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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.02.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-02-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110223018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911022301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911022301
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-02
- Tag 1911-02-23
-
Monat
1911-02
-
Jahr
1911
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Lestyl-er Tageblatt 2. vells-r. vmmerstsy. 28. Mruar lSli. DrAlcher Lelchstag. 132. Sitzung. Berlin, 22. Februar. (Priv.-Tel.) Stimmun-sdUL. Zwei Abgeordnete aus dem Königreich Sachsen, Dr. Wagner (Kons.) und Dr. Junck (Natl.) ent wickelten al» Erste heute ihre Ansicht zu der in deutschen Landen geübten Rechtspflege. Wenn wir den Abg. Wagner richtig verstanden haben, so habe seine Fraktion zu dem Justizetat überhaupt nicht sprechen wollen, sie wurde erst durch die gestrige Rede vom Abg. Ablass (Vpt.s über den Prozess gegen den Rittergutsbesitzer Becker veranlasst, aus der Zurück haltung hervorzutreten. Abg. Wagner hält es für un richtig. dass die einzelstaatlichen Rechtssachen vor das Forum des Reichstags gezogen werden und meint, das sei ein« Kompetenzüberschreitung. Di« Justizgesetze werden aber nun einmal im Reichstage gemacht, nicht in Len Einzellandtagen. Auch der Staatssekretär der Justiz hat es bisher nicht für eine lleberschreitung seiner Befugnisse gehalten, auf einzelne Urteilssprüche einzugehen. Ab». Dr. Iunck, der erst am Vormittag in der Schiffahrtsabgabenkonvmission eine länger« Rede gegen die Pläne der Regierung gehalten hatte, wahrt« dann auch mit entschiedenen Worten dem Reichstag das Recht, Beschwerden über die Recht sprechung vorzubringen. Der Geist frischen Zufasiens und frohes Vertrauen zu gesunden Kräften des Volks, lebens durchwehte seine Rede, die vom Hause auf merksam angehört und von den Nationalliberalen und Freisinnigen mit lebhaftem Beifall begleitet wurde. Er ging nicht in der Weise vor. dass er von vorn herein allgemein« Grundsätze aufstellte, sondern er knüpfte an die einzelnen Fragen und Fälle, die er mit juristischer Sachkenntnis behandelte, sein Urteil, und durch die Zusammenfügung der Einzelheiten er gab sich von selbst ein Gesamtbild dessen, was er auf dem Gebiete des Rechts für erstrebenswert hält. Der in Berlin gegründeten Vereinigung von «juristischen Modernisten" bracht« er Sympathie entgegen und er wartete vom Staatssekretär, dass auch er mit innerer Freiheit an die bevorstehenden grossen Aufgaben Herangehen werde. Die Urteil« von Moabit nannte er ein glänzendes Zeugnis für die Unabhängigkeit der deutschen Richter, dagegen sah er rm Prozess Becker das Dolksempfinden von der Anschauung des Richters durch eine tief« Kluft getrennt. Da hierbei die Ver waltung in Frage kommt, berührte er ganz kurz die Zustände der preussischen Verwaltung. Es muss doch zu denken geben, wenn der Abgeordnete eines Bundes staates, dessen Verwaltung mehrere Jahrzehnte den Ruf besonders reaktionärer Gesinnung genossen hat, die Verhältnisse, die sich in Preussen auf dem Gebiete der Verwaltung ausgebildet haben, als überhaupt kaum verständlich für den Angehörigen eines anderen Bundesstaates kennzeichnet. Der Gedanke, den Umfang der Beweisaufnahme einzuschränken, müsse, so meinte Junck weiter, angesichts ter Erfah rungen im Beckerprozess aufgegeben werden. Der Redner verfehlte nicht, bei gegebener Gelegenheit für Leipzig als Sitz des neu zu bildenden Reichskolonial gerichts Propaganda zu machen. Mit der Art. wie beim Reichsgericht jetzt Hilfskräfte verwendet werden, kann er sich nicht einverstanden erklären. Besser wäre die Bildung von Hilsssenaten gewesen, und man werde auch nicht um die Errichtung neuer Senate herumkommen. In diesen Fragen wollte ter Staatssekretär des Reichsjustizamtes Lisco dem Abgeordneten für Leipzig nicht folgen. Er hatte Bedenken organisato- Lllche^Ll^. hingegen stimmte er ausdrücklich den an erkennenden Worten über die Bestrebungen der neu gegründeten Vereinigung zu uitt> dankte für die ge reckte Beurteilung der Eerichtserkenntnisse. Leider, so fügte der Staatssekretär wehmütig hinzu, höre man solche Wort« in diesem Hause nur selten. Wenn wir einmal beim Lob sind, so müssen wir hinzufügen, dass aus den Darlegungen des Staatssekretärs Verständnis für das Volksempfinden und der allerbeste Wille herausklangen: auf gegebene Anregung machte er so fort längere Mitteilungen über die Anlegung des Grundbuches und die Anwaltsgebühren. Auch teilte er mit. dass der frühere Landrat v. Grimmen wegen kriminell nicht strafbarer Verfehlungen ohne Pension aus dem Amte entlassen wordrn sei. Abg. Stadthagen (Soz.) suchte dann den Be weis seiner ..Frische" in langer Rede zu erbringen. In scheinbar vorbedachter Steigerung erklärte er am Schlüsse, dass der Berliner Polizeipräsident und der Minister des Innern sich zu ..Mördern" gesellt hätten. Er erhielt seinen Ordnungsruf und kurz darauf auch Ledebour wegen eines Zurufes. Der Pole Sayda erhob Beschwerde dagegen, dass bei Grün dung von Ansiedlungen in der Ostmark eine Urkunde verfasst werde, die Verpflichtungen enthielt«, später nicht an Polen zu verkaufen, und dass das Reichs gericht die Zulässigkeit solcher Verpflichtungen bejaht habe. Diese Entscheide wären grundsätzlich zugunsten der Polizei und der Staatspolitik. Staatssekretär Lisco berief sich in seiner Abwehr auf das Lob. das Abg. Junck dem Reichsgericht gespendet hatte. Den Schluss der Redner machte Müller- Meiningen mit einer temperamentvollen Rede, die noch viel Gutes enthielt. Dann wurde das Gehalt des Staatssekre tärs und ter ganze Justizetat angenommen. Abg. Hecks eher teilte als Berichterstatter noch mit. dass die Kommission den Wunsch hege, auch ein Mitglied der Presse möge in den Strafrechtsausschuss berufen werden. Da die Regierung keinen Laien zulassen will, kann sie ja einen Journalisten nehmen, der eine 'uristiscke Vorbildung genossen hat. — Für morgen. Donnerstag, wurden die Heeresvorloqe und der Heeresetat auf die Tagesordnung gestellt. Sitzungsbericht. Am Bundesratstische: Staatssekretär Dr. Lisco. Präsident Graf Schwerin-Löwitz eröffnet di« Sitzung 1 Uhr 20 Min. Fortsetzung deS InstizetatS. Aba. Dr. Wagner-Sachsen (Kons.): Mit grossem Geschick hat Abg. Ablass es verstanden, den Prozess Becker an den Haaren heranzuziehen. Er brachte Gegenstände der inneren preussischen Ver waltung vor das Forum des Reichstags, die in keinerlei Zusammenhang standen mit dem Gehalt des Staatssekretärs des Reichsiustizamtes. Der Reicks tag wahrt energisch seine Rechte, dann soll er aber auch die Rechte anderer Parlamente respektieren. Von einer Einmischung des Reichskanzler» in den Moabiter Prozess ist keine Rede; seine Ausführungen waren bedingt durch die Rede des Abg. Scheidemann. Auch kann nicht davon gesprochen werden, dass der Justizminister den Vorsitzenden aus dem Moabiter Prozess wegen der Rechtrbelehrung zur Rede gestellt hätte. Dass der Notwehrparagraph voll zur Anwendung gelangt, entspricht durchaus unserer Forderung, mit der Sozialdemokratie dürfte aber ein« Verständigung über den Begriff Notwehr nicht möglich sein. Die Urteilsbegründungen von Halber stadt und Glogau, wenn sie richtig wiedergegeben sind, bedauern auch wir ausserordentlich. Abg. Dr. Innck (Natl): Wir halten unserseits daran fest, dass der Reichsjustizetat die Stelle ist. bei der allgemein« Bemerkun gen über die Justizverwaltung angebracht werden können. Ich möcht« feststellen, dass in Bayern di« Frage de» Grundbuchrechtsjetzt befriedi gend geregelt ist. Andere deutsche Staaten sind mit der Einführung des Grundbuchs noch im Rück stand«; von Mecklenburg will ich gar nicht reden, aber Sachsen-Weimar, Schaumburg-Lippe, Bremen und beide Schwarzburg find noch nicht so weit. Ich möchte also den Staatssekretär bitten, seine Be mühungen fortzusetzen, dass das Grundbuch einheitlich durchaeführt wird. Dem Fall« H«llfeldt, der uns im vorigen Jahr« beschäftigt hat, kann ich nur einen wehmütigen Nachruf widmen. Das Ur teil von Tsingtau ist vom Staatssekretär des Aus wärtigen für wirkungslos erklärt worden. Ich möchte nun fragen, wie weit die Zwangsvoll streckung gediehen ist. Hoffentlich gelingt es, zur Schlichtung derartiger Streitfälle aus internationalem Wege ein Schiedsgericht zu schaffen. Dringend möchte ich dem Staatssekretär die Reform der An- waltsgebühren empfehlen. Die Anwalt», kammern haben ihre Mitwirkung an dieser Frage nicht versagt, sondern sie nur für sehr schwierig er klärt und gewünscht, dass die Reform Lurch weit gehende Erhebungen nicht aufgehalten werde. Die Anwälte beklagen sich namentlich über den Ausfall an Gebühren bei Armensachen, die auf 5N Millionen jährlich berechnet werden. Ueber di« Entlastung de« Reichsgerichts bat der Staatssekretär dankenswert« Aus kunft gegeben, ob aber die Verwendung von Hilfs kräften beim Reichsgericht richtig ist, will ich nicht entscheiden. Es wäre richtiger gewesen, neue Hilfssenatezu bilden. Die Zuweisung d«r Hilfs arbeiter an die Senate ist doch nicht unabänderlich. Der Staat-ssekretär wird schliesslich um die Bildung neuer Senate nickt herumkommen können. Die Be deutung des Reichsgerichts ist darauf begründet, dass es unabhängig ist, auch wenn es sich um Entscheidun gen handelt, bei denen Ausländer in Frage kommen. Was die Reform des Strafgesetzbuches betrifft, so wünschen wir, dass die Justizverwaltung diese Reform grosszügig in die Hand nimmt. Ich möchte bitten, die Mitglieder, die zur Kommission be rufen werden, von jeder Nebentätigkeit zu befreien und mit den Mitteln für die Kommission nicht allzu karg zu sein. Bei einer solchen Frage kann es auf die Kosten nicht ankommen. Es schadet nichts, wenn die ausgeworfenen 120 000 »it überschritten wer den. Ein grosser Teil der Reichsgerichtsentscheidun gen bewegt sich heute auf ethischem Gebiet, das gilt namentlich von Prozessen auf sozialem Gebiet. Der Vorentwurf überlässt dem Richter, nach seinem Ermessen mildere Strafen zu verhängen. Der Rich ter wird freier gestellt. Damit wächst seine Verant wortlichkeit und der Kreis seiner Aufgaben. Die Be schäftigung mit dem Strafrecht ist manchen Richtern und Anwälten nicht so angenehm, als mit dem Zivil recht. Das ist zu bedauern. An die Verantwortlich kett des Richters stellt das Strafrecht gewiss hohe Auf gaben. Die Richter müssen abwechselnd in Zivil- und Etrafrechtsfacher» beschäftigt werden. Beide grosse Gebiete müssen gleichmässig berücksichtigt werden. Viele angefochtene Urteile der neuesten Zett, ich nenne Moabit, sind ein glänzendes Zeugnis für die Unabhängigkeit der Gerichte. Was die vielbesprochene Lieberkammer geleistet hat, ist in höchstem Masse anerkennenswert, sowohl was die Betätigung der Unabhängigkeit, wie die Ge schicklichkeit betrittst, mit der das Schiff durch die vielen Klippen hcndurchgesteuert -worden ist. Das verdient im Reichstag von unserer Seite hervorge hoben zu werden. Aus die vom Abg. Ablass behandel ten Verwaltungszu stände will ich nicht näher eingehen. Wir, Angehörige ausserpreussl- scher Bundesstaaten, können uns ja schwer in diese Verhältnisse hineindenken. (Hei terkeit.) Man hört davon, wie aus überseeischen Ländern. Das Urteil im P r oze ss B e ck e r ist noch nicht rechts kräftig, aber das Strafmass ist dasjenige, was das deutsche Volk nicht verstanden hat, und in einer Zeit, wo die gräßlichsten Quälerecenvon Kin dern beinahe ungesühnt bleiben, wird die Beleidigung durch einen immerhin gutgläubigen Mann mit einem Jahr Gefängnis bestraft. (Beifall links.) Die Versuche, den Umfang der Be weisaufnahme gerade jetzt einzuschrän ken, müssen allerdings an den Erfahrungen, die wir im Beckerprozess und im Moabiter Prozeß gemacht Habern, s cheitern. Kürttich haben sich di« Juristen und Angehörige anderer Berufsstände zu einer Ber einigung zusammengeschlossen, um einmal dem Vor wurf entgegenzutreten, als wenn unsere Juristen „Nurjuristen" wären. Es ist e r f r e u l i ch, dass man sich in Juristenkreisen an die Brust schlägt und sagt: Ich will selbst versuchen, was es mit der Weltfremdheit der Richter auf sich hat. Gegenüber den Äiesenfortschritten, die Naturwissenschaft und Technik aufzuweisen haben, ist der Jurist allerdings in schlimmer Lage, denn auf seinem Gebiete gibt es keine auffallend sichtbaren Fortschritte. Den Staats sekretär oitte ich um sein Wohlwollen für diese neue Vereinigung. Sie wird Segen stiften, je mehr sie konkrete Vorschläge bringt. Ich schliesse mit der Hoffnung, daß der Staatssekretär alle diese an ihn herantretenden Vorschläge mit jener inneren Freiheit behandelt, die wir an ihm aufs höchste schätzen. (Beifall.) Staatssekretär Dr. Lisco: Her kürzlich hier er folgte Zusammenschluss der prakttscken Juristen findet bei uns das grösste Wohlwollen. Für die anerkennenden Worte über die Tätigkeit unserer Richter bin ich dankbar. Was die wechselweise Be schäftigung der Richter in Straf- und Zivilsachen be trifft, so wünschen die mei st en Richter nickt, in den Strafkammern beschäftigt zu sein. Die Bildung neuer Senate beim Reichs gericht ist nicht zweckmässig, da ihre Zahl später wieder reduziert werden müsste. Die einheitliche Durchführung des Erundbuchrechts dürfte in einigen Jahren erfaßen. Zur Erhöhung der Rechtsanwalts gebühren sind die Bundesregierungen nunmehr gut achtlich gehört worden. Das Urteil gegen Becker ist noch nicht rechtskräftig, deshalb kann ich mich nicht dazu äußern. Der frühere Land rat Osteroth befindet sich in einer Irrenanstalt. Be züge aus einem Staatsfonds bat er nicht. Aba^ Werner (D. Refptt): Die unsittlichen Schriften und Schauerromane müssen mit allen Mitteln be kämpft werden. Bei dem Vorgehen gegen den Abg. Pölle hat sich di« Grundlosigkeit der Beschuldigungen erwiesen. DcewenigenRechtederÄbgeord- neten müssen unter allen Umständen respek tiert werden. Di« falschen Urteile im Essener Prozess, im Meineidprozess Schulte-Dortmund und die scharfe Bestrafung Beckers müssen aller dings Kopfschütteln Hervorrufen; vom Staats sekretär sind wir indessen überzeugt, dass er keine K l a s s e n j u st i z will. (Bravo rechts.) Abg. Stadthagen (Soz.): Die Signatur unserer Justiz ist allerdings die Klassenjustiz. Das neue Strafrecht muss wirklich modern werden, namentlich hinsichtlich des Koalttionsrechtsschutzes der Arbeiter. Wie mit zweierlei Mass gemessen wird, zeigt ein vom „Borwärts" veröffentlichter G e - Heimerlass (Heiterkeit) de» Kultus ministers, nach dem soziakremokratisch gesinnt« Turnlehrer al» sittlich Minderwertige bezeichnet werden, denen der Erlaubnisschein zu versagen sei. (Vizepräsident Dr. Spahn bittet den Redner, von Erörterungen Abstand zu nehmen, die in derartig losem Zusamenhang mlt dem Thema stehen.) Ich m«ine, der Staatssekretär soll die Bestrafung der Beamten herbeifüyren, die fick in dieser Hinsicht schuldig gemacht haben. Das Essener Urteil, durch das brave Männer ins Zuchthaus geschickt wurden, fällt den Geschworenen zur Last, die geradezu verbrecherisch ihr Votum gefällt haben. Da» Vergehen der Bonner „Borussen" bat Dr. Varenhorst als harmlosen Budenzauber hingestellt, der im Normalzustand der Studenten, der Trunkenheit (Heiterkeit), verübt sei. Wir sind keineswegs blut dürstig, wir wollen nur gleiche Milde auch den Arbeitern gegenüber angewendet wissen (Sehr richtig!), die meist mit drakonischen Strasen bedacht werden. Weshalo wurde gegen die Mörder des Arbeiters Hermann in Moabit nicht vor gegangen, weshalb auch nicht gegen den Polizeipräsi denten und den Minister des Innern, die die Mörder noch lobpreisen und begünstigen. (Glocke; Vizepräsi dent Dr. Schultz ruft den Redner zur Ordnung; Bravo! rechts.) Wir verlangen, dass der Staats sekretär die Verfolgung dieser Mörder veranlasst, da- mit die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Staatssekretär Dr. Lisco: Nachdem der Präsi dent den Borredner schon mit einem Ordnungsruf belegt hat für die Ausführungen, die er über hohe preussische Beamte gemacht hat, kann ich sagen: Ich hab« zu der Angelegenheit nichtsmehr zu sagen. (Unruhe.) Die Worte Stadthagens richten sich selbst. (Beifall rechts; Lärm bei den Sozialdemokraten. Ledebour ruft: Drücke bergerei! Glocke; Vizepräsident Dr. Schultz: Herr Ledebour, ich rufe Sie zur Ordnung! Rufe bei den Sozialdemokraten: Hat recht!) Abg. Seyda-Wreschen (Pole): Der Anerkennung unserer Rechtspflege vermag ich mich leider nickt an- zuschliessen; sie wird vielfach zur Gegnerin der Politik gemacht. (Sehr richtig! bei den Polen und Sozial demokraten.) Zum mindesten sollten eingeborene polnische Dolmetscher verwendet und den Richtern die yakatistische Betätigung verboten werden. Staatssekretär Dr. Lisco: Unrichtig ist, dass das Reichsgericht stets zugunsten der Polizei absichtlich so urteile. Abg. Müller-Meiningen (Fortschr. Dpt.): Auch wir begrüßen die internationale Annäherung in der Rechtspflege, bedauern aber, daß England einem internationalen Wechselrecht Schwierigkeiten macht. Die neuesten grossen Prozesse haben di« Unparteilichkeit des deutschen Richtertums dargetan. Die Ausbildung unserer Juristen muss von Grund aus geändert werden, wollen wir zum Adickesschen Ideal des „Königlichen Richters"» kommen. Mit den Polizeistrafen muss gründlich auf geräumt werden. Der Fall Schönebeck wie der Fall Osterroth beweisen die Mangelhaftigkeit unserer Jrrengesetzgebung. Die Führung des Becker- Prozesses war geradezu unbegreiflich. Durch solche Dinge wird das Vertrauen des Bolkes zur Rechtsprechung erschüttert. (Beifall links.) Der Titel „Staatssekretär" wird bewilligt, ebenso die übrigen Teile dieses Etats ohne Debatte. Eine Resolution auf Hinzuziehung von mindestens drei Rechtsanwälten zu der vorberatenden Kommission für das neue Strafrecht wird nach einer kurzen Bemerkung des Abg. Kirsch (Ztr.) angenommen. — Damit ist der Justizetat in zweiter Lesung erledigt. Nächste Sitzung: Donnerstag 1 Uhr. Petitionen und Militaretat. Schluss 6 Uhr. preußischer Lsnütsg. Abgeordnetenhaus. Berlin, 22. Februar. Am Ministertisch: v. Breitenbach. Präsident v. Kröcher eröffnet die Sitzung 10 Uhr 15 Min. Zunächst werden die Abgg. Romahn (Ztr.) und Wenke (Frers.) vereidigt. Es folgt Fortsetzung der Zweiten Beratung des Eisenbahnetat». Abg. Schröder-Kassel (Natl.) befürwortet den An trag Friedberg nach einer gleichartigen Fest setzung der Gehaltssätze der Eisenbahn- assistenten im Reiche und in Preussen. Redner wünschte bessere Ranganstellungsverhältnisse für Kanzleibeamte, Betriebssekretäre und Weichensteller. Die Bezüge der Eisenbahnarbeiter dürften nicht unter die ortsüblichen Tagelöhne heruntergehtn. Unterstaatssekretär im Finanzministerium Michae lis: An der Besoldungsordnung darf auf Jahre hinaus nichts geändert werden. Wir sind aber bereit, im nächsten Etat eine Summe einzu stellen, um die Härten der Gehaltsverhältnisse der Eisenbahnassistenten auszugleichen. Minister o.- Breitrnbach: Die oorgetragenen Wünsche werden wohlwollend geprüft. Die Ungleichheiten der Loynverhältnisse in den einzelnen Direktionsbezirken sollen beseitigt werden. Betreffs der Akkordlöhne sollen Sachverständige und Arbeiter vertreter gehört werden. Abg. Viereck (Freikons.): sprach dem Minister die Anerkennung für die ausreichende Lage der Arbeiter aus. Mit Recht würde diesen die Verpflichtung auf erlegt, die ordnungsfeindlichen Bestrebungen fern» zuhalten. Wir hoffen, dass der soziale Geist, der vom Eisenbahnministerium ausgeht, das Vertrauensver hältnis zwischen dem Minister und den Angestellten festigt. (Beifall.) Abg. Delius (Freis.): Den Eisenbahnarbeitern muss eine ausreichende Fürsorge zuteil werden. Wir müssen bestrebt sein, die Härten und Ungleich heiten in der Besoldung auszugleicken. Abg. Hennigs-Techlin (Kons.): Eine Gleichstellung der Ersenbahnassistenten mit den Reichseisenbahn- asfistenten muß erfolgen, soweit sie mit den Grund sätzen der Besoldungsordnung vereinbar ist. Die berechtigten Wunsche der Beamten müssen möglichst berücksichtigt werden. Minister v. Breitenbach: Leider können wir nicht alle Wünsche der Beamten erfüllen. Wenn wir bestrebt ^sind, in vielen Fällen einen Aus gleich mancher Härten zu schaffen, so darf man uns nicht vorwerfen, daß wir aus einer Hand geben und aus der anderen nehmen. Abg. Korfanty (Pole): Es scheint, al» ob sich Vbe Beamten zu einer besonderen Unhöftlchkeit gegen die polnische Bevölkerung verpflichtet fühlten. Minister von Breitenbach: An den Grundsätzen über die Verwendung des Ost markenfonds kann nichts geändert werden. Dass die polnische Sprache verfolgt und ausgemerzt werden soll, ist unzutreffend. Dagegen ist es eine erste grundlegende Vorschrift, daß die Angestellten der Eisenbahn- verwaltung Deutsch sprechen. (Beifall.) Abg. veinert (Soz): Der Minister sprach die Er wartung aus, dass es zu einem Eisenbahner streik nicht kommen werde. Die ganze Behandlung der Arbeiter bietet S^ff genug, der zu einer Explo sion führen könnte. - Nr. S< los. Iahrsrms. Minister »»» vrettentach führte aus: Die Ein- kommenoerhältnifse der Arbeiter bessern sich jährlich. Selbst zu Zeiten wirtschaft lichen Niedergangs erfolgten Lohnaufbesserungen. Auch die passive Resistenz des Personals, die der Vor redner andeutete, werden wir bekämpfen. (Lebhafter Beifall.) Abg. König (Ztr): Die Sozialdemokraten wollen nur das Volk aufpeitschen. Eine Gleichstellung der Assistenten halten wir für erwünscht. Im übri- gen bitte ich den Minister, di« Wünsche der Beamten wohlwollend zu prüfen. Nächste Sitzung Dünnerstag 10 Uhr. Herrenhaus. Am Ministertische Minister v. Dallwitz Präsident von Manteuffel eröffnete die Sitzung um 2 Uhr 18 Min. Zunächst wurden di« neu berufenen Mitglieder v. Lindequist und Platbe in der üblichen Weise vereidigt. Es folgte die Beratung eines Entwurfs zur Ab änderung der Gemeindeordnung in der Rheinprooinz. Minister des Innern v. Dallwitz: Der Entwurf bezweckt, den Einfluß auf die bodenständigen Elemente, die «in besonderes Interesse an der Gemeinde haben, zu stärken. Die Neuerungen sol len den Wünschen der Provinz entsprechen. Wir hoffen, daß der Entwurf eine neue gesunde Grundlage für rheinische Gemeinden bildet. (Bravo!) Zu Artikel 2 des Entwurfs beantragt« Abgeordne ter Seyen, dass auch weibliche und unter Dor mundschaft und Pflegeschaft stehende minderjährige Personen Vertreter zum Eemeinderat stellen könnten. Der Minister bat, den Antrag a b - z u l e h n e n. Der Antrag Seyen wurde angenommen. Zu Artikel 3 lag ein Antrag« Hoensbroech- Pletten berg vor, die O e ffe nt l i ch k e i t für Sitzungen des Gemeinderats auszu- schlie ßen. Gegen den Antrag sprachen Oberbürger meister Funke, Minister v. Dallwitz und Ober bürgermeister Bender; dafür Lands berg - Steinfurt und B u s ch - Zarmzow. Der Antrag Hoensbroech wurde angenommen und darauf das ganze Gesetz nach kurzer Debatte angenommen, ebenso der Entwurf betr. Abänderung einiger Amtsgerichtsbezirke. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. Der MiMSretst in der Luüget- kommillilln. Da die Verhandlungnen über das Tempel- hofer Feld am Dienstag nicht stattfanden, wurden die zu dieser Frage eingegangcnen Petitionen zurückgestelftt. Die sonstigen Eingaben, über die nach Bewilligung des Restes der einmaligen Aus gaben dann ziemlich eingehend verhandelt wurde, betrafen vornehmlich Beamten- und Arbei terfragen. Bei einer Eingabe der Verwal tungsschreiber bei den technischen Institutionen entspann sich eine Aussprache über die grundsätzliche Frage der Vermehrung von Beamtenstellen. Die Heeresverwaltung hält die Anstellung eines Teiles dieser Schreiber als Beamte an und für sich für wünschenswert. Die Reichsfinanzverwal tung erklärt sich grundsätzlich gegen jedeAen- derung des Besoldungsgesetzes. Diese Petition wurde durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt, ebemrso die Mehrzahl der sonstigen Eingaben; einige werden der Regierung zur Erwägung überwiesen. Die Nationalliberalen haben den An trag gestellt, auf Streichung folgender Stellen, wobei natürlich die entsprechenden Folgerungen bei den weiteren Etatskapiteln gezogen werden sollen: Zwei Armeeinspekteure^ die Gouver neure in Berlin, Köln, Mainz und Ulm, sowie die Kommandanten in Altona, Breslau, Karlsruhe, Magdeburg und Spandau, nebst den zugehörigen Generalstabs offizieren und Adjutanten. Von fortschritt licher Seite wurde beantragt, diese Liste auf den Gouverneur von Glogau auszudehnen. Be gründet wurde der Antrag der Nationalliberalen mit der Rücksicht auf die notwendige Sparsamkeit. Der Kriegsminister wendet sich gegen den Antrag mit aller Entschiedenheit. Durch die Streichung der Stellen würden vitale Interessen des Heeres geschädigt. Die Stellen der Armeeinspekteurc wie die der Gouverneure und Kommandanten seien weder im Frieden noch im Kriege entbehrlich. Der Kriegsminister geht näher auf die Tätigkeit der ein zelnen im Frieden und im Kriege ein und zieht zum Vergleich die Verhältnisse in Frankreich heran, wo die Notwendigkeit derartiger Stellen weit über das bei uns vorgesehene Mass hinaus anerkannt worden sei. Wenn wir uns mit diesen wenigen Stellen be gnügten, so geschehe das lediglich in Rücksicht auf die Finanzlage. Dies« Stellen seien aber auch im Inter esse der Altersverhältnisse im Offizierkorps durchaus erforderlich. Der Kriegsminister gibt Zahlen über die jetzt schon zu befürchtende Ueberalterung im Offizierkorps. Der Pensionsfonds soll nicht steigen. Wenn dann noch höhere Stellen gestrichen würden, gebe das unhaltbare Zustände. Ein Vertreter des Zentrums bezeichnet den Antrag als W a h l m a n ö v e r. Auch von konser vativer Seite wird der Antrag bekämpft. Bon nationalliberaler Seite wird gegen die Bemerkung des Zentrumsredners entschiärener Einspruch er hoben; der Antragsteller verweist darauf, dass ver schiedene Stellen gleicher Art im Laufe der Zeit ohne Schädigung der Armee bereits gestrichen worden seien. Man müsse sparen, wo das irgend möglich sei. Ein Vertreter der Sozialdemokraten folgert di« Ent behrlichkeit der Armeeinspekteurstellen daraus, dass sie zumeist mit Prinzen besetzt seien. Der Kriegs Minister legt Verwahrung ein gegen eine solche Mindereinschätzung von Angehörigen regierender Häuser und verweist auf die Heerführer von 1870/71. Am Mittwoch setzt« die Kommission die Debatte über den ursprünglich von den Nationalliberalen ein gebrachten, von diesen zurückgezogenen und sodann von der Fortschrittlichen Bolkspartei und den Sozialdemokraten wieder aufgegriffenen An trag fort. Bei der Abstimmung wurden zwei Armeeinspekteure gegen di« Stimmen der So zialdemokraten, die Gouverneur« und die Kommandanten gegen die Stimmen der Fort schrittlichen Dolksoartei und der Sozialdemokraten bewilligt. Zwei Nationalliberal« enthielten sich der Abstimmung. Die Kommission bewilligte ferner di« Forderungen für strategische Bahnen. Literarisch« Anzeigen. Sott in ckec ttugr! (v. C. tkirckner). In »llen 8uebd>n«llung«n (SO ^sg.) Verleg Sruno Volger, l-eiprig-6obiir.
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