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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 04.06.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-06-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191106045
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110604
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110604
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-06
- Tag 1911-06-04
-
Monat
1911-06
-
Jahr
1911
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Nr. 154. los. 3sdry«ny. richteten Kenner der Zettgeschichte höchstes Behagen breitete, in so glänzender kürze und in so geschickter Steigerung wichtige Moment« aus dem letzten Iahr- zehnt mit so plastischer Deutlichkeit gezeichnet zu sehen urch damit jene Zeiten noch einmal zu durch leben. Ader in seinem literarischen Werte erschöpft sich die Bedeutung dieses Werkes durchaus nicht. Es ist vielmehr zugleich die denkbar schärfste An klageschrift wider di« Sozialdemo kratie. Da« Buch vereinigt in sich den äußerst seltenen Vorzug, ein hochstehendes künstlerisches Ec- schenk an denkende Menschen und gleichzeitig eine sehr wirksame, schneidige Waffe in der gewaltigsten Geisterfehde der Gegenwart zu sein. In der sozial demokratischen Partei ist man dieser seltenen Frau von vornherein mit unverhohlenem Mißtrauen be gegnet. Die Aufopferungsfreudigkeit Lily Brauns nahmen die „Genossen" zunächst als etwas belanglos Selbstverständliches hin, sie gründeten später darauf Ansprüche an deren Leistungsfähigkeit, die über eines Menschen Kraft gehen, Lily Brann aber die ganze Schwere de» Zwiespalts zwischen politischer Betäti. gung und Erfüllung der Hausfrauen- und Mutter pflichten fühlen ließen. Weiterhin erlebte sie die grausige Enttäuschung, geringer bewertet zu werden, als schlichte Proletarierfrauen, weil sie „die wichtige Parteipflicht des Flugblattaustragens nach nicht erfüllt Hütte". Ihre Klugheit machte sie namentlich den Genossinnen unsympathisch, ihreSchön- hett mochte sie gar verhaßt. Sie ward als „Ge schäftssozialistin" verdächtigt, obwohl sie doch aus Parteiidealismus mehr als einmal die finanzielle Sicherung ihrer Existenz gefährdet hatte. Sie galt als eine mißtrauenswürdige Person, der noch die „Eierschalen der Vergangenheit" anhasteten. Ihre wohlgemeinten Vorschläge auf dem Gebiete der Frauenbewegung begegneten heftigster Gegnerschaft der unumstrittenen Führerin der sozia listischen Frauenbewegung, Klara Zetkin, die sie in ihrem Roman als Ruanda Orbin einführt: „An ein Zusammenarbeiten von uns und Ihnen ist natürlich gar nicht zu denken", schleudert die Stuttgarterin in k^m dumpfen Gefühl ihrer geistigen Unterlegenheit bissig der feingebildeten, geistig hochragenden Lily Braun entgegen. Ueberall durchkreuzt diese Frau, vor der verschiedene männliche Sozialisten Lily Braun sogar gewarnt haben, mit hämischer Gehässig keit die Pläne der begeisterten Mitstreiterin, und am Tage der Abrechnung über ihre freventliche Teil nahme an der Englandfahrt deutscher Journalisten wäre die nicht mehr zu iil'erbietende Feindseligkeit der Zetkin gegen Lily Braun gar zu groben Tätlich keiten ausgeartet, wenn nicht ein anwesender Genosse mit einem gebieterischen „So diskutieren wir nicht!" dazwischengesprungen wäre. Alle ihre Pläne und Gedanken, die Dienstbotenbewegung, die Mutter- schaftsversichcrung, die Haushaltungsgenossenschaften, die Errichtung einer Zentralstelle der Arbeiterinnen bewegung hatte Lily Braun zuerst gegen die Ge nossinnen vertreten müßen, und später mußte sie es erleben, daß ihre Gedanken, von ihrer Gegnerin um gemünzt, als deren eigne Leistung gerühmt wnrden: „Derselbe Zank, derselbe Neid, der mir die bürgerliche Frauenbewegung vergällt hatte, fand sich auch hier, nur daß er sich in gröberen Formen äußerte." Wie in der Frauenbewegung, so mußte Lily Braun auch sonst bet ihrer parteipoliti s che n Bet ät i g u n g die bittere Erfahrung machen, daß sie für ihre Ideen mehr Stimmung als Förde rung fand. Sie ist und bleibt eben die Ueberläuserin, und sie scheint doppelt verdächtig, weil sic nicht be Goethetage in Deimsr. Weimar, 3. Juni. I. Alljährlich, wenn die Goethe-Gesellschaft ihre Generalversammlung in Weimar abhält, wird cs in der stillen Residenz lebendig. Von allen Seiten strömen Vic Mitglieder der Gesellschaft herbei, um ihrer Verehrung für Goethe Ausdruck zu verleihen. Auch diesmal ist der Zudrang wieder gewallig. Die warme, strahlende Iunisonnc verspricht schöne Tage an der Ilm und der Umgebung Weimars. Zunächst werden wir aber m der Sladt selbst noch festgehalten. Die Veranstaltungen, die für die Tagung vorbereitet sind, begannen gestern abend mit einer Festaufführung im Hoftheater. Gegeben wurde ein Werk, das man kaum jemals zu sehen Gelegenheit hat, Goethes Trauerspiel „Die natürliche Tochter". Mit dieser Dichtung beabsichtigte Goethe einen gigantischen Plan zu verwirklichen. Er hatte die französische Revolution mtterlebt, und an den Schick salen eines hochgemuten Mädchens von hoher Her kunft wollte er die Entstehung, das Werden und Wachsen einer solchen Staatsumwälzung auszeigen. Das Werk sollte eine Trilogie werden: doch nur der erste Teil ist vollendet. Dieser wurde damals in Weimar und Berlin aufgcführt und sand teils be geisterte Zustimmung, teils kühle Ablehnung. Die geringe Teilnahme, die das Publikum der Dichtung entgegendrachte, ist der Hauptgrund, daß Goethe sie liegen ließ, und Laß uns von der geplanten Fort sctzung nur einige spärliche Notizen übrig geblieben sind. Hier und da sind im Laufe des Jahrhunderts Versuche gemacht worden, „Die natürliche Tochter" der Bühne zu gewinnen: aber man muß leider zu geben, Laß Goethes Werk bisher eine Auferstehung nicht erlebt hat, und daß man in einer Aufführung nichts weiter als ein interessantes Experiment er blicken konnte. Auch gestern ist man darin nicht viel weiter ge kommen. Gewiß ist auch dies« Dichtung des Meisters angefüllt mit Schönheit und Herrlichkeit, und wenn etwa ein Leser dieser Zeilen „Die natürliche Tochter" noch nicht gelesen ober, sagen wir höflicher, seit langer Zeit nicht mehr gelesen haben sollte, so nehme er schleunigst seinen Goethe aus dem Bücherschrank und bereite sich mit der Lektüre des Werkes eine hohe und echte Pfingstfreude! Aber der Bühne ist es noch nicht gewonncn worden. Mit Liede war es sicher lich einstudiert worden, und die Schauspieler gaben sich redliche Mühe, ihrer schwierigen Aufgabe Herr zu werden: aber daß Las Publikum heut wie vor hundert Jahren kühl blieb, kann nicht geleugnet werden. Das Geheimnis der „Natürlichen Tochter" muß wohl noch gelöst werden. Dir Weimarer Aufführung hatte «inen rm wesentlichen akademischen Charakter, die „schöne" Sprach« und das getragene Pathos herrschten vor. Aber das Heil und die Hoffnung dieses Werkes scheinen uns ganz wo ander» zu liegen. Die modern celrnlyrr Tnyrvlsn. dingungslos dem Marxismus huldigte. Sie findet es unerhört, daß „es Sozialdemokraten gibt, die die „Einheitlichkeit der Parte," dazu mißbrauchen, um die Meinungsfreiheit niederzuknütteln", und kommt zu der traurigen Feststellung: „Wortglaube, nicht Geisterglaube war für die Dogmatiker Voraussetzung zur Parteizugehörigkeit". Gxinz die gleichen 5öne klingen an, wenn sie der Ketzergerichte, über den Revisionismus aus den verschiedenen Partei tagen gedenkt: „Die wachsende Leidenschaft tötete jede Objektivität. Keiner gestand dem andern die Ehrlichkeit der ltzesinnung zu. Hinter jeder Aeuße rung eines Revisionisten entdeckte der orthodoxe Marxist 'Parteiverrat, in jeder Verteidigung des Radikalismus sah der Revisionist dogmatisch« Ver- bohrtheit und bewußtes Demagogentnm . . . War diese Gesellschaft wütender Proleten wirklich noch der würdige Träger der nrenschhettbefreienden Ge dankens des Sozialismus?" Frühzeitig hat sie also im Dienste der Genossen lernen müssen, daß „die Partei der Freiheit imstande sein würde, Scheiterhaufen zu errichten." Ist cs noch weiter verwunderlich, wenn sie Bernh. Shaws Ansicht zustimmt: „Freiheit vom Dogmenglauben ist eines der Grundprinzipien des echten Sozialismus, — die Deut schen sind dogmatischer als die Kirchenväter. Der Wille zur Macht ist ein anderes. Die Deutschen machen den Willen zur Phrase daraus." Voller Entsagung, die schmerzlichster Erkenntnis er wachsen ist, gelangt sie schließlich zu dem parteiver nichtenden Schlußurteil: „Mil der Gleichheit aller im Sinne gleichen Wertes und gleicher Entwicklungs fähigkeit, mit der Brüderlichkeit im Sinne gegen seitigen Verständnisses (führen wir die Maßen irre). Als ob die Natur, die jeden Grashalm vom anderen unterschied, den Menschen nicht eine noch reichere Mannigfaltigkeit ermöglichen sollte: — als ob wahre Brüderlichkeit nicht immer seltener, dafür aber immer liefer würde, je mehr wir uns entwickeln! Natürliche Schranken respektieren, statt sie niederzureißen — Distanzen anerkennen, statt sie mit Phrasen zu über brücken — kurz, im Sinne der Entwicklung handeln, die stets vom Einförmigen zum Vielfachen schreitet. — das wäre unsere Aufgabe, statt deßen ziehen wir unter der Maske der Brüderlichkeit den Dünkel groß, rotten die Ehrfurcht vor den Heroen des Geistes aus, so daß schließlich jeder Hans Narr einen Goethe Bru der nennt.' Von dem Dreigestirn der Forderungen, das die Revolution vom Christentum übernahm und der Sozialismus von beiden, wird nur eins übrig bleiben : die Freihei t." Aus diesem Wirbel und Wirrsal von Gedanken und Empfindungen heraus hat sich Lily Braun in den Jahren härtesten Kampfes gerettet zu — Friedrich Nictzsche. Sie glaubt diesen Wandel um so leichter verantworten zu können, weil Nietzsche „unbewußt selbst im Flusse dieser Bewegung schwamm, weil er dem Sozialismus das gab, was wir brauchen: eine ethische Grundlage". Sie nennt sich noch Sozialistin, sie .zeigt sogar einen gewißen Stolz, noch eingeschrie benes Mitglied der sozialpolitischen Partei zu sein, aber sie hält es doch auch nicht für unmöglich, daß die Partei sie „noch einmal gehen heiße". Ihre starke bewußte Entfernung von den Grundsätzen des Marxismus würde allerdings einen solchen Ausgang durchaus wahrscheinlich machen. Ja, der Gedanke iß « nrchttyoyidot- Hand zu weisen, daß bereits der itzickßte sozialdemokratische Parteitag Tatsache werden läßt, ivas hier, vorläufig nur als persönliche Vermutung ausgesprochen wird. Die Sozialdemokraten und ihre Preße haben sich bisher seltsamerweise um eine Auseinandersetzung mit den ungeheuerlichen Offendarungen Lily Brauns herumgedrückt. Ihr sicherer Instinkt sagt ihnen zweifellos, daß dieses Buch hei dem ohnehin gelocker ten lbefüge oer Partei wie Sprengpulver wir ken wird. Die Unfruchtbarkeit eines starren Dogma tismus, die Haltlosigkeit des gcm.zen Marxismus konnte nicht schonungsloser gegeißelt werden als in diesem Buch«, dessen Wert dadurch gewinnt, weil es non einem wohlunterrichteten Parteimitglied« stammt. Lily Braun ist trotz allen Sträubens gegen diesen Gedanken mit der sozialdemokrati schen Parteifertig: die Partei wird aber jedenfalls in kurzer Frist auch mit Lkly Braun fertig sein. Und wenn sie in ein oder zwei Jahrzehnten der Mitwelt einen dritten Band der „Memoiren einer Sozialistin" schenken würde, dann wird di« Ueber- schrift dieses Bandes nicht, wie Friedrich Drrnburg kürzlich meinte, Meisterjahre, sondern Ent sagungsjahre heißen müßen, denn was Lily Braun heute unter Sozialismus versteht, wird von maßgebenden Instanzen der Partei nimmermehr an erkannt werden. Für das Bürgertum bildet aber das Buch Lily Brauns die beste, schnei dendste Waffe für den künftigen Wahl kampf. Nicht wie der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie will, mit Zwangsmitteln und Aus nahmegesetzen, nicht mit Säbelgerassel und Gewehr salven, wird der Masse betörter Volksgenossen oder lauer Anhänger des Marxismus beizukommen sein: wohl aber werden mit diesem Buche unbarmherzigster Enthüllungen, das geschrieben ist mit dem Herzolute einer in der rauhen Wirklichkeit ihrer Partei ver kümmerten und zu höherer Auffassung geläuterten Sozialistin, verständige Staatsbürger die Sozial demokratie kräftig zu bekämpfen und sicher zu be siegen wißen. Letzte Vepellhen imL Lernlprechmelüunyen. Die letzte Reichstagssession in offiziöser Beleuchtung. Berlin, 3. Juni. (Eigene Drahtmeldung.) Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt in ihren Rückblicken über den Sessionsabschnitt des Reichstages: Das Ge samtergebnis der Tagung ist ein beredtes Zeug- nisfür die Arbeitsfähigkeit und Arbeits willigkeit dieses Reichstages, deßen vorzeitige Auflösung während der letzten zwei Jahre vielfach gefordert wurde. Ein Beweisgrund zugunsten dieser Forderung ist aus der positiven Leistung desReichstags nicht herzuleiten. Selbst in solchen Blättern, die an den von der Regierung eingebrachten Entwürfen oder ander endgültigen Gestalt der Gesetze Kritik übten, wird beim Vergleich der parlamentarischen Lage vom Herbst 1909 mit der heutigen Situation anerkannt, daß der Reichskanzler mit der Hoffnung, der Zwang zum Schaffen werde sich über alle Parteiwirren hinweg geltend machen. Recht be halten habe. D*s oldenbnetztsche Einkom,»en- und veemögens- steuergesetz. L Oldenburg, 3. Juni. (Eigene Drahrmeldung.) Die vom Landtage in langwierigen Verhand lungen festgestellte Novelle zum oldenburgischen Ein kommen- und Vermögensstenergesetz wird von der sten Bühnen eines Brahm oder Reinhardt oder eines andern wagemutigen Bühnenleiters müßten sich der „Natürlichen Tochter" annehmen und alles Mensch liche kraft- und temperamentvoll herausarbeiten. Die Behandlung der Sprache ist sehr schwierig: ihr poeti scher Reichtum darf nicht verloren gehen, und doch muß ihr Vortrag immer natürlich und dem Leben nachgedildet bleiben. Dann wird vielleicht eines Tages Goethes „'Natürliche Tochter" neu entdeckt wer den, und ihre Auferstehung nach dem Schlummer eines Jahrhunderts wird kommen. Die gestrige Vorstellung war, wie gesagt, aller Ehren wert. Es ist für den Regisseur sicherlich eine entsagungsreiche Ausgabe, eine Aufführung vorzuberctten, die so wenig äußeren Erfolg verspricht, und ebenso winkt nur ein rein ideeller Lohn Len Schauspielern, die in wochcnlanger Arbeit so schwierige Rollen für eine voraussichtlich nur ein zige Aufführung zu bewältigen hatten. Elisabeth Schneider gab die Eugenie anmutig-mädchenhaft, mutig-froh und mit lebendiger Frisch«. Aber die see lische Größe, die Eugenie im Unglück nicht verzagen und mit Entschiedenheit handeln läßt, kam nicht recht zum Vorschein. Sie spricht gut und mit tiefem, klang vollem Organ. Der Darsteller des Herzogs, Albert Bauer, brachte für diese Rolle die Erscheinung und das Wesen vornehmer Repräsentation mit, aber ihm fehlte für den Schmerz des Vaters die starke, fort reißende, seclenaufrührcnde Empfindung. Böhm war ein liebenswürdiger König, W e i se r gab den Sekretär nicht als schleichenden Intriganten, sondern als realistischen Weltmann, Illinger fand für den Gerichtsrat warme Töne. Jedenfalls verdanken wir dem lobenswerten Bestreben der Weimarer Intendanz und ihrer der Goethe-Gesellschaft erwiesenen Gastfreund schaft einige Stunden edelsten Genußes, und die Frage, ob und wie „Die natürliche Tochter" aufzufiihren sei, ist dadurch wieder aktuell geworden. Am heutigen Vormittag fand di« Generalver sammlung im Saale der Stahlarmbrust-Schützen- gcsellschast statt. Etwa 700 Personen waren anwesend. Geh. Regicrungsrat Prof. Dr. Erich Schmidt stattete den Jahresbericht ab. Redner dankte ver schiedenen Persönlichkeiten, die sich um die Gesell schaft verdient gemacht haben, besonders dem In tendanten von Schirach, der uns Goethes „Natürliche Tochter" dargebotcn, und gedachte der Toten des ver gangenen Jahres, die als tätig mitwirkende Mit- glieder der Gesellschaft angehört hatten. Herzliche Sporte des Gedenkens, der Anerkennung und des Dankes widmete er Josef Kainz, Spielhagen. Rektor Muff-Schulpsorta, Exz. Eggeling-Iena, Prof. Martin- Straßburg, vor allem dem verstorbenen Direktor des Goethe Schiller-Archivs Bernhard Suphan. Den Be richt ergänzte Exz. R ä h l m a n n, der u. a. mitteilte, daß die Mitgliederzahl sich um 33k vermehrt hat und jetzt 3586 beträgt gegen 3255 im Vorjahre. Hierauf folgte ein Vortrag von Pros. Dr. Erich Marcks der früher an der Universität Leipzig lehrte und seit 1907 an der neugegründetcn Ham burger wissenschaftlichen Stiftung tätig ist. Ein reiz volles Thema hatte der Redner sich gestellt, ein Thema, das die Kenntnisse des Historikers wie des Literarhistorikers voranssetzt: „Goethe und Bismarck." Mit eindringendem Verständnis und scharfem Spürsinn, mit Begeisterung für seine beiden Helden, fand Marcks heraus, wie wett die Verwandtschaft in Zweck und Art der beiden Großen reicht. Er stellte zuerst die Frage: „Was haben Goethe und Bismarck übereinander gesagt?" Bismarck über Goethe, das kann man sich schon vorstellen, und das weiß man auch, aber Goethe über Bismarck — wie wird Marcks diese ssltsame Frage lösen? Er führte zunächst aus, daß Goethe ein Lebensbegleiter Bismarcks war, der den „Götz" liebte, den „Kaust" noch 1891 als seine welt liche Bibel bezeichnete und die Gedichte damals in schlaflosen Näcyten im Bett las. Um uns nun dar zulegen, wie etwa Goethe über Bismarck gedacht und gesprochen haben würde, führt Marcks in feinsinniger Hfteise die Aeußerungen an, die Goethe über Napo leon getan hat, über den aufsteigendcn Stern so wohl wie den Gestürzten, Vereinsamten und Verkann ten. Goethe wurde nicht müde, das Recht des Wir kenden, des Genius zu verteidigen. Er wollte den un gestört regieren sehen, der zum Regieren geboren sei. Das billigte er Napoleon, Wellington, Eanning zu, und das hätte er auch Bismarck zugebilligt. ' Marcks verglich dann die politische Welt anschauung beider Männer. Er charakterisierte Goethe als tiefeindringenden Verwaltungsbcamten, dör Wirtschaft, Bevölkerung, Finanzen seines Herzog tums eifrig umfaßte. Er beteiligte sich an Karl Augusts kleinstaatlicher und doch so hochgerichteter Diplomatie. Di« großen Neubildungen seiner Zeit be trachtete er in beständiger Auseinandersetzung, er war ein Gegner der Revolution, erkannte aber die neuen Notwendigkeiten an, die aus ihr entflossen. Seine persönliche Stellung zum Staate blieb aber lebens lang ungefähr die gleiche, er wünscht Staat und Gesellschaft ständisch organisiert, und er be trachtet beide von oben her, mit dem Auge des Ne gierenden. Jene Freiheit blieb ihm das Liebste, di« ständisch umhegt war. Er rühmte das Bauerntum als das ewig'verjüngende Depot der Volkskraft. Er will keinen Polizeistaat, keine Ueberspannung staat licher Tätigkeit. Und oer Gipfel ist ihm immer der herrschende Menjch. So liegt in Goethe eine Mischung ständischer und selbstherrlicher Anschauung, die sich historisch-persönlich erklärt. In allen diesen Ansichten und Betätigungen aber war wieder ein großes Stück Bismarck! Der ständische Grundgedanke lag auch dem Landedelmann nahe. Auch bei Bis marck gipfelt alles in dem Bedürfnis des Genius der Tat. In Goethes letzten Werken, den Wanderjahren, den 2. Faust blickt er schon in die Welt Bismarks hinein. So kommt Marcks denn zu dem Ergebnis, daß Goethe und Bismarck die Elemente ihrer poli tischen Anschauung gemeinsam haben, nur in ver schiedener Mischung und mit verschiedenem Ziel. Ebenso ist es der Fall mit ihrer gesamten Weltbetrachtung über die staatlich« hinaus. Srmmsg, 4. Juni 191 l. Regierung nicht sanktioniert, weil die Regierung , wie sie heute bekanntgibt, mit einzelnen im Landtage vorgenommenen Aenderungen der Vor lage nicht einverstanden ist. Da» Testament Johan« Orths. Wien, 3. Juni. (Eigene Drahrmeldung.) Nach der „N. Fr. Pr. wurde das Testament Johann Orths dem Kaiser überreicht. Die Publika tion erfolgt nach Einsichtnahme des Kaisers am- Dienstag. ' Russische Geschützbestellunge«. o Wien. 3. Juni. (Eig. Drahtmeld.) Da« „Va terland" meldet: Von den Lieferungen für die russische Flotte, die außer dem sehr weit ent wickelten Bauprogramm um vier Dread noughts vermehrt werden soll, hat einen Teil Krupp, einen anderen Teil Skoda erhalten. Die - Skodawerke haben einen sehr großen. Auftrag für Eußstahllieferung bekommen. Krupp soll außerdem mit der Lieferung mehrerer Haubitzbatterien schwer sten Kalibers betraut worden sein. Ferner sollen einige Befestigungen am Schwarzen Meer stark ausgebaut werden. Ein neuer Taris für den Suezkanal. Paris, 3. Juni. (Eig. Drahtmeld.) Der Berwaltungsrat der Suez-Kanal-Gesell schaft hat beschlossen, in der für den 12. Juni ein zuberufenden Versammlung der Aktionäre eine wei tere Ermäßigung des Tarifs um 50 Centimes oorzuschlagen. Durch diele Ermäßigung, welche vom 1. Januar 1912 ab in Kraft treten soll, wird der Tarif auf 6,5 Fr. pro Tonne herabgesetzt. Der Streik der Pariser Automobildroschkenführer. Paris, 3. Juni. (Eig. Drahtmeld.) Der Ausstand der Automobildroschkenführer ist nahezu volständig. ' ' Monopolisierung der italienischen Lebensversicherungen. Rom, 3. Juni. (Eig. Drahtmeld.) Handels. Minister Nitti legte der Kammer ein Projekt zur Durchführung der Lebensversicherungen durch ein nationales Institut vor. Das Ver- sicherungsprojekt setzt fest, daß mit dem Inkrafttreten des Geictzes die Lebensversicherungen unter dem Monopol eines nationalen Institutes tzurchgeführt werden sollen, das mit dem Sitze in Rom begründet werden soll. * Das Ergebnis des Sachsenrundfluge». h Chemnitz, 3. Juni. (Privattelegramm.) Die Preisrichter für die Sachsenflugwoche haben in einer heute nachmittag im Hotel „Stadt Gotha" hier abgehaltenen Sitzung die Preise für den Sachsen rundflug wie folgt verteilt: Erster Preis: Laitsch (147 Punkte) 30 OVO .tl, außerdem Preis des preußi schen Kriegsministeriums, bestehend in 5000 il und Auftragserteilung auf ein Flugzeug nach dem System des vom Sieger benutzten („Älbatros"-Doppeldecker) in Höhe von 28 009 ,1t. Zweiter Preis: Büchner (121 Punkte) 15 000 ttt. Dritter Preis: Lind- paintner (117 Punkte) 10000 ,4l; letzterem wur den außerdem 1) 500 Teilstrcckenpreise zuerkannt. Zum Beginn der Johannisthaler Fluqwoche. ** Johannisthal, 3. Juni. (Eig. DrahtmeldZ Auf dem Flugplatz Johannisthal fand beute nach mittag die Abnahme der Apparate der zur Flügwoche genannten Flieger ' statt.-'----Die Tpöttt-'- kommisfion, unter Leitung des Majors o. Tschudi und des Ingenieurs Dr. Ruth, nahm im ganzen 19 Apparate ab, die morgen in Konkurrenz treten. Nicht in die Konkurrenz eintreten werden die Flieger Hanuschke, Ludwrg, Weilmann, Wernt Auf den ersten Blick will es nicht so scheinen. Bis marck tadelte die Goetheschen Männer und fand sic unmännlich. Schiller zog ihn unmittelbarer an. Nach seinem Sturz« hat Bismarck den „Wallenstein" in einem Zug« die Nacht hindurch wiedergclefen, in tiefer Erregung und Spannung. Ihn packte der große, heldenhaft« Sinn, mit dem Schiller die Historie behandelte. Aber er war ein Feind des Pathos, der pathetischen Rede, der abstrakten Spekulation, ebenso wie Goethe Schillers Stil lieben mochte, wenn «r nicht philosophierte. In Bismarcks Deutsch, wo cs am reifsten ist, empfinden wir die Verwandtschaft mir Goethe. Miteinander gemeinsam haben sie die Gegen, ständlichkeit, die Anschaulichkeit, die Sachlichkeit des Sehens und Auedrückens. Sie stehen beide auf fester Erde, beobachten Natur und Menjchenwelt und gehen in allem von ihren Beobachtungen aus. In beiden wirkt höchst unmittelbar der absichtslos« Trieball- gegcnwärtiger Künstlerschaft. Der Redner forderte uns nun auf, Gotthe und Bismarck in die beiden Hauptgebiete ihres Lebens nachzufolgen: Geschichte und Natur. Goethe hat prachtvoll historisch erzählt, er empfand den Er eignissen gegenüber historisch, aber wollte der Ge schichte nicht fachmäßig streng nähertreten. Ihn reizte das Rein-Menschlich« an ihr, die Menschen in ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen. Dagegen suchte Bismarck wie Schiller die historische Organisation, und die Weltgeschichte war sein Arbeitsstoff. Bei Goethe war es die Natur, in der er zur Wissenschaft aufstrebte. Und eine tüchtige Wegstrecke giüg er do mit Bismarck zusammen. Beide lebten mit offenen Augen in Wald und Feld, beide liebten die Na tur. Aber dann trennen sich die Wege. Der Drang nach wissenschaftlicher Erkenntnis der Natur ist in Goethe vorherrschend, fehlte Bismarck ganz und gar Goethe strebte lein Leben hindurch nach einem wissen schaftlichen System, Bismarck spürte dieses Bedürfnis überhaupt gar nicht. Ihm war die Grundlage die praktische Tat und der persönliche Gott, Drang und Ideal des anderen blieben ihm hier fremd. Und nun findet Marcks noch eine Fülle köstlicher Einzelheiten aus dem täglichen Dasein der beiden Männer, die so viele Vergleichspunkte bieten Zu ihrem Hause in Weimar wre in Friedrichsruh wallfahrtete die Mitwelt wie zu einem Heiligtum In hundert Bildern sind sie uns lebendig, wie sie schauen, denken und plaudern, schreiten und diktieren. Der Patrizier Goethe wie der Landedelmann Bis marck sind von feinster Kultur des Geselligen und Geistigen, und beide sind Kenner und Freunde aller guten Ding«, die ihr« Tafel trägt. Nicht gering ist bei beiden di« Rolle eines «dien Weins. Und wir hören die Gespräche, die in vielen Bänden gesammelt sind, zwanglos, v»n natürlich geschliffener Form und oft wie gegoßen in Erz. Dom Glück hat Bismarck genau ebenso gesprochen wie Goethe. Don Goethe hören wir oft genug die schmerzliche Frage nach dem Glück, Bismarck spricht darüber mit Melancholie und biomir 8. »-L21 k-. Z.
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