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1863 Herausgegeben von vr. (Otto Dammer Achtundzwanzigster Jahrgang. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter. Wöchentlich ein Bogen lieber Lebensversicherungen der Arbeiter. Von Adolph Strcckfuß. Eine der schwersten Sorgen des tüchtigen, denkenden Arbeiters ist die für die Zukunft seiner Familie. — So lange der Arbeiter jung, kräftig und gesund ist, verdient er meist genug, um, wenn auch nicht glänzend, doch auch nicht kümmerlich zu leben, er kann sogar manchen Groschen sparend zurücklegen. Was aber wird aus Weib und Kind, wenn der Ernährer plötzlich die Augen schließt? Dann brechen Noth und Elend über die Familie herein, dann vermag die Frau mit Auf bietung aller ihrer Kraft dennoch die Kinderschaar nicht zu ernähren, die Familie verfällt meist unrettbar der Armenpflege! — Der Gedanke einer so traurigen Zukunft ist das Gespenst, wel ches gerade die besten und tüchtigsten Arbeiter selten verläßt. Sie haben geringere Sorge für sich selbst, als für die Ihrigen, und mit Recht, denn für sic gicbt cs Kranken- und selbst hier und da Jnvali- dcnkaffen, für die Wittwen und Waisen aber nur die karge und wider willige Armenunterstützung. Für die sogenannten besseren Stände sorgen die Versicherungs- Gesellschaften. Beamte, Kaufleute und selbst die einigermaßen wohl situirten selbstständigen Handwerker kaufen ihre Wittwen und Wai sen in Lebensversicherungen ein und sicher» ihnen dadurch eine sor genfreie Zukunft, dem Arbeiter aber waren bisher diese Gesellschaften verschlossen, denn der Beitrag war für ihn unerschwinglich. Wollte z. B. ein 28jähriger Arbeiter seiner Familie ein Kapital von 500 Thlrn. versichern, um der Frau durch dasselbe die Möglichkeit, ein kleines Geschäft zu beginnen, zu geben, so mußte er 2*/, Thlr. vierteljährlich vränumerando an Prämie bezahlen, eine Summe, welche nur wenige Arbeiter von dem kargen Wochenlohn abzustoßen vermögen. Und gelang cs dcm sorgsamcn Familicnvatcr wirklich, das kaum erschwingliche Opfer zu bringen, welche Sicherheit hatte er, daß der Familie die Frucht seiner Sparsamkeit zu Gute kam? Was wurde auS der Versicherung, wenn eine plötzliche Krankheit Arbeitsunfähig- keit und Vcrdienstlosigkeit mit sich führte, wenn cs ihm trotz der größ ten Sparsamkeit unmöglich wurde, die Prämie zu bezahlen? Dann verfiel die Police und alle früheren Opfer waren vergeblich gebracht. Solche Aussicht benahm den Arbeitern jeden Muth, einer Versiche rungsgesellschaft bcizutreten, sie vertrauten auf ihr gutes Glück und suchten zu sparen, soweit cs ging; aber nur Wenige besaßen die Charakterkraft, sich Jahre und wieder Jahre fortgesetzte Entbehrun gen aufzulegcu, wenn sie doch den schönen Sparpfennig im Kasten zu liegen hatten; das gesparte Geld wurde oft genug angegriffen und selten gelang es einem Arbeiter, eine runde Summe zurückzulcgen, welche genügend gewesen wäre, seine Familie vor Sorgen sicher zu stelle». Die Versicherungsgesellschaften sind dcm Arbeiter so lange ver schlossen, als sie ihre Prämien vierteljährlich pränumerando einziehcn und als die Nichtzahlung den Verlust der Versicherung zur Folge hat, d. h. sie find dcm Arbeiter verschlossen für immer, denn unmöglich können die Gesellschaften von dicjen wichtigsten GeschäftSprincipien abgehen, ohne sich selbst zn rniniren. Man darf Geldinstituten nicht zumuthen wollen, daß sie die Hu manität, die Rücksicht auf die Beförderung des ArbcitcrwohlS zur Richtschnur für ihre Geschäftstätigkeit machen; ihr Vortheil ist es, der sic leitet, diesen können und dürfen sic für ihren Betrieb im Auge haben. — Wollten sie die für den Arbeiter einzig mögliche Prämien zahlung, die wöchentliche, cinführen, so würde durch die schwierige Einziehung eine Vergrößerung des Beamtenpersonals und dadurch j der Geschäftsunkosten erwachsen, welche leicht den Reinertrag des Unternehmens aufzehren könnte. Wollten sie sich auf eine Stundung der Prämien bei durch Krankheit arbeitsunfähigen Arbeitern cinlassen, so würde eine solche milde Praxis bald derartig von gewissenlosen Versicherten gemißbraucht werden, daß für die Gesellschaft jede Vor ausberechnung der Prämicneinnahme aushören müßte. — Ein direc- ter Verkehr der Arbeiter mit den Versicherungsgesellschaften ist daher fast unmöglich und doch bedürfen sic desselben weit mehr als die wohl habenderen Stände. In den Berliner Handwerkervereinen ist diese wichtige Frage viel fach ein Gegenstand eingehender Erörterungen gewesen und ich leibst habe mit mehreren Versicherungsgesellschaften unterhandelt, um Mittel und Wege zu finden, die der Nrbeitervcrsicherung cntgegcnstehenden Schwierigkeiten zu lösen. Dies ist mir auch in der Tbat durch einen Contract, den ich mit der Gesellschaft Dliuringi» l"e den vorstädti schen und für den Friedrich-Wilhelmstädtischen Handwerkcrvercin ab geschlossen habe, gelungen. Ich will hier die Grundzüge dieser Con- tracte mittheilen, um die Vorstände von Arbeitervereinen und die Besitzer größerer Fabriken, denen diese Zeilen zu Gesicht kommen, zu einem ähnlichen Vorgehen, welches gewiß segensreiche Früchte trage» wird, zu veranlassen. Vollkommen gelöst ist freilich die schwierige Aufgabe, den Arbeitern das VcrsicherungSgeschäft bauernd aufzu schließen noch nicht, aber sic ist wenigstens ihrer Lösung »aber ge bracht; gelingt es dereinst eine deutsche Arbeitergenossenschaft zu be-