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geboten. Sie werden nicht nur zum Wohlstände und zur Mehrpro duktion eines Landes wesentlich mit beitragen können, sondern auch den materiellen Wohlstand der Familien erhöhen und ihre eigne materielle Lage verbessern helfen. Ist eine arme Arbeiterfamilie mit Kindern reich gesegnet, so werden selbst die wenigen Groschen, die die Kinder dem elterlichen Haushalte wöchentlich zuführen, willkom men sein. Wenn die jüngern Familienmitglieder bereits mitver dienen, so ist die Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß von der gebote nen Gelegenheit auch Gebrauch gemacht werde, mit Hilfe dieses Zu schlags zum täglichen Haushalte reinlicher zu wohnen, sich satt zu essen, sich anständig zu kleiden und auch für unschuldige Genüsse und geistige Erholungen einen Sparpfennig aufwenden zu können. Wird dann die ganze Familie nicht mehr von der Sorge um das nackte Leben geängstigt, so ist Aussicht vorhanden, daß die Kinder selbst bei weniger Unterrichtsstunden doch weit mehr lernen, und daß die Liebe der Eltern, die sich einmal durch Nichts ersetzen läßt, sich den Kindern wenigstens während einiger Feierstunden zuwenden und ihnen mehr nützen kann, als der Eifer von zehn wohlwollenden Fremden. Auf der andern Seite ist dagegen zu fürchten, daß die Kinder, die in Arbeiterfamilien sich einmal mehr oder weniger selbst über lassen bleiben müssen, durch Unthätigkeit verwahrlost und zu Ver brechen verleitet werden würden, und kann die Fabrikthätigkeit sogar diesen, wenn auck negativen Vorzug, prophylaktisch bei derErziehung mitzuwirken, in Anspruch nehmen. So wenig man auch geneigt sein dürfte, Fabriklokale als Bildungsstätten für das kindliche Gemüth zu bezeichnen; so sehr man im Gegentheil tadelnd bemerken muß, daß durch den Umgang mit den ältern Arbeitern beiderlei Geschlechts manche edle Regung erstickt und nicht selten der erste Grund zu späterer Verdorbenheit gelegt wird: so muß man doch, so traurig es ist, in manchen Fällen die Arbeit im Fabriklokal für weniger bedenk lich halten, als das unstete Umhertreiben ohne elterliche Aufsicht. Die Eltern fühlen dies selbst zu wohl. Wie oft ist von menschen freundlichen Fabrikherren nicht der Versuch gemacht worden, die Kinderarbeit ganz aus ihren Fabriken zu verweisen. Die Eltern brachten ihre Kinder immer wieder zurück, ja sie erboten sich sogar auf allen Lohn zu verzichten, da sie überzeugt sein könnten, daß die jugendlichen Arbeiter wenigstens nicht ohne Aufsicht seien. Lassen unsere socialen Verhältnisse es also kaum geeignet er scheinen, die jugendlichen Kräfte zu schonen, so fordern die gewerb lichen Zustände nicht minder gebieterisch die Benutzung aller Arbeits kräfte. Unsere Industrie befindet sich durch die große Concurrenz, die ihr von allen Seiten gemacht wird, durchaus nicht in der Lage, der Kinderarbeit vollständig zu entbehren, ja man kann behaupten, daß eine großartige Fabrikthätigkeit ohne Kinderarbeit fast gar nicht bestehen könnte. Wir meinen hierunter nicht allein den geringern Arbeitslohn, der sich einmal bei einer großen Reihe von Verbrauchs gegenständen geltend macht, sondern die Verwendung zu mancherlei Arbeiten, die von Erwachsenen mit gleicher Leichtigkeit nicht ausge führt werden könnten. So sind die Kinder, um Beispiele dafür reden zu lassen, in große» Spinnereien geradezu nöthig, fick unter den Maschinen zu bewegen, Fäden mit ihren zarten Fingern zu be festigen u. s. w. Mit großem Erfolg werden Kinder ferner zum Fertigen von Spielsachen, zum Bemalen von Porzellan und Bilder bogen, zur Blumen-, Nadel- und Cigarrenfabrikation, zum Klöp peln und vielen andern Industriezweigen verwendet. Würde in mancken Gegenden den Fabrikherren verboten werden, Kinder zu beschäftigen, so würden Erwerbszweige aus manchen Gegenden ganz verdrängt werden, theils weil die entsprechenden Arbeiter nicht ge funden werden könnten, theils auch weil solche Artikel den 2 —3mal Hähern Arbeitslohn Erwachsener nicht zu tragen vermögen. Leb hafter Fabrikbetrieb und zahlreiche Bevölkerung ergänzen sich daher gegenseitig, das Eine wird zur Vorbedingung des Andern. Wenn daher von Zeit zu Zeit die Frage auftaucht, ob die Be schäftigung der Kinder in den Fabriken nickt besser ganz zu verbieten sei, so können wir uns bei der Lösung derselben im Hinblick auf unsere gegenwärtigen Zustände nur verneinend aussprechen. Der Staat kann bei der Einmischung in die Befugnisse der Eltern hin- ficktlich der Auferziehung und Verwendung der Kinder zur Arbeit das Gegentheil von dem erreichen, was er eigentlick beabsichtigt. Gesetzt auch, das Gesetz verbietet das Arbeiten der Kinder für Rech nung Dritter ganz und gar, will der Staat vollständige Garantie dafür übernehmen, daß dieselben Kinder, denen die Fabrik verschlos sen ist, im eigenen Hause bis spät in die Nacht hinein angestrengt werden, um das nachzuholen, was das Gesetz versagt hat? Bei der wohlwollendsten Absicht, das Loos der Kinder zu verbessern, könnte es der Gesetzgeber möglicher Weise verschlechtern, da diejenigen Eltern, die man zur Erfüllung der Pflichten gegen ihre Kinder erst zwingen muß, in der Regel auch diejenigen sein werden, welche sich aus der Hintergehung des Gesetzes, aus Betrug in der Angabe des Alters und aus andern gewissenlosen Handlungen am wenigsten ein Gewissen machen werden. Wir wollen also die Fabrikarbeit der Kinder nicht verboten, sondern nur an gewisse gesetzliche Formen geknüpft wissen, und glau ben diesen Eingriff in die Rechte der Eltern nicht nur vom Stand punkt der Nationalökonomie, sondern sogar von dem des staatlichen Rechts aus dadurch begründen zu können, daß der Staat die Auf gabe hat, für alle die Staatsangehörigen (Unmündige und Unzu rechnungsfähige) zu sorgen, welche sich noch nicht selbst schützen können. Dieser Schutz hat sich vor Allem darauf zu erstrecken, die Kin der als solche Individuen, die noch nicht zu physischer Reife gelangt sind, vor Ueberarbeitung zu bewahren. Zu viele Stunden täglich zu arbeiten und Arbeiten zu verrichten, welche die kindlichen Kräfte übersteigen, darf nicht erlaubt sein, sonst wird das richtige Maß leicht überschritten. Um Beides zu erreichen, hat man einen dop pelten Weg eingeschlagen. Man nimmt zuerst ein bestimmtes Alter an, unter welchem Kinder in den Fabriken gar nicht beschäftigt wer den dürfen, und bestimmt ferner ein Maximum der täglichen Ar beitszeit. So ist in Preußen seit 1855 die Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren in Fabriken ganz untersagt, und für Kinder von 12—16 Jahren ist die Arbeitszeit (excl. einer Stunde Mittagszeit und einer Viertelstunde Vor- und Nachmittags Ruhezeit auf zehn Stunden beschränkt, welche in die Zeit von 5 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends fallen müssen. Nur in außerordentlichen Fällen ist eine Verlängerung um eine Stunde und nur auf die Dauer von höchstens 4 Wochen gestattet, und ist dazu noch die ortspolizeiliche Genehmigung einzuholen. Das österreichische Gewerbegesetz billigt die Fabrikarbeit der Kinder vom vollendeten 10. Lebensjahre an, und läßt mit dem zu nehmenden Alter eine Steigerung der Arbeitsdauer in der Art ein treten, daß bis zum 14. Jahre täglich 10 Arbeitsstunden, vom 14. bis 16. Jahre 12 Stunden (ausnahmsweise 14 Stunden) gestattet werden. Das sächsische Gewerbegesetz bestimmt, daß Kinder von 10 Jahren (vom 1. Januar 1865 an Kinder von 12 Jahren) nur in der Tageszeit von Morgens 5 bis Abends 8 Uhr und nicht länger als 10 Stunden täglich beschäftigt werden sollen, und sind in diese Arbeitszeit die Unterbrechungen durch die Mittagszeit von einer Stunde und die sonst angemessenen Ruhezeiten einzurechnen. Das englische Gesetz macht zwar zwischen Gewerbe- und Fabrik betrieb keinen Unterschied, doch hat es, wiewohl erst nach vieljährigen Parlamenlsdebatten, zu Gunsten der in den Fabriken beschäftigten Kinder eine Reibe schützender Maßregeln festgesetzt. Durch die Ashley- oder Factory-Bill von 1833 dürfen Kinder unter 9 Jahren gar nicht und vom 9. bis 13. Jahre nicht länger als einen halben Tag, d. h. 51/4 Stunden täglich arbeiten. Die andere Hälfte des Tages muß sie der Arbeitgeber auf seine Kosten in die Schule schicken, und hat der Schullehrer den regelmäßigen Besuch der Schule der Obrigkeit zu bezeugen. Junge Leute vom 13. bis zum 18. Lebens jahre können 10'/^ Stunden täglich beschäftigt werden, männliche Personen über 18 Jahre alt jede beliebige Zeit, weibliche Personen jedoch niemals über 10'/^ Stunden per Tag. In Frankreich besteht ein nicht gerade lobenswerthes Regle ment, das die Zulassung achtjähriger Kinder gestattet und diesen eine lOstündige, zwölfjährigen Kindern aber eine I2stündige wirkliche Arbeitszeit zumuthet, außerdem auch in Bezug aufExtra-und Nacht arbeiten dem Ermessen der Behörden einen nicht unbedenklichen Spiel raum läßt. Am angemessensten erscheint unter diesen Gesetzen das neue sächsische Gewexbegesetz, wie es 1865 die Fabrikarbeit der Kinder an das vollendete 12. Lebensjahr bindet, nach zurückgelegtem 14. Lebens jahre aber die Dauer der Beschäftigung dem eigenen Ermessen der Erwachsenen überläßt. Schwieriger ist die gesetzliche Ueberwachung nach der Seite hin durchzuführen, daß den Kindern keine solchen Arbeiten aufgebürdet werden, die der jugendlichen Kraft nicht angemessen sind, und bleibt hier dem Ermessen der Behörden allerdings ein weiter Spielraum