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Xr. 3. Friedrich Heorg Wiecks 1863. Die Humboldt-Vereine *). Von Eduard Mich elfen in Hildesheim. Man kann schon jetzt in allen Büchern lesen, daß das Vorwiegen der Naturwissenschaft unserem Zeitalter cigenthümlich sei, und eS wird diese Eigenthümlichkeit von der einen Seite eben so sehr gelobt, wie von der anderen getadelt. Es ist anch wahr, daß die riesigen Fortschritte der Naturwissenschaft in dem letzten halben Jahrhundert uns erst auf den Standpunkt gehoben haben, den wir jetzt ein nehmen. Sehen wir unsere Stuben, unsere Häuser, unsere Straße» und Wege an, der Einfluß ihrer Wissenschaft ist überall zu sehen, wenn sie auch ost nicht den Namen mehr führt, sondern ihre Ent deckungen abgegeben hat in die Hand des Handwerks, so daß nicht wenige Gelehrte Freude allein, sondern das Volk Freude und Nutzen zugleich haben könne. — Daher gehört cS heutzutage auch nicht zu den großen Seltenbeiten, daß man einen Vater sagen hört: „Mein Lohn soll Naturwissenschaft stndircn", — an welchen Beruf man vor siebzig Jabren wohl kaum gedacht hatte, wenigstens nickt unter diesem Namen. — Daher wird die Naturwissenschaft aufgezählt unter den Lchrgegcnständcn der höheren und niederen Unterrichts anstalten für Knaben und für Mädchen. — Und den Schulen kom men die Schriftsteller zur Hülfe. Es giebt kein Schaufenster eines Buchhändlers, in welchem nicht der Naturwissenschaft ein gut Theil Raum gegeben wäre. Immer eleganter werden die betreffenden Werke ausqestattct im Druck und in den Abbildungen. Es gibt auch fast kein Gewand der Schriftstelleret, in welches sich die Natur- , Wissenschaft nicht bat fügen lernen, wenn auch oft ungern genug. Von den streng wissenschaftlichen Werken an geht eS durch alle Grade der Poesie und Prosa hinab bis zu de» sogenannten natnrwisscn- ! schaftlicken hinunter Ueberall wird in Naturwissenschaft gemacht. *) Den neuen Hinzukömmlingen zu unserem Blatte, welche vielleicht besten Bezeichnung als „ainiljchcs Organ des deutschen Humboldt-Ler eines" mckl verstehen würden, soll der obige Artikel sagen, was es mit dem deutschen Humboldt-Verein für eine Bewandtniß bat. Man liest eS aus demselben heraus, daß dem Herrn Verfasser die Idee des Vereins vollkommen Fleisch und Blut geworden ist, und dessen Gründer selbst könnte weit besserer Anwalt dieser seiner Idee sein Der Artikel steht: Nr 50. des „SonntagsblattcS zur Hildesheimer Allg Zeit, u Anz." vom 14. Dec v. I Das darin einigeniale von dein unterzeichneten Herausgeber die Rede ist , glaubte dieser nicht als einen Grund ansehen zu müssen, den Artikel nicht selbst weite verbreiten, oder die betreffenden Rollen weg lassen zu sollen. Den in dem Artikel ausgesührtcn Humboldt- Vereinen sind einige neucrlichentstantene hinzuzusügen worüber nächstens berichtet werden soll Anin. d. Red. von Ad H. Trotz alledem aber, trotz dieser großen Anläufe öffentlicher An stalten nicht weniger als Einzelner, wie sicht es auS um die natur wissenschaftliche Bildung unseres deutschen Volkes?! Wollen wir nickt geradezu: schlecht! sagen, so können wir desto gewisser be haupten, daß die gewonnenen Resultate durchaus nicht im Verhält- niß stehen zu den aufgewandtcn Anstrengungen. Oder wissen wir gewöhnlichen Leute etwa so sehr viel besser Bescheid, als unsere Väter von dem, was in der Natur um uns herum wächst, geht, kriecht, fliegt uud liegt? Von Hinter-Jndien und Süd-Amerika frei lich mögen wir etwas mehr wissen, wenn nur nicht dieses Mehr oft durch eine größere Oberflächlichkeit ausgewogen würde. „Das Ziel der neueren Naturwissenschaft ist: dem Menschen die Erde zur Heimath zu machen." Die Wahrheit dieses Satzes wird mit dem Kopse wohl von den Meisten cingesehen. Ehe der Deutsche aber, was er mit dem Kopfe als richtig begriffen, mit der That ins Leben cinführt, hat cS leider meistens gute Wege. Und so ist cs auch in unserem Falle gegangen. Erst nachdem viele Jahre hindurch über diese Wahrheit nachgcdacht und dann viele Jahre über dieselbe geschrieben ist, fangen wir seit wenigen Jahren an, sic zu verwirklichen. Wie diese Verwirklichung begonnen, und wie weit dieselbe auSgcführt, das möglichst einfach und klar darzu stellen soll der Zweck dieses Schreibens sein. Ob der in die Lust ge worfene Saamc von günstigem Winde fortgcführt hie und da einen fruchtbaren Boden finden wird, steht nicht bei mir. Am 10. Mai 1859 bewegte sich ein unabsehbarer Leichcnzug durch die feierlich stillen Straßen der sonst so lärmende» Residenz Berlin. Es galt die Bestattung Alexanders von Humboldt, der fast 90jährig von uns gegangen war. Am Abend dcsselbigen Tages fuhr ein Manu, der mit zu den Lcidfolgnzhen gehört hatte, mit der durch die Naturwissenschaft des 1V Jahrhunderts ermög lichten Schnelligkeit seiner fernen Heimath^n. Es war Professor Roßmäßler auS Leipzig, der bekannte Naturforscher dcS Volkes. Er hatte dem Verstorbenen, der auf wunderbar gerechte Weise jedes wahre Verdienst zu würdigen wußte, nahe gestanden. Nun gedachte er daran, wie Humboldt cs gewesen, der die Mannigfaltigkeit der Naturwissenschaften in die Einheit der Naturwissenschaft umgcstaltet; wie mit diesem Manne der äußere Einhcitspunkt dieser Wissenschaft abgeschieden; wie cs aber nun, da der Körper zur Erde gegangen, unsere Pflicht sei, seinen Geist unter uns wohnen zu lassen. Hatte doch Humboldt das deutsche Volk geliebt mit der Fülle seines reichen Herzens, mehr, als manche Leute meinen, und mehr, als viele Leute