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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 13.08.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-08-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191108137
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110813
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110813
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-08
- Tag 1911-08-13
-
Monat
1911-08
-
Jahr
1911
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des Papstes veranlaßt? Crispi wurde schwankend. Troydem Hetzten er und der Abt Tostt die begonnenen Versuche fort, ein Einvernehmen herzusteUen. Hatte doch Leo in dem Consistorium am 25. Mai in einer hochbedeutsamen Ansprackxe gonz in dem Sinne seiner ^iersöhnungskxstrebungen also geredet: „Möge es dem Himmel gefallen, das? der Eifer der Versöhnung, init dem wir gegen alle Nationen erfüllt sind, uns in den Stand setzt, auch Italien nützlich zu iverdcn, die Kott durch ein so enges Band mit dem römischen Pontifikat verknüpft hat . . ." Aber dann kam die Abschwächung dieser Ansprache mit einem Zirkular an die Vertreter der Kurie bei den auswär tigen Mächten und vor allem mit einer Erklärung im „Osscrvatore Nomano", der sich liebevoll mit dem „Figaro" beschäftigte. Dieser halle in einem Artikel die Frage der Aussöhnung zwischen Papsttum und Italien als eine „g ri e t i o n ! i v » <?» i p e" in dem Sinne behandelt, dass für den Einjlu ß. den Italien nach der Aussöhnung an den Mittel meerküsten und speziell in den orientalischen Missionen gewinnen würde, Frankreich di« Kosten zu tragen hätte. Der „Osservatore" antwor tete, daß keine Rede davon >ein könne, das; die Exi stenz des Königreichs Italien von dem Vatikan an erkannt werden könnt«. Um Frankreich und den In transigenten eine weitere Liebenswürdigkeit zu sagen, wurde ein Brief des Papstes an Ncnnpolla vcrösjent- licht, der also begann: „Wir wissen, das; Politiker, von der Gewalt der Tatsachen gezwungen anzucr- lenncn, Las; die LcbensLedingnngen für das Papst tum unerträglich sind, aus Mittel und Wege sinnen, sie zu verbeßcrn. Aber diese Versuche sind vergeblich und '.urectlos . . ." kurz, Leo XIII. stellte öffentlich in aller Form in Abrede, die Initiative zu den Verhandlungen mit Erispi ergriffen zu haben. Der letztere erhielt von Tosli «in« Mitteilung, das; er da-, Opfer seiner Feinde geworden wäre. Und das Komödien- und Intrigantenspiel wurde gekrönt durch die am 28. Juli im „Ossecvalore" erschienene feier liche Unterwerfung k«s wider Willen ins Unrecht ge setzt«» Abtes Tosti, der alle a u f I n i 1 l a t i v e des Papstes versagten Broschüren (eine zweite war eben sertiggestellt) zuriictzog. und diesem selben Papste, der alle seine Schriften approbiert hatte, erklärte: fiiri-lpi «kiliin non t-rrin clijrnns voeari siliu» tuus! Und die C-esängniswächter des Papstes lieben sich vergnügt die Hände. Der Grotzksrjllg cwn Mecklenburg unü öle rnecklen- burgilHe ttitterlHntt. Zur mectlenburgischcn Versassungsrefoun meldet die „Landeszeitung für beide Mecklenburg": Der Grotzherzog von Mecklenburg Sttclitz emp fing mittags nn Beisein des Stoatsministers Roj- jart eine Abordnung der Ritterschaft der beiden Großherzogtiimer Mccilenburg, welche beauftragt war, Sein Großherzog die auf dein allgemeinen ritter- schaftlichen Konvent in Rostock am 1b. Juli 1911 in bezug auf eine Reform der Landesverfahung an genommene Resolution zu unterbreiten. Auf die Ansprache des Erblandmarschalls v. Lützow er widerte der Großh«rzog: Meine Herren! Der mir bereits bekannte Inhalt der von Ihnen überreichten Resolution meiner ge treuen Ritterschaft erfüllt mich mit Betrübnis unü a u f r i ch l i g c r S o r ge, uno zwar um jo mehr, als dieser Bc,mlutz nach dem Inhalt der Ansprache, womit er mir soeben überreicht worden ist, unzwei deutig klarlegen soll, zu welchen Opfern dl« Ritter schaft bereit ist unü welche Grenzen sie sich gezogen hat. Ich mus; üaraus entnehmen, oatz meine gelreue Ritterschaft zu einem weiteren Enigegenlommen bei der Losung einer für die Wohlfahrt meines Lanü«s das um fo mehr, da meine zu üer Frage der Ver- fassungsrejorm zurzeit nicht willens ist. Ich bedauere das umm so mehr, üa meine zu üer Frage der Ver fassungsreform bisher eingenommene Stellung, ins besondere auch die Antwort, die ich seinerzeit der Ab ordnung von Mitgliedern beider slänüe bei Ueder- reichung der sogenannten Güstrower Beschlüsse er teilte, keinen Zweifel darüber aufkommen lassen konnte, das; icb den mir jetzt überreichten Beschlich oer Rltterscksajt als eine geeignete Grundlage für weitere Verhandlungen über üie Verfasfungsresorm nicht an sehen kann. Ich bin stets der Ueberzeugung gewesen, das; üie Notwendigkeit einer Aenberung der bestehen den Landesverfassung vor allem aus der Notwendig keit entspringt, weitere Kreise der Bevölkerung zur Beratung unü Beschlußfassung über üie wichtigjlen Landesangelegenheiten heranzuziehcn, und zwar schon allein aus dem Grunde, weil üie perjöntichen peku niären Opfer, die für üie Förderung üer Landes interessen gebracht werden müssen, wie in allen deut schen Staaten, jo auch bei uns von Jahr zu Jahr grossere uno beschwerlichere werden. Dieser Rotwen- üigteit trägt üer ritterschastlichc Beschlich nicht in ge nügendem Rias;« Rechnung. Weiter fordert dieser Beschlich die Uebertragnng des vollen Budgetrechts an einen neuen Landtag, oer minüestens zu zwei Drittel aus den Vertretern der jetzigen beiden Stände zusammengesetzt sein soll. Das bedeutet u. a., das; ich auf üas mir zustehende unumschränkte Lanüesregiment, insbesondere auf mein uneinge schränktes landesherrliches Verwaltungs- und Gejetz- gebungsrecht nn Domanium zugunsten eines Land tages verzichten soll, in dem nach wie vor das rein ständische Eclement von absolut ausschlaggebender Bedeutung sein würde. — Wenn ich nun auch zu einem so schwerwiegenden Omer und zur Ausgabe eines in üer ständischen Verfassung begründeten wesentlichen Teils der mir von meinen Vorfahren überkommenen landesherrlichen Gewalt bereit bin, so findet doch auch meine Bereitwilligkeit eine Grenze da, wo es sich weniger um üas Wohl des Landes handelt, als im praktischen Erfolg um einen Machtzuwachs der jetzigen Ltünü«. Einer Landes vertretung, deren Iujämmcnjetzung weiteren Kreisen der Bevölkerung eine ihrer wirtschaftlichen und in tellektuellen Bedeutung entsprechende Mitwirkung an üer Erledigung üer Landcsangelegenheiten gewähr leistet, werde ich gern und freudig gewähren, was sie zu einer gedeihlichen Tätigkeit bei Erledigung der ihr obliegenden Aufgaben bedarf. Der Kampf im Metsllgrwerbs. (rie Ansicht der Arbeitgeber.) Es ist jetzt acht Tage her, seit in Leipzig die Aussperrungen begonnen haben. Noch sind diese nicht bei allen Firmen durchgefiihrt, und doch hat der Kampf schon weitere krene gezogen: die Lei tung des Metallarbeiterverbandes hat begonnen, aus verschiedenen Betrieben die Arbeiter hsrauszuziehen, die zur gänzlichen oder teilweisen Stillegung der selben enorderttch sind. Durch diese Taktik des Arbeitnehmerverbandes vergrößert sich natürlich die Zahl der Arbcitslojen von Tag zu Tag. Der Vor stand des Metallarbeiterverbandes hat kürzlich eine Zu- iammenstelluna der Ar beitskoj ig lei t unter seinen Mitgliedern, deren er 4i)9:A8 zählt, für das zweite Vierteljahr 19ll veröffentlicht. Danach waren in 432 rechtzeitig berichtenden Ortsverwaltungen mit 171 221 männlichen und 25 147 weiblichen Mitgliedern 27 528 oder 5,5 vorn Hundert gegen 0,2 im ersten Viertel dieses Jahres arbeitslos. Durchschnittlich betrug die Zeil des Arbeitslosenfalles 13, die Dauer der unterstützten Arbettslosigteit 10 Tage. Auf das Königreich Sachsen und die Thüringischen Staaten entfielen bei 89601 Mitgliedern 4118 Arbeitslose, das sind 4,6 vom Hunden. Wie wir von unterrichteter Seite erfahren, han delt es sich jetzt weniger um einen Kampf, der die Erhöhung des Lohnes und Verminüerung der Arbeits zeit bezweckt, sondern vielmehr um eine Macht- frage. Arbeitgeber und Organisation kämpfen um üie Herrschaft. Die Unternehmer lehnen jede Verhandlung mit dem Metallarbeitervervcrbande ab. Ueber üie Richtigkeit dieses Stand punktes läßt sich zunächst streiten. Wenn man aber bedenkt, das; eine Machtstellung der Organisation Zustände herbeiführen würde, wie sie in Englands Industrie durch die Trade Union geschaffen wurden, so kann man das Vorgehen der Arbeitgeber verstehen. Denn wenn, wie dort, dem Unternehmer diktiert werden kann, welche Stückzahl der Arbeiter zu liefern Hal, welche Arbeiter er ein stellen darf oder nicht, jo tritt als Erstes eine Ver minderung der Produktion ein, während der Verkaufspreis sich erhöht und die Absatzmöglichkeit erschwert. Nicht zum wenigsten aber würde die Güte der Lndustrieprodukte leiden. Die deutsche Ware aber hat ihren Siegeszug durch die Welt antreten können, weil sie Ouatttät ersten Ranges ist und behauptet sich aus diesem Grunde neben jeder anderen auf dem Weltrncukte. Zudem ist bis jetzt der deutsche Lieferant im Aus lande als ein Muster der Pünktlichkeit bekannt. Dieser Vorzüge entbehrt üie englische Industrie, seit sie der Trade Union ausgelieiert ist. Wenn nun auch das Schreckgespenst einer solchen Organisation noch nicht vor der Tür steht, jo erklärt sich doch die hartnäckige 'Ablehnung der Metallindu- jtr'.elien dem Arbeiterverbandc gegenüber daraus, datz durch eine Verhandlung eine Machtanerkennung er trügen würde. Die von verschiedenen Seiten ausge- svrochene Befürchtung, das? durch die Stellungnahme gegen dieOrganftatton die Industriellen es verschulden, datz infolge der Aussperrung Aufträge an das Aus land abgehen, ist hlnsällig. Denn die Güte der deutschen Ware erreicht die ausländische Industrie nicht rn kurzer Zeit, auch wenn der Kampf Wochen und Monate dauert. Ueber diese Frage äußerte sich der Inhaber einer der grössten hiesigen Firmen, den wir am Freitag über seine Ansicht befragten, in ähnlicher Welse. „Wie die Leute organisiert sind, vermag man daraus zu ersehen, sag sie selbst ihre Äkkordaus- lösung im Stiche riesten und geschlossen die Arbeit niederlcgten, ohne den Akkord zu beenden. Nach unserer Ansicht wird es ein sehr langwährender Kampf sein, der jetzt begonnen hat. Es wird um jo länger dauern, je weiter dec Gesamtverdan d der deutschen Metallindustriellen seine Mastnahmen hinausschiebt. Es wird nicht ausbleiben, dast den hiesigen Metallindustriellen der Vorwurf gemacht wird, dast jetzt — weil wegen der Aussperrungen nicht gearbeitet werden kann — gute Aufträge nach auswärts oder gar ins Ausland gehen. Der augenblickliche Verlust eines Auftrages aber ist nur das kleinere Uebel, das man lieber auf sich nehmen kann, um durch einen zielbewustt geführten Kampf gegen un berechtigte Forderungen sich für eine Reihe von Jahren rin ruhiges und zufriedenstellendes Arbeits feld zu sichern. Austerdem wird der Besteller wie der zur deutschen Industrie zurllckkehren, da die deutsche Ware durch ihre Qualität auf dem Welt märkte nn erster Stelle gewürdigt wird." O Der Verband der Metallindustriellen im Bezirk Leipzig hielt am Freitag eine Ver,ammlung ab, die folgende Beschlüsse einstimmig genehmigte: Alle Nichtorganisierten Arbeiter, die von Mitgliedern des Verbandes aus- geiperrt werden, erhalten bis zur Wiedereinstellung vom Verband« der Metallindustriellen. Bezirk Leipzig, eine Entschädigung, und zwar Unverheiratete 15 Verheiratete 20./^ für die Woche. Jedes Mitglied bat bis mit 14. August 1911 60 Proz. seiner gesamten Beleg schaft auszusperren unter Abrechnung von Meistern und Lehrlingen. Ausgeschlossen sind hiervon kleine Betriebe mit einer Belegschafr nicht über 10 Mann. Betriebe, welche mehr als 10 aoer weni er als 25 Mann beschäftigen, haben nur bis aus 10 Mann Belegschaft auszuiperren. In iedem Falle haben auch diese Betriebe alle einer Organisation zuge hörenden Arbeiter bis auf 40°/, ihrer Belegschaft auszusperren. Von der Aussperrung sollen vor allem die Mitglieder des Metallarbeiterverbandes unü erst dann die Mitglieder der übri wn Gewerkschaften, an letzter Stelle die Nichtorganisierten Arbeicer be troffen werden. Letztere erhalten die jejtge;etzre Entschädigung. Der christlich-nationale Metallc-rbeitcrvrrband hielt am Sonnabendabend in der „Grünen Eiche" eine Versammlung ab, in der Verbanüssckretär R e i ch e l t - Chemnitz über den Kampf im Metall gewerbe sprach. Seine Ausführungen deckten sich zum Teil mit den obenerwähnten aus dem kreise der In dustriellen. Er bezeichnete den jetzigen Kampf als das Vorspiel der Enticheidnngskämpfe der nächsten Jahre, bei denen es sich weniger um die Durch setzung der materiellen als vielmehr um die der ideellen Fragen handeln werde. Das Streben der Arbeiter gehe nach Gleichberechtigung, und es handle sich darum, das Ziel auf wirtschaft liche!» Gebiete zu erreichen, das unsere Vorfahren vor zwei Menschenaltern auf politischem ourchjctzten, in dem sie für die Verfassung kämpften. Es bestehen bereits, so führte der Redner weiter aus, bereits eine Anzahl Tarifverträge, durch die die Gleichberechtigung praktisch zum Ausdruck gebrach: wird. Diese erstrecken sich leider meist aus handwerks- mästige Betrieb«, dagegen wird in der großen In dustrie die GEichberechtigung nicht anerkannt. So ist cs selbstverständlich, daß bei dem jetzigen Kampfe di« Arbeiter dieser Branchen im Vordergründe stehen. Bei dem jetzigen Kampfe handelt es sich w e n i g s r u m t i e A u f b e s s e r u n g d e r L o h n - undÄrbeitsbedingungen der Gelbmetalk- arbeiter. Diese ist nur die äußere Veranlassung zu MchtUcher lleiierysrstlug ües Ballons „Leipzig". Von Leutnant Meyer (Iuf.-Rgt. Nr. 1!',9). In der Nacht vom 29. zum tzO. Juli herrschte auf der Leipziger Radrennbahn reges Leben. Ein zahl reiches Publikum hatte sich cingefundcn, um dem Aufstieg des Ballons „Leipzig" Gizuwohncn. Pünkt lich zur festgesetzten Stunde war das Luftfahrzeug zum Abfluzz fix und fertig und seine vier Insassen zur Stelle. Aber unser Führer, der bekannte Luft schiffer Herr Hauptmann Härtel aus Leipzig, hielt cs für geboten, zunächst noch mit der Absabrt zu warten, denn der Abend hatte die „Heist" ersehnte Abkühlung nicht gebracht. Plötzliche Gewitter bildungen waren daher bei diesen unnormalen Wit tcrungsoerhältnissen nicht ausgcschloßen. Dieser Ge fahr durfte man sich nicht ansjetzen; denn treibt der Ballon auf ein Gewitter zu, so ist die einzig richtige Maßnahme: sofortige Landung. Und diese dürfte in der finsteren, mondjcheinlosen Nacht, wie sie vom 29. zum 20. Juli herrschte, wohl kaum ohne erheb tiche Schwierigkeiten möglich gewesen sein. Ein Ge witter überfliegen zu wollen, ist stets ein sehr gewagtes Unternehmen, denn hestig absteigende Lustftrömc, die Trabanten eines jeden Unwetters, drücken meist den Ballon trotz der größten Ballastopser direkt in das Gewitter hinein. Die Möglichkeit eines Unglücks ist damit gegeben, nicht aber die Notwendigkeit, denn es steht fest, dast Ballons, die in ein Gewitter kamen, entweder gar nicht vom Blitz getroffen wurden oder, wenn es doch geschah, leinen Schaden nahmen. Herr Hofrat Wiener hat dies im Winter dieses Jahres in eineni höchst interejsantcn Vortrag, den er für die Mitglieder des Leipziger Vereins für Luftschisfahrt im physikalischen Institut der Universität hielt, experi mentell bewiesen. Es ist eine alte Erfahrung, daß sich Gewitter nach zwölf Uhr mitternachts nur selten bilden, und du unsere aufmerksamen Blicke bis dahin am ganzen Horizont auch nicht das geringste Wetterleuchten wahrgenommen hatten, bestiegen wir, nachdem die Kirchturmuhrcn die Geisterstunde angckündigt hatten, unseren Korb, und wenige Minuten später erhob sich lautlos und gespcnsterhaft unser Fahrzeug in die Luft. — Ein freundliches „Glück ab" der Zuschauer drang von unten noch zu uns herauf, dann trat eine köstliche Ruh« und Stille ein. Das schlafende Leipzig wurde in ungefähr "90 in Höhe überflogen. Die Stadt bot für uns Mitfahrer, die wir zum ersten Male eine Nachtfahrt machten, einen unvergeßlichen Anblick. Wir dachten, ganz Leipzig wäre feierlich illuminiert worden, denn die unzähligen, in schnurgeraden Linien laufenden Straßenlaternen und Bogenlampen wirkten wie die mild brennenden, kleinen Stearinlichter auf den Fensterbrettern der Häuser bei großen Festlichkeiten. Der Wind trieb uns genau nach Niesten. Nach fünf Minuten überflogen wir den Bahnhof Leutzsch und bald darauf die Bahnlinie Merseburg-Corbetlm. Es war fast unangenehm warm, denn die kühlende Wirkung der ziemlich lebhaft bewegten Luft kam uns nicht zugute. Da der Ballon bekanntlich dieselbe Geschwindigkeit und Flugrichtung wie der Wind hat, j kann diesen de: Lustschifser nicht fühlend wahr- i nehmen. Nur dann, wenn man in einen Wirbel i gerät, wie dies über Tälern und Schluchten öfter ! der Fall ist, spürt man einmal einen kurzen irischen c Luftzug. Nach Uebcrschreiten der Bahnlinie Merseburg— Corbetha war die Orientierung bei der tiefen Fin sternis recht schwer geworden. Wir halfen uns durch Erfragen des Ortes von Einwohnern. Mit Trom- petcnsignalen versuchten wir in der Nähe von Ort schaften die Aufmerksamkeit auf unsern durch eine elektrisch« Lampe matt erleuchteten Ballonkorb zu richten. Wenn uns dies gelungen war, riefen wir „höheren Wesen" den meist wohl sehr erschrockenen Nachtwandlern mit einein Sprachrohr zu: „Hier Ballon. Wie heißt der Ort?" In vielen Fällen verstanden wir die Antwort, manchmal war dies jedoch infolge des Gekläffs der Dorftöter nicht mög lich. Merkwürdig, daß die Hunde den Ballon sofort bemerkten — auch am Tage, selbst in Höhe von meh reren hundert Metern. Bei Teutschenthal vermutete unser Führer, daß sich die Windrichtung geändert habe. Der Himmel war klar und mit Sternen reichlich geziert. Wetter leuchten war nirgends bemerkbar. Wir konnten also recht zufrieden sein, nur den Mond vermißten wir sehr. Wir hätten sonst noch mehr von dem land schaftlichen Bild gehabt. Bei Teutschenthal stellten wir unsere Fluggeschwindigkeit fest. Da es für Frei ballons noch keinen Gesckiwindiakeitsmesier wie für Automobile gibt, muß man sic sich berechnen. Dies ist sehr leicht und außerordentlich einfach. Nur muß man genau wißen, wo man sich befindet und welchen Weg man geflogen ist. Dann stellt man mit Hilfe der Karte die zuriickgelegte Kilomclerzahl und mit Hilfe der Uhr die dazu benötigte Zeit fest und erhält durch einen einfachen Reaeldctriansatz die Stunden geschwindigkeit. Unser Ballon hätte eine Wettfahrt mit einem beschleunigten Personenzug glänzend ge wonnen, denn wir legten über 51 Kilometer in der Stunde zurück. Der nächste Ort, den wir seststellten, war der Babu hof Unterröblingen Die Vermutung unsers Führers hatte sich bestätigt. Die Windrichtung hatte sich tat sächlich geändert. Wir fuhren nicht mehr, wie bis her genau nach Westen, sondern nach Nordwester,, und eine Durchquerung des Harzes war voraussickst- lich die unausbleibliche Folge. In die Frende dar über mischte sich die betrübende Gewißheit, daß unser« Fahrt dadurch an Dauer beträchtlich gekürzt werden würde, weil der Gebirgsslug unsern sowieso nicht sehr zahlreichen Ballast arg schmälern würde. Wir kamen zunächst über einige Waldstücke mit Teichen. Erschreckt flogen die Wasser- und Sumpfvögel mit Geächze und Gekrächze auf. Wahrscheinlich hielten sie unseren Ballon für einen Riesenraubvogel, der ihnen nach dem Leben trachtete. Bei Blankenheim, wo wir dis Bahnlinie, die nach Aschersleben führt, schnitten, flogen wir in den Harz hinein. Von nun ab hieß es Hüber steigen, um nicht an den Gip'eln der vielen beträchtlichen Erhebungen hängen zu bleiben. Die Stille der Nacht war ge radezu feierlich. Wir bewegten uns im Korbe so wenig wie möglich .um die köstliche Ruhe in vollen Zügen genießen zu können. Ab und zu raschelte und knisterte es aus dem Walde zu uns herauf. Wild, dein unser Ballon einen tüchtigen Schrecken cingejagt harte, xloh verängstigt durchs Gebüsch. Gegen 'Pi Uhr morgens waren wir in 600 rv Höhe über Neudorf, südlich Harzgerode. Bon dort ging es, die Selke über fliegend, Güntersberge, Hasselfelde links liegen lassend, nach dem Bahnhof Drei-Annen-Hohne. 7.» Kilogramm Ballast hakte unser Führer in den letzten 45 Minuten — zornigen Herzens — opfern müssen. Kaum war der Ballon über eine Höhe hin- weggekommen, so wollten ihn auch schon wieder zu Tal steigende Luftströme ins Tiefland zerren. Das durste nicht zugclasfcn werden, und das einzige Mittel dagegen war ifahrtocrkürzende) Vallastabgabe. Von Drei Annen-Hohne ging cs über die Leisten- Klippen, Hohne Klippen auf den Brocken, den höchsten Berg Norddeutschlands (1141 in.) zu. Durch fortge setztes Blasen auf unsrer Trompete machten wir uns weitbin bemerkbar Das Untcrlunftshaus auf dem Brocken war erleuchtet, scheinbar rüsteten sich seine Bewohner für den Sonnenaufgang. Manche waren aber schon loder nach!) auf den Beinen und schickten lustige Jodler uud fröhliche Morgengrüße zu uns hin auf. Gern hätte unser Führer dem Vorstand des Brocken-Observatoriums, — feinem alten, guten Be kannten —, die Hand im Vordeifliegen gedrückt, aber der Herr Observator ließ sich nicht blicken. Schade war es, daß wir nicht eine Stunde später, — bei Tageslicht, — den Brocken überflogen. Welche entzückenden Landschaftsbildcr würden unsere Augen erfreut haben, und von der Camera des Herrn Haupt mann Härtel, der sich durch seine Ballonphoto- oraphien einen rühmlichst bekannten Namen gemacht hat fcstgchalten worden sein. So waren die 48 Platten leider umsonst mitgenommen morden. Eine Nachtballonfahrt, ohne ein Schadenfeuer da bei gesehen zu haben, hat wohl noch niemand gemacht. Auch uns wurde dieser schöne Anblick zu teil. Nörd lich Altenau und östlich Lautcnthal flogen wir über ein« brennende Scheune und ein in Flammen stehen des Wohnhaus, aber so hoch, daß uns herumsprühende Funken nichts hätten anhaben können. Gegen >I5 Uhr morgens verließen wir den Harz bei Seesen, und 1? Stunde später erreichte unsere interessante Fahrt bei Bornum am Harz in Braun schweig mit einer sehr glatten Landung auf einem Stoppelfeld ihr Ende. Kunst nnü Mllenlchslt. L Karl Schcidemantel. dessen nicht unbedenkliche Erkrankung kürzlich gemeldet war. ist mit seiner Gattin aus Jena, wo er zur Behebung eines nervösen Herzleidens in der Stintzingschen Privatklinit ge weilt hatte, nacy Weimar zurückgekehrt. Die glücklich überstandene Kranthcit hat den Künstler doch stärker gepackt, als man aus naheliegenden und wohlver ständlichen Gründen zugestehen wollte. Man darf aber wohl hoffen, daß die kräftige Natur des Künstlers bei Ruhe und Schonung ihm bald seine alte Frische und Spannkrait wiedergibt. Ehrung Müller-Hartungs. Aus Weimar wird uns geschrieben: Gestern fand in dem nahen Bad Sulza die Weihe der am Geburtshaus« des Begrün ders der Großherzoglichen Musikschule zu Weimar, Professor Müller-Hartung, angebrachten Gedenl- tafel statt. Die auf die Bedeutung des Aktes und die Persönlichkeit sowie die Verdienste des Gefeierten bezugnehmende Rede hielt Bürgermeister Seidel. Liszt-Feier in Sondershausen. Daß Franz Liszt auch ziemlich rege Beziehungen zu Sondershausen unterhalten hat, dürfte auch weiteren Kreisen belannt sein. Namentlich zur Zeit Erdmannsdöcfsers (1871 bis 1880 Hoflapellineister) hat er oft dort geweilt, um den trefflichen Aufführungen seiner eigenen Weric bcizuwohnen. Aus diesen Beziehungen leitet man in Sondershausen die pietätvolle Pflicht ab, am 100jährigen Geburtstage des Meisters durch Ausführung eines feiner Tonwerke den Gedenktag zu begehen. Nachdem man bereits in diesem Jahre in den „Lohkonzertcn" eine Reihe Lisztscher Kompo sitionen zur Aufführung gebracht hat. soll seine „Heilige Elisabeth" durch alle verfügbaren Musik kräfte der Stadt zur Aufführung gelangen. Die fürstliche Hoskavelle, das fürstliche Konservatorium sowie der „Eäcilienverein" werden sich zur Bewäl tigung diejer künstlerischen Aufgabe vereinigen. * Die Breslauer Technische Hochschule wird dem nächst eine Neueinrichtung von außerordentlicher Bedeutung erhalten: eine Station für draht lose Telegraphie. Sie wird bei dem elektrotech nischen Institut eingerichtet werden. Die Arbeiten sind bereils im Gange. Die Station soll vorläufig hauptsächlich den Luftschiffahrtszwecken dienstbar ge macht werden. * Vom Berliner Phonogrammarchiv. Das mit dem Psychologischen Institut der Berliner Univer sität unter Leitung von Geh. Rat Stumpf verbundene Phonoarammarchiv ist in seinen Sammlungen infolge der Bemühungen und unter Leitung von Dr. Horn bostel wieder durch äußerst zahlreiche Beiträge von Forschungsreisenden vermehrt worden. Die hier ge führten ethnologftch - musikalischen Studien wurden iortgesetzt. Die Regierung bat jetzt, für die Fort führung der Sammlung 5000 als einmaligen Beitrag zur Verfügung gestellt. * Der Komponist Leoncavallo ist mit der Abfassung einer neuen Oper beschäftigt, die den Namen „Le Foresta mormora" führt. Das Libretto stammt von dem Dichter Eavachioli, dem eine Novelle des pol nischen Schriftstellers Korolenko zugrunde liegt. Die Oper wird im nächsten Jahr in Mailand ihre Ur aufführung erleben. Komet Wolf. Die Königsstuhlsternwarte in Hei, delberg hat den periodischen Kometen Wolf wieder aufgefünden. Der Komet war sehr schwach (15. Größe), wies einen feinen Kern und eine Nebelhüllc von 20 Millimeter Durchmesser aus. * Eine interessante Freilichtaufführung fand im Hofe der alten Moritzburg zu Halle statt. Das Fest spiel „Hofnarr und Fürst" aus dem Zyklus „Die Macht der Toten" von Gustav Streicher (Wien), das im kommenden Winter am Deutschen Volkstheater in Wien und einer Reihe anderer deutscher Theater aufgesührt werden wird, gelangte zur Urauf, f ü h r u n g. 8t. Hochschulnachrichten. Der außerordentliche Professor der tla fischen Philologie in Jena Dr. E. Diehl har einen Ruf nach Innsbruck erhalten und wird ihm Folge leisten. — Der Direktor des Groß herzoglichen Haus- und Staatsarchivs in Darmstadt Dr. Gustav Freiherr v. Schenk zu Schweinsberg ist von seinem Amte zurückgetreten.
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