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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.02.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191102198
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110219
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110219
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-02
- Tag 1911-02-19
-
Monat
1911-02
-
Jahr
1911
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Nr. SO. l0S. Ialirynno dürste, werden die nachfolgenden Mitteilungen über Württemberg zeigen. Die Zahl der politischen Zeitungen betrug dort 199 (einfchl. eines katholischen Sonntasvlat- tes und der Halbmonatsschrift des Bunde» der Land wirtes gegen 13V im Jahre 1886. Es sand also eine Zunahme von 69 Zeitungen oder 53 Prozent gegen 19 Prozent im Jahrzehnt von 1876 bis 1886. Die Bevölkerung Württembergs stieg bei weitem nicht in gleichem Maste (um etwa 20 Prozent von 1886 bi» 1909s, so das, im Jahre 1886 auf rund 16 000 Einwoh ner ,im Jahre 1909 auf rund 12 600 Einwohner eine Zeitung entfällt Annähernd dürfte das auch einen Maststab für die Zunahme des Zeitungs lesens geben. Was das Alter der Zeitungen betrifft, so bestehen 12 Zeitungen über 100 Jahre. Das älteste Blatt Württembergs ist die „Nicdlinger Zeitung", die seit 1711 erscheint, also in drei Zähren ihr 200jäbriges Bestehen feiern kann. (Riedlingen ist ein kleiner Ort an der Donau.s Hinsichtlich der politischen Richtung ist zu bemerken, daß sich 123 Zeitungen, also rund 62 Prozeiit!, als „par teilos" bezeichneten. Das ist ja die Signatur des Tages: man will niemand „abstoßen". Bon den üb rigen 76 Zeitungen lzatlen sich bezeichnet 27 als Zentrum, 22 als fortschrittliche Volkspartei, demo kratische nsiv., 18 nationalliberal bzw. liberal. 8 kon servativ. 1 „Regierungspartei" und 2 sozialdemokra tisch. An Abonnementsgeldern nahmen die wiirttembergischrn Zeitungen, wenn man die ange gebenen Preise und Auflagen zu Grunde legt, im Inbre 1909 rund 3,8 Millionen Mark ein, davon 0,3 Millionen Mark von Abonnenten ausserhalb des Lan des. Reu gegründet wurden in den letzten fünf Zähren nicht weniger als 32 Zeitungen. Ein - gegangen sind, vom Besteben aNer Zeitungen an gerechnet, insgesamt 134 Zeitungen, davon 37 in den letzten 10 Zähren. Der Po st versandt stellte sich 1909 auf 81101966 Rummern in Württemberg und aus 13 172118 Rummern nach auswärts. Von auswärts kamen 20 849 237 Rummern (die Zeitschriften sind hierbei einbegriffen). Das ergibt eine Gclamtzifser von 118 426 390 Rummern gegen 37 391 803 Nummern im Zabre 1886 (also mehr als das dreifache!). Aus allen dielen Zistern kann man eingehend ans das ge stiegene Lesebedürsnis schließen. Was endlich die Zahl der in Württemberg erschei nenden Zeitschriften anbelnngt, so ist sie von 186 im Jahre 1886 aus 440 im Zähre 1909 gestiegen. Die grösste Znnnhme wiesen die theologischen Zeit schriften ouf, die mit 90 Nummern crn der Spitze stehen. Deutsches Reich. Leipzig 19. Februar. * Au» dem Wahlkreise Löbau-Ebersbach. Der Bund der Landwirte im zweiten sächsischen Neichstaaswahlkreis Löbau-Ebersbach hat beschlossen, die Kandidatur des Nationalltberalen Dr. Weber energisch zu bekämpfen und für den Konserva tiven Förster einzutreten. Auch die Fortschrittliche Bolkspartei will einen eigenen Kandidaten aus stellen. Da Dr. Weder kürzlich erklärte, in Löbau nur wieder kandidieren zu wollen, wenn er von sämtlichen bürgerlichen Parteien unterstützt wird, ist aus seine Kandidatur in diesem Wahlkreis nicht zu rechnen. Wie verlautet, soll er in einem andern Wahltreis aufgestellt werden. * Der verband vereinigter Rauchwarenzurichter und Färdereibesitzer Deutschlands schloß sich in einer am 17. d. M. im „Schloß Ritterstein , Leipzig, ab gehaltenen Versammlung korporativ dem „Ver band Sächsischer Industrieller" an. Gleichzeitig erklärte der größte Teil der Mitglieder ersteren Verbandes seinen Beitritt in die „Gesell schaft Les Verbandes Sächsischer In dustrieller zur Entschädigung bei Ar beitseinstellungen". G * Die Kaiserfamilie. Nach den bisher getroffenen Dispositionen sür die Südlandreise sollen die drei Prinzen-Enkelsöhne, di« seit der Abfahrt des Kronprinzenpaores unter der oesonderen Obhut der Kaiserin gestanden haben, ihren Großeltern nach Leipziger Korfu folgen. Dort ist auch für die erst« April hälfte der Besuch des Kronprinzen und der Kronprinzessin in Aussicht genommen. Rach dem Osterfest dürfte dann gemeinsam mit den jungen Prinzen die Rückreise der tronprinzlichen Herrschaften nach Deutschland erfolgen. * Die Kaisrrreise nach England. Wie di« „Nordd. Allg. Zlg." hört, bestätigt sich die Nachricht, daß der König von England das deutsche Kaiserxaar ein geladen hat, an der Feier der Enthüllung de» Denkmals für die Königin Victoria teilzunehmen und daß die Einladung dank bar angenommen worden ist. " Zu den deutsch-schwedischen Handelsvertrags oerhandlungen schreibt das offizielle Organ des Hansabundes: „Die Reichsverwaltung legt beson deren Atert darauf, bei den zurzeit in Berlin mit den schwedischen Delegierten geführten Verhandlungen über den Abschluß eines neuen deutsch-schwedischen Handelsvertrages ständige Fühlung mit den deutschen Industriekreisen zu unterhal ten. Zu diesem Zwecke finden fortlaufend Bespre chungen mit Sachverständigen der beteiligten In- dustriezweige statt, abgesehen davon, daß in großem Umfange schriftliche Informationen eingeholt und auch Informationsreisen zur Anhörung der Sachver ständigen an Ort und Stelle vorgenommen werden. Auch während des weiteren Ganges der Verhand lungen wird diese» Verfahren, soweit erforderlich, fortgesetzt. Wir hoffen, daß auf diesem Wege der gleichmäßigen Heranziehung aller Inter essentenkreise zur Mitarbeit ein Ausgleich der in dustriellen Interessen der beiden Vertrapsstaaten am besten gefördert werden kann, und glauben, daß in dieser Weise eine praktische Vorbereitung des Han delsvertrages ermöglicht wird. Wir mochten aber besonders die Interessenten darauf aufmerksam machen, zur rechten Zeit mit ihren Wünschen an die in Betracht kommenden Amtsstellen heranzutreten." * Statistikerkonsereuz. Am 15. und 16. Februar haben im Reichsamt des Innern unter dem Vorsitz des Unterstatssekretärs, Wirklichen Geheimen Rates Dr. Richter, die bereits angekündigten Verhand lungen mit den Landes- und Städtestatistikern statt gefunden, bei denen eine Vereinfachung. Verbilligung und Beschleunigung der großen deutschen Zählungen — insbesondere der Berufs- und Be triebszählungen und der Volkszählungen — erörtert wurde. An der Konferenz nahmen teil: Vertreter der Reichsressorts, der preußischen Ministerien, der Regierungen von Bayern, Sachsen, Württemberg, Vaden, Hessen, Hamburg, Bremden, Lübeck und Elsaß- Lothringen. Ferner waren beteiligt die statistischen Aemter der Städte Berlin, Breslau. Köln, Düssel dorf, Posen, München, Nürnberg, Dresden, Leipzig, Stuttgart und Mannheim. Die Bera tungen der Konferenz bezogen sich auf folgende Fragen: Erfahrungen mit den Zählern, mit der Be völkerung, mit den Kontrollbehörden und mit der Nachprüfung des Zählstofses. Ferner sind Vorschläge für die Gestaltung des Zählverfahrens und für die Aufbereitung einer künftigen Zählung erörtert worden. Auch der Erlaß eines allgemeinen statistischen Gesetzes bildete den Gegenstand der Beratung. Eine engere Kommission ist mit der Beratung der Anregungen dieser Konferenz betraut worden. * Die Förderung der Privatbeamtenversicherung. Vor kurzem wurde gemeldet, daß der Gesetzentwurf über die Privatbeamtenversicherung im Bundesrat sehr großen Schwierigkeiten begegne, so daß an eine Einbringung der VoUagc an den Reichstag während der diesjährigen Session nicht zu denken sei. Wie die ,Znf." demgegenüber erfährt, dürfte dies nicht zu treffen. Der Entwurf wird im Bundesrat nach Kräften gesörd ert, und es besteht die Absicht, ihn möglichst bald dem Reichstage zur weiteren Beratung vorzulegcn. * Die Petitionskommission des Reichstages hat eine Petition des nationalen Kartells der deutschen Gasthausangestellten in Berlin um Einführung einer festen, ausreichenden Entlohnung der A n - gestellten im Gust wirtsgewerbe und 2lb- schaffung des Trinkgelderunwesens dem Reichskanzler als Material überwiesen. Diese Maß regel sei besonders bei Bahnhofswirtschaften zur An- Tsyeblan. Wendung zu bringen, da die Kellner bei der Hast des Eisenbahnbetriebs sehr oft keine Trinkgelder er- hielten. - Der Kampf im Wahlkreis des Herrn von Heyd«. brand wird mit außerordentlicher Heftigkeit geführt. Rittergutspächter Schmidt Hal», der von natio nalliberaler Seite ausgestellte Gegenkandidat, hat kürzlich in einer Versammlung zu Trebnitz von dem konservativen Terrorismus berichtet. Schmidthals, der vordem Wahlkreisvorsitzender des Bundes der Landwirte war, erzählte: Wirtschaftlich und gesell- ckaftlich versuche man ihn zu boykottieren und zu chädigen, sogar seine Verpächter habe man gegen hn aufgehetzt. Wenn er alle die ihn schwer be eidigenden Briefe, die er erhalten und ausbewahrt ftabe, der Versammlung vorlegen wollte, würde man iberrascht sein über die Gehässigkeit und Ge- meingesährlichkeit der konservativen Herren. In dem Wahlkreis wurde die Maul- und Klauen seuche benutzt, um den Liberalen die Agitationsardeit zu erschweren. Der Landwirtschaftliche Krcisverein ,n Trevnitz hat nämlich beschlossen, beim Landrat zu beantragen, daß, solange im Kreise die Seuche herrsche, politische Versammlungen ver boten sein sollen. * Beleidigungsklage gegen die „Deutsche Tages zeitung". Die „Dtsch. Tagesztg." befaßte sich kürzlich mit dem Erlaß des preußischen Finanzministers in der Kleie-Importfrage. Sie erblickte in diesem Erlaß ein« rührende Fürsorge für die Kleie- Importeure oder — wie sie sagte — der Mehl- zollhinterzieher". Wie dem „B. I." mit geteilt wird, hat der Verband Deutscher Kleie- häntler wegen des Ausdrucks „Mehlzollhinterzieher" gegen die „Deutsche Tageszeitung" die Beleidigungs klage eingereicht. * Der Modernisteneid und da» Königlich« Plazet. Der katholische Kirchenrechtslehrer an der Universität Würzburg, Meurer, weist in einer Schrift nach, daß für den Erlaß des Papstes über den Modernisten eid aus staatsrechtlichen Gründen die Ein holung des Königlichen Plazcts nötig gewesen wäre. Dieses Plazet hätte aber verweigert werden müssen. Professor Meurer erklärt, daß die Veröffent lichung der päpstlichen Verordnung und di« Be strafung der Eidverweigerer durch Amtsentsetzung Verfassungsverletzungen seien. * Die nationalliberale Fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses hat den Antrag gestellt, die Staatsregierung um die Vorlegung eines Gesetzent wurfes zu ersuchen, durch den für den Umfang der Monarchie die Dauer der Schulpflicht nach einheitlichen Gesichtspunkten, jedoch unter Be rücksichtigung berechtigter Sonderverhciltnisse der einzelnen Landesteile, geregelt wird, und einheitliche Bestimmungen über die Folgen der ungerechtfertigten Schulversäumnis, die Voraussetzungen ihrer Strafbarkeit, den Kreis der verantwortlichen Per sonen. die Art und Höhe der Strafen und das Straf verfahren getroffen werden. * Zur Bestätigung des Bürgermeisters von Metz. In der Frage der Betätigung des Dr. Foret als Bürgermeister von Metz verlautet aus zuverlässiger Quell', daß eine Intervention der Militär behörde gegen die Bestätigung Forets nicht statt gesund n hat. In der Angelegenheit selbst baben sich neue Momente ergeben, die mit der Affäre der „Lorraine Sportive" rm Zusammenhang stehen. Anderseits sott das Zentrum, um die Be stätigung zn erlangen, nach alter Gepflogenheit einen Handel vorgeschlagen haben, dessen Bedingung noch nicht bekannt ist. * Zum zweiten Male abgelehnt. Der Redakteur Wendel von der sozialdemokratischen „Volksstimme" in Frankfurt a. M. batte am 1. September 1910 eine Rede gehalten über das Thema „Hie Fleischwucherer, hie Gottesgnadentum". Die Rede war auch in Broschürcnsorm erschienen, aber beschlagnahmt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen verschiedener Redewendungen den Antrag gestellt, ein Verfahren wegen Majestätsbcleidigung einzuleiten. Die Straf kammer hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens obgelehnt. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde beim Oberlandesaericht ein, das die Be schwerde jedoch als unbegründet abwies. vss Belte SN Pierre Loti. Von Otto Flake (Straßburg.) Der Zufall hatte mir^lZ ädekers „Aegypten" in die Hande gespielt. Stendhal las, um sich vor der Arbeit den Kopf frei und kühl zu machen, ein paar Seiten oorpus iuris: ich legte mich zur Erholung von ihr aufs Sofa und blätterte im Bädeker. Welch sach liche, ruhige Bücher! Sollte man ihnen nicht Unrecht tun? Warum schimpft man eigentlich auf „Bädeker- weisheit" und die Leute „mit dem Bädeker unter dem Arm?" Freilich, die Unselbständigkeit ärgert einen, mit der das liebe Publikum sich an die Worte des roten Magisters klammert: aber wer in die Ussizicn hinein stürzt, uin sich nur aus seinen guten Blick zu verlassen, wer Lurch Rom schlendert, ohne sich im geringsten vor bereitet zu haben, verrät der nicht ebensoviel Arroganz und Dünkel, wie jene Geschmacklosigkeit? Um jeden Preis anders sein wollen wie die Herde, läuft auf dasselbe hinaus wie mit ihr trotten. Man nehme den Bädeker als das, was er ist, der Mann der Daten, und mache ihm das Leben nicht sauer, sagte ich mir, l>ereit, eine Lanze sür ihn zu brechen, als wieder der Zufall wollte, daß ein paar Tage darauf Pierre Lotis .. Aegypten " in einer deutschen Uebersetzung ") zu mir ins Haus kam. Das erste, was ich beim Durchblättern las. war die Bemerkung des Uebersetzcrs: „Kein Zverk. das B ä o e k c r w e i s b c it auskramt, sondern einfach der Niederschlag poetischer Impressionen." Schon wieder einer! Ich fange an, mich ernstlich zu ärgern, erkenne dann aber, daß der arme Bädeker nichts als ein rhetorisches Hilfsmittel geworden ist. wenn man sagen will, daß einer nicht Tatsachen, sondern Stimmungen gibt. Stimmungen sind sehr schön, aber ist es nicht eine Wohltat, ein Gottessegen, daß es auch Leute gibt, die nur Tatsachen -rucken lasten? Zu guter Letzt werde ich noch Bädeker Loti vorziehen? Habe ich nicht ein gewisses kritisches und boshaftes Geiübl gegen Loti empfunden, als neulich einer der französischen Almanache, die so gut abgehen, ihn in dem ganzen märchenhaftem Pomp seiner orientalischen Zimmer, seiner kostbaren Reiseerinnerungen, seines Reichtums abbildete? Ein Erfolg, durch Fronen und Salons herbeigesührt? Was wird dies Buch über Aegypten enthalten? Eine witzige Schilderung orien- «chustrr und Leffler, Verli«. talischer Pracht, wie man sie in der großen Oper sieht, eine Freude am Farbigen, die doch nur Klischee ist. Aber nein, das hieße bitteres Unrecht tun. Wer so schreibt, ist nicht der erste beste, und man nimmt nicht nur rasche Bilder auf. sondern auch einen Hinter grund. aus dem sie sich abheben: und wenn die Bilder längst wieder aus unserem flüchtigen Gedächtnis ent schwunden sind, bleibt doch -er Hintergrund unent- blaßt bestehen. Hatten wir bisher noch keinen deut lichen Begriff, wenn das Wort Aegypten fiel, so haben wir ihn fetzt. Das beruht aus zwei Gründen, einem mehr zu fälligen und einem prinzipiellen, auf einem äußeren Vorteil und einem seelischen Besitz. Pierre Loti ist nicht nur Dichter, sondern als Jules Viaud franzö sischer Marineoffizier und Schiffstoinmandant. Viel mehr er war es bis zu seiner neulich erfolgten Pensio nierung. die -cm deutschen Uebersetzer unbekannt zu sein scheint. Man kann sich denken, daß ihm ganz andere Mittel und Wege zur Verfügung standen, die Zustände des Orients kennen zu lernen, als wenn er einfacher Reisender oder Feuilletonist gewesen wäre, der schon froh ist, wenn ihm Cooks Bureau den Besuch einer Galaauffahrt des türkischen Hofes ermöglicht. Ist es schon im Abendlande nicht immer leicht, ein Volk in seinen intimsten Beziehungen, in der poli tischen und gesellschaftlichem Organisation zu beob achten, so wächst diese Schwierigkeit im Orient oft ins Unmögliche. Man muß schon auf einem Kriegsschiff in Station liegen, »nd man muß schon Franzose sein, Ler seine Nation mit Erfolg gegen die Engländer aus spielen kann, um alle Wege geebnet zu finden. Was man auch sagen mag. es ist nur ein Vorteil für einen Schriftsteller, wenn er in der Welt und in der inter nationalen Gefelljcksaft zu Hause ist. Der ganze Ton, die 2Klffassung, gewinnt dadurch. Aber Las ist nicht das Wesentliche an dem Reise schriftsteller Loti. Das Besondere ist der feste Stand punkt. den er, der Europäer, dem Orient gegenüber einnimmt. Durch ihn erhält das Buch nicht nur Ein heitlichkeit und Zusammenhang, sondern vor allem Kraft, persönlichen Reiz und Ideen. Banal bezeichnet ist dieser Standpunkt der des Poeten gegenüber der Realität der Welt. Es wundert den Leser also auch nicht weiter, daß Loti ein Lob redner des Alten und ein Feind oder mindestens kritischer Beurteiler der modernen Zivilisation ist. die auch in Aegypten eindrang, als die Engländer die Verwaltung übernahmen. Es ist wahr, diese Gegner schaft hat einen politischen Anstrich, indem sie sich gegen die Engländer richtet, denen Ler französische Offizier nicht verzeihen kann, daß sie seiner Nation eine beneidenswerte Beute entrissen haben. Und ebenso wahr ist es, daß die Engländer viel Gutes ge tan haben, daß das Land gesunder, die Verwaltung geregelter, die Behandlung der Masten menschlicher geworden ist, wofür man ihnen dann gönmen mag. daß sie ungeheueres Geld verdienen. Und doch, über alle politische Zufälligkeit hinweg wohnt dem Widerstreben des Dichters eine tiefe Wahrheit inne, eine Berechtigung, die der deutsche Uebersetzer gar nicht in ihren Wurzeln erfaßt hat, da er es für notwendig hielt, ihretwegen eine Einleitung zu schreiben, die darauf hinausläuft, daß die Ausfälle eines Künstlers interessant, aber nicht gar zu ernsthaft sind. Daß ja im Bürger des Maschinenzeitalters nicht auch nur für einen Augenblick der ketzerische Gedanke aufsteige, ob alle Triumphe der Industrie, der Ma schinen, der Spekulation, so unermeßliche Güter sind, daß ihre Erfinder sic den unzivilisierten Völker schaften unter Gewalt, Blutvergießen und Mord auf- zwingen dürfen. Aber sind nicht alle Künstler, alle Dichter, alle Schriftsteller im Grunde solche Ketzer? Ich las neulich eine ander« Uebersetzung eines anderen Franzosen, mit dem sich im übrigen Loti nicht vergleichen läßt: Anatole Frances: „Auf dem weißen Felsen". Eine schärfere, eine bitterere Zerpslückung Les Zivili sationsideals ist lange nicht erschienen. So ist es auch mit Pierre Loti. Es ist nicht nur Laune. Laß er auf di« Hotels europäischer Arroganz schimpft, die an den heiligen Ufern des Nils in die Höhe schießen wie die Häuserkasernen in einer unserer Hauptstädte: es ist mehr als Pose, wenn er in Alexandria und Kairo den Lärm, di «Unruhe, die Verlogenheit und die Grellheit abendländischer Viertel seststellt, es ist keine Sentimentalität, wenn er die alte Tracht der Fellachen, die Bedürfnislosigkeit der Kopten schwinden sieht: diese Stimmen sind nötig, um unser Zeitalter vor der Selbstgerechtigkeit, dem Hochmut, dem Amerikanismus der Gefühle zu hüten, die, nicht zuletzt in Deutschland, sein Kennzeichen ge worden sind. Unter den vielen Aufgaben, die der geistige Mensch durch sein« bloße Leistung übernimmt, ist das eine der wichtigsten. Die revolutionärsten, kühnsten, radi kalsten unter ihnen sind an diesem Punkte konser - va t i v. Von der Ehrfurcht vor dem Vergangenen Sonmsy, lS. felrrmrr ISN. suslsnr. Oesterreich - U ngarn. * Di« ungarische Delegation »uh«, wi« bereit» kurz gemeldet, das Budget des Aeußern mit einem Bertraunsvotum für Graf Aehrenthal an. Der Sektionschef Graf Esterhach stellte im Namen des Ministers des Aeußern fest, daß gegen dessen Politik nur von einer Seite Einwendung erhoben werde. Weiter erklärte er. Bakenyi, der die bei der Besprechung der Potsdamer Kaiserbegegnung vom Minister des Aeußern gegebene Schilderung der Lage als zu rosig bezeichnete, habe sich auf auswärtige Preßstimmen bezogen, die die Zwecke der Tripel entente verfolgten und einen Keil zwischen Oester reich-Ungarn und die Türkei treiben wollten. edner trat der Behauptung entgegen, als ob Oesterreich- Ungarn zu einem Vasallen im Dreibunde l-erabgewiirdigt werde, und erklärte, daß die Bal kanpolitik Aehrenthals di« Aufrecht erhaltung Les Statusquo auf dem Balkan bezwecke und keinen Abenteuern nachgehe. Dem wiederholten Hinweis Batihyanis auf gewiße Umtriebe in Deutsch land sei entgegenzuhalten, daß di- deutsche Re gierung keinen Anteil daran habe. Gegen über der Ansicht Holles, der Ausbau der Marine sei auf das Bündnis mit Deutschland zurückzuführen, er widerte er. daß das Bündnisverhältnis darauf keinen Einfluß habe. Deutschland habe keinerlei Wünsche hierüber geäußert. Der Ministerpräsident erklärte, der Abrüstungsfrage stehe jedermann sym pathisch gegenüber, solange aber die Großmächte ihre Rüstungen fortsetzten, müße Oesterreich-Ungarn das gleiche tun. * Di« Gesetzesvorlage über die Verlängerung des Bankprioilegiums wurde im ungarischen Abgeord netenhaus« in der Generaldebatte mit einer Majo rität von 93 Stimmen angenommen. Minister präsident Graf Khuen-Hedervarq ergriff vor der Abstimmung das Wort und wies darauf hin. daß der Grundsatz der Barzahlungen in der Vorlage enthalten sei. wenngleich der Oesterreich-Ungarischen Bank eine formelle Verpflichtung nicht auferlegt worden sei. Die österreichische Regierung verhinderte wegen der parlamentarischen Schwierigkeiten im Wiener Reichsrat die Aufnahme von Barzahlungen. Die ungarisch« Regierung wollte deshalb nicht die Gemeinsamkeit der Bank aufs Spiel setzen. Auch wäre es nicht gerechtfertigt gewesen, daß die ungarische Re gierung aus diesem Grunde demissioniert hätte, da sie sich in Uebereinstimmung mit der Krone und der Majorität wußte. Der Ministerpräsident wider legte die verfassungsrechtlichen Bedenken aegen die Bestimmung des Gesetzentwurfs, daß die Anordnung der obligatorischen Barzahlung vier Wochen nach der Mitteilung hierüber an das Parlament Gesekeskraft erlange, und empfahl die Annahme der Vorlage. (Lebh. Beifall rechts.) Portugal. * Handelsabkommen mit Frankreich. Der Mi nister des Aeußern Machado und der französische Ge sandte Taillandier unterzeichneten ein vorläufiges Handelsabkommen zwischen Portugal und Frankreich, auf Grundlage Lessen beide Staaten sich die Meistbegünstigung zusichern. In dem hierüber gepflogenen Schriftwechsel kommi der Wunsch beider Nationen nach Abschluß eines end gültigen Handelsvertrages zum Ausdruck. Türkei. * Kleine Notizen. Ein englischer Dampfer schiffte in Saloniki 450 für Tripolis bestimmte ara bische Truppen aus, die unterwegs ge meutert und die sie begleitende türkische Eskorte getötet hatten. — Bulgarische Grenzsol daten beschossen die Wachmannschaft des türkischen Karakals Pcpltsch und verwundeten zwei Mann töd lich. Die Türken erwiderten die Schüsse und ver wundeten drei Bulgaren, worauf das Feuer einge stellt wurde. — Nachrichten aus dem Jemen fehlen, da die Drahtverbindungen mit Hodeida gestört sind. Im Wilaiet Adana wurden fünf Redisbataillone mobilisiert, um an dem Feldzug im Jemen teilzunehmen. reden wirkt leicht schulmeisterlich auf diejenigen, die in Ler Entwicklung des Lebens stehen, aber soll denn das Vergangene künstlich fcstgehalten werden, wird nicht vielmehr nur Las Ewige der Vergangenheit gepriesen? Was empört den künstlerischen Menschen, der in ein uraltes Land wie Aegypten auf Reisen geht? Der brutale Lärm, mit dem man dieses Uralte, sein schauerliches und erhabenes Schweigen vergewaltigt. Arbeiten, müßige Gedanken nicht aufkommen laßen, di« Vorstellung Les Lebens und der Vergänglichkeit beiseite schieben, das ist gewiß das beste Mittel, sich frisch und gesund zu erhalten: aber das Tiefe, das Ewige, das Große, das was ist, zuletzt triumphiert, über allem bleibt, das ist der Tod, das weißglühendc Sterben und Eestorbensein eines Landes, das kulti viert war, als die Gebiet« der erobernden Germanen und Angelsachsen noch im Nebel der Sümpfe lagen. Man fährt auf dem großen Strom aufwärts, seinen fernen, geheimnisvollen Quellen entgegen. Links und rechts begleiten tage-, wochenlang aus geglühte Felsenzüge den Fluß. Die Felsen sind eine ungeheure, gigantische Grabkammer, ausgehöhlt, und bergen in ihrer Wüstenbitze die Leichen eines No.lkes, das in seiner furchtbaren Erkenntnis des Todes keine tiefere Sorge kannte, als seine Körper körperlich zu bewahren, damit sie in den Nächten sich aufrichteten, die Speisen kosten und wenn auch nur einen Schatten des Lebens, doch immer wenigstens da« Leben be halten: damit sie nicht sterben. Und nun kommt der Europäer und reißt, allem Fallen der ver mauerten Gräber zum Trotz, die Mumien nach Jahr tausenden heraus, stellt sie, Hunderte neben Hunderten, in ein Museum, macht aus dem Sarg einen Glas kasten, um sein« nieder« Neugier zu befriedigen. Wenn keiner sich der Geschändeten annimmt, der Dichter tut es. Es ist schwer, in diesen Fragen nicht einseitig zu werden. Sagen wir es, daß es unmöglich ist. Das Leben hat recht und die Vergangenheit hat recht: di« Skrupellosigkeit ist das größte Prinzip des Fort schritt» und die Ehrfurcht ist das Tiefste der Seele. Es gibt keinen Ausgleich, es gibt nur ein Neben einander, wie in allen menschlichen Problemen. Das Einzig«, das Beste, wa» man finden kann, ist. daß man sich beeilt und beides umfaßt. Aber das eine ist leicht, das andere nur den Fühlenden gegeben. Für ihre Gefühle einzutreten, damit diese nicht aussterben in der Menschheit, ist der Sinn der geistigen Menschen und da» Beste an ihren Worten und Werken.
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