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r. 2 Der Rad- und Kraftfahrer 32 Eine Harzrundfahrt. Von Richard Gündel, Leubnitz. Seitdem der Frühling wieder einzog in Sladl und Land und mi! grünen Hollunderzweigen, mit schneeigen Kastanienkerzen über Mauern und Zäune lugte, ist bei uns Radsportlern die Wander sehnsucht wieder erwacht. Nachdem wir monatelang das Hupen der Autos und Motorräder anhören muhten, ist es uns ein Be dürfnis geworden, wieder einmal, losgelöst von der Hast des Stadtgetriebes, hinauszuradeln in die freie, herrliche Natur, in unser schönes Deutschland. Wohin dieses Jahr? Das ist wieder das allgemeine fragen, das alle beherrscht, ivenn es gilt, ein passendes Wanderziel fest- zusetzen. Man tpricht es aber heute nicht mehr so rasch und > unbedacht aus, sondern es ist Selbstverständlichkeit geworden, das Hahrtenziel rechtzeitig vorher festzulegen und Karten und Bücher zu studieren. Nachdem ich mit meinen Sportfreunden Mötsch und Dürrschmidt einig war, in diesem Jahr eine Harzrundfahrt zu unternehme», wurde als Tag der Abfahrt der Pfingstsonnabend bestimmt. Die Räder wurden der üblichen durchgreifenden Prü fung unterzogen und wie immer gut geölt und gefettet. Wer gut schmiert, der gut fährt! Der Tag der Abreise bricht au! Hrüh 5 Uhr verlassen wir auf unseren treuen Stahlrossen unseren Heimatort Leubnitz, radeln durch die Industriestädte Werdau, Crimmitschau, Gößnitz, immer Staatsstrasse benutzend, nach Altenburg, wo aus mächtigem Porphyrüfelseu das herzogliche Schloß thront. Dasselbe ist be kannt durch den Prinzenraub vom 8. Juli 1845. Ohne irgend- j welchen Aufenthalt zu nehmen, strampeln wir weiter über Borna ! nach Leipzig. Schon von weitem leuchtet uns das rühmlichst be kannte Bölkerichlachtdenkmal entgegen. Leipzig >st Sachsens wich tigste Stadt, die Stadt der Bücher und Noten, des Pelzhandels und der grossen Mustermessen. Sitz des höchsten deutschen Gerichis und einer der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte Deutschlands mit dein aröftten Bahnhof des Kontinents. Nach längerem Verweilen j bei nuferem Bundesfahrwart verlassen wir die Stadt aus sehr schlechter Strafte. Unterwegs nach Schkeuditz treffen wir einen Auhänaerzug der Heruvcrkehr-Krastwaaengesellichaft Hamburg, dessen Anhängerwagen umge'chlageu ist. Kurz vor Halle ist's bei mir alle! Reifenschaden! Kurz und schmerzlos wird ein Ersatz reifen anfaeleat und weiter aeht's. Eisleben zu! Bei Seebruck kommen wir an den sogenannten Süften See. Eine längere Rast wird gemacht, um das rege Bade- und Strandlebcn beobachten zu können. Direkt am Wasser liegt die Seeburg mit der malerisch ! gelegenen Kapelle. Eisleben erreichen wir gegen Abend: die Stadt liegt in der von zwei Ausläufern des Harzes eingcichlossenen Mansfelder Mulde und ist Kreisstadt des Mansfelder Seekreises. ! In einem aroften Gastbause erhalten wir ein angenehmes Onar- ! ticr. Na, moraen wird's interessanter! — Bereits früh 430 Ubr sind wir auf den Beinen und setzen die Hahrt fort. Herrliches Wetter ist uns vergönnt. Nach längerem Beraausradeln kommen wir in das Bereich des KvUhäuser-Ge- biraes. Der Auistica zum Denkmal beginnt. Die Räder müssen geschoben, so teilweise getragen werden. Ich schwitze und triefe, schade um das berrliche Hrühstück. das ich am Hüfte des Berges hielt. Das Kvsstzäuser-Denkmal ist eine Stiftung der deutschen Kriegerverbände und wurde in den 90er Jahren zu Ehren Kaiser Wilhelm I. errichtet. Im Hofe des unteren Terrassenraumes ist die sitzende Monumentalgestalt Barbarossas aus dem Hels aemeiftelt, der hier dm Saae nach teiner Wiedererweckung harrt. Oben steht das Reiterstandb'ld des grellen Kallers Wilhelm, der die Erfül lung des alter' Traumes mit der Gründung des Kaiserreiches ge brach« Hai. Vräcbtig ist die Aussicht von dem hohen Turm in die Runde. Ein vaar Schritte abseits liegt die alte Burg, die im 10. Jahrhi'nder' 'um Schutze der Pfalz errichtet, aber bereits 'n den folgenden Jahrhunderten wieder zerstört wurde. Von den oberen Büro ist nur noch der Turm rind von der Uuwrburg d'e gotische Kapelle erhallen. Bis Kelbra zieht sich die Strafte schlan- genartia abwärts. Um sich von dem beiftenden Straßenstaub reiniaeu ui könnlm. nehmen wir ein kühles Bad in den Hinten eines idvllllch gelegenen Waldwassers. Ueber Stilbera und Hasel- feldi gelangen wir nach abwechselndem Bergauf- und -abfahren nach dem Kurort Blankenburg, wo ein reger Hremdenverkehr zu verwichncu ist Bemerkenswert ist das Schloss, von dessen Ter rasse wir einen schönen Blick auf die ansteiaende Stadt geniessen. Gegenüber sieb« d'e Teufelsumuer am Gebirgsrand. hinter uns siegen d Woldberge des Unterharzes. vor nns in der Ebene der Regenstein, eine der interessantesten Ruinen Deutschlands, deren Bauten gröft'euteils aus Sandsteiufclsen herausgemcisclt worden sind. Die Ruine besichtigen wir am Spätnachmittage, klettern mll den ausgetretenen Helsen und Stufen herum, bis cs Zeit wirk zu weiterem Aufbruch. Neber Nacht bleiben wir in der Jugendherberge zu Heimburg, welche in unmittelbarer Nähe liegt Wir haben also einen wunderbaren Pfingstsonntag erlebt. Am folgenden Morgen gestaltet sich die Abfahrt wunderbar. Dr Wetteraolt scheint nns Rad-Sportlern sehr wohlgesinnt zu Mn. Am frühen Morgen kommen wir nach Wernigerode, der bunten Stadt am Harze mit ihren schönen Hachwerkbauten und den, prächtigen Rathaus, das einst ein Tanzhaus war. Dem Schlosst können wir noch keinen Besuch abstatten, da es noch zu zeitig ist. Bald erreichen wir Elbingerode, wo uns Gelegenheit gegeben ist, zu beobachten, wie das Vieh der Stadt zur Weide getrieben wird. Die Hirwn mit ihren schwarzen Jacken und breiten gleichfarbigen Hüten stehen an verschiedenen Straßenecken und blasen auf langen Kuhhörnern. Schon nach kurzer Zeit kommen aus vielen Toren schöne schlanke braune Rinder, die sich unangctrieben dem Hührer anschließen. Als Kennzeichen des Besitzers dient ein kleines Holzbildchen. welches am Kopfe des Tieres befestigt ist. In Elbingerode biegen wir links ab und kommen nach langandauerndem Bergeinfahren nach Rübeland, einst wegen der Unsicherheit seiner Wege das Raubland genannt, jetzt viel besucht wegen seiner herrlichen Tropfsteinhöhlen. Wir besuchen die Hermanns- und die Baumannhöhle. Spitz ragen die Stalagtiten herab, denen auf breitem Huße die Stalagmiten eut- gegenwachsen. Der Ort selbst liegt in einem von der rauschenden Bode durchflossenen engen Helsentale. Wir fahren im Bodctale auswärts zurück nach Elbingerode, von da nach dem am Huße des Brockens in wildromantischer Umgebung liegenden Dörfchen Schierke. Die zahlreichen Granitklippen in der Umgebung und ^elsenmeere an den Abhängen geben ein malerisches Gebirgs bild. Nicht weit hinter Schierke sehe ich einen Kraftwagen, der ein Kennzeichen unserer Heimat trägt. Ich mache meine Hreunde hieraus aufmerksam und fahre wieder ein kurzes Stück zurück, und siehe da, ein alter Bekannter entsteigt mit seiner Hamilie dem Wagen, und zwar der in der Greizer Strafte wohnhafte Alb. Semmler, der eine Brockenfahrt hinter sich hat und nun nach Leubnitz zurückkehren will. Das Wiedersehen ist auf beiden Sei ten herzlich. Ter Mittag naht: wir müssen sputen, den Gipfel des Brockens zu erreichen. Ein reger Kraftwagen- und Huß- gängerverkehr ist anzutrcffcn. Radfahrer sehen wir sehr selten. Wir verlassen die Brockenftrafte und schieben die Räder die steilen Hußwcge aufwärts. Ter Waid, der uns zunächst üppig umgibt, wirb immer lichter. Das Bergwasser rauscht über die Granll- blöcke. Im Eckcrloch kreuzen wir die Brockenbahn, die in ge waltigen Windungen rings um den Berg herum sich zum Gipfel hinaufzieht und Prächtige Aussichten nach allen Seiten eröffnet. Das Schieben unterer Räder beginnt lästig zu werden: die Sonne brennt furchtbar: der Schweift läuft rinnenähnlich herab. Alle Huftgänger wundern sich, daft wir versuchen, mit den Hahrrädern auf ben Gipfel des Brockens zu gelangen. Immer steiler und wüster wird der Weg. In zirka 1000 Meter Höhe haben wir die Waldgrenze erreicht. Verwitterte Baumstümpfe zeigen die Kampfreaion des Waldes an, dann folgt die andre Vegetation des Gipfelaebietes. 1142 Meter über dem Meere stehen wir nun mit unseren Hahrräderu auf dem höchsten Berge Norddeutschlauds und haben eine Umschau, die unzählige Höheullige. Städte :md Dörfer einschlieftt. Häufia allerdings soll liier die Aussicht durch Nebel stark verfchleiert sein, da der Brocken allgemein als der arofte Reacufänger betrachtet wird. Herenaltar und Teufels kanzel haben ein fast aesveustiges Aussehen: cs läftt sich verstehen, daft man hierher die Saae von der Walpurgisnacht verlegte, die durch Goethe ihre klassische Gestaltuna gefunden bat. Im Berü hrte! nehmen wir etwas Warmes zu uns. daun steigen und klet tern wir in der näheren Umgebung herum. Der Autopark ist ge pfropft voll von Wagen und Rädern aller Herren Länder. Der Abstieg kann nach allen Seiten erfolgen. Da aber nur eine Habr- strafte hcraufführt und wir eine andere Richtung als diese zurück einschlageu müssen, sind nur gezwungen die Räder wieder den Berg hinabuischieben bezw. zu traaen. Das allerdings geht sehr langsam und mühselia Vvr sich. Wir schlagen die Richtnna nach Bad Harzbnra ein. Am Bismarckfelieu halten wir noch einmal, daun geht's unaufhörlich weiter in die Tiefe über Stock und Stein. Beim Dorfhaus erreichen wir wieder Hahrstrafte und babcn Geleaenheit, am Rudel der seltenen Elche zu sehen. Eine herrliche Talfahrt beainnt. Harzbnra ist der Hauptbadcort d.'s Harzes und verdankt seinen Rus der vrächtigen Laae, dem ange nehmen Klima unb den aroftzügiaen Anlaaeu des Solbades. Ein reges Hremdeulcbeu ist zu betrachten. Eine Schwebebahn führt zum Gipfel eines Beraes. Unser Tagesziel Ware erreicht. In dem bald gefundenen Ouartier reinigen und säubern wir nns gründlich, dann geht's auf die Suche nach Neuigkeiten. (Hortsetzuug folgt.! IIIII Briefkasten ÜIH Bezirk 18. Grimma. Trotz der wiederholten Bekanntmachnn- gen in der Bundeszcitung haben Sie Ihren Bezirksbericht wieder auf einer Postkarte, und außerdem zweiseitig beschriebet«, einge- saudt Sic erschtvcren der Druckerei und der Schriftleitung da mit die Arbeit. In Zukunft werden Ihre Berichte, die den Vor schriften nicht entsprechen, nicht mehr ausgenommen. Wir bitten um Beachtung der veröffentlichten Vorschriften für die Einsendung von Berichten. Die S ch r l f t l e i t u n g. Redaktionsschluss für Nr. 3 am 15. März 1932 endgültig.