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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.08.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-08-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110809017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911080901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911080901
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-08
- Tag 1911-08-09
-
Monat
1911-08
-
Jahr
1911
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?-llkirche Umzchau. Jenaer varklSnye. * Die Berliner Genossen haben in vergangener Woche eine Vorschau auf ihren diesjährigen Partei tag gehalten, denen Tagesordnung ja jüngst bekannt gegeben morden ist. Es wurde dabet bemängelt, das; letztere ziemlich mager ausgefallen sei. Demgegen über bemerkte in der Veriammlung des fünften Wahlkreises der Abgeordnete Robert Schmidt, das; „Debatten über theoretirche Meinungsverschiedenheiten jetzt wirklich nicht angebracht" wären. Man ist also unter den Obergenossen der Meinung, das; man die Zänkereien innerhalb der Partei für dieses Mal zurückstellt. Der Wille dazu scheint nun allerdings vorhanden zu sein; ob er aber stark genug fein wird, die einzelnen Draufgänger zurückzuhalten, ist eine andere Frage. Schon die Berliner Versammlungen haben ja Differenzpunkte genug gezeigt. Es wurde gerade im fünften Kreis, wo die Haltung der sozialdemokra- nschen Reichstagsfraktion in der Frage der Reichs versicherungsordnung ziemlich temperamentvolle Kritik erfahren, und im 6. Kreis hat man dem Parteivorstand über seine „Marokkopolitik" ein Privatissimum gelesen, ein Thema, das schon die „Leipziger Volkszeitung" zum Anlas; für einige kräftige Winke nach Berlin genommen hatte. Run melden fick auch die Stuttgarter wieder mit einem „Fall". Roch liegt den württembergischen Genossen ihr Oberbürgermeisterkandidat Lindemann schwer im Magen, da begehen einige von ihnen die Unvor sichtigkeit, beim Minister zu speisen. Schon ein mal sind die Herren Hildebrandt und Dr. Lindemann vor den Parteikadi zitiert worden, weil sie Schinken brötchengegessen hatten, und zwar damals beim König. Den Rüssel, den sie dafür erhielten, haben sie sich so wenig zu Herzen genommen, daß sie es jetzt für gut befanden, in voriger Woche an einem parla mentarischen Abend beim Ministerpräsidenten teil zunehmen. Diese Sünde mutzte gerochen werden, und so beschloß der Stuttgarter sozialdemokratische Verein eine Erklärung, in der er „seine Ent rüstung über die Teilnahme der Abgeordneten Hildebrandt, Feuerstein und Dr. Lindemann am letz ten Mimsteressen ausspricht". Der Jenaer Partei tag wird wohl zu solchem Frevel auch nicht schweigen können. Dazu kommt, das; Bebels Wahltaktik «„lieber 4 Millionen Stimmen und 50 Mandate als :r Millionen und 100 Mandate") mehr und mehr Widcrstand erfährt auch in den Kreisen, die bisher nicht zu den Revisionisten zählten. Die Aus sichten auf einen „Jungbrunnen" in Jena sind daher nicht allzugroß, und der alte Bebel wird, da Singer ihm nicht mehr zur Seite steht, alle Hände voll zu tun haben, um das Parteischiff für die kommenden Wahlen einigermaßen flott zu machen. Grlatz ües EllenvalrnmmMers üderössversntworMchkettsvewutztlein üer Beamten. Wie der „Inf." mitgeteilt wird, hat der preußische Eisenbahnminister jüngst an die Beamten einen sehr bedeutsamen Erlaß gerichtet, in dem er im An schluß an die Vorschriften über Verhütung von Un regelmäßigkeiten der Signal» uird Sicherheitseinrich tungen auf die Verantwortung und das Verant wortlichkeitsbewußtsein der Eisenbahn beamten hinweist. Er fordert bei Fehlern und Störungen in den Signal- und Sicherheitseinrtch» tungen peinlichste Beachtung der Vorschriften und sofortige Meldung an zuständiger Stelle, damit Abhilfe geschafft und Unglück verhütet werde. Die Beamten müssen sich bewußt sein, daß sie für die Folgen mitverantwortlich sind, wenn wegen der Unterlassung einer solchen Meldung ein gefahr bringender Zustand entsteht oder bestehen bleibt. Einige in letzter Zeit bekanntgewordene Vorkomm nisse lassen es zweifelhaft erscheinen, ob das Gefühl einer solchen Mitverantwortlichkeit überall genügend ausgebildet ist. Der Minister sieht sich daher veranlaßt, die in 65 der Fahrdienitvorschriften gegebenen Bestim mungen über die Meldung von Unregelmäßigkeiten durch die Zugführer und Lokomotivführer in Erinne rung zu bringen, und bestimmt ferner, daß jeder Be dienstete, der eine Unregelmäßigkeit in der Wirkung oder Bedienung der Signal- und Sicherungseinrich tungen bemerkt, sie sofort seinem nächsten Vorgesetzten zu melden hat. Dieser hat, soweit es ihm möglich ist, schleunigst das zur Beseitigung der Unregelmäßigkeit Erforderliche zu veranlassen und die Meldung unter Angabe der von ihm etwa getroffenen Anordnungen an das zuständige Betriebs amt weiter zu geben. Von diesem ist die Angelegen heit eingehend zu untersuchen. Nach dem Abschluß der Untersuchung ist dem Bediensteten, der die Meldung erstattet hat, auf dem Dienstwege von der Erledigung der Angelegenheit Kenntnis zu geben. Die auf diese Weise behandelten Fälle sind bei dem Vetricbsamt in eine besondere Liste einzutragen, die halbjährlich der Eisenbahndirektion vorzulegen ist. Sollte bei der Verfolgung von Unregelmäßigkeiten im Betriebsdienst sich nachträglich Herausstellen, daß Sicherungscinrichtungen unwirksam gewesen sind oder unrichtige Signalgebungen stattgefunden haben, ohne daß Meldung davon erstattet ist, so ist in jedem Falle auch eine eingehende Untersuchung darüber anzu stellen, wen etwa eine Schuld wegen der Unter lassung der Meldung trifft. Deutsches Reich. Leipzig, 9. August * Die Alkoholgcgner und der „Dresdner Anzeiger". Wir teilten bereits mit, daß der Dresdner Ober bürgermeister und der Chefredakteur des „Dresd. Anz." wegen verschiedener Vorwürfe und Beleidi gungen auf dem Dresdener Alkobolgegnertag Klage gegen die Urheber in Aussicht gestellt haben. Der „Dresd. An;/ veröffentlicht letzt folgende Erklärung: „Nachdem Herr Professor Dr. Lier heute öffent lich erklärt hat, er sei der Verfasser des Artikels ..Alkohol und Presse" im „Dresdner Anzeiger" vom 7. Juli 1911, kann ich mir selbstverständlich die Behauptung, dieser Artikel sei vom „Dresdner Anzeiger" einer Zeitungskorrespondenz der Alkohol- Interessenten entnommen, nrcht mehr zu eigen machen. Soweit durch Aeußerungen von mir diese Behauptung weiterverbreitet worden ist, nehme ich daher jene Aeußerungen mit dem Ausdrucke des Bedauerns zurück. Dresden, Sonntag, den 6. August 1911. Dr. jur. Hermann M. Popert. * Der Allgemeine Deutsche Knappschaftsverband Berlin, welchem fast alle Knappschaftsvereine des Deutschen Reiches mit mehr als 98 Prozent der Mit glieder aller deutschen Knappschaftsvereine angehören, hielt unter Vorsitz des Geheimen Berarats Dr. Weidtman in Dresden seine ordentliche General versammlung ab, nachdem am Tage vorher eine Aus- jchußsltzung mit reichhaltiger Tagesordnung stattqe funden hat. An der Generalversammlung, welcher annähernd hundert Personen beiwohnten, nahmen teil: Geheimer Oberbergrat Steinbrinck-Berlin, Regierungsrat Weymann-Berlin als Ver treter des preußischen Handelsministers, Ge heimer Bergrat Fischer-Dresden als Vertreter des sächsischen Finanzministeriums, Oberbergrat Buerkner-Freibera als Vertreter des Kgl. Berg amts in Freiberg, Oberbcrgrat Rueckert-München als Vertreter des bayrischen Ministeriums des königlichen Hauses und des Aeußern, Oberbergrat Mader-München als Vertreter der Direktion des königlichen Bergwerks und Salinen und des bayrischen Oberbergamts Berghauptmann Ministe rialrat Braubach-Straßburg (Elsaß) als Vertreter des elsaß-lothringischen Ministeriums des Innern in Straßburg Ferner entsandten die preußischen Oberbergämter Vertreter. "Nach Erledigung der Re gularien wurden u. a. eingehende Berichte erstattet über die Reichsversicherungsordnuna vom Knappschaftsdirektor Milde-Tarnowitz und Bergrat Kayser-Saarbrücken; über den Entwurf eines Versicherungsgesetzes für Angestellte sprach Knappjchastsdirektor Koehne - Bochum. * * Reichstag und Marokko. Die Forderung de: „Natlib. Korr." nach Einberufung des Reichstags wird nun auch von der „Köln. Ztg." offenbar im Auftrag der Berliner Wilhelmstrage abgelehnt. In einer Berliner Drahtung widerspricht die „Köln. Ztg." der Notwendigkeit einer Einberufung der Reichstags und erklärt: Wenn der Reichstag gegenwärtig tage, könne der Reichskanzler in einer etwaigen Erklärung über den Stand der deutsch-französischen Verhandlungen nicht Bürgschaft dafür übernehmen, daß es wirklich zu einer Einigung komme, und daß die Verhandlungen nicht im letzten Augenblick an einem nicht ooraus- zusebe.idcn Hindernis scheiterten. Deshalb sei es un möglich, über eiice diplomatischen Beratungen unter worfene Frage in eingehende sachliche Erörterung einzutreten. Erst wenn der Vertrag vorliege, werde der Reichstag sich ein Urteil bilden können, ob das Abkommen der Würde und den Interessen des Reichs entspreche. 0. Eisenbahn« erwaltung und Privatbetriebe. Der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten hatte im Erlaß vom Akai »origen Jahres eilte Kommiffion zur Prüfung der Frage eingesetzt, inwieweit die wirtschaftlichen Einrichtungen privater Werke für den Betrieb d.r preußisch-hessischen Eisenbahngemein- jchast geeignet erscheinen. Die Kommission hat eure große Anzahl, privater Werke in allen Teilen Deutsch lands sowie einige Betriebe anderer Staatsverwal tungen besichtigt und nunmehr umfangreich Bericht erstattet. Aus dem Bericht entnehmen wir, das; die kaufmännische doppelte Buchführung studiert, aber nicht für geeignet zur Verwendung im Eisenbahnbetrieb erachtet worden ist. Auch für die mechanischen Hilfsmittel, wie Korrespondenz und Rechnungswesen, spricht üer Bericht sich nicht be geistert aus. Man hat beobachtet, daß im privaten Registraturwesen vielfach das amerikanische Karte- thekverfahren bevorzugt würde, findet jedoch, daß dadurch bei der Eisenbahnverwaltung ein Schreib werk entstehen würde, das sic sich mit ihrem gegen wärtigen Personalbestand nicht leisten könne. Die Ergebniisc der Untersuchung scheinen also ziemlich minimal zu sein. * Tas Militär und die Luisenkirche. Die Vor gänge in der Charlottenburger Luisenkirche haben den Kommandeur der Elisabeth-Grenadiere zu der Anordnung veranlaßt, von weiterem militäri schen Besuch der vom Pfarrer Kraatz abgehal» tenen Gottesdienste abzusehen, dis die Angelegen heit ihre Erledigung durch die beiderseitigen Be hörden gesunden hat. Pfarrer Kraatz wiro, nach dem das Konsistorium ein Einschreiten gegen die in Frage kommenden Offiziere abgelehnt hat, noch in dieser Woche eine außerordentliche Sitzung seines Gcmeindekirchenrats zusammenberufen und diesen er suchen, beim Kriegsgericht die Anzeige wegen Stö rung des Gottesdienstes zu erstatten, sei es auch nur, um eine Klarlegung des Rechtsstandpunktes zu er reichen. 2m übrigen ist auch der Antrag gestellt worden, dem Elisabeth-Regiment den stets auf ein Jahr geltenden Vertrag mit der Luisenkirche zu kündigen. * Streiks und Aussperrungen im Reiche. Die christlich-organisierten Z i g a r r c n a r b c i t e r des Niederrheins sind teilweise ausgc- sperrt worden. Kommt bis zum nächsten Sonn abend keine Einigung zustande, so werden alle christ lich-organisierten am Niederrhein ausge,perrt werden. — Nach Ablauf der Kündigungsfrist hat die Maschinenfabrik Scheidt und Bachmann in Mün chen-Gladbach 270 Arbeiter, denen wegen vorzeitigen Verlassens der Arbeitsstätte getündigr worden war, entlassen. Die Firma ließ 100 Arbeiter zum Ersatz aus Hamburg kommen. Vor der Fabrik kam cs zu einem Krawall, wobei die Menge mit Steinen warf. Die Arbeitswilligen mußten nachts in der Fabrik schlafen. * Die Reichspostverwaltung hat jünoil die von preußischen Handels- und Handwerkskammern aus gehenden Anträge auf Unterstellung unter die Portoablüsung abgelehnt, weil diese sich nur auf unmittelbare staatliche Einrichtungen bezöge. Die Postverwaltung hat sich aus diesem Anlaß bahr» geäußert, daß sie mit der Portoablüsung überhaupt keine günstigen Erfahrungen gemacht hätte. Diese Einrichtung besteht für Preußen bereits feit ver schiedenen Jahren. Vor noch nicht langer Zeit ist, entsprechend der jährlichen Steigerung des Postver kehrs der Staatsbehörden von Preußen mit der Reichspostverwaltung eine von Jahr zu Jahr ein tretende Erhöhung der bisherigen Vergütung um 5 Prozent vereinbart. Da für 1911 die an die Reichs- postverwaltung von Preußen zu zahlende Vergütung sich auf 14,1 Millionen Mark beläuft, so wird sich im nächstjährigen Etat diese Summe um rund 700 000 Mark erhöhen müssen. Die Reichspostverwaltung wird demgemäß von Preußen im nächsten Jahre nahe zu 17» Millionen Marc für die Portoablüsung er halten. 1k. Der Kodurger Ministerialchef, Exzell. Schmidt, Wirkl. Geh. Rat, tritt am 1. Oktober in den Ruhe stand. Staatsrat Wilharm, der für seinen Posten ausersehen war, hat das Amt aus finanziellen Grün den abgelchnt. "Nunmehr ist der Landrat v. Basse - witz in Ohrdruf (Hzt. Gotha) zum Nachfolger Schmidts bestimmt worden, v. Bassewitz, der sich zur Uebernahme des Amtes bereit erklärt hat, ist ein geborener Koburger. Er steht im 44. Lebens jahre und ist der Sohn des 1870 vor Sedan ge fallenen Oberstleutnants v. Dassewitz. kt. Reichstagskandidaturcn. Wie aus Straßburg gemeldet wird, wird Dr. Kayser - Colmar gegen Herrn Blumenthal im Kreise Colmar-Münster kan didieren. Dr. Kayser war Mitbegründer der elsaß- lothringischen Volkspartei und trennte sich von Blumenthal, als dieser ein klerikal-nationalistisches Bündnis mit Wetterls einging. pretzktimmen. In einer neueren Zuschrift an die „Deutsche K o l o n i a l z t g." legt der Rcichstagsabg. Dr. Arning auf Grund der von ihm auf seiner Reise durch Marokko gesammelten Erfahrungen dar, daß der Verzicht auf jeden politischen Einfluß seitens des Deutschen Reiches zugunsten Frankreichs eine kom plette Unmöglichkeit sei. Dr. Arning schreibt u. a.: „Seit die Brüsseler Zuckerkonvention auf Abbruch stehl, ist der Absatz unserer Zuckerproduktion gar sehr in Frage gestellt. Im Interesse unserer Landwirt schaft müssen wir nach muen Märkten suchen. Bis vor kurzem gab es in Marokko keinen deutschen Zucker. Seit wenigen Jahren erscheint er auf dem Markt und gewinnt ihn spielend. Deutsche Kaufleute teilen mir mit, daß für etwa vier Millionen Mark im laufenden Jahre abgesetzt sind — davon noch nicht kür zehntausend Mark in der von den Franzosen be setzten Schauja. einem reichen, landwirtschaftlich er giebigen wohlveoölkerten Teil des Maghreb, und obwohl allein in Casablanca nicht weniger als acht zehn deutsche Firmen bestehen, die fast alle gern am deutschen Zucker verdienen möchten. Erhalten die Franzosen den uneingeschränkten politischen Einfluß in Marokko, dann ist es mit unserem Handel in Marokko endgültig vorbei, mit einem Handel, der erst in den allerersten Anfängen seiner Entwicklung steht und eine große Zukunft verspricht. Unmöglich ist es, wirtschaftliche Erfolge zu erringen oder auch nur zu erhalten, wenn der politische Einfluß einer anderen Macht rückhaltlos im ganzen Lande über antwortet wird. Die Teilung des wirtschaftlichen und politischen Einflusses ist ein Unding." Aehnlich äußert sich in der „Kreuzzeitung" Dr. von Schwerin Obcrsteiudach in einer Zuschrift, in der cs über die „offene Tür in Marokko" heißt: „Wenn wir den Franzosen ganz Marokko als Ein- slußqc'oiet überlasten, so müssen wir uns darüber klar sein, daß wir damit auch Handel- und Gewerbe, Erz- und Minenlonzesiionen aufgeben. Wenn wir Kompensationen verlangen und erhalten, so müssen dieselben schon sehr bedeutend sein, um uns für einen sicheren Verlust Marokkos zu entscheiden. Alle Rechte, die uns etwa für unfern Handel in Marokko ge währt werden sollen, dürften nicht das Stück Papier wert sein, aus welchem sie geschrieben werden. Wir werden uns auch darüber klar jein müssen, daß, wenn wir Marokko den Franzosen allein oder den Franzosen und Spaniern zusammen überlassen, eine nicht unerhebliche Einbuße an Ansehen in der Welt uns sicher sein wird. Der Verlust der Stellung, die wir uns nicht nur in Marokko, sondern auch in der ganzen islamitischen 2Dclt durch den Besuch des Kaisers in Tanger gemacht haben, wäre die Folge. Auch die bedeutendsten Kompensationen werden so wohl I>ei den national Denkenden in Deutschland wie bei unseren Feinden im Auslände das Gefühl kaum verwischen, daß wir, wenn auch in verhüllter Form, eine Niederlage erleiden." Ruslsnü. Sefterreich-Unflarn. * Boron v Schönaich geht im Herbst. Zu den mannigfachen "Nachrichten vom Rücktritt des Kriegs ministers Baron v. Schönaich wird von autorisierter Seite mitgeteilch daß ein formelles Demissions gesuch bisher noch nicht vorliegt, daß man jedoch mit dem Rücktritt des Kriegsminislers im Herbst rechnen muß. Baron v. Schönaich besitzt nach wie vor das Vertrauen seines kaiserlichen Herrn. Die Meldungen, die von einer Erkrankung zu berich ten wissen, entbehren jeder Begründung. — Ebenso meldet die „"Neue Fr. Pr.", daß de» Rücktritt des Reichskriegsministers im Herbst erfolgen wird. Die Ursache des Rücktritts sei keineswegs in der Schwierigkeit der Durchbringung der Wehrvor lag c, sondern einzig und allein in dem Ruhe bedürfnis des Kriegsminislers zu suchen. Frankreich. * Sabotage. Auf der Sekunoärbahn Uriage- Ere noble wurden in der verflossenen "Nacht zwei große Steine auf das Bahngleis gelegt. Vier Radfahrer macksten den Lokomotivführer eines hercn-- nal-enden Zuges glücklicherweise auf das Hindernis aufmerksam. — Aus dem die beiden Bahnhöfe von Albi verbindenden Viadukt wurden 27> Signal sri) e i b e n r o l l e n entwendet. England. * Zur gestrigen Unterhaus-Debaite schreibt die „Times": „Balfour zeigte, daß die Negierung mit rhrer Macht Mißbrauch getrieben hat, wie ihn ein „politischer Minister" niemals zu begehen gewagt hätte, wie ihm in den Tagen der größten Königs Vorrechte kein König zugestimmt hat. Dieser Miß brauch verstößt gegen die Ueberlieferungen unseres konstitutionellen Landes, weil er dem Geist der Verfassung widerspricht. Durch keinen Vorwand kann das begangene Unrecht entschuldigt werde», selbst nicht damit, daß es von der gegenwär tige Lage gefordert wurde. Denn leine uberwäl tigende Partei, keine öffentliche Mehrheit hat diese Forderung unterstützt, oder sie gar gestellt." — Die liberale „Daily News" nimmt dagegen den Pre mierminister in Schutz. Sie schreibt: „Nichts war bei der gegenwärtigen Lage besser zur Begegnung der feindlichen Angriffe geeignet, als des Premier ministers freies Bekenntnis über die Per- bindungen zwischen dem König und seinen Ministern. Der Bericht Asquiths an den König, worin er die Schaffung neuer Peersstellen zur Durchdringung dec Parlamentsbill für notwendig erklärt, war voll kommen air gebracht. Denn die Lords suchten dis Forderungen der Regierung im letzten Monat mit aller Macht zu hintertreiben." Italien. * Die Krankheit des Papstes. Das Bulletin des „Ojservatore Romano" über die Gesundheit des Papstes bat eine gewisse Beunruhigung hervor- gerusen. Man wußte zwar bereits, daß -er Papst leit einigen Tagen an einer allgemeinen Schwäche litt, die sich wiederholt durch Ohnmachts anfälle äußerte, nichtsdestoweniger hatten die Aerzle dem Papst gestattet, morgen, an dem Jahrestag seiner Salbung, dem Gottesdienst in der Sirtinijäien Kapelle beizuwobneii. Jetzt sind jedoch underc Maßnahmen getrosten worden. Der Papst, der in sehr gedrückter Stimmung ist, wird der Feier nicht beiwohnen. Man führt die Schwäche auch aus die in Rom herrschende große Hitze zurück, die gestern !)4 Grad im Schatten betrug. Gestern abend vereinigten sich die Doktoren Petacci und Marchiasava noch einmal am Krankenbett des Papstes. Ein besonderer Bericht wurde nicht mehr hcrausgegebcn. Der „Eorriere della Sera" hält es lediglich für eine Vorsichtsmaßregel, wenn die Aerzte dem Papste verboten hätten, an der sehr ermüdenden Feier des Jahrestages seiner Krönung persönlich teilzunchmen. Der Gesundheitszustand des Heiligen Vaters sei durchaus nicht beunruhigend. — Viel ernster lautet eine Nachricht der „Köln Volksztg ", die ihr von hochgestellter Seite aus Rom zugeht. Danach nehmen die Krästc des Papstes infolge der bisherigen Leiden und der heißen, schlaflosen "Nächte langsam ab. Man befürchtet, es könne sich leicht Herzschwäche einstellen. Bisher habe der Papit aber keine Ohnmächten gehabt. — Weiter wird gemeldet: Rom, 8. August. (Tel.) Der Zustand des Papstes ist fast unverändert, doch ist immerhin eine kleine Besserung zu bemerken. Der Gichtan fall, der eine Anschwellung des rechten Knies her vorrief und Schmerzen verursachte, nimmt weiter einen normalen Verlauf. Die Stimmung des Papstes hat sich etwas gebessert, doch muß der Papst das Bett hüren. Er empiängt morgens und abends die Besuckie der Aerzte. Die Jahreszeit ist, namentlich nachts, für die Ruhe, deren der Papst bedarf, ungünstig. Portugal. * Die Nationalversammlung hat am Montag eine Vorlage angenommen, die die parlamentarische In dem n i t ä t für die Deputierten und Senatoren aus spricht. Dänemark. * Der Kopenhagener Straßcnbahnerstreik ge» scheitert. Es unterliegt kaum noch einem Zweifel, baß der gemeldete Streik Le: Angestellten zweier privater Straßenbahn Gesellschaften, der etwa :',00 Mann umfaßte, jetzt schon in der Tat v e r l o r e n ist. Die Streikenden lehnten im letzten Augenblick die angebotene Vermittelung des vom Staate bestellte» Vermittlers ab und ver scherzte» damit in hohem Grade die Sympathie der Oessentlichkeit. Die beide» Gesellschaften haben es verstanden, mit Hilfe neuer Kräfte den Betrieb in beschränktem Umfange vorzüglich aufrechtzuer- halten und werde» voraussichtlich bald wieder zum normale» Betrieb übergehe» könne». Es sind ver jchiedentlich Unruhen vorgekommen und zahl reiche Verhaftungen vorgenommen worden. ZUM LjscrrkFlrn-AmMkk bei Jüterbog. Persönliche Betrachtungen eines Augenzeugen. Erst späterbin ist man sich klar bewußt geworden, welche»! außerordentlichen Glücksumstcind die Passa giere des bei Jüterbog verunglückten >--Zuges Eger—Leipzig—Berlin ibr Lede» zu danke» hatte». Wem« die.er Zufall cuiesteils dem günstige» ebenen Terrain zu danken ist, ter sandigen Bodenbescho.ffen heit und der niedrigen Böschung, so muß man in allererster Linie dem Lokomotivführer die höchste "Anerkennung und die größte Bewunoerung ob seiner Geistesgegenwart zollen, daß er im Moment des Ueberfährens der falschen Weiche bei der stärksten Geschwindigkeit sämtliche Bremsen an zog, an gesichts Les eigenen Todes, der ibn erwartete. Wie der Packwagen sich alsdann über die Lokomotive türmte, so wären für den Fall, daß das energische Bremsen unterlassen worden wäre, alle Personen wagen sicherlich über die Lokomotive ebenfalls hin weggestürzt und das Unglück wäre für die Passa giere entsetzlich geworden. Eine derartige aufopfernde kühne Tat kann nicht genug geschätzt und gewürdigt werden. „Hoch klingt das Lied vom braven Mann.'" Und ebenso rübreno war das Psllchtbewusztsein des tödlich verunglückten Heizers Eismann. Ueber drei Stunden rang er bei vollem Bewußtsein mir dem Tode. Seine Ver wundungcn waren bekannrlich grauenerregend und seine Qualen müssen durch dre g rausame Sonnen- glnt crtzöht. fürchterlich gewesen sein. Dennoch, ihrer nicht achtend, galt sein ieiztes Denken nur dem ver unglückten Zuge und «einem bereits toten Kameraden, den er gerettet hoffte und dann weiterhin seiner Familie rn Leipzig. Es war herzzerreißend, wie er im Todeskampfe noch auf seine Frage, ob jemand vom Zuge tot sei und ob der Führer noch lebte, von uns beantwortet bekam, daß alle gesund wären, worauf er erwiderte, als ob die fromme Lüge ihm Linderung seiner Schmerzen verschaffte: „Ra, das ist gut!" Solchen braven und aufopferungsvollen Männern, denen aller Egoismus fernsteht, müßte man einen Denkstein setzen, und wenn es auch in Wirklichkeit höchstwahrscheinlich an der Ausführung mangeln wird, im Gedächtnis der Passagiere, die sich bewußt waren, wein sie die Erhaltung ihres Lebens zu danken Hutten, ist Zeit itzres Lebens ein Denkstein solchen Helden gesichert. Männern, denen das Leben zahlreicher Menschen anvertraut wird, müßten noch ganz anders, auch in pekuniärer Hinsicht honorier! werden, den» ihre Berantwortung ist die denkbar größte. Ein Menschenleben vor Gefahr zu bewahren und es vor dem Tode zu schützen, bedarf auch einer höheren Würdigung, nicht nur in moralischer Be ziehung, sondern auch im Punkte klingender An erkennung. Es mag vielleicht sür manchen von Interesse sein, die Eindrücke und die Gemütsbewegungen bei einer Eisenbahnkatastrophe kennen zu lernen, die den Be teiligten im Moment des Unglückes beherrschen. Möchte ein gnädiges Geschick jeden davor bewahren, ähnliches je zu erleben. Die Em pfindungen passen sich natürlich ganz der Individualität an und was der eine mit Schauder empfindet, laßt den anderen bisweilen ziemlich kalt. Ich sah beispielsweise später, als mit den Aufräu- mungsnrbciten begonnen werden sollte, einen Herrn, der nicht in vrivaler Mission an der Unglücksstätre weilte, wie er nch die Trümmerstelle mit der Ziga rette im Munde betrachtete, sowie man ungefähr eine Schaustellung anzujehen pflegt und die Zigarette verschwand nicht einmal, als er sich dem ergreifenden Bilde gegenüber fand, wo man die Leiche des ver unglückten Zugfübrers im Fenster Les umgestürzten Packwagens erblickte. Mag inan diese Haltung durch ein Zeichen persönlicher Unerschrockenheit zu entschul digen versuchen, jedenfalls hinterließ sie bei denen, die hiervon direkt Zeuge waren, einen recht pein lichen Eindruck. Das Unbestimmte, Ungewisse ist es, was die Rerveii so erschüttern läßt. Rian weiß nicht, was die nächsten Sekunden bringen werden. Man sieht sich dem Tode gegenüber und vermag nichts zu tun, um ihm zu entgehen. Im freien Raume wird man iinn immer auszuweichen und sich auf irgend eine "Art zu verteidigen juchen. Hier jedoch bestimmt und entscheidet allein das Schick,«!. Man ist darauf ge faßt, jede Sekunde in Stücke zerrissen oder zermalmt zu werden. Man kennt genau die todbringende Si tuation und erwartet mit fieberhafter Nerven anspannung die Entscheidung über das Sein oder "Nichtsein. Die dritte Möglichkeit jedoch ist für den Klardenkenden, der sich des unbestimmten Ausgangs der Katastrophe bewußt ist, das Grausamste: Ter Gedanke, verstümmelt zu werden. »Man hat gehört und gelesen, wie auch bei dem geschilderten Un glück diese Möglichkeit in erschreckender Weise zu Tage trat. Wenn man sich dann endlich — die Se kunden werden zur kleinen Ewigkeit — geborgen weiß, dann ist es wohl zunächst das unsagbare Ge fühl der Dankbarkeit, das einen beherrscht und dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, vom Tode errettet zu sein, gibt jeden die werteren tragischen Eindrücke der Verwüstung ein gewisses Gegengewicht, das selbst empsindlrcheren Naturen mehr Unerschrockenheit und Kaltblütigkeit cinflößt, als diese unter gewönnlichen Umständen besitzen würden. Mancher, der vielleicbr schon lange seinen Glauben an eine höhere Macht verlor, hier kann er ihn wiederfinden. >V. /.
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