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Xr. 16. Friedrich Keorg Wiecks 1863. Die Arbeiterbewegung. Von Adolph Strcckfuß. Wieder die Arbeiterfrage! — so werden vielleicht manche unserer geehrten Leser rufen; >— bis zum Ueberdruß ist sie schon erörtert, jedes weitere Wort darüber ist verloren! — Wahr ist's, seit fast einem Jahrhundert tritt diese wichtigste gesellschaftliche Frage mit jedem Jahrzehnt auf s Neue und immer drohender vor und, sie verlangt ge bieterisch ihre Lösung und läßt sich nicht todt schweigen. Sie ist eben sowohl eine politische als eine sociale Frage, ihre Besprechung gehört deshalb auch ebenso in die Tageszeitungen, als in diejenigen Blätter, welche sich die Ausgabe gestellt haben, den Fortschritt der Gewerbe zu fördern. — Ohne Arbeit kein Gewerbe, ohne Arbeiter keine Arbeit! — Je intelligenter, bewußter, tüchtiger und kräftiger der Arbeiter, um so besser die Arbeit, um so blühender das Gewerbe! — Nicht im Gegensatz stehen Arbeiter und Arbeitsgeber, sondern im innigsten Bündniß, ihr Vortheil ist fast überall ein gemeinschaftlicher, und des halb berührt auch die Arbeiterfrage diese wie jene gleichmäßig, deshalb ist sie eine gewerbliche Frage und gehört recht eigentlich vor das Fo rum der Gewerbe-Zeitung! — Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß gerade in unseren Tagen die Arbeiterfrage und die aus derselben hervorgchendc Arbei terbewegung eine so gewaltige Bedeutung gewonnen haben. — Wäh rend es offenbar im Geist unserer Zeit liegt, den ständischen Zopf vergangener Jahrhunderte zu beseitigen und den aus der französischen Revolution vom Jahre 1789 hervorgegangenen Grundsatz der allge meinen Gleichheit, welcher jeden Standesunterschied von selbst auf hebt, zum Gemeingut Aller im Staate zu machen, erhebt sich plötzlich die Idee des vierten Standes und gewinnt mit wundersamer Schnel ligkeit einen realen Boden. Diese Thatsache scheint dem fortschreiten den Geist der Geschichte zu widersprechen, sie ist in Wirklichkeit aber ein Resultat desselben. — Der vierte Stand besteht und hat bestanden so lange es Arbeit giebt, d. h, von Anbeginn der menschlichen Entwicklung an, aber er war macht- und rechtlos, ohne das Bewußtsein seiner Existenz als Stand. — So lange die Standesrechtc an einen Besitz geknüpft wa ren, konnte von einem Arbeiterstand in rechtlichem Sinne überhaupt nicht die Rede sein, daher konnte derselbe sich erst in der neueren Zeit entwickeln und zur Geltung gelangen, eine geschichtliche Nothwendig- keit aber ist es, daß er in demselben Augenblick, wo er die erstrebte vollkommene Geltung, die Gleichberechtigung mit den übrigen Stän den erlangt hat, zu existiren anfhört, und dies ist in der That die Lösung der Arbeiterfrage in politischer Beziehung. — Die vollkom mene Gleichberechtigung Aller im Staate, welche sich im allgemeinen und gleichen Wahlrecht repräsentirt, die Aufhebung aller gewerblichen Schranken, welche die Freiheit der Arbeit bindern, die Herstellung der persönlichen Freiheit jedes Einzelnen in der Wahl des Wohnorts, in der Vereinigung mit Anderen, im Gebrauch der gesetzlichen Rechte, dies ist mit wenigen Worten die politische Lösung der Arbeiterfrage, ohne welche die gewerbliche Lösung nur Stückwerk bleiben kann. Mit der politischen Seite haben wir es hier indessen nicht zu thun und müssen uns daher auf diese wenigen Andeutungen beschränken, um unser Augenmerk auf die andere Seite der Frage zu richten, welche hauptsächlich materieller Natur ist. — Wie ist die materielle Lage des Arbeiters zu verbessern, wie das Alter desselben vor Sorgen sicher zu stellen? Wie kann dem kranken oder invaliden Arbeiter dauernd geholfen, wie die arbeitsunfähige Familie des Erkrankten, Invaliden oder Verstorbenen vor Hunger geschützt werden? — In dieser rein materiellen Seite wird die Ar beiterfrage durch die politische Freiheit und Gleichheit nicht gelöst! — Die theoretische Antwort auf die materiellen Fragen ist leicht genug, sie lautet einfach : Hilf Dir selbst, so hilft Dir Gott! Keine Staatsgesetzgebung vermag die Noth der Arbeiter dauernd zu lindern oder dem llcberhandnchmcn der Besitzlosigkeit, welche ihren Grund in der gewaltigen Entwicklung des Großgewcrbebctrtcbes fin det, zu steuern. — Durch die überraschende Entwicklung des Maschi nenwesens in den letzten Jahrzehnten sind dem Gewerbe vollkommen neue Bahnen angewiesen worden. Der Klcingewcrbebetrieb, der aus Mangel an Capital sich die Maschinen nicht dienstbar machen kann, sinkt mehr und mehr hinab, die früher selbstständigen Meister vermin dern sich und werden eigentliche Arbeiter, indem sic in die Werkstätten der Fabriken eintrcten. — Diese neue, aus unserem ganzen Verkehrs leben erwachsende Entwicklung des Gewerbes kann und darf durch den Staat nicht gehemmt werden , jeder Eingriff in dieselbe ist eine gerade denen, welchen er nützen soll, gefährliche Störung deS Ver kehrs, denn er erzeugt die Arbeitslosigkeit mit ihren furchtbaren Folgen. — Wie die staatliche Gesetzgebung unfähig ist, dem durch die Ver minderung des KleingcwerbebetriebeS veranlaßten übermäßigen Wach sen der Arbcitcrzahl vorzubcugcn, so vermag sie ebensowenig, die materielle Noth der Arbeiter zu lindern; — vergeblich hat man es versucht, durch Feststellung von Lohnsätzen den Arbeiter zu schützen;