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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.06.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140608014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914060801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914060801
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-08
-
Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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S»4. * tsn. I. »70« ;lr.42. »IST» s» lkr. inlsy. Parfifal. ins Meister» g. r. r Dtenst- Vorsland: Bartel, Beisitzer. es eukieit^ er »ekt lukMIIig lie Haut ^nivov- cbrtäkicb ul. tlil" l 2u er- Laitov lmeriev, m«u» Llittel- loobto «S0»2 nr, ;n »v- cev. vo Liss nois kaLÄeo stwiicli. Morgen - Ausgabe für Leipzig UN» Vorort« Sur» unser« LeSaer V»AUASVk»Is k » ua» SpeStt«ur«rmolt»gli» In» tzau» gebracht r monatlich 1.» M.» vierlellShrUch Z.7S M. Sei Ser SeschüstosteU», unfern Zllialea unS s>u»-ad«ft»Urn odgeholt: monatlich t M.,vI«rt«lIührUch r M. vurch Sie Post: innerbald VeutschlanS» unS Ser üeutschen loloaien nwnotiich 1.S» M., »ierteliührlich «.SS M., ousschlietzlich postdesteUgelS. va» LelpzigerLageblatt «rscheint Werktag» Lmal, Sonn» u. Zeiertagstmal. Zu Leipzig, Sen Nachbarorten unS Sen Grien mit eigenen Malen wir» Sie sibenSausgad« «och am sidenS Seo LrsGcinen» >n» hau» geliefert, verline» N<-Saktionr2nüen2«lt«n l7,§ernspre»»finschlusi: Moabit Nr.4S7. tzmrdelsFeituns /lrrttsbloH desRate» und des polizeüuntes der Stadt Leipzio NeSaktio» un» SefchastsstrU«: )»hanni»gaff« Nr.«. » -ernfprech-MafchluK Nr.1«»«, I«SS3 un» 14»»«. ISS. Jahrgang tvr Inserat» au» Leipzig un» Umgebung »>, /ttlAetAeupreese» Ispaitigepetiizetlerrpf.-ieNeklameeetlelM., von ouswürt» 3» Pf., Neklamen t.LS M., Klein« Knzelgr« Siepetitzeile u» rspf.d.Vie»«rbol.Nad.,Inserat« von SekörSen im amtltchenLrii »ie pettt» zell« SS Pf. Seschäftoanzeigen mir plabvorschrift im Preise erhöht. Rabatt na<d Laris. Seilagen: Seiamtousl.»M. Sa» Lausen» au»schl.Postgebühr- ftnzeigenistanahme: lohanniogaste», del sämtlitbeo Molen »«»Leipziger Lagedlatte» un» allen Nanoneen-ExpeSitionea Se» In- un» siu»lan»e». G«s»Sft»steUr für Serlin u. Sie pr. SranSenburg: virektion Walter Zliegel, Serlin w. io, Margarethenstratze S. Zernsprech-ftnschluK: Lühow 5»7l. Nr. 285. IS 14 Manlsg, üen 8. Juni. Das wichtigste. * Präsident Poincars hat, nachdem Del- casss und verschiedene andere Parlamentarier ab gelehnt hatten, die Bildung des Kabinetts Ri bot angeboten. (S. bes. Art.) * Die italienische Regierung fordert wegen der Verhaftung zweier Italiener in Durazzo Genugtuung. (S. bes. Art. u. Letzte Dep.) * Carranza soll sich bereit erklärt haben, Delegierte zur Vermittlerkonferenz nach Niagara-Falls zu entsenden. (S. Ausl.) * In Leipzig wurde gestern die 54. Haupt versammlung des Sächsischen Landesver bandes Gabelsberger abgehaltcn. (S. Ber.) * Das 100-Kilometer-Rennen zu Leipzig ge wann Saldow, die deutsche Flieger meisterschaft in Hannover Stabe. (S. Sport und Spiel.) * In Berlin fand anläßlich der Armeewett kämpfe eine Huldigung der Turner vor dem Kaiser statt, der den Siegern des Stafetten laufes Potsdam—Berlin persönlich den Preis über reichte. sS. Sport u. Spiel.) * Bei dem Großen Preis von Hamburg endeten R. Haniels Terminus und Gest. Myd- linghovens Hadschar in totem Rennen. (2. Sport u. Spiel.) Der Kolonialgerichtshof und üas Reichsgericht. Vom Justizrat Dr. Johannes Junck, M. d. R. Auch der Kolonialgerichtshof liegt unter dem Schutte der Gesetzentwürfe, denen es nicht beschiedcn war, Gesetz zu werden. Trotzdem hier die Kom mission mit ihren Arbeiten fertig geworden war und der Vollversammlung einen schriftlichen Bericht er- stattet hatte. Reichstag und Bundesrat brauchten also nur zuzugreifcn, und das Reformwerk — von dem die Reichsregierung schon 1910 gesagt hatte, daß es „nicht länger aufschiebbar erscheint" — wäre vollendet gewesen. Allein die Vorschläge der Reichs- tagskommission trugen den Todcskeim in sich. Zwar war an der Fassung der Bundcsratsvorlage nur wenig geändert worden. Einmal der Name: der neue Gerichtshof sollte Reichskolonialgcricht heißen. Gewiß ein sinniger und ein treffender Gedanke, den wohl auch der Bundesrat angenommen hätte, verbis immus kkreile«! Ebenso würden die Väter des Gesetzentwurfs dem gestrichenen prooureur- cko roi kaum eine Träne nachgeweint haben. Schlimm aber war es, daß die Kommission den vom Bundesrat gewünschten Sitz des Gerichtshofes, nämlich Berlin, nach langwierigen Erörterungen abgelehnt und sich für Hamburg entschieden hatte. Im Reichstage selbst stand eine glatte, große Mehrheit für Hamburg zur Verfügung. An dieser Klippe wäre das ganze Gesetz gescheitert. Denn es war kein Geheimnis, daß der Bundesrat „fest" bleiben, also auf Berlin bestehen wollte. Der Schluß der Reichstagssession hat allem ein Ende gemacht und auch das Reichskolonialgericht hinwcggespült. Zum zweiten Male hat es nicht sein sollen. Der Entwurf von 1910 scheiterte — glücklicherweise — an dem Widerstande des Reichstages gegen das nicht richterliche Mitglied des Gerichtshofes. Jetzt ist es der ..Sitz", über den man sich nicht einigen konnte. Wir trauern dem Gesetze nicht nach und meinen sogar, es sei besser, daß es nicht zur Welt kam. Der Gerichtshof gehörte nämlich wed«rr nach Berlin noch nach Hamburg. Für die Hansestadt sprach eigentlich nur eine Idee, em Gedanke, der einer ernsteren Prüfung nicht stand hielt. Man stellte sich nämlich vor, als würde das Reichskolonialgericht sozusagen aus der Hamburger Seeluft ein besonderes Verständ nis für die Verhältnisse in unseren Kolonien saugen können. Das war natürlich ein Irrtum. Wie in der Kommission festgestellt wurde, haben sich die wichtigsten Obergerichtc, nämlich die in Ostafrika, Südwestafrika, Kamerun und Neuguinea, bisher in 1309 Fällen mit allgemeinem Reichsrecht, und nur in 193 Fällen mit „reinem Kolonialrecht", und hier wiederum meistenteils mit der Rechtsgllltigkeit von Verordnungen, also mit staatsrechtlichen Fragen zu beschäftigen gehabt. Wenn in den Kolonien Landes recht zur Anwendung kommt, ist es bekanntlich das preußische, namentlich das Bergrecht. Um eigent liche „seesachen", bei denen übrigens schon jetzt die Hamburger Gerichte keineswegs das »letzte Wort haben, handelt es sich also gar nicht. Außerdem — und das ist die Hauptsache — hängt doch die Ver trautheit mit gewissen Verhältnissen, also etwa mit überseeischen, nicht am Orte, sondern an Personen, und die „Seekunde" einer Person wird gewiß nicht durch eine Reise von Hamburg nach Berlin oder anderswohin gefährdet. Daher war es an sich richtig, wenn der Bundesrat wiederum Berlin, als den Sitz der Kolonialverwaltung und übrigens auch der über wiegenden Mehrzahl der Kolonialunternehmungen, vorschlug, und man hätte diesem Vorschläge gewiß freudig zustimmen können, wenn nicht für unser deutsches Vaterland, was den Sitz des höchsten Ge richtshofes anlangt, längst und zum Beifall der ge samten Nation die Würfel gefallen wären: das Reichsgericht hat eben seinen Sitz nicht in Berlin. Warum sollte eigentlich die Rechtsprechung in Kolonialsachen letzter Instanz vom Reichsgerichte ab gesplittert werden? Obwohl sie dorthin gehört, und obwohl es geradezu als ein nationales Unglück be zeichnet werden müßte, wenn sich in denselben Rechtsfragen — man denke an die des Gesellschafts rechtes, des Kaufes, des Grundeigentums usw. — eine verschiedene Rechtsprechung entwickeln dürfte, je nachdem der Verklagte zufällig seinen Wohnsitz im Reichsgebiete oder in Deutsch-Uebersee hätte. An geführt wurde in der „Begründung" des Gesetzent wurfs weiter nichts als die Ue-berlastung des Reichs gerichts, die im Jahre 1910 bekanntlich zu einem besonderen gesetzgeberischen Eingriffe, nämlich der abermaligen Erhöhung der Reoisionssumme, ge zwungen hatte. Allein es' verriet einen offenbaren Mangel an Augenmaß, wenn dieser Grund — der zudem heute gar nicht mehr so gelten kann, wie 1910 — ins Feld geführt wurde, wo es sich um die Zu weisung neuer Rechtsaufgaben und natürlich auch neuer Kräfte und um eine Rechtsschöpfung wirklich großen Stils handelte: di« Bildung eines besonderen Senats am Reichsgerichte, dem höchst zweckmäßig auch andere Rechtsmaterien, wie die Konsular gerichtsbarkeit, internationales und Seerccht, Bin nenschiffahrtsrecht usw. hätten übertragen werden können. Wie man diesen Senat am besten hätte nen nen sollen, etwa Kolonialienat, stand in zweiter Linie. Im einzelnen kann hierauf an dicier Stelle nicht eingegangen werden. Alles dies schien auch in wichtigen Reichsämtern, wir denken an das des Aus wärtigen, der Marine und, In.«t not lexiN, das Reichs schatzamt, keineswegs verkannt zu werden, wennschon man sich dem Reichstage gegenüber der „Homogeni tät" wegen natürlich Zurückhaltung auferlegte und die Bundesratsvorlage unentwegt vertrat. Hoffentlich lautet eine dritte Gesetzesvorlage anders. Es ist einfach Pflicht, dafür zu sorgen, daß unsere Brüder drüben über See empfinden, daß zwischen Mutterland und Kolonien kein Wertunter schied besteht. Sie sollen sich als wahre Volksgenossen fühlen. Auch was das Recht und seine Pflege an langt. Deshalb dürfen wir ihnen auch den Zutritt zu dem höchsten deutschen Gerichtshof nicht versagen. Es gibt kaum eine Einrichtung des Reiches, die sich eines so unbestrittenen Ansehens, einer so allgemei nen Anerkennung erfreut, wie gerade unser Reichs gericht. In ihm weht wahre geistige Höhenluft. Das sind Eigenschaften, die sich auf einen anderen Ge richtshof nicht ohne weiteres übertragen lassen. Das Reichsgericht hat — und wer wollte das gerade heute gering einschätzen! — durch seine Rechtsprechung ein Einheitsband um die deutschen Stämme geschlungen. Ihm sei auch die schöne Aufgabe anvertraut, Mutter land und Kolonien durch das feste Band einheit lichen Rechtes miteinander zu verketten. Ob überhaupt eine dritte Gesetzesvorlage zu er warten ist? Es wäre bedauerlich, wenn sich der Bundesrat abschrecken ließe, nachdem er die Not wendigkeit einer Reform des Rechtslebens in unseren Kolonien zweimal verkündet hat. Vielleicht juckt man das Ziel auf einem anderen Wege zu erreichen und beginnt — wie man sonst beim Bauen zu tun pflegt — nicht mit dem Dache, sondern mit dem Fundamente. Noch am vorletzten Tage des sterben den Reichstages wurde darauf hingcwiescn, daß es unhaltbar sei, wenn noch vielfach, sicher in erster In stanz, Verwaltung und Justiz in denselben Händen ruhen. Wie dem auch sei: der Rechtszustand in den Kolonien muß geordnet werden. Das sind wir uns und den Kolonien schuldig. völlige Verwirrung in Paris. In Paris geschehen die wunderlichsten Dinge. Ain Sonnabend erklärt sich Viviani außerstande, das neue Kabinett zu bilden, und am Sonntag sieht sich der Präsident beinahe genötigt, V>- viani nochmals mit der Neubildung des Kabi netts zu beauftragen! Als Viviani dem Präsi denten das Mandat zurückgab, ivar es für jeder- inaun klar, daß die Bildung eines radikalen Ministeriums unmöglich war. Der Ruf zur Ka binettsbildung an Delcasss, einen der eif rigsten Verfechter des Dreijahrsgesetzes, bedeutete denn auch eine merkliche Schwenkung. Selbstver ständlich hätte ein Ministerium Delcassö sich auf die Rechtsparteien stützen müssen, es hätte also sofort die schärfste Opposition der Radikalen und Sozialisten herausgefordert. Indes Dcl- casss, der die außerordentlichen Schwierigketten natürlich überschante, entschuldigte sich mir an- gegriffener Gesundheit. Nach ihm lehnte Du puy, dann PcNtral ab, und nun wandte sich Präsident Poincars in seiner großen Not an Doumergue, den eben erledigten Minister präsidenten, um Rat. Der empfahl ihm, — Vi- viani, Bourgeois oder Ri bot die heikle Aufgabe zu übertragen, für die französische Re publik yach neuen Ministern zu suchen. Der Kreislauf wäre also vollendet gewesen. Selbst verständlich setzte sich Poincars nicht der Lächer lichkeit aus, denselben Mann, der ihm vor 24 Stunden seinen Auftrag zurückgegeben hatte, abermals zu berufen. Er setzte seine Hoffnung vielmehr auf den 72 jährigen Ribot, und das ist wieder insofern nicht ohne einigen Reiz, als Ribot bei der Präsidentenwahl Poincarss schärf- ster Gegner war. Ribot gehört der nationalisti schen Partei an, er ist einer der glänzendsten, ge dankenreichsten Parlamentarier Frankreichs. Ob er sich bereit finden wird, die schier unlösbare Ausgabe der Kabinettsbildung zu übernehmen, ist noch fraglich. Auf jeden Fall kennzeichnet das nervöse Tasten des Präsidenten nach einem neuen Ministerpräsidenten die heillos verworrene Lage in Frankreich aufs grellste. Wir haben folgende Drahtnachrichten mit zuteilen : Paris, 7. Juni. Delcassä hat die Bildung des Kabinetts aus Gesundheitsrücksichten abge- lehnt. Paris, 7. Juni. Jean Dupuy lehnte das Anerbieten, das Kabinett zu bilden, a b und bat Poincars, das Senatsmitgliod Peytral mit der Kabinettsbildung zu beauftragen. Poincars hat Peytral zu sich berufen. Paris, 7. Juni. Peytral hat den Auftrag, ein Ministerium zu bilden, ab gelehnt. Er erklärte in seiner Antwort, er glaube nicht in der Lage zu sein, unter den gegenwärtigen Umständen die Last der Ministcrpräsidentschaft zu übernehmen. Er würde sich aber gern für ein Ministerium der Linken zur Verfügung halten, wenn dieses sich in erster Linie ! mit den Finanzfragen beschäftigen wollte. Präsident Vas LiMck Äer anderen. 18j Roman von Fritz Stüber-Gunther. >6op^rigdt 1814 bx ttrottUsin L Co. O. m. b. ll. Coiprix» „Verehrter Freund" — lautete er nun — „da Sie mich in Ihrer Güte dieser Anrede wür digen, so bediene ich mich der gleichen — die Angelebenheit meiner vorzeitigen Pensionierung werde ich jetzt tatsächlich rascher und energischer betreiben. Um so mehr, weil ein unerwartetes . Ereignis der jüngsten Zeit mich mit aller Dcnt- > lichkeit belehrt hat, daß die Rücksicht, die ich noch immer auf gewisse Verhältnisse und eine gewisse Person nehmen zu müssen glaubte, voll ständig überflüssig war. Morgen überreiche ich ganz sicher mein Gesuch uni einen längeren -L-ommerurlaub, und bei dieser Gelegenheit werde ich auch meine Absicht, nach Neujahr in den dauernden Ruhestand zu treten, unverhohlen darlegen. Wir sehen uns also im Sommer auf verhältnismäßig kurze, im Jänner oder Feber — so Gott will — auf recht, recht lange Zeit wieder. Wie ich mich schon freue, das brauche ich Ihnen, teurer Freund, nicht abermals zu versichern. Ich muß schließen, weil ich den Brief noch mit dem Abendeilzugc befördern lassen möchte, damit Sic ihn morgen früh bereits in Händen Haden. Herzlichst Ihr treu ergebener Anton Gottsmann." Dieser Brief erhielt einen Umschlag und die Adresse: „Stefan Khautz" und erreichte wirk- lich noch den Abendzng. 8. Kapitel. Die Morgcnblätter berichteten einen trau rigen Vorfall, der sich mitten in der lustigen Großstadt abgespielt hatte — und wie er sich wohl auch nur in der Großstadt ereignen konnte: Einer Handwerkerfamilie war die armselige Wohnung, deren Mietzins sie bisher unter allen möglichen Einschränkungen und Entbehrungen zwar, aber mit strengster Pünktlichkeit entrichtet hatte, Plötzlich aufgekündigt worden, weil — ja, weil der Hausbesitzer mit einem Male fand, daß eine Kinderzahl von Fünf für ein einziges Ehepaar und eine bloß aus Zimmer und Küche bestehende Wohnung zu groß und dem guten Ruse seiner Mietkaserne abträglich sei. Aus die sem moralischen und keinem anderen, materiellen Grunde. Tie Frist vom Kündigungs- bis zum Umzugtage hatten Vater und Mutter mit ge wissenhaftem Eifer zur Aufspürung neuer Wohn räumlichkeiten benützt — aber durchaus keine gefunden. So kam der Räumungstcrnnn, ohne daß die armen Leute für die nächste Nacht ein Dach wußten. Bereits stand die neue, kinderlose Mietpartei mit ihren Habseligkeiten im Flur — die alte, kinderreiche aber zögerte in geängstig ter Ratlosigkeit noch immer, die ihrigen hinab- zuschafscn. Da wendete sich der Hausherr kur zerhand an die Polizei und setzte mit ihrer Unterstützung die sicbcntöpfige Familie ans die Straße. Die Kinder heulten, die Mutter weh klagte; der Vater aber lästerte weltliche und göttliche Obrigkeit und lief davon und — kam nimmer wieder. Am späten Abende, während seine Lieben noch immer im Freien kampierten, zog man ihn als Leiche aus dem Strom . . . Dieses immerhin seltene Geschehnis, dieser durch seine Begleitumstände interessante Selbst mord, die heute an vielen Orten der Stadt das Gesprächsthema bildeten, gab auch den beiden der Aufsicht des Revisors Anton Gottsmann unterstellten Kalkulatoren in der retrospektiven Abteilung des hnpothetischen Departements des Statistischen Amtes, den Herren Kracher und Stätter, die ihrer täglichen Ziffernarbeit stets eine gründliche Glossierung der jüngsten Zci- tungsmcldungcn vorauszuschickcn pflegten, reich lich Stoff zur Unterhaltung. „Eine solche Herzlosigkeit ist niederträchtig und unerhört", entrüstete sich Stätter. „Eine arme Familie zur Verzweiflung, ihren Ernährer in den Tod zu treiben! Was sagen Lie dazu?" Kracher zuckte philosophisch die Achseln: „Mein Gott — der Fall ist ja schrecklich tra gisch. Aber er hat natürlich auch, wie jedes Ding auf der Welt, seine zwei Seiten." „Ja, eine sehr dumme und eine ganz schlechte!" „No ja . . . Vom Standpunkte der Mensch lichkeit ist das Vorgehen des Hausbesitzers selbst verständlich vollkommen zu verurteilen. Aber versuchen Sie doch einmal, sich auf seinen per sönlichen Standpunkt zu stellen! Wer weiß denn, was für Unordnung und Unruhe und Schaden sic im Hause ungerichtet haben, diese fünf Kinder?" „Fünf lebendige Kinder! Furchtbar! Kaum auszndenkcn!" entsetzte sich Stätter, auf den die Argumentation des unparteiischen Kollegen nicht ohne Eindruck geblieben war, von neuem. „Ja, das ist eben Prolctarierart!" sagte Kracher. „Das kommt von der proletarischen Lebensauffassung, der proletarischen Weltan schauung !" Herr Stätter beneidete mit säuerlicher Miene den Kollegen um dessen nnvcrlegene, wortfertige Weisheit. Nach einem Weilchen aber fragte er scharf: „Sagen Sic mir, lieber Herr Kracher, was bedeutet denn eigentlich der Ausdruck Prole tarier?" „Na, einen gänzlich besitzlosen Menschen halt," erwiderte Kracher großartig. „Ja, so viel hab' ich auch schon gewußt. Aber ich mein' — was cs wörtlich — was eS buchstäblich heißt. AuS dem Lateinischen ist es, nicht wahr? Sic wissen ja, wir in der Real schule haben mehr Mathematik und Freihand zeichnen, dafür aber weniger Etymologie ge trieben." Dieser deutliche, ein wenig spöttische Hin weis aus Stätters realistische und Krachers hu manistische Vorbildung, deren Vorteile und Nach teile oft genug Gegenstand eines edlen Wett streites zwischen beiden Herren Kalkulatoren waren, stachelte Kracher auf, sein Hirn anzu strengen. Er fühlte, diesmal durste er sich nicht bloßstellen. „Warten Sie, lassen Sie mich nur nach denken," sagte er stirnrunzelnd. „So momen ¬ tan ist einem natürlich nicht alles gegenwärtig . . . Prolet — proleS — Knoblauch? Oder — nein — ich hab's Zwiebel — mit Zwiebel hängt's zusammen! Also — die armen Leute, die sich hauptsächlich vou Zwiebeln nährten, nannten die alten Römer Proletarier!" „Ist das richtig, bitte, Herr Revisor?" wen dete sich aber Stätter voll mißtrauischer Hart näckigkeit an diesen. Anton Gottsmann hatte dem Zwiegespräch keine Beachtung geschenkt. Er saß über seine Arbeit gebeugt, die jedoch ausnahmsweise keine amtliche, sondern eine private war: sein Ur laubsgesuch. Anton Gottsmann also hob den Kopf: „Was denn, bitte? Worum handelt es sich?" Kalkulator Stätter setzte ihm in Kürze aus einander, was er zu wissen begehrte. „Das lateinische Wort proles", sagte der Revisor Anton Gottsmann, „heißt Nachkommen schaft. Proletarier ist daher einer, der nichts hat als Nachkommenschaft und zu nichts anderem taugt im Staate als zur Fortpflanzung." Damit streifte er seinen Amtsrock ab, fuhr in seinen Straßenrock, schob das fertige Gesuch in dessen Tasche und verließ das Zimmer. „Danke bestens, Herr Revisor!" rief ihm Stätter nach. Und zn seinem Kollegen Kracher gewendet: „Diesmal scheint Sic aber Ihre viel gerühmte humanistische Bildung im Stich ge lassen zu haben." Kracher protestierte ärgerlich: „Aha, Sie möchten schon wiederum das Gymnasium klein machen und Ihre Realschule herausstreichcn! Aber das wird Ihnen heut so wenig wie sonst gelingen. Die humanistische Bil dung ist der realistischen zehnfach überlegen. 'DaS sagt die ganze Welt." „Aber ich bitt' Sie! G rad' im Gegenteil — die ganze Welt kommt immer mehr zu der Erkenntnis, daß die sogenannte klassische Philo logie fürs praktische Leben das Allerüberflüssiaste und Wertloseste ist . . ." (Fortsetzung in der Abendausaabe,
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