Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 26.02.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-02-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191102264
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110226
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110226
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-02
- Tag 1911-02-26
-
Monat
1911-02
-
Jahr
1911
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
probe, wie sie die kommunale Btersteuer doch Ichließlich darstellt, aushalten kann. Deshalb halten wir es auch aus politischen Gründen für unsere Pflicht, vor Schritten ru warnen, die uns unter Umständen in die Desahr bringen können, den Wahlkreis Leipzig.Stadt wieder an die Sozial demokratie zu verlieren. Oss ksdlnett Brlsnü vor üer Demilvon. Ueber Mittag hat sich das Schicksal des Kabinetts Briand erfüllt. Am Freitay vormittag noch hatte die Regierung bei der Abstimmung über den Bau zweier Panzerschiffe eine grosse Mehrheit für sich — am Nachmittag war diese aus 16 Stim men zusammenaeschrumpst. So energisch hatten die radikalsozialtstiichen Abgeordneten Paul Meunier und Malvy der Dr,andschen Kirchenpolitik zugesetzt. Während Meunicr nur Allgemeinheiten über die gegen die Orden cinzuschlagende Politik jagte, kam Malay mit vernichtendem statistischen Material. 1902 gab es 2048 geistliche und 505 weltliche Privat- ichulen für Knaben; 1907 betragen diese Zahlen 9677 weltliche und 260 geistliche Schulen. Die Zahl der weltlichen Mädchenschulen betrug M)2 1740, die der geistlichen 11000: 1907 war die Zahl der weltlichen Mädchen ¬ schulen auf 8619 gestiegen, die der geistlichen auf 1168 gefallen. Es ist ganz klar, daß die früher geistlichen Schulen sich einfach zum Schein in weltliche verwandelt haben, ohne dass jedoch an ihrem Personal und der Unterrichtsmethode das geringste geändert worden Jur RUlkrelle ües Kronprinzen. . Wie wir bereit» in unserm gestrigen Abcndblatte berichteten, ist der deutsche Kronprinz am Sonnabend in Bombay eingetrossen. Nachmittags begab er sich an Bord der „Arad ia", die unmittelbar daraus die Anker lichtete. Der deutsche Gesandt« in Kalkutta, von Trrutler, erklärte dem Vertreter des „Reuicrsä)«n Bureaus" im Namen des Kronprinzen: „Seine Hoheit bringen aus Indien die inter- essa niesten und erfreulichsten Ein. drücke mit. Besonders schätze er die liebens würdige Gastfreundlichkeit und die freundlichen (befühle, die ihm, wo er auch reiste, privat und öffentlich, in der Presse bezeigt worden seien. Diese höchst angenehmen Erfahrungen werde der Kronprinz niemals vergessen. Indien werde in seinem Herzen einen hervorragenden Platz be halten. D>e Reise sei durchaus erfolgreich ge wesen. Ganz besonders habe der Kronpinz sich für die Nordgrenze interessiert und hier namentlich für di« Gegend am Khaibarpaß und dafür, wie die wenigen Leute hier in dem wilden Grcnzlande die Ordnung aufrecht erhielten. Aus den Jagden habe er einen Einblick gewonnen in das Leben der Land bewohner. Er sei allen Problemen in der Zivil verwaltung rege nachgegangen und habe sich mit zahlreichen Beamten der Regierung über die Fragen der Hungersnot, des Unterrichts und der öffentlichen Einkünfte eingehend unterhalten so wie alle Bauten von historischem und architek tonischem Interesse besichtigt. Er habe das mili tärisch« System genau studiert und hege die größte Bewunderung für die glänzenden britischen Truppen in Indien. In gesellschaftlicher Beziehung habe der Kronprinz die größten Erfolge erzielt. Alle Klassen seien erfüllt von seinem böslichen, bezaubernden, natürlichen und doch würdigen Wesen. Auch die deutsche Reise begleitung habe sich sehr beliebt gemacht. Der herzlich« Empfang des Kronprinzen sowie d«r Be satzungen der deutschen Kriegsschiffe sei dazu an getan, di« Freundschaft der Engländer und Deutschen in Kalkutta zu festigen." wäre. 2OM unerlaubte Ordensgemeinschaften seien dem Ministerpräsidenten durch die Prcftctten ange- zeigt worden, weshalb gehe er nun nicht gegen diese vor? Briand antwortete temperamentvoll, aber nicht immer überzeugend. Das Resultat waren die Tages ordnungen Malvy» und Drdlons, die über da» Sein oder Nichtsein des Kabinett» entschieden. Bei den verschiedenen Abstimmungen wurde die Regierung». Mehrheit immer geringer — bis sie auf 16 Stimmen zusammenschmolz, in der sich noch die Stimmen der Minister und Unterstaatssekretäre befinden sollen! Die Minister versammelten sich gleich nach der Sitzung um 10', Uhr abends, um angesichts der geringen Mehrheit über ihr weiteres Verhalten Beschluß zu faßen. Zwei Ansichten machten sich geltend. Es heißt, die eine werde zugunsten der Demission des Kabinetts von Pichon und Dupuy vertreten, die andere sei gegen den Rücktritt des Kabinetts gerichtet. Deren Anhänger sind der Ansicht, daß das Kabinett bleiben müße, und machen hierfür geltend, daß der Rück tritt des Kabinetts, nachdem das Vertrauen von der Mehrheit ausaciprochcn worden sei, einen Präze denzfall schaffen würde, der schwere Folgen zeitigen würde. Die Lösung dieser Krisis wäre beiouders be schwerlich, da sich aus der Abstimmung der Kammer kein Fingerzeig dafür ergebe. Briand habe sich keineswegs durch die wachsenden Schwierigkeiten seiner Aufgabe entmutigt gezeigt und den Amts- oenoßen nicht den geringsten Eindruck persönlicher Neigung zum Rücktritt gemacht. Er gebe sich viel- mehr Rechenschaft über den Ernst der Lage, die durch seinen Rücktritt geschaffen würde, und wolle nicht in den Stunden, wo die Aus übung seines Amtes eine Desahr darstellen könnte, als Deserteur erscheinen. Er werde sich also nur von den Interessen der republikanischen Partei beeinflussen lassen. — Die Deputierten, die noch am Abend Briand besucht hatten, drückten die Meinung aus, da» seine Autorität keineswegs geschwächt sei. Die dem Ministerium ergebenen Blätter tadeln das Vorgehen der Opposition in scharfer Werse. Die „Action" schreibt: „Wenn das Parlament vor dem Lande das republikanische Regime nicht dislrcditieren will, dann wird es gut daran tun, solche Ränke spiele wie das gestrige nicht oft zu wiederholen." — Der „Rappel", das Organ der regierungsfeind lichen Radikalen, sagt: „Es ist sehr tröst- lich zu sehen, daß das Parlament seine Forderung nach einer gleichzeitig nationalen und demokratischen Politik der Verweltlichung durchsetzen will. Die konservativen und die gemüßigten Blätter machen kein Hehl daraus, dah sie das Verbleiben des Ministeriums wünichen, da dieses sonst einem Combtstischen Ministerium Platz machen würde. Noch ist die Entscheidung nicht endgültig ge fallen, aber sie erscheint sicher und zwar zuun gunsten eines weiteren Bestandes des Kabinetts Briand nach folgender Depesche der offiziösen „Aaence Havas , die aus Paris meldet: Alan hält es für sicher, daß das Kabinett Briand Montag nachmittag zurücktreten wird. Deutsches Keich. Leipzig, 26. Februar. * Eine Uebergehung der sächsischen Handelskam mern. „Wolffs sächsischer Landesdienst" schreibt: Zeitungsnachrichten zufolge hat vor einiger Zeit im Auswärtigen Amte eine Besprechung über das Konsulatswesen des Reiches stattgesunden, zu der auch Vertreter von Handel, Industrie und Schiff fahrt zugezogen wurden. Durch eine Umfrage bei den übrigen sächsischen Handelskammern stellte die Dresdner Handelskammer fest, daß teine sächsische Handelskammer eine Aufforderung zur Ent sendung eines Vertreters erhalten hatte. Auf An regung der Kammer erhob die Handelskammer Leipzig als derzeitiger Vorort des sächsischen Han- delskammertages wegen dieser Uebergehung der säch- fischen Handelskammern beim Ministerium Be schwerde. * Da» Disziplinarverfahren gegen Dr. Wünsch«, Lehrer an der 29. Bezirksichule In Leipzig, hat am Freitag nachmittag seinen Abschlug gesunde». Dr. Wünsche hat eine „Ermahnung" erhalten. Er wird aber, wie verlautet, Berufung gegen das Urteil ecnlegen, weil keiner der von zhm be nannten Zeugen vernommen und der Einlauf einer schriftlichen Eingabe feines Rechtsbeistandes zu dieser Angelegenheit nicht adgewartet worden sei. * Konservative Wahrheitsliebe. Aus Dresden wird uns geschrieben: ^Bekanntlich weisen die sächsi schen Konservativen bei jeder Gelegenheit den Vor wurf, sie bevorzugten die Landwirtschaft vor der In dustrie, mit höchster Entrüstung zurück und beteuern, daß sie so industriefreundlich wie nur möglich seien. Wie cs in Wahrheit mit ihrer Sympathie für die Industrie aussieht, beweist schlagend ein Bericht der „Deutschen Tageszeitung" (Abendausgabe vom 22. d. M.) über die Generalversammlung des Verbandes sächsischer Industrieller. Aus jeder Zeile spricht das Beftreben,dieIndustrleh«rabzusetzen. Der Besuch der Versammlung wird als „recht dürftig" bezeichnet, dabei hat der Berichterstatter d«r eigent lichen Mitgliederversammlung gar nicht beige- wohntl Weiter heißt es m dem Bericht: „Sehr zahlreich waren die Minister und die höheren Beam ten erschienen. Als vor Jahr und Tag einmal ein sächsischer Minister der Hauptversammlung des Bun des der Landwirt« in Dresden beiwohnte, wurde ihm damals von industrieller Seite ein schwerer Vorwurf gemacht." Weiß man etwa auf koniervativer Seite nicht mehr, wie gerade die Konservativen Anfang Dezember 1905 über Geh. Regierungsrat Steglitz vom Ministerium des Innern herficlen, als Lieser der Versammlung Les Verbandes süchsiicher Industrieller brigewohnt Haire, auf der Hofrat Kolbe die von der Regierung eingebrachte Vorlage, betr. Reform der Ersten Kammer, mit vollem Recht als eine Belei digung der Industrie bezeichnet und der Re gierung einmal kräftig die Wahrheit gegeigt hatte, weil sie ganz im agrar-konservativen Fahrwasser segele. Erst daraufhin wurde von liberaler Seite der Einwand erhoben, wenn die Konservativen die An wesenheit eines Geh. Regierungsrates auf der Tagung des Verbandes sächsischer Industrieller bemängelten, dann sei es wohl erst recht unangebracht, wenn ein Minister sich an der Versammlung des Bundes der Landwirte beteilige. Aber das Beste kommt noch. Die „Deutsche Tagesztg." läßt sich bericht«»: ^Eigen tümlich war es, daß nur die Berichterstatter liberaler Blätter zugelassen wurden." Daoei saß am Presse tisch ausgerechnet ein einziger ausgesprochen liberaler Journalist, wohl aber neben zwei anderen Herren, dem Vertreter eines Leipziger Blattes und dem Herausgeber einer Dresdener Korrespondenz, ein Vertreter des „Dresdner Journals" und ein solcher des „Vaterland", von dem wir wißen, daß er regelmäßig für die „Deutsche Tagesztg. korrespon diert. (Die Namen der Herren stehen auf Wunsch zur Verfügung.) Daß das „Dresdner Journal" und Las „Vaterland" liberale Blätter wären, wird man doch nicht gut behaupten können." * Der konzessionierte Sächsische Schifferverein hielt am Sonnabend unter überaus zahlreicher Teilnahme aus ganz Sachsen in Dresden seine 66. ordent liche Hauptversammlung , ab. Derr Vorsitz führte Direktor Curt Fischer von der Sächsisch- Böhmischen Dampfschiffahrtsgeselljchaft. Der gedruckt vorliegende Jahresbericht sowie der Kassen bericht wurden einstimmig genehmigt und dem Gesamtvorstande Entlastung erteilt. Den wichtigsten Punkt der Tagesordnung bildete die Stellung- «ahme de» Verein» « d« denbsichttaten Ver legung der Wasserübnngen der Dr«»dn«r Pioniere nach der Welenitz-Mündnng bei Pratzschwitz. Direktor Fischer wie» daraus bin, dah er besonder» di« Interessen der Sächsisch-Böh mischen Damvfschiffakrt»g,s«llschaft durch dies« Ver legung de» Ptonierüouna»platze» beeinträchtigt seh«, obwohl das Königliche Krieasmintsterium ihm eine ausführliche Darlegung der Verhältnisse hab« zugehen laßen. Die untere Strecke der Elbe sei bedeutend schwächer frequentiert al» die ober«, we»balb auch eine erhöhte Störung der Personendampfschiffahrt zu befürchten sei. Für die größeren Uedungen der Pioniere seien 18 Tage angesetzt. Direktor Petter» von den Vereinigten Elbeschtssahrtsgesellschaften hob hervor, daß auch die Fracht- und Schleppschiffahrt durch die Verlegung des Pionierübungsplatze» nach der Oberelbe bedeutende Störungen erleiden werde. Besonders befürchtete er eine Steigerung der Havarie gefahr und der Betriebsstörungen. Schiffseigner Schmidt-Schandau erklärte als Vrivatscbiffer, daß ein Ankerplatz bei Vogelgesana viel besser sei al» rin solcher bei Meißen, worauf Herr Direktor Petters empfahl, den jetzigen Platz beizubehalten. Herr Major Löffler, welcher der Sitzung im Auftrage des Kriegsministeriums beiwohnte, betonte, daß das Kriegsministerium den Eindruck habe, daß die Elpe oberhalb Dresdens übersichtlicher sei als unter halb. Außerdem solle erörtert werden, ob sich viel leicht der von der Schiffahrt nicht benutzte Elbarm bei der Pillnitzer Insel zum Bau von Brücken mit vorbereitetem Material eigne. Mit den Industriellen von Pirna lei bereits eine Einigung erzielt worden. Allerdings kei eine Verlegung des Truppenübungs platzes nach einer anderen Stelle nicht möglich. Die Versammlung erklärte sich mit den Ausführungen des Herrn Major Löffler zufrieden. S * Zur Erörterung des Abschlüsse» eine» »eve» Handelsvertrags mit Schweden ist vom Staatssekretär des Innern, Staatsmimster Dr. Delbrück, der Wir t- schaftliche Ausschuß auf den 8. März einbe rufen worden. Die Sitzung findet im Reichstag»- gebäude statt. Im Zuge der Besprechungen, die die Reichsverwaltung andauernd mit den deut schen Interessenten über die im Laufe der deutsch - schwedischen Handelsvertragsoerhandlungen auftretenden Fragen abbält, hat neuerdings eine Konferenz in Dera nut Vertretern der dortigen Kleiderstofsindustrie stattgefunden, an der auch In dustrielle der D r e i z e r Wollgewebeindustri« teitze- nommen haben. Für die nächsten Tage sind Be sprechungen mit Vertretern der chemischen Industrie, der Industrie landwirtschaftlicher Maschinen, der elektrotechnischen und der Jnstrumentenindustrie in Aussicht genommen. * Zur Vereinbarung eine» einheitliche» Wechsel rechts wird, wie wir hören, im Herbst d. I. in Haag eine neue Konferenz zusammentreten. Die letzten Verhandlungen über diese Materie hatten jüngst im Reichsjustizamt stattgefunden. Der von der ersten Konferenz zur Vereinheitlichung de» Wechselrecht» aufgestellte Entwurf, d«m die Vertreter der Länder des deutschen und französischen Wechselrechtssystems zugestimmt hatten, dem England aber nur unter Voroehalt zustimmen konnte, hat die Zustimmung der hinzugezogenen juristischen und wirtschaftlichen Sachverständigen Deutschlands im allgemeinen ge funden. Di, im Herbst stattfindende Konferenz wird den Schlußstein aller bisherigen Verhandlungen bilden. * Presse und Regierung. Der neugegründete, bayerische,Lande»verband des Reich»- v «5 si ».8 VeF .d« r d e »ts ch en Fpe ii e. hat^d^n führenden Behörden von seiner Existenz Kenntnis ge geben. Es ist darauf an den Vorstand, Chefredakteur Dr. Mohr, em bezeichnendes Schreiben Les bayrischen Staatsministeriums d. Ae. gelangt, in dem es u. a. heißt: „Die Staatsregierung erblickt in ser Gründung eine wertvolle Bürgschaft dafür, daß in persönliches vom König MMmmü von vlllgsrien. Don Paul Lindenberg. (Nvikdruck verboten.) Der 50. Geburtstag des Königs Ferdinand am 26. Februar bot der politischen Feder dieses Blattes schon Gelegenheit, auszuführen, was der König in seiner nun bald 24jährigen Regierungszeit politisch und wirtschaftlich für sein Land geleistet. Nach dem vielfach sehr erregten Wirrwarr der Meinungen über ihn al» Herrscher ist ja jetzt in diesen Beurteilungen mehr Ruhe ein getreten, und hebt sich jetzt in objektiverer Schilderung sein eigenartiges Bild vom zeitgcschicht- licyen Hintergrund ab. So oft der König auch Gegen stand der verschiedenartigsten politischen Erörterungen und Betrachtungen war, so wenig weiß man eigent lich von seiner Persönlichkeit, von seinem Sichgeben, von seinen Neigungen die außerhalb seines Herr- scherbcrufes liegen, wie von feiner Häuslichkeit. Und wenn hin und wieder dies oder jenes davon berich tet wurde, so waren die Mitteilungen meist dem Hörensagen — jeder, der den Orient kennt, weiß was das bedeutet — entnommen oder waren teil weise auch aus recht unlauteren Quellen geschöpft, deren Ursprung mit parteilichen Verdächtigungen und diplomatischen Kniffen des öfteren zusammenbing. Mag sein, daß der König auch selbst da^u Veranlas sung geboten: denn abgesehen von den Stimmungen, denen jeder Mensch unterworfen ist, und von denen sich auch der ruhigste wie geduldigste Fürst — und zu diesen zählt König Ferdinand durchaus nicht — frei- machen kann, versteht es der König, hinter einer ge laßenen Oberfläche sein inneres Sein zu verbergen. Von früh an eine scharf beobachtende und still verarbeitende Natur, brauchte der König nicht erst infolge trüber Erfahrungen zu lernen, seinen Ge danken, Plänen, Erwartungen nicht jederzeit Tür und Tor zu öffnen. Viel Undank hat er in seinem Leben erfahren, von manchem seiner Vertrauten sah er sich getäuscht und htntergangen, aber desto mehr drängte es ihn, jenen seine Freundschaft und Dank barkeit zu beweisen, die er als treu und zuverlässig erkannt. Nur ein Beispiel für viele: als im ver gangenen Jahre sein früherer Erziel-er und späterer Sekretär, P. von FleUchmann, der sich von Anfang an liebevoll in die Seele seines Zöglings versenkt und dessen ganzes vertrauen sich zu erwerben ge wußt, ernsthaft erkrankt war und sich genötigt sah, einen längeren Aufenthalt in Südtirol zu nehmen, war des Königs Sorge um ihn groß: nur um sich von seines einstigen Begleiters Befinden zu überzeu gen, reiste er von Wien nach Meran und drückte in rührender Weise seine Freude aus, als er sich persönlich von einer Besserung des Leidenden überzeugen konnte. Dankbar weiß der König jealiches Verdienst anzuer kennen und spricht mit herzlicher Wärme von jenen Persönlichkeiten, die sich jeine Achtung und Ver ehrung erworben. So vor allem von dem österreichi schen Kaiser, zu dem er mit warmer Verehrung cmporblickt, und vom König Karl von Rumänien, mit Bewunderung rühmend, was letzterer in unermüd lichem Aushalten für sein Land geschaffen, betonend, daß ihm dies oft ein Vorbild gewesen. Ein außerordentlich sympathischer Zug im Cha rakter des Königs ist seine tiefe Neigung zur Natur, die er sich trotz seiner zahllosen ernsten Pflichten und wichtigen Verhinderungen zu bewah ren gewußt. Schon in seiner ersten Jugend, die er bekanntlich in Wien verlebte, waren Naturwissen schaften und Geographie, neben Geschichte, seine Lieb lingsfächer, die er je gründlicher desto lieber hatte. Der Aufenthalt auf den väterlichen Gütern in Oester reich und Ungarn während des Sommers wurde be nutzt, um Blumen und Pflanzen aller Art. Schmet terlinge, Raupen und Puppen zu sammeln, sorgfältig zu pflegen und mit wissenschaftlichem Eifer zu unter suchen, wobei den jungen fürstlichen Sammler sein vorzügliches Gedächtnis auss ocste unterstützte. Um fassende wissenschaftliche Werke über Ornithologie, Botanik, Schmettcrlingskunde erhöhten seinen Eifer, während ihm Blumen, Vögel und Schmetterlinge auch als Vorlagen für Malerei, in der der junge Prinz Tüchtiges leistete, dienten. In einer Unterhaltung bob der König hervor, daß er sich etwas darauf cinoildc, den bulgarischen Bauern, nicht ohne viele Mühe, gelehrt zu haben, Wald und Baum nicht als seinen Feind, sondern als seinen Freund anzuseben. Aus des Königs unermüd liches Drängen und auf seine steten persönlichen An regungen und Anspornungen darf man auch die schnelle Ausbreitung des Eisenbahnnetzes, Las heute Bulgarien durchzieht und das in kurzem die wichtig sten Ergänzungen erfährt, zurückführen. Gerade in Eisenbahnangelegenheiten kann man den König, der wiederholt Fahrten auf der Lokomotive unternommen und sich hierbei eingehend bekannt machte mit den maschinellen Einrichtungen, als einen erprobten Fach mann betrachten, der auf diesem Gebiet die gründlich sten Kenntniße und Erfahrungen besitzt, auf das ge naueste Bescheid wißend in allen europäischen Der- kehrsangelegenheiten und auf das intimste vertraut mit allen dasselbe betreffenden Fragen, neuen Er findungen und geplanten Erweiterungen. Auch der Luftschrffahrt widmet der König neuerdings sein leb haftes Interesse, im Juli vergangenen Jahres nah« Brüssel an einem längeren Fluge in einem .Larman- schen Zweidecker" teilnehmend. Auf seinen Reifen ist der König ein sehr aufmerksamer Beobachter unü merkt sich sehr genau, was für sein eigenes Reich von Bedeutung ist. Gern zieht er dabei direkte Erkun digungen ein und macht keinen Unterschied zwischen hoch und niedrig, arm und reich. Ein das Wesen Les Königs kennzeichnendes Vegeonis wurde mir von wohlunterrichteter Sette mitgeteilt. A.s im letzten Herbst König Ferdinand und seine Gemahlin im Hof zug Lie Prinzessin Elisabeth, eine Schwester der Köni gin, bis zur seroischen Grenze begleiteten, bemerkte die Königin in der Grenzstation Lzaribrod, daß sich ein junger, schlechtgekleideter Mensch an den Hossalon- wagen heranschlich. Sie machte den König aufmerk sam, der gerade den Wagen verlaßen wollte, und im >elben Augenblick wurde der Verdächtige von dem wachthabenden Gendarmen festgenomme . Der König trat heran, hörte von dem Polizisten, daß es sich um einen wegen Verdachts des Anarchismus Ausgewie- senen, der aus Bulgarien abgeschoben werden solle, handelte, und befahl dem Beamten, sich zuruckzu- ziehen; er forderte den Unbekannten auf, ihm rn ien Waggon zu folgen, und ließ sich dort mir ihm cn eine längere Unterhaltung ein, wobei der junge Mann aul alle Fragen intelligente Antworten gab. Nach Beendigung des Gespräches, das sich haupftächl-.ch um den Anarchismus gehandelt, beschenkte der König oen oa Lieser Aufnahme sehr erfreuten Verhafte:« n und gab persönliche Anordnungen, daß man ihn bei der Weiterbeförderung gut behandeln solle. Wir gedachten schon des ersten Erziehers und Prioatsckretär des Königs, Herrn von Fleisch mann, außerdem beschäftigt der König deutsche Botaniker, Museums- und Eartendirektoren, zu ihnen gesellen sich als Deutsche der Leibarzt, dann der Oberstallmeister uiid noch dieser und jener im Dienste des Königs. Auch die zur nächsten Umgebung gehörenden hohen Beamten, wie der umsichtige und liebenswürdige Chef des Geheimen Kabinetts, S. Do- browitsch, sprechen auf das tadelloseste deutsch, haben wohl auch in Deutschland studiert, so Ler frühere Kultusminister Dr. I. Schichmanow, der in Sofia einen „Verein alter Leipziger Herren" begründete, und wissen genau Bescheid in allen Deutschland und Oesterreich betreffenden Angelegenheiten. Mehrmals im Jahre, vor allem an Len Deburts- und Todes tagen seiner in der Kirche St. Augustin in Coburg unter herrlichen Marmorsarkophagen beigesetzten Eltern, weilt der König in der Thüringischen Heimat seines Geschlechtes, zu dessen Angehörigen er stets enge Beziehungen unterhalten. Auch in den künstlerisch«» Neigungen des Königs gelangt sein deutsches Geblüt zum Durchbruch. Er ,st ein leidenschaftlicher Verehrer Wagner», ist ein feiner Aesthetiker durch und Lurch, da» beweist er in der vornehmen Aus schmückung seines Palais in Sofia und in seinen in Wien wie auch in München und anderen Städten ge machten Bilderankäusen: Franz Stucks „Lucifer", jenes packend« Gemälde voll düsteren Mystizismus, hat einen Ehrenplatz erhallen, nicht minder die Werke der ersten österreichischen Künstler. Aber auch die sehr strebsame und tüchtige bulgarische Kunst schätzt der König und sucht sie, wo es geht, zu fördern, nicht nur Lurch Ankäufe, sondern indem er aus seine Kosten junge bulgarische Künstler in das Ausland schickt, damit sie ihre Studien dort fortsetzen und vollenden. Dem energischen Eintreten des Königs ist es haupt sächlich zu danken, daß die Nationale Schule der ichönen Künste in Sofia errichtet und fortgesetzt er weitert ward, was durchaus nicht immer im Sinne einzelner Ministerien war, und daß sie bald ihr prächtiges neues Heim beziehen kann. Auf des Königs Veranlassung wurden und werden allwinter lich in Sofia wissenschaftliche Vorträge gehalten, denen er, um Las Jntereß« für dieselben zu fördern, mit seiner Gemahlin und den Mitgliedern des Hof staates beiwohnt. Ebenso ließ er cs bei der Hebung der Volksbildung nich: an wichtigen direkten Vor schlägen fehlen und spendete auch für Liese Zwecke freigebig aus seiner Privatschatulle. Im persönlichen Verkehr kann der König von gewinnendster Liebenswürdigkeit, von freund lichstem Entgegenkommen sein, in der Unterhaltung mit reicher Anregung viel Wichtiges und Fesselndes behandelnd. Von ungewöhnlicher Belesenheit in der Weltliteratur, verfolgt er aufmerksam die geistigen und jchönwißenschaftlichen Strömungen der Völker, gern des näheren auf einzelne hervorragende lite rarische Erscheinungen emgehend. Modernen, leb haft bewegten Geirtes, ist' sein Intereßenkreis ein umfaßender; mit großer Objektivität erschöpft er viele bedeutsame Themata, sucht aber auch die Ansichten jener, mtt denen er sich unterhält, zu erfahren und weih ein offenes Wort durchaus zu schätzen. Ohne jegliche Voreingenommenheit spricht er davon, wi« oft man ihn und sein Wirken für den Staat ver kannt, aber daß darin allmählich doch ein Umschwung eingctreten, zuerst in Oesterreich, dann auch in DeutschlanL. Ist die Königin zugegen, so wendet sich der König oft an sie mit Fragen und Erläuterungen: „Weißt du — du besinnst dich vielleicht darauf — ich glaube, ich erzählte dir schon davon —", und man merkt dem König die Freude an. wenn er der Königin, die sich schnell in ihrer neuen Heimat Beliebtheit er- worben, dies und das aus Bulgariens Vergangenheit und Geaenwart erklären kann. Besonders gern geht ja der König in seinen Unterhaltungen auf Eigenart und Weien des Bulgarentum» ein, die Vorzüge des selben rühmend heroorhebend und einzelne» Charak teristische fein kennzeichnend, seinen Erwartungen auf die gedeihliche Zukunft Bulgariens bei der Tüchtig keit de» Volke» und den natürlichen Reichtümern de» Lande» stets lebhaft Ausdruck gebend.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)