergutsbesitzer Bernuttz - Wrowo eröffnete die Verhandlungen mit einem Hinweis auf die ernste Zeit, in der der Ostmarkenverein tagt. Der Deutsche Osimarkcnverein denkt an keine andere Politik, als daran, die deutschen Interessen im Osten zu vertreten. Deshalb sollte er jeder Regierung eine willkommene Hilfe sein. Wir in der Ostmark wissen am besten, was uns not tut, und wissen besser zu be urteilen, was geschehen muss, als io viele Herren es vom grünen Tisch ausmachcn. Erklärungen sind uns ja im Abgeordnetcnhause vom Ministertisch genug abgegeben worden Man hat gesagt: der K u r s solle nicht geändert werden, und es sei ganz unmög lich, dass die Regierung von der bisherigen bewährten Ostmarkenpolitik abaeht. Wir werfen aber hier di« bange Frag« auf: Wo sind die Taten? (Leb- bafter Beifall.) Die einzige Zuversicht, auf die wir. bauen, ist unser Kaiser. Er ist immer für uns ein getreten. Gibt es ein schöneres Kaiserwort als das, dass er cs der Arbeit seiner Vorfahren schuldig sei, dafür zu sorge», dass die Provinzen im Osten stets echt deutsch und oreussisch bleiben sollen. An einem Kaiserwort lässt sich nichr deuteln, und so treten wir zusammen unter dem Ruf: Se. Majestät unser Kaiser, er lebe hoch! Die Versammlung stimmte dreimal be geistert rn den Ruf ein. Hierauf erstattete Hauptvorskandsmitglicd Major v. Tiedemann-Seeheim den Bericht des Hauptvorstandes über die Gesamtlage des Vereins und über die Enteignungsfragc. Wir waren das letzte mal am 13. November in Berlin versammelt und waren in der Lage, eine Vertrauenskundgebung an die Staatsregierung vorzuschlaaen und daran die Aufforderung zu knüpfen, dre bisherig« Bodenpolitik weiterzuführen und von dem Enteignungsgesetz Gc- brauch zu machen und das längst versprochene Parzel lierungsgesetz vorzuleaen. Vor dem 13. November war auf die Dereinsleitung von allen Seiten des Reiches eingestürmt worden, sie möge die Initiative ergreifen für «ine Bewegung zugunsten der sofortigen. Durchführung des Enteianungsgesetzes. Wir hatten bis dahin mit der Regierung im besten Verhältnis zusammengearbeitet, und wir wollten auch weiterhin Geduld an den Tag legen, um diese« gute Zusammenarbeiten nnt der Regierung nicht zu stören. Mit dem 13. November glaubten wir über den Berg zu sein; aber gegen jede Erwartung und gegen jede Berechnung vorsichtiger Leute find unsere Hoffnungen vom 13. November fehlgeschlagen, und wir find nicht weitergekommen. Als das letzte Jahr zu Ende gegangen war und am 12. Januar das Ab geordnetenhaus zusammentrat, auf dessen Initiative in der Bodenpolitik wir hingewiesen waren, da mutz ten wir es erleben, daß dennoch keine Klarheit eintrat, daß man es vielmehr bei allgemeinen Rede wendungen bewenden liess. In dieser Zeit kam die Vereinsleitung zu der Ueverzeugung, daß ihre berech tigten Hoffnungen sich nicht erfüllen würden. Wir kamen uns damals etwa so vor wie der deutsche Michel, aber wir find doch zur rechten Zeit aufgewacht und mit d?r bekannten Erklärung vom 20. Januar hervorgetreten. — Der Redner verliest diese Erklä rung und stellt fie in Vergleich mit der Vertrauens kundgebung für die Regierung vom 13. November. Er führt im Anschluss daran aus: Sie sehen, wir waren in «ine oppositionelle Stellung zur Regierunggetreten. Dass dies geschehen ist, dafür trifft die Vereinsleilung keine Schuld und keine Verantwortung. (Sehr richtig!) In dieser Kundgebung ist in kurzen Worten alles enthalten, war über den Stand der Fortführung der Boden- Oss mslerilche üollsnü. Von Fritz Tychow (Einbeck). Die Niederländer erfreuen sich nicht gerade eines poetischen Rufes. „Holländische Poesie ist eine < »utcuftiot io iu uftjoeto", urteilte Adolf van Menzel, und der Göttinger Humorist Lichtenberg drückte seine (Geringschätzung in dem vernichtenden Vergleich aus: „Ein Esel kommt mir vor wie ein Pferd ins Hol- länvisckx übersetzt." Manches Wahre ist sicher daran! Jedoch ganz so einfach sind die Dinge nie. wie sie sich au« der Entfernung ansehen, und wer lange in Holland ge lebt hat, wird sich der Erkenntnis nicht verschliessen könne», dass cs in dem Lande der Droogstoppels und van Streefs eine Poesie gibt, die uns völlig gefangen nimmt, wenn wir si« erst einmal entdeckt haben. Für manchen liegt sie vielleicht tief verborgen; denn es dauert lang«, bis der Niederländer sich äusser«, und nicht immer klingt dies so unmittelbar und so frisch, wie es gemeint war. Und wie es dem einzelnen immer wieder geschieht, so ist «» dem ganzen Volk ergangen. Schon Jahrhunderte hindurch hat es die poesievolle Schönheit seiner Landschaft empfunden; aber nur die Maler haben sie auszudrücken vermocht. Jetzt erst, seit kaum 30 Jahren, haben auch Holland« Dichter Töne gefunden für die Schönheit ihrer Sonn«, ihres Lichtes, ihrer weichen, schimmernden Nebelwelt und für des Herzens stille, leise, vorwiegend weh mutige Regungen. Von der Poesielosigkeit der hol ländischen Sprache zu reden, ist grober Unverstand ge worden; denn für das Allerfeinste, das Allerempfind lichste lxft sich das Niederländische geeianet erwiesen Wer aber die Poesie der Sprache nicht kennt und nicht werten kann, der sehe sich im Lande um: Die tiefverträumten Städte, von ulmengrünen Wällen ring« umsäumt unter denen breite alte Grachten in dunkler Schwärze erglänzen oder in dickem, grünem Entengriitz schlummern. Meist stille Städte, auf denen neue« Leben vltersgrau« Bauten aus hehrer Vergangenbeil ruhig und sinnend, feier lich und prächtig niederschauen. Dav haben di« alten Holländer gebaut, und das heutige Geschlecht um fasst diese Schönheit mit der sinnenden, wehmütigen Liebe, die den alternden Mann zu seinen Iuaendtagcn Hinzieht. Und dies« Liebe wird praktisch: selten, sehr selten wird in Holland ein altes StädtebUd durch geschmacklose Neubauten gestört werden. Ein feines Gefühl für den Zusammenhang ihrer Bauart und ihrer Lustskimmung sagt den Holländern genauer als gewöhnlich uns, was den Eindruck erhöht, was ihn vernichtet. Sie erhalten durchweg ibren alten Städten den zarten Schleier der Poesie des Alters, und es ist auffallend, ivie wenig in Holland die Men schen das Städte- und Landschaftsbild zerstören. Nicht nur, daß sie nie so lärmend und albern sind wie andere Ausflügler, daß fie keine „Butterbrote" und Eierschalen mit sich führen, wenn sie sich «inen schönen Tag machen wollen — sie heben geradezu die Schönheit der etwas kahlen Landschaft, machen sie erst wahrhaft lebendig und wirksam. Gerade wie sie die si^bäude cm den rechten Platz setzen, dat het mooi legen de lucht staat (damit sie zur Luft passen), so stehen und gehen sie selbst immer gerade so. wie sie ins Bild hinein gehören, oder es scheint doch so. Wie die Kinder dort den grünen Deich hinansitzen, wie der Bauer mit grosser Silhouette oben auf -em Damm entlang schreitet, wie da« junge Mädchen am Waschfass steht, das scheint alle» aus dem Licht her- oorgewachsen, dem Boden entsprossen, so patzt kein anderes Volk zu seinem Land, zu seinem Himmel, wie das holländische. Es ist ihnen angeboren, malerisch schön zu wirken. Einfach und regelmässig, abendlich verschlafen ist da« holländische Leben, rhythmisch gehooen ihr ganzes Tun und Treiben. Es ist, als wären von der gewaltigen Hochflut der großen Vergangenheit jetzt nur noch die kleinen r^elmässigen Wellen der einzieheüden Ebbe übrig. Mit leichtem leisen Takt geht es durchs ganze Land, ein Pulsschlag gemein samen Lebens, ein Mass, das Menschen und Dinge gleichförmig in sich tragen. Und dieser Rhythmus ist die eigentliche Poesie de» holländischen Lebens. Natürlich ist es nicht jener allgemein indogermanische Arbeitsrhythmus, nste wir ihn noch bei Schnittern, Dreschern, Steinrannnern usw. finden, also nicht etwa ein Gleichmass, nach dem sich arbeiten oder gar exerzieren ließe: alles in diesem äusseren Sinne '.Rhythmische. Stramme, sozusagen Preussische, ist den Holländern in der Seele verhasst. Der Rbythmus ihres Lebens ist eher dem unbewussten, mitzählbaren Auf und Nieder einer sonst hinrollendcn Prosa zu ver gleichen, als dem zählbaren offenkundigen Taft der Musik oder -es Verses. Weil Tradition. Gewöhnung und guter Ton (sarsoen) in Holland eine so grosse Roll« spielen, weil so viel daraus cnrkommt, wat Hoort (was sich schickt), sieht man aus das Tun seii«r Umgebung, hat man den unwillkürlichen Trieb, sein eigenes Auftreten mit dem des aus derselben Bildfläche Erscheinenden in Ein klang zu bringen. Daraus entstehen oft Szenen von unvergleichlicher Anmut, die allen Reiz einer wohl- eingeiibtcn Schaustellung besitzen, und denen darüber hinaus 'noch jede Steifheit, jede Willkür fehlt. Ein Dörfchen im Morgensonue». schein. Die Sonntagsglocken laden zur Kirche. Nicht auf Len Schlag, aber etwa innerhalb derselben Minute sielst man zuerst die Männer aus ihren bunt gestrichenen Haustüren treten, mit der gleichen hinten nachlangenden Armbewegung die Gartenpforte schliessen und langsam, wieaenden Schritte» Wer di« Strasse dem Kirchplatz zustreben, über den Baumgänge zu den Turmiüren führen. Schräg über den Platz laufen die laubüberdachten Klinterwege, wo die Männer Zusammentreffen; ohne Verabredung, ohne Anordnung macht e» sich von selbst, dass man in einer gewissen regelmässigen Folge hintereinander hergeht Inzwischen sind die. Frauen in ihren blitzsauberen Trachten, das silberbeschlagene dicke Kirchenbuch in beiden wänden, ihren Männern in schicklichem Ab stand gefolgt und betreten nun ihrerseits di« L«n»d- gänge, rnn gemächlich nacheinander in de« Kirchen türen zu verschwinden. Da ist kein Rennen, niemand dastet an dein andern vorüber, man läuft nicht durch einander; man geht, wie man'« von je gewöhnt, in feierlichem Ebenmass zur Kirche, und so wird aus dem einfachen Zurkirchegehen ein schönes Bild, das der Hauch de» althergebrachten Rhythmus umwebt. Das ist die massvoll schöne Seit« dieses ererbten Tcnt- schlages der ganzen Lebensführung. Ein schnurgerader Kanal, Pappeln zu beiden Seiten, rechts ein weisser Leinpfad. Ein Schiffer schiebt seine bunte, plumpe Schuft, von abend, lich schlaffem Segel nmwallt, durch« Wasser fort. Mit dem immer gleichen Schwung setzt er den Stecken ein. drückt den Knopf gegen die Brust, stemmt den Oberkörper kräftig vor und tritt, auf der Lausplanke langsam vorwärts gehend, sein Fahrzeug hinter sich. Am Achtersteven angekommen, gibt er mit langem Arm noch einen Stotz, lässt dann den Stecken schleppen, während er gemütlich zum Vordersteven schlendert, um dort aufs neue den Stecken ins Master zu stossen. Eine Sicherheit, eine Ruhe, ein Ebenmass, die aus Jahrhunderte alter Ueberlieferung beruhen. So un nur so darf es gemacht werden; das erzeugt dte eigen artige, friedlich abwartende Stimmung, die dem ganzen Land« eigen ist. Htrrker der Ähuit in stet« gleichem Abstaude wird ein kleines weisses Boot leicht im Kielwasser fortbewegt, und in der Ferne taucht au» goldenem Schimmer purpurgraues Ge mäuer einer oft«« Stadt auf. Es ist, als wenn ein leises Band di« beiden Schiffe zusammenfügte; leicht streichen si« dahin ftn Bann« des verborgenen Rhythmus, deins wagt den schönen Zug, den richtigen Abstund zu verringern oder zu vergrößern. Da« ist die holländische Poesie. Was der Holländer kennt, das stobt er: onbekend magst onbemind (unbeliebt). In der Fremde wird es ihm bald unbehaglich. Bis zu einem gewissen Grade sprachgewandt, vermisst er im Auslande nicht so sehr seine Mundart, als den Stinnnungsgehalt seiner gewohnten Unterhaltung: diese« ruhiger«, ge dehntere Auskofien jedes Gedankens, die Sprrmg- lofigkett in dessen Verfolg, die Mässigkeit in der Auf stellung kühner Behauptungen (was ihn, bei uns be sonders auffallt), die Zuruckhaltung, kurz, eben die Abtönung, di« ihm von Haus« aus bekend und darum denrind ist. So ist da« Verhältnis der Holländer zur Poesie ganz anders als das der meisten Deutschen. Bor dem Neuen, das noch roh und nackt, ohne den Schmelz der Jahrhunderte vor ihm steht, hat er eine gewisse Furcht. Veränderung, Neue rung, Unbekcrnntyeit, das find Begriff«, di« für den Hollander etwas Ungemütliches, Triviales, Un- poebisches haben. Hier unterscheiden sich unser« Auf fassungen ganz bedeutend und sehr charakteristisch, und daher kommen die vielen Missverständnisse hüben und drüben. Der kulturftmge Deutsche liebt gerade das Unbekannte. Für ihn hat das Undeutliche, sei es ver gangen oder werdend, das nur Geahnte, noch nickt Vorhandene, Ideal« einen tiefen poetischen Reiz, weil er es mit seiner leickstbeflügelten Phantasie nach Wunsch cni «zustatten vermag. Der kulturältere, weniger phantasiebegabt«, aber mit kräftigerem Mirklichkcitssinn ausgerüstete Niederländer liebt das Bekannt«, Bewusste, Objektive, Reale, dem er durch Rbythmus und Stimmung den Zauber einer ihm allein eigenen Poesie verleiht. iMiir MMLK 6. pesek-ssf6.
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