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In England überwiegt ebenfalls der hausmäßige Betrieb in der Metallindustrie. In Wolverhampton, der englischen Schlosser stadt, arbeiten nur kleine Meister. In Birmingham werden die Gewerbe nur in kleinem Maßstabe, meist als Hausgewerbe, von den einzelnen Arbeitern betrieben, ebenso in Willenhall und Sheffield. Ueberhaupt macht man sich von der englischen Industrie einen falschen Begriff, wenn man glaubt, die Zahl der Fabrikarbeiter sei die über wiegende. Im Jahre 1841 gab es in England auf ungefähr eine Million Fabrikarbeiter jeden Alters und Geschlechts, nur an Bäckern, Fleischern, Schneidern, Schustern, Maurern, Dachdeckern, Stein metzen , Zimmerleuten, Tischlern, Tapezierern, Radmachern, Drechs lern, Glasern, Schlossern, Schmieden, Uhrmachern, Sattlern, Müh lenbauern und Müllern 1047077 beschäftigte Männer. Sachsen zählte, als ein sehr industrielles Land, auf 135328 selbstthätige Personen in den Fabriken, 228326 solche, welche handwerksmäßige Gewerbe trieben. Die Waffenfabrikation scheint als ein Zweig der Eisenindustrie vorzüglich auch zu einem hausmäßigen Betriebe geeignet und zwar in dem Grade, daß sie z. B. in Schweden, von großen Staatsfabri ken ausgehend, sich in Hausgewerbe umwandelte. Die große Gewehrsabrik in Lüttich läßt die eigentlichen Arbei ten größtentheils auf den umliegenden Dörfern fertigen und zwar mit bedeutender Arbeitstheilung, so daß z. B. an einem Orte nur Flintenläufe, am andern nur Ladestöcke gemacht werden. Die Fabrik selbst besorgt schließlich das Zusammensetzen und das letzte Vollenden. Nicht unvergessen darf hier die Uhrenindustrie bleiben, welche sich in der Schweiz sowohl wie in England als Hausgewerbe zu großer Blüthe emporschwang. In La Chaux-de-Fonds beschäftigen sich über 14000 Einwohner größtentheils mit Uhrmacherei und die Arbeitstheilung ist so weit getrieben, daß man 54 Beschäftigungs arten zählt. In England zählt die Uhrmacherei gar 102 verschiedene Ge schäftszweige. Es liegen sicher, wie auch bereits angedeutet wurde, im Wesen der Hausindustrie moralische und sociale Vorzüge vor dem eigent lichen Fabrikbetriebe. Besonders treten diese Vorzüge in einigen Departements Frankreichs, an der untern Seine und Oise hervor, wo sich die Kunstdrechslerei, das Tabletteriegewerbe, als Hausin dustrie in hohem Grade entwickelte und einen gewissen allgemeinen Wohlstand unter der Bevölkerung erzeugte. Die selbstständigen Fabrikanten, welche dort als Arbeitgeber auftreten, waren alle erst simple Arbeiter und leben undarbeiten noch fort mitten unter den übrigen Arbeitern, die mehr oder weniger von ihnen abhängig sind. Die Familiarität zwischen Arbeitgeber und Arbeiter geht bis zum Duzen. Der Arbeiter erhält den bereits vorbereiteten Rohstoff vom Fabrikanten in das Haus geliefert, der Fabrikant besorgt dann selbst mit seiner Familie die Vollendungs- und Verschönerungsarbeiten. Moritz Mohl, welcher diese Gegenden durchreiste, fand im Oisedeparte ment unter 130 Fabrikanten etwa vier, welche nicht vom Arbeiter angefangen hatten. Solche Verhältnisse können jedoch nur immer eine kurze Zeit lang bestehen; das Erforderniß ihres Bestehens ist ein gewisser gleich mäßig verbreiteter Wohlstand. Diese Gleichmäßigkeit im Besitz kann aber deshalb nicht von Dauer sein, weil nach und nach beson ders fleißige und geschickte Leute des Gewerbes der Mehrzahl einen Vorsprung abgewinnen und dieselbe mehr oder weniger von sich abhängig machen werden; tritt nun noch äußere Concurrenz hinzu, so muß sich jedenfalls die Hausindustrie zu einem fabrikmäßi geren Betriebe bequemen, d. h. es muß eine einheitlichere und ener gische Oberleitung eintreten. Die Hausindustrie kann sicherlich nur ausnahmsweise mit dem Fabrikbetriebe aus ein und demselben Felde concurriren, sie kann sich aber in vielen Fällen an denselben anschließen, indem sie, wie bereits gezeigt wurde, die Ausführung des Theiles der Arbeit übernimmt, der sich weniger für die Fabrik selbst eignet oder der doch vom Arbei ter im Hause ebenso gut verrichtet werden kann, als in Fabriks lokalen , wie man dies z. B. in der großen Gewehrfabrik in Lüttich wahrnimmt, wo die Schmiedewerkstätten für je zwei oder dreiMann abgesondert sind, die daselbst ihre Arbeiten ganz unabhängig von einander verrichten, während der größte Theil der Arbeiten noch fort während unter die Bewohner der umliegenden Ortschaften vertheilt wird. Nach dem Berichte eines englischen Parlamentscomitös ist es überhaupt wünschenswerth, daß beide Systeme, die Hausindustrie und Fabriksindustrie, neben einander existiren, wie z. B. in Leeds, wo die großen Tuchfabrikanten häufig einige Sorten, welche sie nicht selbst verfertigen, in größeren Quantitäten in den Verkaufshallen der kleinen Tuchmachermeister aufkaufen. Gerade diese Verkaufshallen, die zu Leeds, Bradfort und Hali fax errichtet sind, gewähren den kleineren Tuchmachermeistern und Arbeitern, die für sich weben, große Vortheile. Zu Leeds sind zwei Hallen, die eine für gefärbte Tuche, die andere für ungefärbte Tuche. Die erstere enthält 1800 Stände, die zweite 1200. Jeder Stand hat nur die Breite eines Stückes Tuch. Sie wurden bereits in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erbaut. Die Marktzeit ist zwei Mal wöchentlich und jedes Mal nur von der Dauer von 80 Minuten. Der Anfang und das Ende der Verkaufszeit wird durch Läuten bezeichnet. Wer nach dem Anfangsläuten kommt, muß eine Geldstrafe zahlen, nach dem Endläuten muß jeder seinen Stand schließen. Früher dauerte die Verkaufszeit länger, doch man hat gefunden, daß durch dieKürzung der Zeit die Geschäfte nicht leiden, indem man die Käufe schneller abschließt. Das ausgestellte Tuch ist meist noch ohne Appretur, welche von den Fabrikanten in den Etablissements demselben noch ertheilt wird. Wenn aber auch die Hausindustrie in einzelnen Fällen neben dem Fabrikbetriebe fortbestehen kann, so wird sie doch stets von dem selben vernichtet werden, wenn sie hinsichtlich eines Products, bei dessen Herstellung Maschinen die Hauptarbeiten übernehmen können mit demselben in Concurrenz tritt. Dies beweist die Baumwollen weberei; selbst in Ostindien, wo sie doch ihr eigentliches Vaterland hatte, konnte sie sich als Hausindustrie nicht halten, während die ebenfalls hausmäßig betriebene Shawlfabrikation noch heute sehr gut besteht, weil bei derselben die Menschenhand die Hauptarbeit übernehmen muß. Die Arbeit geht dabei so äußerst langsam vor sich, daß an einem feinen Shawl zwei Menschen gewöhnlich ein volles Jahr zu thun haben. Wird eine Waare im Großen erzeugt und ist ihr Absatz sehr bedeutend, so kann dieselbe auch stets zu niedrigerem Preise geliefert werden; der große Fabrikant kann sich mit einem kleinern Procentantheil Gewinnes begnügen, wie der kleine, und hat doch ein besseres Ein kommen als dieser. In einer Fabrik kann die Leitung einheitlicher, planmäßiger sein, als bei zerstreut wohnenden Arbeitern; der Fabri kant, der über große Kapitalkrast gebietet, kann leicht technische Ver besserungen und neue Erfindungen sich zu Nutze machen; er kann für sein Product ferner leicht neue Absatzwege eröffnen und die alten er weitern. Anders der Hausindustrielle; von seiner Arbeit ganz in Anspruch genommen, meist auch gar nicht den nöthigen Bildungs grad besitzend, sind ihm die Bedürfnisse des Marktes gar nicht oder nur in sehr beschränktem Maße bekannt; Len wechselnden Geschmack ! der Mode erfährt er viel zu spät und Verbesserungen in seinem Ge- werbe find ihm nicht zugänglich. Meist ist der Betrieb des Gewerbes von seinem Vorfahr auf ihn vererbt; der erstere betrieb es unter günstiger« Verhältnissen; doch die Zeiten ändern sich. Der Hausarbeiter muß sich häufig einem Verleger oder Factor anvertrauen, welcher als Kaufmann für seine Rechnung den Vertrieb der Waaren besorgt und die Arbeiter furchtbar ausbeutet. Ein sol cher Factor hat natürlich viel weniger Interesse am Arbeiter, als ein Fabrikant, der sein Vermögen in einer Fabrik fixirte und ohne gute Arbeiter doch nicht existiren kann. In Birmingham, Wolverhampton und Willenhall sollen diese vermittelnden Kaufleute oft einen Gewinn von 60, 80, ja 90 Procenten machen; es ist natürlich, daß unter solchen Verhältnissen der Arbeiter bis aus's Blut gedrückt wird. In einzelnen Fällen, in welchen bei hausmäßigem Gewerbs betriebe die Arbeiter am Hungertuche nagen und die Noth zum chro nischen Uebel geworden ist, möchte der Uebergang zum fabriksmäßi gen Betriebe allein Radikalmittel sein, wie z. B. im Obererzgebirge. So viel steht fest, daß für unsere Periode die fabriksmäßige Benutzung der Maschinenkräfte und der Maschinenarbeit der Aus druck wirthschaftlicher Entwicklung und industrieller Vervollkomm nung ist, freilich werden dadurch sociale Mißverhältnisseherbeige führt, deren moralische Ausgleichung wohl durch die Bildungsschu len und Bildungsvereine der Arbeiter ungebahnt, deren Lösung im Allgemeinen aber noch ein Problem ist, und das letztere gilt in noch höherem Grade von der Erforschung des Endzieles der irdischen Kul tur überhaupt. Die Verbreitung allgemeiner Bildung und die dar-