Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 26.07.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-07-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110726024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911072602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911072602
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-07
- Tag 1911-07-26
-
Monat
1911-07
-
Jahr
1911
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis für Leipzig und Vororte durch unler« Troger und Eoediteure 2mal täglich in, vau» gebracht: 80 Pt. monatl., 2.70 Mt. vierleliährl. Bei unser» Filialen u. An nahmestellen adgeholt: 75 Pf. inonarl., 2.25 MI. vierteljährl. Durch di« Poft: innerhalb Deulschland» und der deutschen Kolonien vierteljährl. ».«I MI.. monatl. 1.2» MI. aurschl. Postbeftellgeld. Ferner in Belgien, Dänemark, den Donaustaaten, Italien, Luremburg, Niederlande, Nor wegen. Desterreich - Ungarn, Nuhland, Schweden, Schweiz u. Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch die Geschäftsstelle des Blattes erhältlich. Das Leipziger Tageblatt erscheint 2mal täglich. Sonn- u. Feiertags nur morgens. Abonnements-Annahme: 2ohanni,gass« 8, bet unseren Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Abend-Ausgabe. KiMgcrTagMM s 14 KS2 (Nachtanschlu») Tel.-Änschl. 14 693 l 14 694 Handelszeitung. Sel.-Änschl. 14 892 lN«»t«nIchl,»I 14 693 14 694 Amtsblatt des Aales und des Volizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis für Inserat« au, Leipzig und Umgebung di« lspaltig« Petitzeil« 25Vf.dieNeklame- zeil« l Mk. ' von »»»warte 2V Ps^ Reklamen l^ll Mk.- Inserate von Behörden im amt- ltchen Teil die Petit,eile 50 Pf. Geschäft,»»,eigen mit Platzoorschristen u. in der Abendausgabe im Preise erhöht. Rabatt nach Taris. Betlagegedübr Gesamt auflage 5 Mk. p lausend erkl. Postgebühr. Teilbrilage Höher. Festertetlte Aufträge können nikbt zurück gezogen werden. Für das Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen - Annahme: Iohannisqass» 8. bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen des In- und Auslandes. Druck »ud Verlag »„ Leipziger Tage- blatte, v. Polz. Inhaber: Paul ttürften. Redaktion und S« schäst,stell«: Iohannisgaise 8. Haupt-Filiale Drr.dea: Seestraste 4, l (Telephon (621). Nr. 205. Mittwoch, Len LS. Tu» lSll. ISS. Jahrgang. Die vorliegende Ausgabe umsaßt 6 Seiten. Die Krise im rranzöMHen Oderkommsnüo hat — so schreibt uns unser Pariser ^.-Mitarbeiter— die Kommentare über Agadir etwas zurückgedrängt; selbst der immer ausgesprochener deutschfeindliche „Matin" scheut nicht davor zurück, dies Intermezzo in sensationeller Weise auszubeuten und ein wenig das Vertrauen des französischen Publikums in die absolute Kriegsbereitschaft der Republik, von der die Chauvinisten so viel fabulieren, zu „sabotieren". Das „Echo de Paris" gesteht, daß es den pein lichen Zwischenfall gern totgeschwiegen hätte: „Man muss sich fragen, ob bei der gegenwärtigen Lage und im Augenblick, wo Frankreich mir Deutschland die ernstesten Schwierigkeiten hat. die Enthüllung der Vorkommnisse, die eine Krise im obersten Kommando unserer Streitmacht zu Lande entfesselten, an gebracht war. Das „Echo" enthielt sich absichtlich, die Vorgänge im Obern Krieasrat zu erzählen; heute, wo man hohen Orts die Richtigkeit nicht mehr bestreitet, können auch wir nicht mehr schweigen." Das nationalistische und von den meisten Offizieren gelesene Blatt schreibt dazu: „Als im vergangenen Februar General Tttmeau krankheitshalber zurücktrat und ein neuer Generalissimus bezeichnet werden musste, nahmen wir die Ernennüng des Generals Michel nur mit Vorbehalt auf, da nichts diesen Offizier für den hohen Posten zu prädestinieren schien. Fast ein stimmig hatten die Mitglieder des Obern Kriegsrats sich für den General Pau und in zweiter Linie für den General Chomcr erklärt. Der erste ist ein helden mütiger Veteran von 1870 — nach Fröschweiler muhte ihm das linke Handgelenk amputiert werden — und kommandierte mit Eklat das Armeekorps von Nancy; der Zweite hatte das Armeekorps von Besaneon be fehligt und seltene, vom ganzen Heer gewürdigte militärische Fähigkeiten bekundet. Schon bei den ersten Beratungen des Obern Kriegsrats erhoben sich Meinungsverschiedenheiten zwischen oem General Michel und seinen Kameraden über die wichtigsten strategischen Fragen. Die Enthüllungen des Kriegsministers Generals Eoiran über das Oberkommando, der Sturz des Ministeriums Monis und die Ernennung des Generals Dubai! zum Chef des Gcneralstabes kamen dazwischen. Generalissi mus Michel befand sich auch im vollsten Jdeengegen- sai; mit General Dubail und zwar in den bedeu tendsten Fragen, in erster Linie über die Befugnisse uno die Verantwortlichkeit des Generalissimus und des Generalsiabscheis in Kriegszeit. Die Schwierigkeiten des Generals Michel wuchsen während der letzten Beratungen im Obern Kriegsrat noch. Vor acht Tagen wurde er sowohl in der Frage der allgemeinen Heeresorganisation wie in den Fragen der Taktik in die Minderheit gebracht. . . . Kriegsminister Mes- simy studierte mit den berufensten Heeresführern die Fragen, die eine sofortige Lösung verlangen: 1. Einheit des höchsten, in Kriegszeit mit der Führung der im Osten konzentrierten Heere betrau ten Kommandos. 2. Reglementierung der Be fugnisse und der Verantwortlichkeit des General stabschefs in Friedenszeit und in Kriegs zeit, hinsichtlich seiner einheitlichen Aktion mit dem höchsten Kommando unserer Heere. Minister präsident Caillaux und Kriegsminister Messimy beschäftigten sich seit Regierungsantritt mit diesen Fragen. Der Ministerrat, der für Ende der Woche einberufen ist, wird sich mit der Neuorganisation der Oberkommandos und der Reglementierung der Befugnisse des Generalstabs beschäftigen, dessen Bureaus nach dem Jnvaliden-Hotel verlegt werden, wo schon der Vizepräsident des Obern Kriegsrats (Generalissimus) seinen Sitz hat, um den beständigen Kontakt herbeizuführen." Die Krise im Ober kommando macht also einen besonderen Ministerrat nötig; man hatte angekündigt, das; vor Mitte August keiner mehr stattfinden werde. Ueber den zukünftigen Generalissimus, der zugleich auch die jetzigen Funktionen des General stabschefs ausüben soll, mögen noch folgende An gaben dienen: General Pau ist 1848 in Mont-li- mar geboren; 1867 trat er in die Saint-Lyr-Schule ein, wurde 1870 als Unterleutnant dem 78 Infanterie regiment zugeteilt, in der Schlacht bei Fröschweiler durch einen Granatsplitter an der linken Hand, die amputiert werden muhte, verwundet, am 8. November als Kapitän dem 63. Regiment in Besancon zuge wiesen und. weil noch ungenügend gehe ilt.i ns dortige La zarett überführt, 5 Tage vor dem Abmarsch der Ostarmec nach der Schweiz. Nach dem Waffenstillstand wurde er dem 135. Regiment des 1. Korps von Versailles zugewicien und mit dem Kreuz der Ehrenlegion ausgezeichnet. 1890 Oberstleutnant, 1893 Oberst, 1895 Brigadegeneral, 1903 Divisionsgeneral, steht General Pau schon so nahe an der Altersgrenze, dah er den Posten eines Generalissimus nur während eines Jahres wird ausfüllen können. Als „Ko adjutor" soll ihm der frühere Gouverneur von Madagaskar, General Eallisni, oder General Joffre beigegeben werden, mit bestimmter Zusage für die Nachfolge. — Der unter so traurigen Umständen verabschiedete General Michel ist 1850 geboren, machte nach kurzem Aufenthalt in Saint-Cyr den Feldzug als Leutnant des General stabes mit, wurde bei Champigny verwundet, 1873 zum Kapitän ernannt, 1888 als Geologielehrer der höheren Kriegsschule zugewiesen, dann den Kabinetten der Kriegsminister Mercier, Zurlinden und Billot zugeteilt, 1897 zum Brigade-, 1902 zum Divisions general und Anfang dieses Jahres zum Generalissi mus ernannt, nachdem er Trcmcau schon im Höchst kommando der Herbstmanöoer vertreten hatte. * Folgende Drahtmeldungen liegen noch vor: L. 6. Paris, 26. Juli. Die Krise in der französischen Armee, die durch die Zwistigkeiten über die Stellung des Generalissimus verursacht ist, hat noch immer keine Lösung gefunden. Es scheint fast, als ob diese Krise, aus der das neue Kabinett hervorgegangen ist, auch zu seinem Sturze führen soll. In parlamentarischen Kreisen sieht man bereits mit groher Ungeduld der endgültigen Lösung dieser Frage entgegen und hinter den Kulissen sind die berufsmäßigen Ministerstürzler schon wieder eifrig an der Arbeit. Es scheint fast, als ob zunächst der neue Kriegsminister Messimy als Opfer der Krisis fallen wird. Präsident Falliöres lieh heute Messimy nach dem Elysee kommen und hatte mit ihm eine lange Konferenz in dieser An gelegenheit. Die Anhängerschaft der beiden geg nerischen Generale Michel und Pau arbeitet un ausgesetzt im Interesse ihrer Führer, um die maß gebenden Stellen in ihrem Sinne zu beeinflußen. * Paris, 26. Juli. Gegenüber den von radikaler Seite ausgesprochenen Befürchtungen, daß durch die geplante Umgestaltung des Heeresoberbefehls der Weg für eine Art Militärdiktatur geebnet werden könnte, wird in einer offiziösen Mitteilung erklärt, daß diese Besorgnis durchaus unbe gründet sei und daß die demokratischen Ein richtungen der Republik durch die Schaffung eines einheitlichen Oberkommandos in keiner Weise beeinflußt werden könnten. Ferner wird angesichts der lauten Befriedigung der Konser vativen über die Wahl des Generals Pau betont, daß General Messimy hierbei lediglich die ein mütig anerkannte berufliche Tüchtigkeit im Auge gehabt habe, ausschließlich vom Interesse der nationalen Verteidigung geleitet worden sei und politische Erwägungen beiseite gelaßen habe. Diese Ernennung werde die Haltung des Kriegsministers, der eine republikanisch geeinigte Armee wolle, in nichts ändern. Oie Marokkoangelegenheit ist in den letzten Tagen nicht recht von der Stelle gekommen, zwar wurden entgegen den französischen Preßemeldungen die Verhandlungen zwischen Herrn von Kiderlen-Wächter und dem Bot schafter Cambon wieder ausgenommen und auch am Dienstag vormittag weiter- geführt. In offiziellen politischen Kreisen ist man auch nach wie vor der Ansicht, daß die Be sprechungen der beiden Staatsmänner ein günstiges Resultat zeitigen werden. Unseres Erachtens mit Recht. Denn wenn die fran zösische Negierung zu der Ueberzeugung gekommen sein wird, daß Deutschland an seinen be rechtigten Forderungen u n e n t w e g t f est - hält, so wird cs sich auch von seinen Freunden jen seits des Kanals nicht beirren laßen und das tun, was seinem Interesse am meisten ent spricht. Ob das Interesse Frankreichs von der „En tentemacht" gerade immer richtig erkannt und ver folgt worden ist, darüber können sich die Franzosen wohl kaum im Zweifel sein. Jedenfalls ist von deutscher Seite besonnene Festigkeit — allen äußeren Einflüssen zum Trotz — zu erwarten und wohl auch zu erhoffen. Heute liegen folgende Drahtmeldungen vor: * London, 26. Juli. (Priv.-Tel.) Der heraus fordernde Ton, den der englische Schatzkanzler Lloyd George Deutschland gegenüber in seiner letzten Rede angeschlagen hat, konnte in hiesigen ein- geweihten Kreisen keinerlei Ueberraschung mehr erregen. Man wußte in diesen Kreisen genau, wie der diplomatische Berichterstatter der „Preß-Centrale" erfährt, daß in den letzten 8 Tagen eine große Wand lung in den Anschauungen der leitenden englischen Staatsmänner über ihr Verhalten in der Marokko- Politik Frankreich und Deutschland gegenüber er folgt ist. Während zur Zeit der Einleitung der Aktion von Agadir durch die deutsche Regierung die maßgeben den englischen Politiker noch eine Verschiebung der wirtschaftlichen und politischen Machtoerhältniße nicht ungern gesehen hätten, ist jetzt eine große Wandlung erfolgt. Den Hauotanteil bei dieser Wandlung der englischen Politik ist dem großbritannischen Botschafter in Paris Sir Francis Bertie zuzuschreiben, der stets einer der eifrigsten Verfechter der anglo-französischen Entente war und dem man neben König Eduard in erster Linie das Verdienst des anglo-französischen Vertrages vom April 1904 betreffend Marokko und Aegypten zuzuschreiben hat. Bertie verfocht mit aller Entschiedenheit die Auffassung, daß England sich an die Seite Frankreichs in der Marokko- Angelegenheit zu stellen habe. Bei seinem ietzzgen Aufenthalt in London ist cs ihm gelungen, das Kabinett vollständig in seine Bahnen zu lenken, so daß nunmehr zu erwarten steht, daß England durch dick und dünn Frankreich in seiner Marokkopolitik folgen wird. * San Sebastian, 26. Juli. (Eig. Drahtmeld.) Der englische Geschäftsträger besuchte den Minister des Aeußern, um sich über den Stand der französisch spanischen Verhandlungen über die Schaf fung eines Modus vivendi in Elksar zu er kundigen. * London, 26. Juli. (Priv.-Tel.) Die liberalen Blätter äußern sich zur jüngsten Rede Lloyd Georges zur Marokkofrage dahin, daß England sich in die deutsch-französischen Verhandlungen nicht ein mischen werde, daß aber, wenn eine wesentliche Veränderung des afrikanischen Besitzzustandes Platz greife, England verlange, zu den Besprechungen zugezogen zu werden. Die konservative Presse fährt fort, zu behaupten, daß die Drohung an Deutschlands Adresse notwendig gewesen sei, um Frankreich vor einer Vergewaltigung zu bewahren. ZK Sehr beachtenswert erscheint bei der gegen wärtigen Lage eine Mahnung an Frankreich in einem Leitaufsatz der „Kölnischen Ztg.". Die „Köln. Ztg." hält dem „Temps" den schroffen Gegensatz der französischen und der englischen Auf fassung der Marokkoangelegenheit, welch letztere im „Daily Telegraph" gekennzeichnet ist, entgegen. „W enn Frankreich nur die genaue Aus führung des Vertrages von Algeciras wollte", so heißt es darin, „so würde die Lösung des Konfliktes höch st einfach sein: Frankreich zieht seine Truppen aus dem Sultanat bis auf die Polizei zurück, öffnet die Tür weit für den internationalen Handel und gibt die Bürgschaft dafür, daß es Marokko nicht als französische Kolonie betrachtet." Die „Köl nische Zeitung" glaubt nicht, daß bei den Berliner Verhandlungen unsere wirtschaftlichen Interessen in Marokko die Hauptschwierigteit bilden. Den heiklen Punkt werden die Kompensationen bilden, die wir für den Machtzuwachs beanspruchen können, den Frankreich in Nordafrika zu nehmen im Begriffe steht und dafür, daß wir uns diesem Verfahren nicht widersetzen, was zu tun wir auf Grund der Akte von Algeciras berechtigt wären. Hierbei handelt es sich nicht mehr um koloniale Angelegenheiten, sondern um eine Machtfrage, die in Europa zum Austrag kommen muß. Unü es entgeht ihr keiner. 5f Roman von Joachim von Durow. (Nachdruck verboten.) „Laß mich noch cinstcigen, Mama", bat Agnete, und sic stieg ein. — „Langsam", flüsterte Fred den Trägern zu, und verständnisinnig traten sie kürzer, den Schritt dem der älteren Dame anpaßend. Der Rahmen des Türfensters umschloß den Mävchenkopf, Sen Fred infolge des verhaltenen Tempos in einem leisen Wogen sah. Hin und wieder flog ein Wort von Agnete zu ihm herüber, mitten in die Berichte und Bemerkungen Frau von Rütenbachs, in Sachen de: Karpathen; Berichte, deren Richtigkeit von dem Zuhörer unbedingt anerkannt wurde. Obschon nicht «ine Spur mehr von dem Oberst zu erblicken war, kam alles, wie es kommen mußt«. Als Fred sich an der Türe des Vorgartens von den Damen verabschiedete, war er ausgefordert worden, morgen mit der Familie zu eßen. Irgend etwas beschwingte ihm den Schritt, wehte ihn an wie «ine Brise voll Blütenduft, stieg mit ihm aui Len Dampfer, der ihn den Strom entlang führte, wachte am anderen Morgen mit ihm auf. Er wun derte sich, wunderte sich üb«r sich selbst! Eigentlich war es merkwürdig, daß er schon vierunddreißig Fahre alt war. Wie? Es war doch noch allerlei Unver brauchtes in ihm, wie zum Beispiel diese förmlich jungenhaft« Neugier auf das, was der heutige Tag ihm wohl bringen würde! Drittes Kapitel. Kinder und Verliebte pflegen meist vor der Zeit an der Türe des Hauses zu stehen, in dem sie ein geladen sind. Der Rittmeister war nicht verliebt — noch nicht, aber etliche Minuten fehlten doch noch an der bezeichneten Stunde, als der Diener unter tiefer Verbeugung ihm di« Türe öffnete. War es der steinerne Ernst in dem Antlitz dieses Mannes, oder die furchtbare Energie, mit der zwei Löwen in Cuivre poli in die Hakenstange für die Hüte bissen, oder die stramme Korrektheit des Stils dieser Korridoreinrichtung, — aber «in gut Teil der knaben haften Erregungen schwand, als die Türe sich hinter Fred geschloßen hatte. Auch der Gesamteindruck des Empfanges in dem Salon dünkte ihm „etwas spießig feierlich". — Agnete war noch nicht auf der Bildfläche zu er- 1 blicken, der Friseur hatte auf sich warten laßen. Zwei ! Herren, junge Offiziere, die ebenfalls erwartet wur den, hatten ihr etwas späteres Kommen durch den f Dienst entschuldigt, und Ostheim war infolgedessen allein mit dem Ehepaar Rütenbach. Jetenfalls war der Oberst hier ein ganz anderer Mann; ein Mensch von etwas säuerlicher Höflichkeit, bei dem di« joviale Ader vollständig unterbunden war, und der es im Unklaren ließ, ob ihm die Gäste angenehm waren oder nicht. Anderseits schien dies ein sehr gastfreies Haus; cs blinkte und blitzte vor Gastfreundschaft, vielleicht um dem Mangel an Fa milienglück ein wenig die Wage zu halten. Fred be fiel ein Ahnen, als ob die Dame des Hauses nicht ge rade angetan sei, ihrer Umgebung die Lust am Leben zu vermehren. Die Rosenlieder wollten nicht mehr klingen, als er mit Monsieur und Madame auf prall gepolstertem Gestühl modernsten Genres di« Tagesfragen in An griff nahm. Hin und wieder auch kam ein gewißer Pomp in dem Gemeinplatz bei Frau von Rütenbach auf, während der Oberst unter verhaltenem Gähnen hinter der Tischdecke nach seiner Taschenuhr sah, und von ihr nach einem Kunstwerk in Boule, das zwischen zwei Armleuchtern auf dem Kamin stand, und das augenscheinlich nicht tat, was es sollte. Nach dem mißvergnügten Ausdruck im Gesicht des Hausherrn zu schließen, ging der vertrackt« Augenblender heute wie der ganze zwei Minuten nach. Es pflegt «in Zeichen geistigen Herabsteigens zu sein, wenn die menschliche Stimmung von dem Stim men der Uhren abhängig wird. Solches Stimmen ist der Sport des Depossedierten — von Karl dem Fünften bei den hispanischen Mönchen bis zum Oberst von Rütenbach in der Dresdner Reichsstraße. Während di« beiden Herren unter der Flagge der Rennen ein wenig mehr in G«sprächsf«uer gerieten, hatte Frau von Rütenbach mit d«m oben erwähnten J«t im Blick diesen auf die Malachitplatte eines Tisch chens festgenagelt, aus dem brio-L-kino in Elfenbein schnitzerei stand: Drachen, Löwen, Affen, in indischer Kunst. „Fräulein!" erklang cs gedämpft, aber doch ver nehmlich. Zwischen der Portiere erschien ein junges Mäd chen, eine hohe, schlanke Gestalt, in einer Seidcnbluse von anspruchsloser Farbe; das reich« braun« Haar war schlicht frisiert, das Oval des etwas blassen (Ge sichtes sehr lieblich; im übrigen war an ihr nichts, was etwa einen Begegnenden hätte veranlaßen kön nen, ihr auf der Straße nachzusehen. Osthsim sprang auf, verneigte sich, und der Oberst stellte vor: „Rittmeister von Ostheim — Fräulein Holm", worauf die Unterhaltung genau da fortgesetzt wurde, wo sie unterbrochen worden war. „Sie wünschen, gnädige Frau?" sagte das Mäd chen leise. Ein spitzer Finger deutete auf eins der Dinge da auf dem Malachit; die Stimme der Dame war ge dämpft, aber Osthcim verstand jedes Wort. „Die Sache muß auf frischer Tat in Vermerk ge nommen werden: Dem Rhinozeros dort fehlt ein Ohr." „Jawohl, gnädige Frau!— Als ich die Sachen aus dem Schrank holte, in dem sie geborgen waren, lag das Ohr nebenbei." „Seltsam! Und wo ist das Ohr geblieben? Aus gekehrt natürlich!" „Nein, hier ist das Ohr!" Eine schlanke, schöne Hand öffnet« ein Kästchen, und „Fräulein" legte einen Gegenstand von der Gröhe eines halben Zentimeters auf di« Malachitplatte. Dann ging das Mädchen. „Gratulieren wir uns, lieber Ostheim", sagte der Oberst, den der Zwischenfall unangenehm berührt zu haben schien, „daß das Ohr da in der Schachtel lag; es hätte sonst mit uns zu Tische gesessen wie Banquos Geist. Uebrigens, da wir nun mal bei der Sache sind — entschuldigen Sie, lieber Ostheim — weißt du, lieb« Regina, der Mensch will doch ernten, was er ge- säet hat, und di« Holm hat so tapfer gearbeitet in deiner Abwesenheit, daß du ihr schon ein freundlick>es Wort dafür hattest sagen können." „Lob verwöhnt, lieber Archibald." „Na, mit dem Verwöhnen ich weiß, was du jetzt sagen willst, li«b« Regina; ich weiß, daß ihr dem Mädchen eine köstliche Robe mitgebracht habt; — allerdings, weil si« für Agnete gekauft war und dieser nicht gefiel!" „Aber, ich bitte dich, Archibald, wi« kann der gleichen Herrn von Ostheim interessier«»? Ich find« cs geradezu unpassend, in Gegenwart eines Gastes, der zum ersten Mal« in unserem Hause ist, derlei in Besprechung zu ziehen." „Du hast recht, Regina — recht wie immer! — Warum kommt übrigens Agnete nicht?" Die Dame erhob sich: „Ich will selbst nach ihr sehen." „Es ist so 'ne Sache mit der Holm", nahm der Oberst das Gespräch wieder auf, „wenn ich mir mei nen Frauen gegenüber ein Aufmucken gestatte, ist es zumeist ihretwegen. Sie ist nämlich 'ne Komtesse Holm, aber ärmer denn ein Spatz. Die ganze Existenz basis ist ihr unter den Füßen fortgezogen, wißen Sie! Die Mutter zum zweiten Male geheiratet, der Stiess vater einfach Kanaille — alles durchgebracht. Sie hat infolgedessen das Lehrerinnenexamen gemacht, war, ehe sie zu uns kam, bei einem Kommerzienrat Meyer mit s-- und so viel Jungens, sollte für jede belegte Zunge auflommen, und für jeden Riß in der Hose. Da es der Gleichheilsdusel nun noch nicht so weit ge bracht hat, daß die Komtesse Holm ohne innerlichen Anstoß den Meyer-Jungens die Posteriora besohlt, nannte sie sich einfach „Fräulein Holm". Als solche kam sie zu uns; — sie wurde mit einer Einführungs rede seitens meiner Frau empfangen, die ihr über ihren Standpunkt hier im Hause keinen Zweifel ließ. Solche Klarlegung hat ja auch ihre Meriten! Da kommt übrigens Agnete — endlich!" Ja, sie kam, und männiglich hatte das Gefühl, als ging an dem etwas umdüsterten häuslichen Himmel die Sonne auf! Lker fragte angesichts dieser harmo nischen Erscheinung danach, ob die innere Richtung der Eltern ein wenig auseinanderstrebte? Agnete war heute in Rosa; Serpcntinrock, reich garnierte Bluse, aus deren gelblichem Spitzenge- kräusel geradezu reizend das graziös getragene Köpfchen sich hob. Der Friseur war auf der Höhe seiner Leistung gewesen: die Eoldreflexe des Haares waren zur vollen Wirkung gebracht. Agnete trug rosa Pelargonien in der Hand, rosa Pelargonien im Gürtel. Der Dat«r sah fl« an und gleich darauf Fred, für den in diesem Moment nichts anderes «xistierte, denn eben sie! „Den Mann hat'»", dachte er, und zum erstenmal seit dem gestrigen Tag« flog über die schlaffen Züge ein heiterer Strahl. — Der Oberst schmunzelte flott. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite